Kapitel 2
Wie wir mit Fehlern umgehen
Schon von klein auf haben wir gelernt, dass Fehler schlecht und unangenehm sind. Wer Fehler macht, bekommt meist schlechte Noten, Ärger mit den Eltern oder Fernsehverbot. Wir haben zwar – zumindest zum Teil – aus unseren Fehlern gelernt, dieser Prozess war jedoch oft schmerzhaft: von der heißen Herdplatte bis zum wegen einer Nachprüfung verpatzten Sommer. Das machen wir nie wieder, war die Erkenntnis.
So haben wir versucht, uns an eine Welt ohne Fehler anzupassen: Wir sind erfolgreich, produktiv, effizient. Wir sind flexibel und jeder Herausforderung gewachsen. Wir sehen Herausforderungen als Chance und nicht als Bedrohung. Wir lernen und entwickeln uns ständig weiter. Wir handeln motiviert und zielgerichtet. Wir identifizieren uns mit unserem Unternehmen, dem Produkt und der Dienstleistung. Gelassenheit und positive Kommunikation sind für uns selbstverständlich. Wir sind Perfektionisten. Wir sind die idealen Mitarbeiter. Fehler passen da nicht ins Bild. Doch was geschieht, wenn trotzdem ein Fehler passiert? Wie rücken wir unser ins Wanken geratenes Weltbild wieder zurecht?
In diesem Kapitel wollen wir der Frage nachgehen, wie wir persönlich mit unseren Fehlern und Rückschlägen umgehen, wie wir das im Unternehmen und am Arbeitsplatz tun und wie unsere Gesellschaft ganz allgemein auf Fehler reagiert. Das Reflektieren unseres eigenen Fehlverhaltens ist eine wesentliche Voraussetzung für einen konstruktiven Umgang mit Fehlern und für eine dementsprechend lösungsorientierte Fehlerkommunikation. Fehler sind aus unserer Sicht ein „normaler“ Bestandteil unserer Handlungen, sie sollten daher nicht als negativ abgestempelt, sondern als Lernfeld betrachtet werden. So können sowohl der Einzelne als auch Unternehmen eine förderliche Fehlerkultur schaffen.
Persönliche Fehlerkultur
Der Umgang mit eigenen Fehlern
Niemand freut sich im ersten Moment über einen eigenen Fehler. Niemand provoziert bewusst einen Fehler. Fehler sind wie ein Straucheln am Weg, ein Herausgerissenwerden aus der gewohnten Bahn. Manche Fehler passieren völlig unangekündigt und reißen uns schmerzhaft aus der Spur, andere Fehler kündigen sich vorher an, können aber, warum auch immer, trotzdem nicht vermieden werden. Sie sind nicht weniger schmerzhaft.
Im Laufe unserer Entwicklung haben wir viele Misserfolge erlebt. Ist uns etwas misslungen, haben wir erfahren, wie etwas nicht funktioniert, wie wir nicht zur Lösung gelangen und welche Konzepte und Strategien falsch sind. Wir haben uns einen eigenen Wissensschatz erworben, welche Verhaltensweisen falsch sind. Experten nennen dieses Wissen „negatives Wissen“. Dieses Wissen stellt eine Art Schutzwissen dar, wir lernen, was wir vermeiden müssen. Dieses negative Wissen speist sich aber nicht nur aus den eigenen Erfahrungen, auch die Erfahrungen anderer haben dazu beigetragen. Märchen und Kinderbücher haben uns von klein auf vorgeführt, welches Verhalten gefährlich oder falsch ist.
Doch leider haben wir nicht nur positive Schlüsse, wie hilfreich Fehler sein können und wie wichtig sie für unsere persönliche Entwicklung sind, aus diesem Lernprozess gezogen. Wir haben auch festgestellt, wie negativ diese Erfahrungen sind. Das „Verteufeln“ und die Sanktionierung von Fehlern hat uns eine andere Erkenntnis gebracht: Vermeide Fehler, und wenn einer passiert ist, achte darauf, dass es niemand merkt. Was wir dabei außer Acht lassen: Wir selbst spüren unseren Misserfolg, empfinden unser Scheitern, auch wenn wir noch so sehr versuchen, den eigenen Fehler nicht wahrhaben zu wollen. Die häufigsten Gefühle, die wir dabei empfinden, sind
- Bestürzung: Oh Gott, was ist mir da passiert?
- Angst: Was sind die Folgen dieses Fehlers? Was werden die anderen denken? Welche verbalen oder realen Sanktionen werden mich treffen?
- Scham: Es ist mir peinlich, dass das ausgerechnet mir passiert!
- Wut: Es ist so ärgerlich, dass mir das passiert ist!
- Schuld: Das muss ich jetzt verantworten!
Besonders Führungskräfte haben Angst, Fehler zuzugeben, weil sie um den Verlust ihrer Autorität fürchten. Doch wir alle machen Fehler und kennen die oben beschriebenen Gefühle als Erstreaktion genau. Gerade das Eingestehen eines Fehlers macht uns für andere menschlich und bringt Sympathiepunkte. Das macht uns glaubwürdig und nachvollziehbar. Wer nie einen auch noch so kleinen Fehler macht, wird für die anderen unheimlich und unnahbar.
