Veränderung einfach machen
There are no easy answers, but there are simple answers. We must have the courage to do what we know is right.
Ronald Reagan, ehemaliger US-Präsident
Die Wissenschaft sagt, dass ein Moment genau 2,7 Sekunden dauert. So lange braucht nämlich unser Gehirn, um Zukunft in Vergangenheit umzuwandeln. In 2,7 Sekunden werden auf der Welt 10,8 Babys geboren, Apple macht 5400 Dollar Umsatz und auf Facebook werden 111.000 Beiträge geschrieben. Im Jahr 2002 habe ich in 2,7 Sekunden erfahren, was erfolgreiche Veränderung wirklich bedeutet. Es ist nicht das, was da draußen passiert. Es ist die Art und Weise, wie Sie hier oben damit umgehen. Ich war gerade auf einem dreitägigen Teambuildingseminar für Warenhausgeschäftsführer. Und an Tag 2 hieß das Thema: Improvisationstheater für Führungskräfte. Das bedeutete vor allem: Spontan sein. Kreativ sein. Permanent die eigene Flexibilität trainieren. Das wiederum bedeutete für mich: Supergau! Hätten Sie mich damals gekannt, dann hätten Sie mich wahrscheinlich mit vielen Worten beschrieben, nur nicht mit spontan, kreativ oder flexibel. Geleitet wurde der Workshop von einer sympathischen Trainerin, die mich mit ihren Übungen fast zur Verzweiflung brachte. Eine davon war ganz besonders fies. Sie stand vor der Gruppe und verkündete mit einem Lächeln auf den Lippen eine Reihe von ziemlich unsinnigen Aufgaben. Und egal, wie unsinnig wir diese auch fanden, wir sollten im Brustton der Überzeugung mit folgenden zwei Wörtern antworten: »Au ja!«, und dann die Aufgabe ausführen.
Stellen Sie sich das einmal bildlich vor, eine hübsche Frau steht vor Ihnen und sagt: »Jetzt hüpfen wir alle auf einem Bein!« Und dreißig mehr oder weniger gestandene Führungskräfte rufen im Chor »Au ja!« und hüpfen dann alle auf einem Bein. Naja, neunundzwanzig, denn mir war das viel zu peinlich. Dann sagte die Trainerin: »Jetzt klatschen wir alle in die Hände.« Alle dreißig Leute rufen wieder »Au ja!« und klatschen in die Hände. Okay, fast alle, denn ich hatte wieder nicht mitgemacht. Dann kam der Höhepunkt. Sie sagte: »Und jetzt umarmen wir alle die Person neben uns!« Neunundzwanzig Führungskräfte rufen wieder: »Au ja!« Neben mir streckt ein vollbärtiger und bestimmt 113 Kilo schwerer Kollege namens Manfred beide Arme aus, um mich zu umarmen. Es muss an meinem Gesichtsausdruck gelegen haben, denn plötzlich stand die nette Trainerin vor mir. Und sie sagte einen Satz, der mich zum Nachdenken brachte: »Ilja, wenn du es jetzt nicht ausprobierst, wirst du nie wissen, wie gut es sein kann.« Dann zwinkerte sie mir zu und ging. Und ich stand da. Ich grübelte. Ich zweifelte. Wofür sollte ich mich entscheiden? Kneifen und die Flucht ergreifen oder mutig sein und ausprobieren, was passiert? Und es dauerte 2,7 extrem lange Sekunden, bis ich meine Wahl getroffen hatte. Wenn ich es jetzt nicht ausprobieren würde, würde ich nie erfahren, wie gut es sein könnte. Auch wenn ich immer noch Zweifel hatte, sagte ich aus voller Brust »Au ja!« und umarmte Manfred, der sich zärtlich an mich schmiegte. Und wissen Sie was, es war überhaupt nicht schlimm. Ganz im Gegenteil. Auf einmal lernten wir uns besser kennen und später wurden wir sogar richtig gute Freunde. Seitdem sind diese beiden Worte für mich eine Art Leitfaden für den Umgang mit Veränderung. Das »Au ja!« zeigt nämlich die Kraft der Einstellung, die darin besteht, vor den kleinen und großen Veränderungen des Alltags nicht davonzulaufen, sondern die Herausforderung anzunehmen. Nicht in Problemen zu baden, sondern den Fokus auf die Lösung zu richten. »Au ja!« zu sagen – auch wenn sich innerlich alles sträubt –, und dann Ihr Bestes zu geben. Ich werde Ihnen jetzt eine Frage stellen, und ich würde mich freuen, wenn Sie innerlich mit einem enthusiastischen »Au ja!« antworten: Haben Sie Lust, dass wir anfangen?
