Vom Geist der Unterhaltung
Wenn man im Morgenlande einander nichts zu sagen hat, so raucht man Tabak zusammen und begrüßt sich von Zeit zu Zeit mit verschränkten Armen, um sich ein Freundschaftszeichen zu geben; im Abendland hingegen hat man den ganzen Tag miteinander reden wollen.
Es dürfte anerkannt sein, daß von allen Städten der Welt Paris die ist, wo der Geist und Geschmack der Unterhaltung am meisten verbreitet sind; und was man Heimweh nennt – diese unbestimmte Sehnsucht nach dem Vaterlande, die unabhängig ist selbst von den Freunden, die man dort zurückgelassen hat –, ist oft weiter nichts als das Vergnügen, miteinander zu schwatzen; ein Vergnügen, das die Franzosen nirgends in demselben Grade genießen, wie bei sich.
Die Art der guten Stimmung, die eine belebte Unterhaltung gewährt, besteht nicht in dem Gegenstand dieser Unterhaltung; nicht die Ideen und die Kenntnisse, die man darin entwickeln kann, bilden das Hauptinteresse. Dies hängt zusammen mit einer gewissen Manier, aufeinander zu wirken, sich gegenseitig und rasch Vergnügen zu bereiten, so schnell zu sprechen, wie man denkt, sich selbst mit Wohlgefallen zu empfinden, Beifall ohne Anstrengung einzuernten, seinen Verstand in allen Abstufungen durch Ton und Gebärde und Blick zu offenbaren, und, nach Belieben, eine Art von Unruhe hervorzubringen, deren sprühende Funken die Lebhaftigkeit der einen mäßigt und die unangenehme Apathie der andern verbannt.
Zu diesem Talent paßt nichts so wenig, wie der Charakter und die Geistesart der Deutschen. Sie wollen in allen Stücken ein ernstes Ergebnis. Bacon hat bemerkt: die Unterhaltung sei nicht ein Weg, der nach Hause führe, wohl aber ein Pfad, auf dem man sich auf gut Glück ergeht. In der Unterhaltung ist das Nötige die Belustigung.
Der Ideen-Kurs ist seit einem Jahrhundert ganz durch die Unterhaltung bestimmt worden. Man dachte, um zu sprechen, man sprach, um Beifall einzuernten, und alles, was nicht gesagt werden konnte, schien in der Seele überflüssig zu sein. Der Wunsch zu gefallen ist unstreitig eine schätzbare Anlage; allein er unterscheidet sich doch sehr von dem Bedürfnis, geliebt zu werden. Der erstere macht abhängig von der Meinung; das letztere erhebt über dieselbe. Selbst denen, denen man großes Unrecht zufügt, kann man zu gefallen wünschen; und gerade dies ist die Gefallsucht, eine Eigenschaft, die nicht die Frauen allein besitzen, die sich vielmehr in all den Fällen äußert, wo man mehr Gefühl zur Schau trägt, als man wirklich in sich hat.
Die Rechtlichkeit der Deutschen gestattet ihnen nichts dergleichen; sie nehmen die Anmut ganz buchstäblich; sie betrachten den Zauber des Ausdrucks als eine Verbindlichkeit für das gute Betragen. Daher ihre Empfindlichkeit; denn sie vernehmen kein Wort, ohne etwas daraus zu folgern, und noch weniger begreifen sie, wie man die Rede als eine freie Kunst behandeln könne, die keinen anderen Zweck hat, als das Vergnügen, das man darin findet. Der Unterhaltungsgeist hat bisweilen das Üble, daß er die Aufrichtigkeit des Charakters stört; eine durch den Verstand herbeigeführte, aber improvisierte Betrügerei, wenn man sich so ausdrücken darf. Die Franzosen haben in diese Gattung eine Fröhlichkeit gebracht, die sie höchst liebenswürdig macht; aber es ist deswegen nicht minder erwiesen, daß alles, was diese Welt Ehrwürdiges hat, durch diese Anmut erschüttert worden ist; wenigstens durch die, die nichts wichtig findet und alles ins Lächerliche zieht.
Die witzigen Einfälle der Franzosen sind von dem einen Ende Europas bis zum andern angeführt worden. Zu allen Zeiten haben sie einer des anderen bedurft, wie abwechselnde Zuhörer, die sich wechselweise aufmuntern; zu allen Zeiten haben sie sich hervorgetan in der Kunst, das Nötige zu sagen, und selbst in der, zu schweigen, wenn ein großes Interesse ihre natürliche Lebhaftigkeit unterdrückte; zu allen Zeiten haben sie das Talent gehabt, schnell zu leben, lange Reden abzukürzen und denen Platz zu machen, die nun auch sprechen wollten; zu allen Zeiten haben sie sich darauf verstanden, von Gefühlen und Gedanken nur so viel zu geben, als zur Belebung der Unterhaltung diente, ohne das leichtfertige Interesse zu ermüden, das man gewöhnlich füreinander hat.
Ich habe einen Mann gekannt, den das Lob so in Atem setzte, daß, wenn er dergleichen erhielt, er alles, was er gesagt hatte, übertrieb und, um den glücklichen Erfolg zu verstärken, immer damit aufhörte, daß er ihn einbüßte; ich wagte es nicht, ihm meinen Beifall zu geben, aus bloßer Furcht, er möchte zur Affektation übergehen und sich aus gutherziger Eigenliebe lächerlich machen. Ein anderer fürchtete so sehr den Schein, als wünschte er Eindruck zu machen, daß er seine Worte nachlässig fallen ließ. Wenn die Eitelkeit sich zeigt, so ist sie wohlwollend; verbirgt sie sich aber, so wird sie bitter durch die Furcht vor der Entdeckung und trägt die Gleichgültigkeit, die Sattheit, mit einem Worte, alles zur Schau, was andere glauben machen kann, sie bedürfe ihrer nicht. Diese verschiedenen Kombinationen sind höchst anmutig für den Beobachter, und man wundert sich, warum die Eigenliebe nicht den natürlichen Weg einschlägt: den Wunsch einzugestehen, daß man gefallen möchte.
