Experimentelle Untersuchungen im Hinblick auf verschiedene Emotionen in ihrer Wirkung auf das Essverhalten sind kaum vorzufinden. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich Emotionen in ihrer kognitiven, motivationalen und behavioralen Komponente unterscheiden, ist dies umso beeindruckender. Ausgangspunkt folgender Inhalte ist die Annahme, dass jede Veränderung des Essverhaltens, die im Kontext eines emotionalen Erlebens steht, das Resultat dreier sich wechselseitig beeinflussenden Variablengruppen darstellt.
1. „Emotionen als Eingangsgröße oder unabhängige Variablen; sie sind gekennzeichnet durch Intensität, Qualität, Valenz und andere Merkmale.
2. Psychische und somatische Prozesse, welche die Wirkungen von Emotionen auf das Essverhalten vermitteln (Mediatoren).
3. Faktoren, welche die Wirkungen von Emotionen auf das Essverhalten verstärken oder abschwächen (Moderatoren); hier sind vor allem Personenmerkmale zu nennen“ (Macht 2005, S.1).
Die folgende Abbildung 2 nach Macht 2005 veranschaulicht den Ausgangspunkt und bietet eine Übersicht der drei Variablengruppen in ihrer Beziehung zu den Emotionsmerkmalen.
Abbildung 2: Emotionsbedingte Veränderungen des Essverhaltens als Ergebnis des Zusammenspiels von Emotionsmerkmalen, Mediatoren und Moderatoren
Quelle: Eigene Darstellung nach Macht 2005, S.10
Der Fokus der Forschung lag bisher vor allem auf den Personenmerkmalen in ihrer unterschiedlichen Wirkung auf das Essverhalten.
Der Beobachtung des veränderten Essverhaltens durch verschiedene Emotionen wurde die Hypothese „hyper- und hypophager Reaktionstypen“ zugeordnet, die eine Appetitssteigerung mit stressigen Situationen verknüpft. (vgl. Grunert 1993, S.59; Macht 2005, S.10). Gründe werden zunächst den Personen, die sich durch verschiedene Merkmale wie gezügelte und ungezügelte Esser unterscheiden, zugeschrieben. Gezügeltes Essverhalten kennzeichnet sich durch psychologische Hunger- und psychologische Appetenzsignale, kognitive Kontrolle und Übersteuerung (vgl. Pudel/ Westhöfer 1998).
Nach der Disinhibitionshypothese steigern Emotionen den Nahrungskonsum aufgrund der Enthemmung des gezügelten Essstils (vgl. Herman/ Polivy 1984).
„Die Disinhibitionshypothese besagt, daß bestimmte Faktoren, darunter emotionale, die Restriktionen disinhibieren und dann zu übermäßigem Essen führen - d.h. emotionsbedingtes Essen wäre bei restriktiven Esserinnen besonders verbreitet“ (vgl. Grunert 1993, S.131).
Einige Untersuchungen bestätigen die Tatsache der Mehraufnahme von Nahrung bei gezügelten Esserinnen unter Einfluss negativer Emotionen und folglich ebenfalls die Disinhibitionshypothese (vgl. Herman/ Polivy 1984). Diese Aussage lässt sich jedoch nicht generalisieren, da andere Experimente keine Veränderungen des Essverhaltens durch Emotionen aufzeigen konnten.
Dennoch wird für die emotionalen Esser die Theorie der Bewältigung negativer Emotionen durch Essverhalten formuliert (vgl. Macht 2005, S.1). Die Bewältigung von Stress durch Essen führe weiterhin zu einer Gewichtszunahme. Emotionale Esser stillen oftmals Anspannung und Angst durch süße und fettreiche Nahrung. Mehrere Untersuchungen bestätigen die Veränderung des emotionalen Zustandes, bzw. die Verbesserung der Stimmung durch bestimmte Mahlzeiten (vgl. ebd., S.11).
Die Freude, verstanden als Emotionen erhöhter Reizaufnahme- und Reizverarbeitung steht der Traurigkeit gegenüber, bei welcher die Kapazität zur Reizaufnahme sinkt (vgl. Barr- Zisowitz 2000; Frederickson 1998; Izard/ Ackermann, 2000).
Nach Frijda 1989 wird Verhalten bei Ärger aktiviert, bei Traurigkeit deaktiviert und bei Angst gehemmt oder mobilisiert. Vorangegangene Untersuchungen lassen darauf schließen, dass unterschiedliche Emotionen verschiedene Wirkungen auf das Essverhalten mit sich bringen.
Bisherige Hypothesen, dass das Essverhalten durch Emotionen die die Handlungsbereitschaft erhöhen gefördert und das Essverhalten durch Emotionen die die Handlungsbereitschaft vermindern gehemmt wird, sind empirisch nicht überprüft. Indes deuten Befragungen wie auch Human- und Tierexperimente daraufhin, dass Emotionen unterschiedliche Wirkungen auf das Essverhalten in Abhängigkeit von Intensität, Aktivierung, Valenz und Qualität entfalten.
