1. Einführung: Warum brauchen wir Business-Coaching?
Was ist eigentlich Business-Coaching und warum gibt es so etwas? Dieses Kapitel beschreibt, wie die Geschäftswelt im Laufe ihrer Entwicklung ein Stadium erreicht hat, in dem Coaching einen Wettbewerbsvorteil schafft. Es befasst sich auch mit der Frage, ob sich die Investition in ein Coaching bezahlt macht. Wir sind der Meinung, dass es in den meisten Fällen sein Geld wert ist. Im nächsten Kapitel geht es um Definitionen, Unterscheidungen und ein Gerüst an Fragen, die im Geschäftskontext relevant sind. An dieser Stelle möchten wir erst einmal vermitteln, dass Business-Coaching:
- zuallererst ein Prozess ist, im Gegensatz zu einer inhaltlichen Expertise (besonders im Business-Kontext);
- auf einem tiefen Verständnis von der Funktionsweise unseres Verstandes und dem Kontext des Klienten beruht (auch hier besonders im Business-Kontext);
- sich niemals nur auf berufliche Aspekte beschränkt, obwohl Unternehmen dies bevorzugen, und
- niemals nur eine Hilfsmaßnahme oder nur für die „Stars“ gedacht ist; in diesem Zusammenhang kann die Wahrnehmung des Unternehmens, das als Auftraggeber fungiert, stark von der Realität des Klienten abweichen; weitere hilfreiche Schlüsselbegriffe sind lösungsorientiert, gemeinschaftlich, erforschend und implementierend.
Historisch betrachtet wurde Coaching im Businesskontext als „rehabilitierender“ Prozess verstanden – heute manchmal als Performance-Coaching bezeichnet: Es ging (und geht auch heute noch oft) um eine Person, die den Erwartungen des Unternehmens nicht ganz entsprach, zu wenig Leistung erbrachte oder deren Persönlichkeit zu Unstimmigkeiten führte.
Mit der Zeit verstanden die Unternehmen jedoch, wie wichtig es ist, das volle Potenzial ihres „Humankapitals“ auszunutzen und weiterzuentwickeln. Dabei wurden die Vorteile einer kontinuierlichen fachlichen Weiterentwicklung durch das Coaching immer offensichtlicher und erstrebenswerter. Beim Coaching zum Erreichen herausragender Leistungen geht man davon aus, dass die Person bereits voll eingearbeitet und erfolgreich ist in dem, was sie tut. In einer sich schnell verändernden Arbeitsumgebung profitiert sogar der „Überflieger“ von der Möglichkeit zu reflektieren, welche Methoden sich für ihn als erfolgreich erwiesen haben, wie Spitzenleistungen und Kreativität gesichert werden können und wie er Veränderung positiv und innovativ annimmt.
Das rasante Tempo, mit dem Veränderung in Gesellschaft und Geschäftswelt voranschreitet, hat unser Verständnis von Karriere stark beeinflusst. Eine klar definierte Rollenhierarchie, in der eine bestimmte Aus- oder Weiterbildung zu einer Beförderung führte, existiert nicht mehr. Anpassungsfähigkeit und Flexibilität werden sehr hochgeschätzt, wobei man zugleich anerkennt, dass die natürliche und spontane Reaktion des Menschen auf Veränderung oft durch fehlerhafte persönliche Vorstellungen, maladaptive Angewohnheiten oder fehlende Motivation verfälscht wird. Daher hat sich das Coaching zu einer beschleunigten Weiterbildungsmaßnahme entwickelt, die wir parallel zu unserem Arbeitsalltag ausführen.
Über die individuelle Entwicklung hinaus haben die Unternehmen zudem verstanden, dass strategische Veränderungsprogramme sich als ineffektiv erweisen und zum Scheitern verurteilt sind, wenn man sich nicht auch mit dem „Faktor Mensch“ – auch als people issues oder soft issues[2] bezeichnet – effektiv befasst. Die Tatsache, dass man Erfolg durch seine Angestellten maximieren kann, ist zu mehr als einem leeren Slogan geworden – besonders in Unternehmen, die Leistung bringen müssen und ihren einzigen Wettbewerbsvorteil darin sehen, dass ihre Angestellten eine Nasenlänge vorne liegen.
Loyalität ist heutzutage ein veraltetes Konzept. Menschen wechseln den Arbeitgeber viel häufiger als frühere Generationen. Dies kann für das einzelne Unternehmen zu einem Verlust von Talent und Investitionen führen. Coaching versetzt es in die Lage, die talentiertesten Angestellten zu halten, indem es deren Motivation aufrechterhält und regelmäßige Weiterentwicklung anbietet. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, Potenzial voll auszuschöpfen und neue produktive Verhaltensweisen einzuführen.
1.1 Geschäftswelt im Wandel
Unternehmen werden sicher nicht plötzlich damit beginnen, ihr Geld nach Lust und Laune in großen Summen auszugeben – auf jeden Fall nicht über einen längeren Zeitraum hinweg. Um die Attraktivität des Coaching zu verstehen, empfiehlt es sich, sich einmal einige industrieübergreifende Veränderungen der letzten zehn bis 20 Jahre anzuschauen. Hieraus ergibt sich auch ein nützlicher Leitfaden für den angehenden Coach.
