I.
ROM UND DIE RÖMISCHEN STÄDTE
ZUR ZEIT DER REPUBLIK
1. Von den etruskischen Königen bis zum Bau der
Servianischen Mauer im 4. Jahrhundert v. Chr.
Als der römische Senat im Laufe des 4. Jahrhunderts v. Chr. mit der systematischen Unterwerfung und Eingliederung Italiens in seinen Machtbereich begann, war Rom bereits eine alte Stadt (Abb. 1). Für ihre Entstehung an der Tiberschleife in einem Gelände, das wegen der steil abfallenden Hügel und der sumpfigen Niederungen nicht besonders vorteilhalft war, spielten verschiedene Faktoren eine Rolle: der günstige Tiberübergang an der Insel, die Lage an der Grenze zwischen den Siedlungsgebieten der latinisch-sabinischen und der etruskischen Stämme sowie der Zugang zum Meer durch den Tiber. All das begünstigte Austausch und Handel. Der eigentliche Urbanisierungsprozess begann jedoch erst im Laufe des 7. Jahrhunderts v. Chr., als sich die Hüttensiedlungen auf den Hügeln zusammenschlossen. Damals wurde die sumpfige Niederung zwischen Palatin und Kapitol, in der man kleinere Nekropolen früherer Zeit gefunden hat, trockengelegt und aufgefüllt, so dass sich die Fläche nach und nach zum Zentrum für das politisch-religiöse Leben der Gemeinschaft entwickeln konnte. Über die tatsächlichen Anfänge der Stadt herrscht derzeit Uneinigkeit unter den Forschern. Der Grund dafür liegt in der unterschiedlichen Bewertung der in den berühmten Gründungslegenden um Romulus erzählten Geschichten und den bis ins 7. Jahrhundert v. Chr. hinein sehr spärlichen und nicht immer eindeutigen archäologischen Überresten. Entscheidend für das Zusammenwachsen der Hüttendörfer auf den Hügeln war wohl die Herrschaft der etruskischen Könige, die mit der Vertreibung des letzten Königs Tarquinius Superbus 509 v. Chr. endete.
Für die Struktur des künftigen Stadtzentrums wurde der Verlauf der Sacra Via bestimmend, die vom Palatin über das sich nach und nach herausbildende Forum Romanum zum Kapitolshügel führte. Auf der rechten Seite des Forums bzw. der Sacra Via zweigten Wege zu den Wohnsiedlungen in der Subura, am Esquilin und auf dem Quirinal ab, auf der linken Seite unterhalb des Kapitols führte der Vicus Iugarius zum Tiberhafen und zum Forum Boarium. Das weit in die Zeit der Hügelsiedlungen zurückreichende archaische Wegenetz bestimmte zum Teil bis in die Spätantike hinein den Verkehr im Zentrum der Stadt und behinderte das Entstehen von großen Straßenachsen, die den Stadtkern mit den wichtigsten Ausfallstraßen hätten verbinden können.
Als Zentren des öffentlichen Raums gewannen zunächst das Forum, das Kapitol und das Gebiet um Hafen und Flussübergang ihren unterschiedlichen Funktionen entsprechend Gestalt. Dabei werden bereits Eigenarten der römischen Gesellschaft sichtbar, die auch künftige Römerstädte prägen sollten. Der kleinste und bis heute steilste der römischen Hügel, das Capitolium, eignete sich vorzüglich als eine Art Akropolis. Er war, wie man noch heute sehen kann, dreigeteilt: Zur Linken lag der Tempel der capitolinischen Trias – des Staatsgottes Jupiter Optimus Maximus, der Juno Regina und der Minerva –, zur Rechten die Arx mit dem Sitz der Auguren, dazwischen das angeblich schon von Romulus gegründete Asylum, das als Zufluchtsort eine wichtige Rolle in der auf schnellen Zuwachs an Wehrtüchtigen angewiesenen Stadt gespielt haben muss.
Am Forum lagen die politischen und die sakralen Räume zunächst direkt nebeneinander (Abb. 2). Sie waren nicht in eigenen Bezirken abgetrennt wie in den griechischen Städten, sondern unmittelbar mit dem täglichen Betrieb von Handel und Gewerbe, von Verwaltung und Justiz verbunden. Die Regia, das Amtsgebäude der Könige, und das Heiligtum der Vesta mit dem heiligen Feuer befanden sich an der westlichen Seite des Forums, das Comitium, der Versammlungsort des Volkes, und die Curia, der Versammlungsort des Senats, an der östlichen Seite. In der voneinander abgerückten Lage spiegelte sich schon in der frühen Zeit, dass der Römerstaat auf zwei Polen der Macht bzw. des politischen Agierens ruhte, die man deutlich auseinanderhalten wollte. Entlang der Sacra Via waren uralte kleinere Heiligtümer aufgereiht, die dem Platz von Anfang an auch eine religiöse Prägung gaben. Die Bedeutung dieser «Heiligen Straße» ging weit über die einer Verkehrsachse hinaus, denn die Straße war selbst ein Monument und gab später als Kulisse bei großen Staatsritualen (wie z.B. Triumphen), bei Prozessionen an Götterfesten und bei Leichenfeiern der Selbstdarstellung des Römerstaates ein einzigartiges Gepräge.
