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Schiffsrouten und Navigation im spätmittelalterlichen Nordeuropa

AutorPhilip Wagenführ
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl117 Seiten
ISBN9783656660668
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Geschichte Europa - and. Länder - Mittelalter, Frühe Neuzeit, Note: 1,7, Christian-Albrechts-Universität Kiel (Historisches Seminar), Sprache: Deutsch, Abstract: Werft das Lot! So legt das 'Seebuch', eine niederdeutsche Segelanweisung aus dem späten Mittelalter, Schiffern auf dem Weg von der dänischen Insel Læsø zur Insel Hjelm vor der Ostküste Jütlands im Kattegat den Gebrauch des Lotes nahe, um die Wassertiefe zu überprüfen. Betrachtet man die modernen technischen Hilfsmittel, die den Seeleuten der heutigen Handels- und Kriegsflotten zur Verfügung stehen, muss zwangsläufig die Frage aufkommen, wie es den Schiffern des Mittelalters ohne diese gelang, unbeschadet die langen Seerouten zu bewältigen und die Zielhäfen zu erreichen. Heute stehen moderne Navigationsinstrumente wie Kompass, GPS, Echolot sowie detaillierte Seekarten zur Verfügung, die es den Schiffern ermöglichen, den genauen Kurs festzulegen, den exakten Standort des Schiffes zu bestimmen und Untiefen rechtzeitig zu erkennen. Zudem dienen den Seeleuten heute verschiedene Seezeichen, etwa Tonnen zur Fahrwassermarkierung sowie moderne Leuchttürme dazu, die gefährlichen Küstengewässer zu befahren und die Häfen unbeschadet zu erreichen. Doch auch die Schiffer des Mittelalters verließen sich auf ihren teilweise sehr langen und gefährlichen Routen, die sie etwa entlang der gesamten östlichen Atlantikküste führten, nicht allein auf glückliche Umstände. So sind zahlreiche mittelalterliche Navigationsinstrumente und -methoden belegt, die es ihnen ermöglichten, die europäischen Küstengewässer zu besegeln und mit erstaunlicher Genauigkeit in die Zielhäfen einzulaufen. Welche Methoden und Instrumente hierbei zum Einsatz kamen, soll in dieser Arbeit unter besonderer Berücksichtigung der Gewässer des nördlichen Europas dargelegt werden. Hierbei soll vor allem auf die Bedeutung der verschiedenen navigatorischen Hilfsmittel für die mittelalterliche Schifffahrt Nordeuropas sowie auf die Eigenarten und Besonderheiten der Navigationstechniken in diesem Raum allgemein eingegangen werden. Zudem soll die Frage beantwortet werden, warum sich moderne Hilfsmittel der Navigation, die im südlichen Europa bzw. Mittelmeerraum, wie im Verlauf dieser Arbeit gezeigt wird, bereits sehr früh zur Anwendung kamen, etwa der Kompass oder die Seekarte, in der Seefahrt des nördlichen Europas erst im auslaufenden Mittelalter bzw. zu Beginn der Frühen Neuzeit durchsetzen konnten.

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Leseprobe

3. Allgemeine Hilfsmittel zur Navigation


 

3.1 Das Lot


 

Das für die mittelalterliche Schifffahrt Nordeuropas wohl wichtigste und zugleich eines der ältesten navigatorischen Hilfsmittel ist das Lot. Bei dem Lot handelt es sich um ein Gewicht, das an einer dünnen, markierten Leine befestigt wird,[60] um die Tiefe und Beschaffenheit des Meeresbodens zu ermitteln. Das Lot diente dem Schiffer, wie im Folgenden noch dargestellt wird, zum einen dazu, sich geographisch zu orientieren und zum anderen dazu, schlicht festzustellen, welche Seegebiete er aufgrund der geringen Meerestiefe und der damit verbundenen Gefahr auf Grund zu laufen nicht befahren konnte.[61]

 

Die ursprüngliche Bedeutung von Lot ist „leicht schmelzbares Metall", was sich noch heute an dem Verb „löten" erkennen lässt. Seine Wurzel hat das Wort „Lot" im indogermanischen ploudia (pleud-/ploud- = fließen), das als loudia ins Altkeltische überging. Hiermit waren zunächst die Metalle Zinn oder Blei gemeint, die sich mit Hilfe von Hitze schnell verflüssigen ließen. Als löt und löd ging das Wort schließlich in den mittelniederdeutschen Sprachraum über. Das englische Wort lead bezeichnet noch heute sowohl das Lot als auch das Blei.[62]

 