Der Verlust des Wettbewerbsvorteils
Unternehmen suchen ständig nach neuen und besseren Methoden, um miteinander konkurrieren zu können. Das von Wirtschaftswissenschaftlern entwickelte Schlüsselkonzept dreht sich um einen „nachhaltigen Wettbewerbsvorteil“ oder die Fähigkeit, hohe Profite über einen langen Zeitraum zu generieren. Dieser Vorteil kann aus jedem Bereich des Unternehmens kommen: durch bessere vertriebliche Struktur, firmeneigene Technologie, einen guten Kontakt zu Behörden, günstigere Finanzierungsmodelle, einen Pioniervorteil usw. Der Versuch, „eine bessere Mausefalle zu bauen“[3], stellt das Wesen der Geschäftswelt dar und wird niemals verschwinden. Doch in den letzten zehn Jahren haben drei Phänomene die traditionellen Möglichkeiten, Wettbewerbsvorteil zu schaffen, eingeschränkt.
Das Umstrukturieren betrieblicher Prozesse und der damit einhergehende Abbau auf der mittleren Führungsebene haben einen großen Einfluss auf alle Wirtschaftszweige ausgeübt: Es gibt nun auf allen Ebenen in allen Branchen ein „Patentrezept“, um die Dinge zu erledigen. Dieses ist genau aufgezeichnet, zusammen mit der optimalen Kostenhöhe und Anzahl Angestellter. Verstärkt wurde dies durch die flächendeckende Einführung des Enterprise-Resource-Planning-System (ERP-System), einem spezialisierten Betriebssystem, über das das komplette Unternehmen von Vertrieb über Herstellung bis Auslieferung und darüber hinaus gesteuert wird. Diese Systeme basieren auf den Best Practices der Branchen – mit dem Ergebnis, dass alle Unternehmen in dem jeweiligen Bereich ähnliche Prozesse einführen. Dies hatte einen massiven Anstieg der Produktivität zur Folge, zerstörte aber gleichzeitig auch systematisch den Wettbewerbsvorteil, da ganze Sektoren homogener wurden.
Die nächste große Veränderung war das Outsourcing von Geschäftsabläufen: Wenn ein Unternehmen in einem Bereich nicht „Klassenbester“ sein konnte, warum dann den Bereich im Unternehmen belassen? Neue Firmen entstanden, die ganze Abteilungen übernahmen – zunächst in Funktionsbereichen ohne Kundenkontakt wie Finanzen und Lohnbuchhaltung. Wir befinden uns gerade in der nächsten Phase dieses Phänomens, in der die Kundenberatung an Callcenter in Indien oder Nordafrika abgegeben wird. Und wieder sehen wir, wie ganze Branchen gleiche Prozesse zu ungefähr der gleichen Zeit outsourcen. Dies bedeutet, dass sich die finanzielle Lage verschiedener Industrien zu annähernd gleichem Zeitpunkt verbessern wird: also auch hier kein langfristiger Wettbewerbsvorteil.
Die Fragmentierung der Wertschöpfungskette wurde durch flächendeckende Einführung von billiger und standardisierter Technologie ermöglicht. Nur in Ausnahmefällen erledigt ein Unternehmen noch alle Aufgaben im eigenen Betrieb. Nehmen wir nur einmal die Lieferung von Strom an Privathaushalte als Beispiel. Von der Stromerzeugung über die Lieferung bis zum Ablesen des Zählerstandes und dem Vertrieb – die Rolle des modernen Stromlieferanten besteht im Dirigieren externer Lieferanten. Kernaufgaben wie Marketing oder Abrechnung mögen vielleicht noch intern ausgeführt werden, doch wir haben es hier mit einer Firma zu tun, die sich sehr von dem Energieversorgungsunternehmen von vor 15 Jahren unterscheidet. Wir mögen immer noch sehr weit von der völlig getrennten Industrie entfernt sein, in der alle nur noch über das Internet verbunden sind und Käufer und Verkäufer fortwährend die besten Preise verhandeln. Nichtsdestotrotz fühlen alle Branchen sich gedrängt, ein auf ihren Kernstärken beruhendes Modell zum Erreichen der besten Leistung einzuführen. Mit anderen Worten finden wir nun zehn oder 20 Unternehmen in einer Branche, in der es vormals nur ein einziges gab. Dadurch wird der Konkurrenzdruck in der Industrie erhöht und letztere somit aber auch homogener.
Wir befinden uns derzeit in einer Phase, in der nahezu sofortige Nachahmung möglich ist: Unternehmen empfangen Investitionen von den gleichen globalen Kapitalmärkten, sie outsourcen die Herstellung oft an die gleichen Subunternehmen und kaufen ihre Patente von der gleichen globalen Datenbank. Marketinginnovationen werden sofort entdeckt und kopiert: Vor ein paar Jahren hörte zum Beispiel eine britische Supermarktkette in Gesprächen mit einem Hersteller von einem neuen Typ Waschpulver (vordosierte Caps). Die Kette war in der Lage, ihre hauseigene Version vor dem Original auf den Markt zu bringen!
Wie kann nun ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil erarbeitet werden? Unserer Ansicht nach stellen Menschen die letzte ungenutzte Ressource dar. Obwohl der Leser bereits überzeugt sein mag, möchten wir gerne besonders hervorheben, dass der Coach seine Intervention als ein Mittel sehen sollte, mit dem er dem Unternehmen zu einem Wettbewerbsvorteil verhilft. Menschen sind unser größtes Kapital – „aber nur, solange wir...