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Viermalige Reise durch das nördliche Eismeer

auf der Brigg Nowaja Semlja in den Jahren 1821 - 1824

AutorFriedrich Litke
VerlagEdition Erdmann in der marixverlag GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl448 Seiten
ISBN9783843804219
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
'Von allen Seiten umgaben uns Kolosse von Eis, welche wie böse Vorbedeutungen durch die Finsternis schimmerten. Friedrich Litke Vier Mal bricht Litke, trotz hindernder Eismassen, von Archangelsk in das nördliche Eismeer auf, um die Doppelinsel Nowaja Semlja zu erkunden, auf der einst Willem Barents überwinterte. Nach seiner Teilnahme an Wassili Golownins Weltumseglung (1817-1819) überträgt Zar Alexander I. ihm damit im Jahre 1821 seine erste eigene Expedition. In seinen vier Anläufen erkundet er das Weiße Meer und die Küste Russisch-Lapplands, umfährt das bis dahin noch weitgehend unbekannte Süd- und Ostufer Nowaja Semljas und bestimmt die Lage der Waigatsch-Straße und der Insel Kolgujew. Lediglich die Versuche zum Nordufer der Insel vorzudringen, bleiben aufgrund der dichten Eismassen erfolglos - die Meerenge zur Karasee ist zugefroren. Litke fertigt auf seiner Expedition bedeutende Karten dieses Meeresraumes an, die über ein halbes Jahrhundert maßgeblich sein werden!

Friedrich Litke (1797-1882) wurde in St. Petersburg geboren, absolvierte eine Ausbildung an der Marine-Akademie und trat 1812 in die russische Marine ein. Die Teilnahme an Wassili Golownins Weltumseglung in den Jahren 1817-1819 brachte ihm die Empfehlung seine erste eigene Expedition ins nördliche Eismeer in den Jahren 1821-1824durchzuführen. Von 1826-1829 leitete er im Auftrag Zar Nikolaus' I. die vierte russische Weltumsegelung, aus deren Ergebnissen u.a. ein nautischer Atlas entstand. Litke war korrespondierendes Mitglied der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften und 1845 Gründer der Russischen Geographischen Gesellschaft. PD Dr. Claudia Weiss, Jahrgang 1967, ist Historikerin und Autorin von historischen Romanen und Sachbüchern. 2006 Habilitation an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg. Ihre historische Forschung beschäftigt sich hauptsächlich mit Russland, dem Zarenreich, der russischen Emigration und mit Sibirien.

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Leseprobe

EINFÜHRUNG


Die Arktis war eine der letzten von Menschen nahezu unerforschten Regionen der Erde. Heute, in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts, führen nicht nur die Routen von Kreuzfahrtschiffen nach Spitzbergen, auch Energiekonzerne haben im Nordpolarmeer mit ihren Bohrinseln bereits festen Fuß gefasst. Die gesamte Region ist dank moderner Satellitentechnik inzwischen vollständig kartographiert. So reichen heute ein paar Klicks im Internet, um exakte hydrographische und geographische Daten über das Nordpolarmeer und seine größte Insel, Nowaja Semlja, zu bekommen.

Die neunhundert Kilometer lange russische Doppelinsel wird zu Europa gezählt. Die Barentssee umgibt sie im Westen, die Karasee im Osten. Nowaja Semlja erstreckt sich vom 71. bis zum 77. Breitengrad und hat die Form einer sich nach Nordosten neigenden Sichel. Neben den beiden Hauptinseln, der Nord- und der Südinsel, gehören noch viele kleine Inseln und Eilande zu dem Archipel. Zusammen haben sie eine Fläche von 90 650 Quadratkilometern. Eine sehr schmale Meerenge, der Matotschkin Schar, durchtrennt Nowaja Semlja von West nach Ost. Die Nordinsel erhebt sich über 1500 Meter über den Meeresspiegel und ist stark vergletschert. Die Stärke des Eises erreicht an die 400 Meter. Die Südinsel erhebt sich bis auf eine Höhe von über 1300 Metern aus dem Nordpolarmeer und weist Tundra und Kältewüsten auf. Bis heute leben auf Nowaja Semlja nicht mehr als 2500 Einwohner. Klimatisch hat sich die Region in den letzten Jahren allerdings so erwärmt, dass die eisfreien Perioden der Meere im Sommer inzwischen mehrere Monate andauern, und nicht nur, wie im 19. Jahrhundert, wenige Wochen. Selbst die Nordostpassage ist inzwischen mehrere Monate im Jahr zu befahren.