1. Intensität und Aktivierung: Durch intensiven oder chronischen Stress reduzieren Ratten ihre Nahrungsmenge, während bei schwächeren Stressoren die Menge und Essgeschwindigkeit ansteigt (vgl. Rowland/ Antelman 1976; 1992; Sampson et. al. 1992; Willner Muscat/ Papp). Experimentelle Ergebnisse der Humanpsychologie liegen bisweilen nicht vor. Allerdings ermitteln Fragebogenstudien ähnliche Ergebnisse bei Menschen wie bei den Tierversuchen (vgl. Mehrabian 1980). Hierbei wurden die Probanden instruiert, durch das Hineinversetzen in bestimmte Emotionen einzustufen, wie viel sie in Abhängigkeit der jeweiligen Emotion essen würden. Geringfügiger aktivierende Emotionen wie Langeweile oder Niedergeschlagenheit gingen mit zunehmender Nahrungsaufnahme, stärker aktivierende Emotionen wie Angst und Anspannung mit reduzierter Nahrungsmenge einher (vgl. Macht 2005, S.12).
2. Valenz und Qualität: Repräsentative Erhebungen zeigen, dass die Valenz und Qualität der Emotionen das Essverhalten unterschiedlich beeinflussen. Langeweile und Einsamkeit wurden als appetitsteigernd, Traurigkeit und Ärger als appetithemmend beschrieben (vgl. Pudel/ Richter 1980; Pudel, 1984; Willenbring / Levine/ Morley 1986).
Michael Macht 2005 stufte nach einer Fragebogenuntersuchung die Basisemotionen Angst, Ärger, Traurigkeit und Freude anhand von 33 Items ein. Folgende vier Faktoren ergaben sich aus der Analyse der Items:
I. Nutritives Essverhalten (Essen zur Befriedigung des körperlichen Hungergefühls),
II. Impulsives Essverhalten (schnelles und unregelmäßiges Essen),
III. Emotional- instrumentelles Essverhalten (Essen zur Verbesserung des emotionalen Befindens),
IV. Hedonisches Essverhalten (Essen, um zu genießen)
Impulsiv-emotionales Essverhalten wurde größtenteils bei negativen Emotionen wie Ärger ermittelt, wohingegen Freude mit dem hedonischen Essverhalten in Wechselwirkung steht. In einer Felduntersuchung nach Macht und Simons (2000) unterstützen die Ergebnisse ebenfalls die These bezüglich der Tendenz, den emotionalen Zustand durch verändertes Essverhalten zu verbessern. Besonders bei negativen Emotionen wurde eine steigende und veränderte Essmotivation zur Stimmungsverbesserung ermittelt (vgl. Macht 2005, S.11f). Mittels einer weiteren Fragebogenstudie wurde ein Korrelat zwischen den Nahrungspräferenzen durch und Emotionen valenzabhängige Veränderungen erfragt. „Gesunde“ Nahrung wie Salat, Gemüse und Obst wurden als Folge positiver Emotionen beschrieben und „junk food“ wie z.B. Süßigkeiten hingegen bei negativen Emotionen (vgl. Lyman 1989).
Die Annahme, dass Valenz und Qualität von verschiedenen Emotionen und deren unterschiedlicher Wirkung auf das Essverhalten abhängig sind, wird durch die Erhebung bestätigt. Da es sich jedoch ausschließlich um vorgestellte und nicht tatsächlich erlebte Emotionen während der Befragung handelte, liegt für diese These kein empirischer Beweis vor.
Bisher bestehen lediglich fünf Experimente im Themenkomplex der Induktion verschiedener Emotionen und ihren Wirkungen auf das Essverhalten (vgl. Macht 2005, S. 12). Im Fokus von drei der fünf Experimente standen die Auswirkungen positiver und negativer Emotionen auf das Essverhalten gezügelter und nicht- gezügelter Esser. Erkenntnis der Studien waren zwar stärkere Reaktionen der gezügelten Esser, bezüglich der Wirkung negativer und positiver Stimmung waren jedoch keine bedeutenden Unterschiede auszumachen. Die zwei weiteren experimentellen Forschungen untersuchten die unterschiedlichen Wirkungen positiver und negativer Emotionen auf das Essverhalten bei Menschen durchschnittlicher Essgewohnheiten (vgl. ebd., S.12).
In der Studie von Willner et al. (1998) wurden die Probanden mittels Musik in negative und positive Stimmung gebracht und erhielten durch Drücken eines Knopfes ein Stück Schokolade. Zu beobachten war eine gesteigerte Knopfaktivierung bei negativen Stimulanzien um erneut Schokolade zu erhalten. Macht (2002) hingegen versetzte seine Versuchspersonen während sie ein Stück Schokolade aßen in freudige oder traurige Stimmung. Bei Freude entstand durch die beruhigende Wirkung der Wunsch nach mehr Schokolade, bei Traurigkeit sank dieser (vgl. Macht 2005).
[1]
Tabelle 1: Merkmale des Essverhaltens bei experimentell induzierten negativen und positiven Emotionen: Ergebnisse der Studien Willner et al. (1998) und Macht et al. (2002)
Quelle: Eigene Darstellung nach Macht 2005, S. 13
Als Fazit der beiden Experimente lässt sich zusammenfassen, dass Essverhalten durch...