So unterschiedlich wir Menschen sind, so verschieden fallen auch die individuellen Reaktionen auf Fehler aus:
Totschweigen: Erst wenn ein Fehler erwähnt wird, ist er auch wirklich passiert. Wer nicht darüber redet, verdrängt ihn aus der eigenen Wahrnehmung und lässt ihn hoffentlich auch nicht in die Wahrnehmung der anderen vordringen. Wer seine Fehler auch vor sich selbst negiert, sie selbst nicht wahrhaben will und einfach weitermacht, als wäre nichts passiert, läuft Gefahr, dass die Folgen, sollte der Fehler doch ans Tageslicht kommen, noch wesentlich unangenehmer sind. Außerdem besteht die Gefahr, dass der gleiche Fehler wieder passiert.
Sich ahnungslos stellen: „Ich habe von nichts gewusst! Hätte ich es gemerkt, hätte ich ja anders reagiert.“ Der Betroffene hofft, dass der Fehler nicht entdeckt wird, und sollte das doch passieren, hat er einen „Plan B“: Er tut einfach so, als wäre ihm der Fehler selbst gar nicht aufgefallen. Diese Taktik mag ja einmal aufgehen, wird sie jedoch öfter angewandt, wird die Person unglaubwürdig. Andere durchschauen die Unehrlichkeit und ziehen daraus ihre Konsequenzen.
Vertuschen: Auch hier wird der Fehler vor den anderen verborgen. Es wird geleugnet, solange es nur irgendwie möglich ist. Es wird versucht, die Aufmerksamkeit auf andere Punkte zu lenken, abzulenken und zu verschleiern. Je mehr Aufgaben zu bewältigen sind, je hektischer das Tagesgeschehen ist, desto eher kann das auch gelingen. Diese „Es wird schon nichts passieren!“-Einstellung ist weit verbreitet, bis in die Führungsspitze. In vielen Unternehmen und Teams ist ein solches Vorgehen zum Bestandteil der Kultur geworden. Wer den eigenen Fehler zwar vor anderen verschleiert, selbst aber daraus lernt, hat wenigstens ein bisschen profitiert. Meist wird dieses Verhalten aber dazu führen, dass die Verschleierungstaktik auch auf das eigene Bewusstsein ausgeweitet und nichts aus dem Geschehenen gelernt wird. Damit wird die eigene Wirklichkeit zurechtgerückt.
Verharmlosen: Einen Fehler zu bagatellisieren ist eine weitere Variante, die eigene und die fremde Wahrnehmung zu manipulieren. Fehler werden so lange „kleingeredet“, bis sie gänzlich vom Radar verschwinden. Die „Anderen geht es noch viel schlechter“-Philosophie hilft dabei weiter. Fehler werden isoliert gesehen und somit wird ihr Anteil am Gesamtergebnis nicht beachtet. Mögliche Folgen und Gefahren werden ausgeblendet. Wiederkehrende Fehler werden auf diese Weise nicht als solche wahrgenommen und der Lerneffekt ist gleich null. Ist ja nur eine Kleinigkeit, „harmlose“ Fehler muss man ja auch nicht korrigieren, aufarbeiten und vermeiden. Sie werden als Kavaliersdelikte eingeordnet, machen uns ja fast liebenswert menschlich. Eine andere Spielart des Verharmlosens ist die Reaktion, sich nach einem eigenen Fehler selbst ins Lächerliche zu ziehen, den Clown zu spielen – dem kann ja keiner böse sein! Diese Flucht in eine kindliche Verhaltensweise bewirkt oft eine wohlwollende „elterliche Ermahnung“ seitens des Vorgesetzten, die man dann über sich ergehen lässt, ohne wirklich daraus zu lernen.
Neutralisieren: Wer den eigenen Fehler in Bezug zu anderen Fehlern stellt, versucht ihn so fast als belanglos erscheinen zu lassen. „Alle haben eine schlechte Note, nicht nur ich!“ „Verglichen mit den Verlusten in der Niederlassung X ist das ja noch wenig!“ Auch diese Reaktion macht es dem Einzelnen unmöglich, den Fehler bzw. das Ereignis aufzuarbeiten und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Neutralisierte Fehler zählen nicht. Wenn alle eine schlechte Leistung bringen, ist meine genau in der Norm, also okay.
Suche nach einem Schuldigen: Greifen die bisher beschriebenen Strategien nicht mehr, muss eine andere her. Ist der Fehler nicht mehr zu übersehen, war’s eben einfach jemand anderer. Dieses Verhalten ist weitverbreitet, es ist fast schon ein Volkssport. Wir haben es ja schon in der Kindheit gelernt: An den schlechten Noten waren immer die unfaire Prüfung, der böse Lehrer, der störende Sitznachbar oder plötzliche Kopfschmerzen schuld. Im Unternehmen schieben ganze Teams und Abteilungen die Schuld auf andere. Der Einkauf, die Verwaltung, die Informatikabteilung – unendlich ist die Liste möglicher Schuldiger. Je komplexer ein System ist, umso leichter gelingt es, zumindest Mitschuldige zu finden. So entsteht ein angenehmer Nebeneffekt: Die Aufmerksamkeit wird auf andere gelenkt – „Haltet den Dieb“ als Ablenkungsstrategie. Besonders fies wird diese Strategie dann, wenn gleich auch noch aktive Taten gesetzt werden, die anderen die Schuld in die Schuhe schieben. Das mag zwar kurzfristig karrierefördernd sein, vergrößert aber ganz sicher auch die Anzahl möglicher Feinde. Wer bei Fehlern, die er nicht selbst verursacht hat, ausschließlich nach Schuldigen sucht und seine gesamte Energie in das Überführen dieser Schuldigen steckt, der hat meist nur eine kurzfristige Genugtuung. Er verliert an Sympathie und andere warten schon auf den Augenblick der...