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1 Am Brunnen
Die Angst vor dem „Was, wenn …“
Eigentlich hatte sie doch getan, was man von ihr verlangte.
Hagar hatte auf Saras Drängen hin mit Abraham einen Sohn bekommen. Sara sah keinen anderen Weg, das Vermächtnis ihres Mannes am Leben zu erhalten, als ihre Dienerin von ihm schwängern zu lassen, und sie hatte Abraham ihren Plan vorgelegt. Er hatte eingewilligt, obwohl Gott ihm eine Verheißung gegeben hatte, bei der von einer anderen Frau nicht die Rede gewesen war.
Offenbar nahm Gottes Plan nicht den Verlauf, den Sara erwartet hatte, also nahm sie die Sache selbst in die Hand.
Genau das tun wir doch, wenn wir Angst haben, oder?
Wir packen das Problem und schütteln so lange, bis auch die Ecken, die uns unsinnig erscheinen, nach unseren Wünschen ausgefüllt sind.
Ein Gespräch, das ich mit Gott über die Jahre in tausend Variationen geführt habe, klingt ungefähr so: „Gott, ich habe gehört, dass du das gesagt hast … aber scheinbar hast du deine eigenen Worte vergessen. Offenbar muss ich das hier selbst in die Hand nehmen, damit alles in die richtigen Bahnen kommt, also werde ich schon mal loslegen, und du kannst mich ja dann unterwegs einholen. Okay?“
Oft verlief dieser Prozess so unterschwellig, dass ich erst viel später erkannte, wie sehr ich Gott ins Handwerk gepfuscht hatte. Hinter dem allen steckt die Stimme Satans, der sich wünscht, dass ich mir immer weiter Sorgen mache, mich anstrenge und alles manipuliere, was ich in die Hände bekomme.
Saras Plan verlief auch nicht ganz so, wie sie es erhofft hatte: Jahre später war sie selbst mit einem Sohn schwanger und sehr eifersüchtig auf die Frau, die aufgrund ihrer eigenen Manipulationen den ersten Sohn ihres Mannes zur Welt gebracht hatte. Doch selbst nachdem Sara und Abraham aus Angst und Unglauben aktiv geworden waren, erfüllte Gott seine Verheißung und gab ihnen einen Sohn, Isaak. Bei einem Fest zu Ehren Isaaks sieht Sara Hagars Sohn Ismael lachen – und das ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Sie verlangt von Abraham, Hagar mit ihrem Sohn auf die Straße zu setzen.
Ich werde oft daran erinnert, was ich alles unternommen habe, um Gott zu „helfen“, und sicher fallen auch Ihnen solche Situationen ein. Wir wollen Gott vertrauen, und bis zu einem gewissen Grad tun wir das auch. Doch dann kommen Zeiten, in denen wir die Welt nicht mehr verstehen, und wir verlassen uns auf unsere eigene Kraft und schlagen uns in Gedanken mit der einen Frage herum, die dieser Angst zugrunde liegt:
Wo bist du bei alldem, Gott?
Ich glaube, das war Saras brennendste Frage, als sie ihren Mann drängte, Hagar zu verstoßen, und das große Leid, das folgte, muss ihr das Herz gebrochen haben:
Ich hätte auf dich hören sollen, Gott. Ich hätte dir vertrauen sollen, auch wenn ich deine Hand in meinem Leben nicht sehen konnte … Schau nur, was ich angerichtet habe …
Immer, wenn ich diese Geschichte aus 1. Mose gelesen habe, habe ich mich selbst in Sara wiedergefunden: Ich verfange mich in meinen eigenen Plänen, bis ich fast daran zerbreche. Auf Hagar habe ich allerdings nie so sehr geachtet. Als ich neulich den Abschnitt noch einmal las, war ich fasziniert von dieser Frau und ihrer Geschichte. Ich habe mich mit ihr auf den Weg durch ihre Lebensprüfungen gemacht und wurde am Ende von Gott beschenkt. Ich hoffe, dass auch Sie davon profitieren werden, wenn Sie jemals Angst vor dem „Was, wenn …“ hatten.
Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, wie ich als Kind wegen Angstzuständen ins Krankenhaus kam. Bereits im Alter von zwei oder drei Jahren begann ich, mir um Dinge Sorgen zu machen, um die sich Kinder eigentlich keine Sorgen machen müssen. Ich bestand darauf, dass mein Vater zur Schlafenszeit mit mir durchs Haus ging, damit ich nachschauen konnte, ob die Haustür abgeschlossen und der Herd ausgeschaltet war, ob meine kleine Schwester noch atmete und so weiter. Schon damals quälten mich Gedanken darüber, was ihnen zustoßen könnte, wenn ich nicht aufpasste. Mit jedem Monat wurden diese Ängste schlimmer, und meine Eltern beschlossen, dass es vielleicht gut wäre, eine Psychologin zu konsultieren. Jede Woche hatte ich einen Termin bei dieser sehr netten Dame: Sie forderte mich auf, bestimmte Bilder zu malen, und anschließend sollte ich sie beschreiben.
Ich war ein ziemlich schlaues Kind, also war mir schon nach der zweiten Woche klar, dass sie sich mehr für die Bilder interessierte, in denen ich traurig aussah und alle anderen fröhlich. Bereits damals wollte ich es immer allen recht machen, also malte ich, was das Zeug hielt.
Die Psychologin hielt meine Bilder für ein Fenster zu meiner Seele, doch in Wahrheit wusste ich, dass meine Eltern mit mir zum Mexikaner statt zu Burger King gehen würden, wenn ich mich als unglückliches Kind darstellte.
