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Das Reich Gottes in der Geschichte

Zwischen Befreiungsbotschaft und Machtlegitimation

AutorBenedict Thomas Viviano O.P.
VerlagVerlag Friedrich Pustet
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl152 Seiten
ISBN9783791760247
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Im Zentrum der Verkündigung Jesu steht das baldige Kommen des Reichs Gottes. Und doch bleibt es über Jahrhunderte in Theologie, Spiritualität und Liturgie verkannt. Kaum ein anderes Thema hat eine solche soziale und politische Sprengkraft wie die richtig verstandene Botschaft von Gottes Reich, die ein Leben in Gerechtigkeit und Frieden für alle fordert. Das erklärt, warum diese Botschaft über die Jahrhunderte hinweg häufig spiritualisiert, im Dienst politischer, auch kirchenpolitischer Absichten instrumentalisiert (z. B. Drittes Reich; Kirche als Reich Gottes auf Erden usw.) oder infolge von Einschüchterung durch Machthaber verschwiegen wurde. Wie klingt die Botschaft vom Reich Gottes im Munde Jesu und wie verändert sie sich in den verschiedenen Epochen seither und bis heute? Diese Fragen klärt der Autor in seinem hervorragenden und gut lesbaren Überblick über das Reich Gottes in der Geschichte.

Benedict Thomas Viviano O.P., Dr. theol., Lic. theol., geb. 1940, lehrte in den USA am Aquinas Institute of Theology und an der Ecole Biblique in Jerusalem. Bis zu seiner Emeritierung 2008 war er Professor für Neues Testament an der Universität Freiburg (Schweiz).

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Leseprobe

II. Das Reich Gottes bei den Kirchenvätern


Das Reich Gottes ist ein zentrales biblisches Thema und somit eine motivierende Kraft, die das Leben von Menschen und Gemeinschaften verändert hat. Eine der besten Arten, die Implikationen eines solchen Themas verstehen zu lernen, ist es deshalb, sein Fortleben zu verfolgen, seine Auswirkungen im weiteren Verlauf der Kirchengeschichte.

Wenn man erzählen möchte, was nach dem irdischen Leben Jesu aus seiner Reich-Gottes-Verkündigung wurde, muss man eine Auswahl treffen. Wir werden dafür die Schriften der Apostolischen Väter (der frühesten Nachfolger der neutestamentlichen Autoren) untersuchen: Justin, Irenäus, Cyprian, Origenes, Hilarius von Poitiers, Eusebius und Augustinus sowie die Gründer des Heiligen Römischen Reiches. Aber bevor auf einen bestimmten Autor eingegangen wird, ist es sinnvoll, die Hauptlinien der Entwicklung schematisch nachzuzeichnen, um einen Überblick zu erhalten.

In der Geschichte des Christentums existieren vom Abschluss des neutestamentlichen Kanons bis 1000 n. Chr. vier Hauptströmungen der Interpretation sowie der Umsetzung des Reiches Gottes. In der Tat dauern diese Strömungen auf verschiedene Arten und Weisen bis in die Neuzeit an. Die erste ist die eschatologische Strömung; eine Weiterführung der neutestamentlichen Doktrin, die im ersten Kapitel bereits beschrieben wurde. Der bedeutendste Vertreter dieser Strömung ist der hl. Irenäus, Bischof von Lyon.

Die zweite Strömung ist die spirituell-mystische, die das Reich entweder mit einem gegenwärtigen geistigen Gut in der Seele des Gläubigen gleichsetzt – wie z. B. Wissen, Kontemplation, spirituelle und intellektuelle Erleuchtung oder das Ausüben christlicher Tugenden –, oder mit einem zukünftigen gesegneten Zustand der Gläubigen, sei dies die allgemeine Auferstehung, die Unsterblichkeit und Unvergänglichkeit oder das ewige Leben mit Gott – mit einem Wort: der Himmel. Ein früher Hauptvertreter dieser Strömung war Origenes.