Vor gut zweihundert Jahren stellte sich die Lage komplett anders dar. Die russische Marine begann erst, ihre nördlichen Küstengewässer systematisch vermessen zu lassen, um die Polarregion unter Umständen für den Seeverkehr zu erschließen. Damals waren weite Teile des Nordpolarmeeres und seiner Inseln auf den Seekarten weiße Flecken und in der Realität ganzjährig mit Eis bedeckt.

Die Insel Nowaja Semlja war den Russen, vor allem Pelzjägern, wohl schon seit dem 11. oder 12. Jahrhundert bekannt, Einzelheiten hydrographischer oder auch kartographischer Art kannte man aber kaum. Ins Visier der Entdecker kam die Insel erst im 16. Jahrhundert, als Briten und Niederländer nach einer Nordostpassage zum Pazifik suchten, um eine alternative Handelsroute nach Asien auszubauen, da die südlichen Seewege in den Fernen Osten lang waren und aufgrund der Vorherrschaft Spaniens und Portugals immer zu kostspieligen Kompromissen zwangen. 1553 machten sich drei Schiffe im Auftrag einer britischen Handelsgesellschaft auf den Weg, eine Nordostpassage durch die Arktis zu finden. Die kleine Flotte fiel einem Sturm zum Opfer, einige Seeleute kamen im Eis um, andere erreichten das Weiße Meer und gelangten schließlich auf dem Landweg nach Moskau, wodurch sich die ersten britisch-russischen Handelsbeziehungen ergaben. Eine Nordostpassage blieb der Seefahrt aber weiterhin versperrt.

Die Niederländer versuchten 1596, einen Weg durch die Arktis gen Osten zu finden. Willem Barents, ein mit den polaren Gewässern vertrauter und erfahrener Seefahrer, bekam das Kommando und stach am 15. Mai 1596 in See. Zunächst segelte Barents über die Bäreninsel nach Spitzbergen und von dort weiter zur Nowaja Semlja, die er am 17. Juli erreichte. Es gelang ihm, die Nordspitze der Insel zu umrunden, aber auf der Weiterfahrt durch die Karasee blieb sein Schiff im Eis stecken. So musste Barents mit seiner sechzehn Mann starken Besatzung auf Nowaja Semlja überwintern. Sie errichteten eine Unterkunft aus Treibholz, die sie allerdings mangels Brennmaterials kaum warm halten konnten. Als ihr Schiff nach einem entbehrungsreichen Winter im Juni 1597 immer noch im Eis gefangen war, entschieden sich die Männer, in zwei Rettungsboten den gefährlichen Rückweg anzutreten. Barents überlebte die Rückreise nicht. Er starb am 20. Juni 1597 auf See. Ihm zum Gedenken wurde jener Abschnitt des Nordpolarmeers nach ihm benannt.

Die erste Karte, die die Doppelinsel ausführlich darstellte, ist die Karte von Gerrit de Veer aus dem Jahr 1601. Er war selbst Mitglied der Barents-Expedition.

Sehr ähnlich, wenn auch nicht so opulent ausgestaltet, wurde Nowaja Semlja 1664 im Atlas van Loon präsentiert, auch hier wieder mit der niederländischen Namensvariante Nova Zembla tituliert.

Im Laufe der folgenden Jahrhunderte lieferten hauptsächlich russische Seeleute die präzisesten Informationen, um sich der physischen Gestalt von Nowaja Semlja kartographisch anzunähern. Im 18. Jahrhundert waren es vor allem Mitglieder der Großen Nordischen Expedition. Unter der Leitung von Vitus Behring erforschte diese von 1733 bis 1743 mit dreitausend Beteiligten die nördlichen Küsten des Russischen Reiches und war damit eines der größten jemals durchgeführten wissenschaftlichen Unternehmen.