Wir saßen dann in einer geräumigen Nische, meine Eltern mir gegenüber, und sprachen über das, was an dem Tag in der Sitzung bei der Psychologin passiert war. Ich stippte meine Tortillachips in die Salsa und erzählte ihnen, dass die nette Dame mir Buntstifte gegeben hatte und dass ich ein Bild gemalt hatte, in dem ich mich draußen vor dem Haus befand statt mit ihnen im Haus. Wir bestellten, und ich erzählte detailliert von dem „Strichmännchen“ Angela, das weglief und ein trauriges Gesicht hatte, während alle anderen in meiner Familie fröhlich strahlten.
„Warum fühlst du dich so, Schatz?“ Meine Mutter nippte an ihrer Cola und versuchte zu verstehen, was sie falsch gemacht hatte.
Inzwischen war ich überzeugt davon, dass ich garantiert bis zu mexikanischer Eiscreme vordringen konnte, wenn ich das Gespräch am Laufen halten konnte, bis wir unsere frittierten Burritos aufgegessen hatten.
Sosehr ich auch die Aufmerksamkeit meiner Eltern genoss, bin ich mir heute nicht mehr so sicher, ob diese frühen Therapiesitzungen mir mehr brachten als eine Liebe zu Tacos und Exklusivzeit mit Mama und Papa. Ich erinnere mich sehr deutlich daran, dass ich es für dumm hielt, bei der Psychologin irgendwelche Bilder zu malen, denn das war nur „so tun, als ob“. Was ich fürchtete, war die Realität. Und an diesen Ängsten konnte die nette Dame nichts ändern. Die Bilder waren nur Bilder. Im echten Leben konnte eine ganze Menge schiefgehen!
Ich fragte meinen Vater aus, was er tun würde, wenn jemand mitten in der Nacht in unser Haus einbräche. Wir gingen alle möglichen Szenarien durch, damit ich mich sicher fühlte, und am Ende schlief ich, erschöpft vom vielen Sorgenmachen, ein. Ich erinnere mich noch daran, wie ich ihn bat, alle möglichen Dinge im Haus hochzuheben, damit ich sehen konnte, wie stark er war. Offenbar bestand er den Test, denn irgendwann fragte ich ihn, ob er, wenn nötig, die Toilette aus ihrer Verankerung im Badezimmerboden reißen könnte. Er erklärte mir, so weit würde es sicher nicht kommen. Ich war zwar nicht zufrieden mit seiner Antwort, aber ich weiß auch nicht mehr genau, wie die Toilette überhaupt ins Spiel kam.
Die Ängste lösten sich nicht auf, und als ich fünf oder sechs Jahre alt war, entschieden meine Eltern, dass ein Klinikaufenthalt nötig war. Mein Krankenhauszimmer war klein; in der Ecke hing ein kleiner Fernseher und neben dem Bett stand eine Kommode. Das Bett ließ sich hoch- und runterfahren, und damit vertrieb ich mir die Zeit, wenn meine Mutter auf dem Flur telefonierte. Ich stellte mir vor, dass mein Bett der höhenverstellbare Stuhl im Friseursalon war, in den meine Mutter immer ging. Dann wieder tat ich so, als wäre mein Bett eine Achterbahn. Damit waren meine Gedanken eine Weile abgelenkt, aber irgendwann landeten sie immer wieder bei der Tatsache, dass ich in einem Krankenhausbett lag. Während meines Aufenthalts wurden eine Menge Tests durchgeführt, und ich bekam viel Eis am Stiel. Ich weiß nicht, ob es am Ende eine richtige Diagnose gab, aber man war sich einig, dass ich ein Magengeschwür im Frühstadium und schwere, abnormale Ängste hatte.
Ich hasste das Krankenhaus. Das Schlimmste daran war für mich, allein in meinem Zimmer zu sein. Ich kletterte von dem großen Bett, schlich auf Zehenspitzen zur Tür und öffnete sie gerade weit genug, um im Flur nachschauen zu können, ob mich auch niemand bemerkte. Dann glitt ich so leise wie möglich an der Wand entlang, bis ich an der gelben Linie stand. Die gelbe Linie war Klebeband, das quer über den Boden des Gangs geklebt war und die Grenze für die Kinder auf der Station darstellte. Diese Linie durften wir unter keinen Umständen überschreiten, und da ich schon immer eine Regeleinhalterin war, kam es mir nie auch nur in den Sinn, sie zu übertreten. Ich schlich mich so nahe heran, wie ich konnte, bis meine Zehen den Rand der Linie berührten, und dann lauschte ich, ob ich die Stimme meiner Mutter ausmachen konnte. Ich hörte sie am Münzfernsprecher telefonieren. Unter Tränen sprach sie über das, was mit mir los war. Mehr als einmal schlief ich dort ein und wurde von einer der Schwestern zurück in mein Bett mit den gestärkten weißen Laken getragen.
Sie versuchten mich zu trösten, doch nichts konnte mich beruhigen, bis meine Mutter zurückkam. Also dachte ich mir Zählspiele aus und starrte auf das flackernde Licht vom Fernseher, das durchs Zimmer tanzte.
Ich kann jenes kleine Mädchen noch vor meinem inneren Auge sehen – zu klein, um wieder selbst in das große Bett zu kommen –, und ich trauere noch um die Teile seiner Kindheit, die es versäumt hat. Es ist nicht so, als hätte ich keine glückliche Kindheit gehabt, denn meine Kindheit war eigentlich sehr glücklich. Doch ich...