Vor allem mit dem Beginn der mittelalterlichen Großschifffahrt wurde das Lot zu einem bedeutenden Hilfsmittel der Navigation. Waren für die kleineren Schiffe, die sich meist in unmittelbarer Nähe zur Küste aufhielten, oftmals die schon für ca. 1500 v. Chr. aus Ägypten überlieferten Peilstangen[63] zur Bestimmung der Wassertiefe ausreichend gewesen, waren diese für die größeren Schiffe, die aufgrund ihres Tiefgangs in tieferen Gewässern segelten, unbrauchbar geworden. So bezeugen Funde aus dem 12. Jahrhundert, dass der Tiefgang der Schiffe dieser Zeit in beladenem Zustand etwa 70cm betrug.[64] Etwa zweihundert Jahre später gab es bereits Schiffe, deren Tiefgang rund 3,5m betrug. Dies wissen wir etwa aus dem Bemühen der Stadt Lübeck, den weiteren Bau von Schiffen mit großem Tiefgang per Hansetagsbeschluss zu verhindern. So wurde beschlossen, „... dat de [die Schiffe] nicht deper ghan schullen, wan se geladen sin, dan 6Lubesche elen deep ...".[65] Dieses Bemühen Lübecks lässt sich vor allem dadurch erklären, dass es die Hafenstädte vor große technische Probleme stellte, die Fahrwasser für die Großschiffe befahrbar zu machen bzw. zu halten und für geeignete Liegeplätze zu sorgen. Auch andere Städte wie etwa Brügge und die Städte an der Küste der Zuiderzee, deren Hafeneinfahrten zunehmend versandeten, stellte dies vor große Probleme, was oftmals zur Folge hatte, dass sie im Laufe der Zeit ihre wirtschaftliche Bedeutung zusehends verloren.[66]

 

Im „Seebuch" finden sich etliche Hinweise auf den zunehmenden Tiefgang der Schiffe und die damit verbundene Vorgehensweise beim Löschen der Schiffe. So heißt es etwa: „Um mit einem kleinen Schiff vor Kirkley [englische Ostküste] zu löschen: Dort ist es mit Niedrigwasser drei Faden [ca. 5,1m] tief. ..."[67] Deutlich unterschieden wird hierzu die Vorgehensweise beim Löschen großer Schiffe, die vor der benachbarten Stadt Yarmouth ankern sollen: „Wenn ihr in Yarmouth mit einem schweren Schiff löscht, dann ankert auf 7 Faden [ca. 11,9m] landseitig des Nordendes von Holm Sand, sehr nahe an der Stadt."[68] Dies zeigt, dass die Großschiffe jener Zeit einen erheblichen Tiefgang hatten, auch wenn dieser sicherlich keine 10m oder mehr betrug.[69]

 

In den relativ flachen Randmeeren des Atlantiks löste das Lot die Peilstange somit als Tiefenmesser ab und wurde zum wichtigsten Hilfsmittel für den mittelalterlichen Schiffer. Doch nicht nur die Messung der Meerestiefe war von Bedeutung, sondern auch die Möglichkeit, mit dem Lot Proben des Meeresbodens zu nehmen, anhand derer man die Position des Schiffes bei genauer Kenntnis der Bodenbeschaffenheit in den verschiedenen Seeregionen bestimmen konnte. Dies geschah durch eine kleine Ausbuchtung an der Unterseite des Lotkörpers, die mit Talg oder ähnlichem Material versehen wurde, woran die Proben haften blieben.[70]

 

Besonders im nordwesteuropäischen Raum war das Lot das wichtigste Hilfsmittel der Schiffer, da die Gewässer in diesem Raum nur selten tiefer als 100m sind. Zudem konnte das Lot auch bei schlechtem Wetter, das in diesen Regionen oft herrscht, ohne Einschränkungen genutzt werden. Hinzu kam außerdem, dass es aufgrund der Gezeiten und dem daraus resultierenden Niedrigwasser unbedingt nötig war, dass häufig gelotet wurde, um die Schiffbarkeit der Fahrwasser zu überprüfen. Zwar finden sich auch antike Belege über das Loten im Mittelmeer, etwa in den Historien Herodots (vor 479 v. Chr.), die zudem zeigen, dass sich das Lot über einen langen Zeitraum kaum verändert hat, allerdings beschränkte sich der Einsatz des Lotes hier aufgrund der durchgängig großen Tiefe des Mittelmeers auf die unmittelbaren Küstenregionen. In den Randmeeren Nordwesteuropas dagegen kam das Lot überall zum Einsatz. Zahlreiche archäologische Funde sowie schriftliche und Bildquellen bestätigen dies.[71]

 