Die dritte Hauptströmung ist die politische. Diese setzt das Reich Gottes auf Erden mit politischen Strukturen oder Programmen gleich. Die beiden bedeutendsten Beispiele dieser Auffassung sind Konstantins christliches Imperium im Osten (Byzanz) und das Heilige Römische Reich Karls des Großen im Westen. Der erste wichtige Theoretiker und theologische Apologet dieser Auffassung ist Konstantins Berater Eusebius von Caesarea, der Vater der Kirchengeschichte.

Die vierte Auffassung des Reiches kann die kirchliche genannt werden, weil sie das Reich Gottes auf Erden mit der Kirche gleichsetzt. Manchmal wird es auch Reich Christi genannt, um es vom Reich Gottes im Himmel zu unterscheiden. Von der Zeit an, als der hl. Augustinus diese Auffassung zum ersten Mal zurückhaltend vorschlug (in seinem monumentalen Werk De civitate Dei), bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts war diese vierte Auffassung die in der römisch-katholischen Kirche am weitesten verbreitete.

Der Leser wird bemerkt haben, dass die ersten beiden dieser vier Strömungen im religiösen Bereich der Hoffnung, des Glaubens und der Lehre verbleiben, hingegen verbinden die beiden letzteren die Idee des Reiches Gottes mit tatsächlich bestehenden menschlichen Institutionen. Die Implikationen, die diese Unterscheidung nach sich zieht, sind enorm. Wir erwähnen dies hier lediglich, um den Leser darauf aufmerksam zu machen, dass das Fortleben der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu zwei ziemlich verschiedene Ansätze umfasst. Bei ersterem handelt es sich um eine Geschichte der Ideen oder Lehren, um Geistesgeschichte, beim zweiten handelt es sich um Sozial-, Staats-, und Kirchengeschichte, was eher an eine gewöhnliche politische Geschichtsschreibung erinnert. Obwohl sich unsere Untersuchung zum größten Teil mit der geistesgeschichtlichen Seite befasst, wird auch die gesellschaftliche Seite als deren Folge aufkommen, besonders in diesem Kapitel. Dies könnte einiges an Verwirrung stiften und ein Durcheinander von Genres verursachen, aber es spiegelt auch die Faszination dieser Thematik wider, die gerade in der Wechselwirkung von Ideal und sozialhistorischer Realität liegt.

Die eschatologische Strömung


Der Grund, warum in der Kirchengeschichte die Hoffnung auf das Reich so früh verloren ging, liegt darin, dass diese Hoffnung eine spätjüdisch-apokalyptische Weltanschauung voraussetzt, wie wir sie z. B. im Buch Daniel finden. Sobald das Christentum sein jüdisches Umfeld in Palästina und der Diaspora verlassen hatte und in die griechisch-römische Welt eingetreten war, waren die kulturellen Voraussetzungen, die eine solche Hoffnung nachvollziehbar hätten machen können, nicht mehr vorhanden. Dies war der Preis, den Paulus und die anderen frühen christlichen Missionare für ihren Erfolg bezahlen mussten. Die späteren Kirchenväter kannten das Judentum nicht aus erster Hand. Selbst wenn sie von apokalyptischen Vorstellungen wussten, fanden sie diese oft unglaubwürdig oder ungeeignet für die Pastoral. Sobald das Christentum in einen engen Kontakt mit der griechischen Philosophie trat, verlagerte sich die Problematik weg von der sozialen, gesellschaftlichen Erlösung (verkörpert durch das Reich Gottes) hin zu Belangen der persönlich-individuellen Erlösung: Tod, Unsterblichkeit der Seele, Erlangen des ewigen Lebens.

Aber jene frühen Kirchenväter, die sich diesem philosophischen Ansatz nicht anschlossen, nährten die alten Hoffnungen weiterhin. Die frühesten christlichen Autoren neben den biblischen nennt man die Apostolischen Väter. Wir werden nun ein paar ausgewählte Zitate aus ihren Schriften wiedergeben.