1 – Rom in republikanischer Zeit mit der Servianischen Mauer
2 – Das Forum Romanum in republikanischer Zeit
Am Forum Boarium, dem dritten Zentrum der archaischen Stadt, entwickelte sich dagegen nach und nach zwischen Hafen und Pons Sublicius auf der einen und dem Circus Maximus auf der anderen Seite ein großflächiger Raum für Handel und Verkehr. Der Name Forum Boarium (Rindermarkt) verweist auf die frühe Funktion der Stadt als überregionaler Markt für die Siedlungen der Latiner im südlichen Latium. Daneben ermöglichte der Flusshafen den Fernhandel. Auch dieser lange unstrukturierte Raum mit weiten, später bebauten Lagerflächen war schon früh mit Kultorten wie der Ara Maxima für Hercules durchsetzt, die sich im Laufe der Jahrhunderte ständig vermehrten. Die frühesten gingen offenbar weit zurück, was vor allem für den Kult des Hercules und das Heiligtum für Fortuna und Mater Matuta gilt.
3 – Tempel des Jupiter Optimus Maximus auf dem Kapitol. Reste der Mauern des Fundaments und Rekonstruktion des Tempels
Unter der Herrschaft der Könige aus der Dynastie der Tarquinier erlebte die junge Stadt im 6. Jahrhundert einen großen Aufschwung und Bevölkerungszuwachs. Die Kultur der latinischen Römer wurde durch die der Etrusker nachhaltig geprägt, vor allem in der Religion mit ihren komplizierten archaischen Ritualen. Die Könige kümmerten sich anscheinend besonders um die dank Handel und Landwirtschaft aufstrebenden mittleren Schichten der Bevölkerung.
Unter den letzten beiden Königen entstanden bereits wichtige öffentliche Bauten. Sie gaben der Stadt, die noch im späteren 7. Jahrhundert überwiegend aus ephemeren Hüttenbauten bestanden haben muss, ein neues Gesicht. Die drei bekanntesten Bauten wurden vielleicht schon damals mit dem Adjektiv maximus bezeichnet: die Cloaca Maxima, die vom Quirinal ausgehend das Forumsareal und die umliegenden Gebiete entwässerte und sich in den Tiber entleerte; sodann der für ein zahlreiches Volk angelegte Circus Maximus, der zunächst allerdings noch keine architektonische Gestaltung erfahren haben wird, und schließlich der bei Weitem anspruchsvollste Bau dieser Zeit, der Tempel des Jupiter Optimus Maximus auf dem Kapitolshügel. Er war über mehrere Generationen im Bau und soll von Tarquinius Superbus vollendet, aber erst nach dessen Vertreibung 509 v. Chr. eingeweiht worden sein. Wir kennen von ihm lediglich die enormen Substruktionen, nicht aber den Tempel selbst, so dass strittig bleibt, ob die zum Teil jetzt freigelegten Fundamente das großflächige Podium des Tempelplatzes trugen, auf dem ein wesentlich kleinerer Tempel mit reichem Terrakottaschmuck stand, oder ob es sich hier um das Tempelpodium selbst handelt (Abb. 3). Es war jedenfalls eine gewaltige Unternehmung, die enorme Mittel und große Scharen von Bauarbeitern voraussetzte. Was die Künstler angeht, so wird überliefert, dass Tarquinius Superbus Werkleute aus Etrurien nach Rom gerufen habe und dass das tönerne Kultbild und die Quadriga auf dem Giebel von einem Künstler aus Veji namens Vulca gefertigt worden seien.
Unternehmungen solchen Ausmaßes kennen wir sonst nur von den Tempeln und Altären der griechischen Tyrannen auf Sizilien, und meist blieben diese jahrhundertelang unvollendet. In jedem Fall sollte mit einem solchen Großbau ein weithin sichtbares Zeichen gesetzt werden. Rom beanspruchte eine Führungsrolle unter den latinischen Städten, indem es mit dem neuen Jupitertempel gleichsam ein Pendant zum Bundesheiligtum der Latiner auf dem Monte Albano errichtete. Auch wenn dieser Führungswille Roms erst ein Jahrhundert später virulent wurde, so bleibt doch zu vermuten, dass der über die Stadt hinausgreifende politische Anspruch, der in diesem Tempelbau zum Ausdruck kommt, schon auf die Königszeit zurückgeht.
Nach der Vertreibung der etruskischen Könige und der Etablierung eines republikanischen Staates nahmen die großen Aristokratenfamilien (Patrizier) das Heft in die Hand. An die Stelle der Könige traten jährlich wechselnde Magistrate, so dass die Ausübung der Macht unter den großen Familien aufgeteilt werden konnte. Veränderungen im Stadtbild bringen diese neuen Verhältnisse denn auch zum Ausdruck. Auf dem Forum werden zwei große, den Platz...