Zu Beginn des Buches möchte ich Sie mit meiner Veränderungsphilosophie bekannt machen. Diese beruht auf ein paar einfachen, aber sehr wirkungsvollen Prinzipien. Stellen Sie sich für den Moment einmal vor, Sie würden in einem meiner Vorträge im Publikum sitzen. Sie haben hoffentlich schon viel gelacht und hören mich ein Experiment ankündigen, in dem ein Glas Wasser die Hauptrolle spielt, das ich gut sichtbar mit ausgestrecktem Arm in die Luft halte. Möglicherweise geht Ihnen sofort folgender Gedanke durch den Kopf: »Ach, jetzt kommt der alte Hut, ob das Glas nun halbvoll oder halbleer ist.« Aber darum geht es überhaupt nicht. Ich bin ergebnisorientiert und mich interessiert nur, ob das Wasser meinen Durst stillt. Stattdessen stelle ich Ihnen eine andere Frage: »Wenn ich das Glas auf diese Art und Weise halte, was glauben Sie, wie schwer es dann ist?« Nachdem ich Ihre Antwort gehört habe, komme ich zum eigentlichen Punkt. »Wissen Sie was, das absolute Gewicht spielt überhaupt keine Rolle. Es kommt ausschließlich darauf an, wie lange ich in dieser Position bleibe. Wenn ich das Glas nur kurz halte, ist es kein Problem. Wenn ich es für eine Stunde halte, dann würde irgendwann mein Arm anfangen zu zittern, und ich hätte morgen einen schlimmen Muskelkater. Und wenn ich es den ganzen Tag so halten würde, dann könnte ich an nichts anderes mehr denken, ich hätte starke Schmerzen und der Arm wäre wie gelähmt. In jedem der Fälle verändert sich das Gewicht des Glases nicht. Aber je länger ich es halte, desto schwerer wird es.«
Jeden Tag befinden wir uns in dutzenden Situationen, in denen wir mit verschiedensten Veränderungen konfrontiert sind. Es macht einen riesigen Unterschied, wie Sie damit umgehen, ob Sie denken: »Och nö, das wird bestimmt nichts«, oder ob Sie sich für die Alternative entscheiden: »Au ja, packen wir es an!« Ob Sie das Glas mit aller Macht festhalten oder rechtzeitig wieder abstellen. Doch immer dann, wenn die Entscheidung besonders herausfordernd ist, tritt mit schöner Regelmäßigkeit diese kleine, fiese Stimme im Kopf in Aktion. Sie taucht in Gestalt eines kleinen Teufelchens auf Ihrer Schulter auf und erklärt Ihnen sehr ausführlich und verführerisch, warum Ihr Vorhaben keine besonders gute Idee ist, was alles schief gehen kann und weshalb Sie es am besten gar nicht erst probieren sollten. Kennen Sie diese Zweifel, Sorgen und Ängste, die mit Veränderungen einhergehen? Ich glaube jeder von uns hat sie. Und es ist auch gut, dass sie da sind, weil sie eine wichtige Funktion haben. Sie schützen uns davor, allzu großen Blödsinn zu machen. Doch wie auch beim Wasserglas kommt es vor allem darauf an, wie Sie damit umgehen. Wenn Sie nur ein wenig zweifeln, dann ist das vollkommen okay. Wenn Sie die Zweifel aber länger mit sich herumtragen, dann werden irgendwann Sorgen daraus. Wenn Sie sich den ganzen Tag Sorgen machen, dann bekommen Sie Angst. Und Angst lähmt. Die Botschaft der Metapher ist also einfach: Erfolgreiche Veränderung hängt nicht davon ab, mit welchen Problemen Sie konfrontiert sind, sondern einzig und allein, wie Sie darauf reagieren. Denn vor welcher Herausforderung Sie auch immer stehen, Sie allein bestimmen, wie lange Sie an Ihren Ängsten und Zweifeln festhalten und wann Sie sie loslassen. Ich würde mir wünschen, dass Sie diese Erkenntnis von Anfang an verinnerlichen: Veränderung ist nicht, was um Sie herum geschieht. Es ist die Art und Weise, wie Sie damit umgehen.
Wenn alles perfekt läuft, kann jeder glänzen. Schönwetter-Kapitäne kennen wir alle zur Genüge. Aber wie gut sind Sie, wenn die Dinge einmal nicht so laufen, wie sie sollen? Jammern Sie, wie schwer Sie es haben und wie ungerecht die Welt ist? Oder beschließen Sie, das Beste daraus zu machen, »Au ja!« zu sagen und sich aktiv zu verändern? Sie können die äußeren Umstände meist nicht ändern. Das einzige, was Sie beeinflussen können, ist die Art und Weise, wie Sie darauf reagieren und zu welchem Zeitpunkt Sie Ihr metaphorisches Glas wieder abstellen. Damit Ihnen das gelingt, erhalten Sie von mir konkrete Werkzeuge, um eine Einstellung zu entwickeln, mit der Sie auch unter schweren Rahmenbedingungen Veränderung einfach machen können. Natürlich bin ich mir sehr bewusst, dass ich bei diesem Vorhaben auch mit den unterschiedlichsten Varianten der kleinen fiesen Stimme in Ihrem Kopf zu kämpfen haben werde. Denn immer dann, wenn es sich um einfache Lösungen handelt, sagt das kleine Teufelchen auf der Schulter gerne Sätze wie »Kenne ich schon«, »Hab ich schon ausprobiert« oder »Das mag bei anderen funktionieren, bei mir aber auf keinen Fall«. Wenn Sie sich im Laufe der Lektüre bei einem solchen oder ähnlichen Gedanken ertappen sollten, dann erinnern Sie sich bitte daran, das Glas wieder rechtzeitig abzustellen. Ich weiß, was Sie jetzt denken: »Aber Ilja, so häufig kommt das bei mir gar nicht vor.« Doch diese als unschuldige innere Stimme getarnte Suche nach Ausreden und Gründen, warum etwas nicht geht, taucht in den verschiedensten Spielarten auf. Und viele haben sich die eigenen Ausreden so häufig selbst erzählt, dass sie es gar nicht mehr mitbekommen, wie stark die eigene Veränderungsresistenz bereits ausgeprägt ist.
Hinzu kommt eine sich vermehrt ausbreitende Veränderungsmüdigkeit. Als ich einem befreundeten Unternehmer davon berichtete, dass ich ein Buch über erfolgreiche Veränderung schreiben würde, runzelte er die Stirn und bemerkte kritisch: »Ach komm, zum Thema Veränderung ist doch nun wirklich alles gesagt, was es zu sagen gibt.« Und wissen Sie was? Ganz unrecht hatte er nicht. Wohl jeder von uns hat dutzende Bücher zu diesem Thema gelesen, hat Metaphern über Mäuse, Pinguine oder Eisberge verinnerlicht,...