In der zweiten Dekade des 19. Jahrhunderts entschied sich die russische Regierung, erneut eine Erkundung von Nowaja Semlja zu finanzieren. Zwar wusste man um die Mühen und Probleme, die eine solche Expedition mit sich brachte, zugleich aber war spätestens seit den Napoleonischen Kriegen jedem Generalstab Europas die enorme Bedeutung exakter und detailreicher Karten bewusst. Und die russischen Küsten des Nordpolarmeeres waren noch bei Weitem nicht befriedigend erforscht. Wollte Russland seine territorialen Ansprüche in der Region im Zeitalter imperialer Machtausdehnung sichern, so war die hydrographische wie auch geographische Erschließung des eigenen Territoriums notwendig. Außerdem war noch immer keine Nordostpassage gefunden, ein verkürzter Handelsweg nach Asien aber weiterhin von größtem Interesse.

Die Nordinsel von Nowaja Semlja zu umschiffen, barg auch im Hochsommer ein hohes Risiko, im Eis stecken zu bleiben. So richtete sich die Hoffnung zusehends auf die schmale Meerenge Matotschkin Schar, die vielleicht eine zügigere und südlichere Durchfahrt erlauben könnte.

 

 

Karte der Doppelinsel Nowaja Semlja, gezeichnet von Gerrit de
Veer, einem überlebenden Teilnehmer der Barents-Expedition.
Veröffentlicht wurde die Karte 1601 von Theodore de Bry
.

 

 

Karte von Nowaja Semlja, veröffentlicht 1664 im Atlas van Loon

Man wählte für die geplante Expedition Andrej Lasarew aus, den Bruder des bekannten Michail Lasarew, der zu jener Zeit als Kommandant einer Fregatte unter der Leitung von Fabian von Bellingshausen auf einer Weltumsegelung unterwegs war, in deren Verlauf der antarktische Kontinent entdeckt wurde.

Andrej Lasarew sollte 1819 mit einer alten englischen Brigg die Küstengewässer der Insel Nowaja Semlja erforschen und die Meerenge Matotschkin Schar auffinden. Aber die Expedition war ein Desaster. Die Witterungsverhältnisse und dichtes Eis sowie die Erkrankung der Mannschaft an Skorbut machten es Lasarew unmöglich, die Insel auch nur zu erreichen. Ohne neue Erkenntnisse kehrte er nach Archangelsk zurück und lehnte jede weitere Expedition zur Nowaja Semlja ab.

Die russische Regierung und die Marine waren aber keineswegs bereit, ihre Bemühungen um bessere Kenntnisse der Region um Nowaja Semlja so schnell aufzugeben. 1820 sollte die Forschungsreise wiederholt werden. Zu diesem Zweck wurde eine neue Brigg, die man Nowaja Semlja taufte, eistauglich ausgerüstet und nach einem neuen Kommandanten gesucht. Die Wahl fiel auf den damals 23-jährigen Leutnant der russischen Marine, Fjodor Petrowitsch Litke.

Eine solche Karriere war Fjodor Litke keineswegs in die Wiege gelegt worden. Litkes Familie stammte aus Deutschland. Sein Großvater, Johann-Philipp Lütke, kam 1735 als Magister der Theologie nach Russland, wurde später Direktor einer kirchlichen Schule und beendete sein Leben als Pastor einer kleinen lutherischen Gemeinde in Moskau. Litkes Vater wurde 1750 geboren und schlug eine Militärlaufbahn ein. Er heiratete 1787 Anna Iwanowna Engel. Sie schenkte ihm fünf Kinder. Die Geburt ihres jüngsten Kindes Fjodor, lutherisch getauft auf den Namen Friedrich Benjamin, am 17./28. September 1797, überlebte sie nicht. Pjotr Litke wurde über den Tod seiner Frau depressiv und suchte seine Kinder schnellstmöglich anderweitig unterzubringen. Fjodor Litke verbrachte deshalb die ersten Jahr seines Lebens in der Obhut seiner Großmutter mütterlicherseits. An seinen Vater erinnerte er sich nur als ernsthaften, gefühllosen Mann, der stets beschäftigt war und seinem jüngsten Sohn niemals Aufmerksamkeit schenkte.1 Als Pjotr Litke im März 1808 starb, wurde Fjodor zum Vollwaisen. Seine Großmutter starb noch im selben Jahr, und Fjodor musste das Internat, das er seit 1804 besuchte, aus Geldmangel verlassen. Denn mit dem Tod des Vaters versiegten die Pensionsansprüche, und über Grundbesitz verfügte die Familie nicht. Noch nicht einmal einen Adelstitel...

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