Der Takt, den der Umgang erfordert, das von ihm herbeigeführte Bedürfnis, sich der Fassungskraft der verschiedenen Geister anzupassen, die große Arbeit des Gedankens in seinen Beziehungen auf Menschen, dies alles würde den Deutschen in mehr als einer Hinsicht nützlich sein; es würde ihnen Maß und Feinheit und Gewandtheit geben. Aber in diesem Talent zu schwatzen, liegt immer eine gewisse Geschicklichkeit, die sich nicht mit einer unbiegsamen Moral verträgt; denn wenn man alles, was mit der Kunst, die Menschen glimpflich zu behandeln, in Verbindung steht, vernachlässigen dürfte, so würde der Charakter um so viel mehr Größe und Energie besitzen.
Die Franzosen sind die geschicktesten Diplomaten Europas. Der Geist der Unterhaltung hat in den Franzosen auf eine ausgezeichnete Weise den ernsteren Geist politischer Unterhandlungen entwickelt. Kein auswärtiger Gesandter vermag in dieser Gattung mit ihnen zu ringen; es sei denn, daß er, alle Ansprüche auf Feinheit beiseite setzend, den Dingen gerade auf den Leib geht, ungefähr wie einer, der sich schlägt, ohne fechten gelernt zu haben.
In Deutschland ist jeder in seinem Range, auf seinem Platze, wie auf einem Posten, und es bedarf am wenigsten geschickter Wendungen, Parenthesen und Halbwörter, um die Vorzüge auszudrücken, die man durch Geburt oder durch Titel seinem Nachbarn voraus hat. In Deutschland wird die gute Gesellschaft durch den Hof gebildet; in Frankreich waren es alle diejenigen, die sich mit ihm auf den Fuß der Gleichheit setzen konnten; und alle durften dies hoffen, und alle durften auch fürchten, nie dahin zu gelangen. Hieraus entstand, daß jeder die Manieren der Gesellschaft haben wollte. In Deutschland verschafft ein Diplom den Zutritt; in Frankreich verbannte ein Mangel an Geschmack vom Hofe, und man beeiferte sich weit mehr, den Weltleuten ähnlich zu werden, als sich in der Welt selbst durch Tapferkeit auszuzeichnen. Eine aristokratische Macht, der gute Ton und die Eleganz galten mehr, als Energie, Tiefe, Gefühl und Geist sogar. Diese sagten zur Energie: du legst zu viel Gewicht auf Personen und Dinge; zur Tiefe: du nimmst mir zu viel Zeit weg; zum Gefühl: du bist allzu ausschließend; zum Geiste endlich: du bist eine allzu individuelle Auszeichnung. Es bedurfte solcher Vorzüge, die mehr mit den Manieren, als mit den Ideen zusammenhingen; und es kam darauf an, in einem Menschen mehr die Klasse, zu welcher er gehörte, als sein eigentümliches Verdienst zu erkennen. Diese Art von Gleichheit in der Ungleichheit begünstigt mittelmäßige Menschen sehr, denn sie muß in der Art zu sehen und sich auszudrücken alle Eigentümlichkeiten zerstören. Das gewählte Modell ist edel, anmutig und nicht ohne Geschmack; aber es ist für alle dasselbe, es ist ein Einigungspunkt. Was sich ihm anpaßt, glaubt mit seinesgleichen umzugehen. Einem Franzosen würde es langweiliger sein, mit seiner Meinung, als auf seinem Zimmer allein zu sein.
Man würde unrecht haben, wenn man den Franzosen beschuldigen wollte, er schmeichle der Macht durch die gewöhnlichen Berechnungen, die diese Schmeichelei einflößen. Sie gehen, wohin alle Welt geht; Ungnade oder Ansehen, gleichviel. Wenn Einzelne sich für die Menge ausgeben, so können sie darauf rechnen, daß sie wirklich kommen wird. Im Jahre 1789 hat man die Revolution in Frankreich dadurch gemacht, daß man einen Eilboten aussandte, der von einem Dorfe zum andern ausrief: bewaffnet euch, denn das benachbarte Dorf hat sich bewaffnet; alles stand gegen alle, eigentlich gegen niemand auf. Wenn man das Gerücht verbreiten wollte: die und die Manier zu sehen, sei allgemein angenommen, so würde man, selbst gegen das innere Gefühl eines jeden, Einhelligkeit erleben; man würde sich alsdann, um mich so auszudrücken, das Geheimnis der Komödie bewahren. Denn unter vier Augen würde jeder eingestehen, daß alle unrecht haben. Bei geheimen Umfragen hat man Deputierte ihre weiße oder schwarze Kugel gegen ihre Meinung geben gesehen, nur weil sie glaubten, die Mehrheit befinde sich auf der entgegengesetzten Bahn; sie wollten, wie sie sagten, ihre Stimme nicht verlieren.
Aus diesem gesellschaftlichen Bedürfnis, wie alle Übrigen zu denken, kann man sich den Gegensatz des Muts im Kriege zur Feigheit in der bürgerlichen Laufbahn während der Revolution erklären, über den militärischen Mut gibt es nur eine Ansicht; aber in bezug auf das...