Einführung
Spätestens seit den Enthüllungen um die Abhörpraktiken westlicher Geheimdienste durch den amerikanischen Whistleblower Edward Snowden im Sommer 2013 werden Fragen um die Privatsphäre der Bürger öffentlich aufgeworfen und kontrovers diskutiert. Das Eindringen des Staates in private Telefonate und E-Mails wird heute von vielen Meinungsträgern und europäischen Regierungsverantwortlichen als problematisch betrachtet.
Fast vergessen wurde in der Diskussion, dass ein besonders heikler Teil der persönlichen Freiheit, die finanzielle Privatsphäre, unter dem massiven Druck derselben europäischen Regierungen und Verwaltungen abgebaut und aufgehoben wurde.
Während wir in unserem E-Mail- und Telefonverkehr problemlos Irreführendes einbauen, Sympathien vortäuschen, Erfolge aufbauschen oder anderes verschweigen können, stellen unsere finanziellen Belange die ultimative persönliche Realität dar. Politische Gesinnung, wirtschaftlicher Erfolg, ja selbst sexuelle Neigungen hinterlassen eine sichtbare finanzielle Spur. Unter dem Vorwand der Verfolgung von Steuerdelikten wurde der Schutz der persönlichen Privatsphäre in den letzten Jahren massiv aufgeweicht und weitgehend aufgehoben. Was mit dem Einblick in Kontostand und -ertrag begonnen hat, geht heute bis zur Einschränkung der Nutzung und dem Verbot von Bargeld.
Das Bankgeheimnis, das im Kern sicherstellt, dass der Staat nur in begründeten Einzelfällen Zugang zu privaten Daten seiner Bürger erhält, wird und wurde von denselben Meinungsträgern als etwas Unmoralisches gebrandmarkt. Das Bankgeheimnis gegenüber den Behörden wurde in den letzten Jahren in vielen Staaten nicht nur faktisch abgeschafft, sondern darüber hinaus ein gegenseitiger automatischer Informationsaustausch eingeführt. Die wenigen verbleibenden Länder, welche die Kundendaten lange geschützt hatten, haben diesen Schutz unter großem internationalen Druck zumindest massiv aufgeweicht.
Wenn das Gewähren finanzieller Privatsphäre zum Schutz vor behördlichem Zugang moralisch falsch war, wurde es im internationalen Verkehr zu Recht abgeschafft. Wenn es aber in seiner Geschichte eine ernst zu nehmende Aufgabe erfüllt hat und den Menschen Schutz gegenüber nicht nur im Recht agierender Staaten gewährte, lohnt es sich, der Sache einige Gedanken zu widmen, die über die stereotype Steuerthematik hinausgehen.
Dass der Bürger Anspruch auf seine Privatsphäre – auch in finanziellen Belangen – geltend machen kann, zeichnet den Rechtsstaat westlicher Prägung gerade gegenüber autoritären oder gar totalitären Regierungsformen aus.
Wo die Privatsphäre in finanziellen Belangen gegenüber den Behörden nicht mehr oder nur noch eingeschränkt gilt, haben die Menschen guten Grund, sich tiefergehend damit zu beschäftigen, welche grundlegenden Werte im Kern bedroht sind.
In den folgenden Kapiteln beleuchtet der Autor die Komplexität rund um die finanzielle Privatsphäre aus einer fundamentalen Perspektive. Er verurteilt Steuerbetrug vorbehaltlos. Die während der letzten Jahren erfolgte Betrachtung und Verurteilung insbesondere des Bankkundengeheimnisses allein unter dem Aspekt der Steuerehrlichkeit ist jedoch aus seiner Sicht zu eindimensional und wird der darüber hinausweisenden Problematik in keiner Weise gerecht. Er zeigt auf, dass die von den Behörden laufend wiederholte Darstellung, der erzwungene Zugriff der Behörden auf die Finanzverhältnisse der Menschen diene nur der Erzielung fairer Steuererträge, nicht schlüssig ist. Das Steuerargument eignet sich jedoch perfekt, um praktisch jegliche Gegenwehr gegen den staatlichen Datendrang auszuschalten. Es hat sich gezeigt, dass diejenigen politischen und medialen Kreise, die der traditionellen staatlichen Datenbeschaffung für polizeiliche Ermittlungen oder dem Geheimdienst kritisch gegenüberstehen, demselben Staat Daten praktisch kritiklos zugestehen, wenn er sich unter dem Etikett der Steuerbehörden präsentiert.