Für den wikingerzeitlichen Gebrauch von Loten im äußersten Norden Europas finden sich jedoch nur unsichere Indizien. Allein die große Tiefe der Meeresgebiete zwischen Norwegen und Island machte das Lot in diesen Seeregionen, zumindest auf offener See, wohl unbrauchbar für die navigatorische Praxis. Zwar lassen sich einige archäologische Funde aus dieser Zeit als Lote interpretieren, genau geklärt ist ihre Verwendung allerdings nicht. So wurden im 834 von den Wikingern zerstörten Dorestad in den Niederlanden etwa mehrere Bleikegel gefunden, von denen einige als Lot gedient haben könnten (s. Abb. 2). Besonders ein rund 4 kg schwerer Kegel fand höchstwahrscheinlich Verwendung als Lot. Andere Funde dagegen, etwa ein Objekt aus dem Hafen von Haithabu, das 1066 zerstört wurde, lassen sich nicht eindeutig zuordnen.[72] Uwe Schnall hingegen geht fest davon aus, dass die gefundenen Objekte den Wikingern als Lote dienten, da diese zumindest in Küstennähe das Lot nutzten, um die Wassertiefe zu kontrollieren. So gibt es auch in der altnordischen Literatur Hinweise darauf, dass das Lot eingesetzt wurde, um die Wassertiefe zu kontrollieren und das Auflaufen auf Sandbänke und Untiefen zu vermeiden, bewiesen kann dies durch die Andeutungen in den Texten jedoch nicht.[73] Es muss festgehalten werden, dass das Lot bei den Wikingern vermutlich an den Küsten zum Einsatz kam, wir jedoch keinerlei schriftlichen Beweis dafür haben, vor allem, weil nicht bekannt ist, wie das Lot von diesen bezeichnet wurde.[74]

 

Eine bildliche Darstellung des Lotvorgangs in dieser Zeit ist uns durch den Teppich von Bayeux aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts überliefert, auf dem in 58 Einzelszenen die Eroberung Englands durch den Normannenherzog Wilhelm den Eroberer dargestellt ist. Die Stickarbeit zeigt gleich in zwei Szenen Seeleute beim Loten in Küstennähe (s. Abb. 3), was darauf hinweist, dass das Loten zu dieser Zeit ein übliches Vorgehen war.[75]

 

Zahlreicher werden die Nachweise für Lote mit dem beginnenden 14. Jahrhundert. Da ab diesem Zeitpunkt vermehrt Schriftstücke auch nautischen Inhalts angefertigt wurden, sind aus dieser Zeit auch etliche Schiffsinventare, Schadenslisten u.ä. aus dem hansischen Raum erhalten.[76] So erwähnt der Lübecker Schiffer Ludecke van der Heide etwa 1387 in einem Klageartikel Lübecks den Verlust seiner „2 dieplode".[77] 1449 wurde dem Danziger Schiffer Hans Happenbruwer in Plymouth sein Lot abgenommen, was ihn sogar von der Weiterfahrt abhielt.[78] Dies zeigt deutlich die Bedeutung des Lots für den mittelalterlichen Schiffer. Zudem werden Lote in den Quellen dieser Zeit weitaus häufiger erwähnt als etwa Kompasse oder Sanduhren. Auch diese Tatsache zeigt, wie wichtig das Lot für die Schiffer war.[79] Der venezianische Kartograph Fra Mauro notierte 1458 in seiner Seekarte der Ostsee sogar, dass man hier, anders als im Mittelmeer, weder mit der Seekarte noch dem Kompass navigiere, sondern ausschließlich mit dem Lot.[80] War das Loten in einem bestimmten Seegebiet einmal nicht möglich, so wurde dies ausdrücklich in den Segelanweisungen erwähnt: „Und weit in See, bei Ile d'Ouessant soll man 45 Faden finden; und deshalb ist dort schwierig zu loten."[81]Auch dies weist auf die besondere Bedeutung des Lots hin.

 

Die Tiefe beim Loten wurde in Faden, im „Seebuch" vadem, gemessen. Diese Bezeichnung entstand durch die Markierungen der Lotleine, in die zu diesem Zweck Leder- oder Bindfäden eingeflochten wurden. Diese hatten einen Abstand von ungefähr 1,7-1,8m voneinander, was einem vadem entsprach. Dass gerade dieses Maß gewählt wurde, hatte wahrscheinlich praktische Gründe, denn es entspricht in etwa dem Maß der ausgestreckten Arme. Allerdings muss bezweifelt werden, dass für das Maß eine strenge und allgemein gültige Norm galt.[82]

 

Betrachtet man die große Tiefenspanne, in der das Lot eingesetzt wurde, zeigt dies die vielseitigen Einsatzmöglichkeiten und den besonderen Nutzen des Lots für die mittelalterliche Schifffahrt. So finden sich etwa in den beiden Handschriften des „Seebuches" 139 bzw. 176 Lotungen in Gebieten, die „myt le gem water [bei Niedrigwasser] enen vadem deyp"[83] sind und Lotungen von „LXXX vadem"[84], also 80 Faden. Im „Lansdowne Ms." finden sich sogar...

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