In einem bedeutenden Abschnitt über die Grundlegung der Kirchenordnung durch die Apostel heißt es im üblicherweise auf 95 n. Chr. datierten Brief des Clemens von Rom, dass „sie mit der vollen Zusicherung des Heiligen Geistes auszogen und die gute Nachricht des Kommens des Reiches Gottes verkündeten“ (1 Clem 42,3). Das zukünftige Reich ist der Hauptinhalt der Predigten der Apostel, wie es das auch für Jesus gewesen war. An anderer Stelle schreibt Clemens, dass „die, welche durch die Gnade Gottes in der Liebe vollendet wurden … offenbart werden beim Erscheinen (episkope) des Reiches Gottes“ (50,3). Der Gebrauch des Begriffs episkope in Zusammenhang mit dem Reich Gottes ist etwas außergewöhnlich, hat aber durchaus neutestamentliche Entsprechungen (Lk 19,44 und 1 Petr 2,12). Vor allem ist es aber ein häufig gebrauchter alttestamentlicher Begriff für das gnädige Wirken Gottes in der Geschichte (hebr. paqad). Dies zeigt, wie nahe Clemens der biblischen Ausdrucksweise und der damit verbundenen Hoffnung stand.

Der Autor des Zweiten Clemensbriefes, eine frühe christliche Homilie, die auf ungefähr 150 n. Chr. datiert wird, behält die Hoffnung auf das Reich Gottes bei und verwendet es als Motiv für diesseitiges ethisches Handeln: „Wenn wir also die Gerechtigkeit tun vor Gott, werden wir in sein Reich hineinkommen, und wir werden die Verheißungen empfangen … Lasst uns also jederzeit das Reich Gottes erwarten in Liebe und Gerechtigkeit, weil wir ja den Tag der Erscheinung (epiphaneia) Gottes nicht kennen“ (2 Clem 11,7 und 12,1).

Die früheste christliche Anleitung einer Kirchenordnung und Kirchenpraxis ist die Didache, auch „Lehre der zwölf Apostel“ genannt. Wegen ihrer vielen archaischen Merkmale wird sie manchmal für sehr alt gehalten; manche meinen sogar, sie sei zwischen 50–70 n. Chr verfasst worden. In der Form, in welcher der Text heute vorliegt, könnte es etwas später sein, etwa um 150 n. Chr. Das Reich wird zuerst in der Überlieferung des Vaterunsers (8,2) erwähnt, dann zweimal in den eucharistischen Gebeten: „Wie dieses gebrochene Brot zerstreut war auf den Bergen, aber zusammengebracht wurde zu einem (Brot), so soll deine Kirche zusammengebracht werden von den Enden der Erde in dein Reich hinein“ (9,4; vgl. 10,5). In Kapitel 16 ist die lebendige Endzeithoffnung der frühen Christen deutlich spürbar, der Reich-Gottes-Begriff kommt darin jedoch nicht vor. Ein anderes ähnliches Dokument, der Barnabasbrief, enthält ein unkanonisches Sprichwort, das Jesus zugeschrieben wird: „die, die mich sehen und meines Reiches teilhaftig werden wollen, müssen mich in Schmerz und Leiden in Besitz nehmen“ (7,11), ein Wort, das möglicherweise Apg 14,22 aufnimmt und dessen spirituelle Bedeutung nicht hervorgehoben zu werden braucht. Der Barnabasbrief beinhaltet außerdem eine Andeutung der Zeitalter dieser Welt und der Hoffnung des Millenarismus (15,4–5).

Der bedeutendste Autor unter den Apostolischen Vätern war Ignatius von Antiochien, Bischof und Märtyrer. Bevor er in Rom den Löwen vorgeworfen wurde, verfasste er zwischen 108 und 117 n. Chr. sieben Briefe an verschiedene Kirchengemeinden. Obwohl in mancherlei Hinsicht Paulus nahe, besteht eine noch größere Nähe zwischen ihm und Johannes. Daher versteht Ignatius die Alternative zum „alten Reich“ als ewiges Leben und Beseitigung des Todes (Ign Eph 19,3). Sein Wissen um das Reich...

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