Dass der fiskalische Mehrertrag kaum der ultimative Grund für den enormen Druck auf die finanzielle Privatsphäre sein kann, zeigen exemplarisch die von den USA weltweit geforderten Finanzinformationen über ihre Bürger, die sogenannten „Fatca“ Daten. Die Kosten für die Erstellung und Bewirtschaftung von Fatca übertreffen den damit offiziell erwarteten Steuerertrag, selbst langfristig betrachtet, bei weitem. Dennoch orientieren sich auch Europäische und andere Regierungen bei der Festlegung ihrer Datenwünsche zunehmend an diesem Standard. Praktisch betrachtet ist es wenig sinnvoll, wenn die finanzielle Privatsphäre lediglich zugunsten der Behörden im Inland aufgehoben wird, da Gelder leicht in ausländische Kanäle abfließen können. Folgerichtig wird ein systematischer internationaler Datenaustausch gefordert. Damit dieser Datenaustausch Sinn macht, muss er möglichst alle Länder umfassen, mindestens alle, die einen einigermaßen entwickelten Finanzsektor unterhalten. Entsprechend wurde enormer Druck auf Länder wie die Schweiz, Österreich, Luxemburg und Liechtenstein ausgeübt, sich einem derartigen Datenaustausch zu unterwerfen. Allein die Implementierungskosten und der Unterhalt der entsprechenden Software und Arbeitsprozesse übersteigen dabei den von den Behörden optimistisch erwarteten steuerlichen Mehrertrag. Konkrete Schätzungen hierzu finden sich zum erwähnten US-Informationsaustauschstandard Fatca, der noch genauer analysiert werden wird. Schlimmer aber als der negative finanzielle Aspekt erweist sich, dass wer Daten fordert, längerfristig kaum darum herumkommen wird, dem anderen Land ebenfalls analoge Daten zuzugestehen. Will man, der steuerlichen Logik folgend, von möglichst allen Ländern Daten, gilt dies auch in umgekehrter Richtung. Empfänger der Daten ist stets die jeweilige Regierung, respektive die von ihr eingesetzte Verwaltung, unabhängig von deren Umgangsformen mit der Opposition. Wenig verwunderlich also, dass praktisch alle Regierungen an diesen Informationen höchst interessiert sind. Es gehört schon eine gehörige Portion Naivität dazu zu glauben, dies erfolge ausschließlich zum Zweck ehrlicher Steuereinnahmen. Nicht nur ein Blick in die Geschichte, auch offene Augen gegenüber den internationalen Regierungen heute lassen daran erhebliche Zweifel aufkommen.
Ein systematischer internationaler Austausch von Finanzdaten der Menschen ist aus grundsätzlich ethischen Überlegungen eigentlich nicht zu verantworten. Die Geschichte zeigt unmissverständlich, dass sich der Bürger Sorgen um seine persönlichen Freiräume machen muss, wenn seine Privatsphäre geschleift wird. Und die persönlichen Finanzen stellen nichts anderes dar als den ultimativen harten und unverfälschten Kern der Privatsphäre. Anders ausgedrückt sind es oft Oppositionelle, Regimekritiker, Intellektuelle und andere Nonkonformisten, die durch den Respekt vor der Privatsphäre Schutz erhalten, und das gilt selbstverständlich auch für den Umgang mit ihrem persönlichen Geld. Nicht nur die Nationalsozialisten hätten sich für die ausländischen Finanzverhältnisse der jüdischen Menschen im Lande interessiert. Auch die russische Revolution hätte kaum stattgefunden, wenn sich der Zar uneingeschränkt über die Finanzen Lenins informieren und dessen Gelder wegen Verdachts auf Steuerunehrlichkeit hätte sperren lassen können.
Die Referenz in Sachen Informationsaustausch ist der von den USA definierte Foreign Account Tax Compliance Act (Fatca), der auch von ausländischen Finanzdienstleistern konsequent umgesetzt werden muss. Er ist dabei, auch die Kundenbeziehungen europäischer Banken, Versicherer und Fondsgesellschaften zusehends zu prägen. Gemäß Fatca erhalten die Vereinigten Staaten automatisch alle wesentlichen Finanzinformationen über ihre Bürger sowie deren Firmen und Stiftungen – weltweit.
Wer im Frieden aufgewachsen ist und in keiner Weise von korrupten oder ideologisierten Behörden genötigt wurde, dem mag dieser Austausch von Finanzdaten nicht bedrohlich erscheinen. Die Frage stellt sich indes, wie eine menschenrechtssensible Regierung reagieren soll, wenn ein Staat wie beispielsweise China um den automatischen Austausch solcher Daten bittet. Den Anforderungen von Fatca zufolge bedeutet dies, dass Daten aller in China lebenden Menschen, die Konten bei uns unterhalten, ins Visier geraten, dort lebende Deutsche, Österreicher und Schweizer inbegriffen. Gefordert würden darüber hinaus detaillierte Finanzinformationen über sämtliche Exil-Chinesen, den Dalai Lama möglicherweise inbegriffen. Spätestens wenn auch China mit einer »einsatzbereiten Kavallerie« droht, wird sich der politisch Interessierte fragen, ob er für die Bequemlichkeit der Steuerfahndung nicht einen zu hohen Preis bezahlt. Soll er und mit ihm der gesamte Staat freiheitlicher Prägung diesem Druck weichen? Vielfach ist das Argument zu hören, dass der Ehrliche vor dem Staat ja nichts zu verbergen habe. Doch auf diese einseitige, die Staatsorgane begünstigende Betrachtungsweise sollte sich niemand einlassen. So ist das Beispiel China keineswegs aus der Luft gegriffen. Dessen Nachbarland Indien hat sein Interesse an den internationalen Finanzdaten seiner Bürger bereits mehrfach geäußert und am Weltwirtschaftsforum WEF 2014 in Davos seine diesbezüglichen Forderungen öffentlich unterstrichen. Selbst die UNO propagiert bereits den internationalen Finanzdatenaustausch. Darüber freuen sich nicht nur westliche Regierungen, sondern auch viele wenig zimperlicher Herrscher, welche damit praktisch uneingeschränkte Macht über ihre Opposition erhalten.
Ganz grundsätzlich hat der Einzelne ein Recht darauf, in den eigenen vier Wänden in Ruhe gelassen zu werden, und er tut sicher gut daran, wenn er dieses Recht...