Wenn wir von Epiktets Erkenntnis ausgehen, stellt sich als Nächstes die Frage: «Wie kann ich erreichen, dass ich die Ereignisse, die mich immer wieder aus der Fassung bringen, so betrachte oder interpretiere, dass sie mich nicht mehr aufregen?» Wahrscheinlich wenden Sie selbst bereits Techniken an, die Ihnen dabei helfen, zu innerem Gleichgewicht zu finden. Für den Fall, dass Sie Ihr Repertoire ergänzen möchten durch eine Methode, die Ihnen hilft, bei bestimmten Themen oder Situationen innerlich gelassen zu bleiben und gar nicht erst in Stress zu geraten, stelle ich Ihnen hier eine weitere Technik vor. Sie kommt aus der kognitiven Verhaltenstherapie. Dr. Simonton nutzte als Grundlage die von dem Psychiater Maxie Maultsby entwickelte Technik des «Kognitiven Umstrukturierens» und nannte sie «Glaubenshaltungsarbeit» oder «Änderung von ungesunden inneren Überzeugungen».
Wir arbeiten damit daran, ungesunde innere Überzeugungen zu eliminieren, indem wir sie durch gesundheitsfördernde Überzeugungen ersetzen.
Die beste Zeit, diese Methode anzuwenden, ist in Augenblicken, in denen Sie in negativ erlebtem emotionalem Stress sind. Gemeint sind Momente, in denen Sie sich nicht gut oder sogar richtig schlecht fühlen. Zum Beispiel sind dies Situationen, in denen Sie Zeitdruck, Leistungsdruck, Versagensängste, Angst, Hoffnungslosigkeit, Wut, Ärger, Schuldgefühle, Scham, Wertlosigkeit, Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein, Erschöpfung, Eifersucht, Ausweglosigkeit, Einsamkeit und Verlassenheit empfinden. Diese Situationen sind deshalb gut geeignet, weil in solchen Momenten die ungesunden Überzeugungen, die sonst im Unterbewusstsein schlummern, an die Oberfläche dringen und bewusst wahrgenommen werden können.
8 Schritte
1. Schritt: Wenn Sie sich schlecht fühlen, machen Sie sich bewusst, dass dies ein guter Zeitpunkt ist, um mit der Technik zur Umstrukturierung ungesunder Überzeugungen zu arbeiten. Suchen Sie einen Ort auf, an dem Sie ungestört sind.
2. Schritt: Zeichnen Sie auf ein leeres Blatt Papier eine vertikale Linie in die Mitte.
3. Schritt: Nehmen Sie die negativen Gefühle immer intensiver wahr und schreiben Sie währenddessen die Gedanken in die linke Spalte, die Ihre Gefühle verstärken. Lassen Sie dabei alles zu, ohne zu bewerten.
Zum besseren Verständnis hier das Beispiel von Annika, einer Krebspatientin, die mich kurz nach ihrer Diagnose um Hilfe bat, weil sie – verständlicherweise – voller Angst, Sorge und Unruhe war und nicht mehr schlafen konnte.
Gedanken, die bei der Verstärkung der Gefühle Annikas auftraten:
Ich kann nicht wieder gesund werden.
Ich werde leiden und in Kürze sterben, egal was ich tue.
Die Behandlung schadet mir mehr als dass sie hilft.
Ich bin ausgeliefert und hilflos.
Mein Mann und meine Kinder werden verzweifeln und mit dem Leben nicht zurechtkommen.
4. Schritt: Wenn Sie mindestens fünf Gedanken oder mehr notiert haben und bemerken, dass Ihre Gedanken sich nun wiederholen, überprüfen Sie den Gesundheitswert jedes einzelnen Gedanken in der linken Spalte mit Hilfe der fünf Prüfungsfragen von Maxie Maultsby.
Entspricht dieser Gedanke den Tatsachen?
Hilft er mir, meine wichtigsten Ziele zu erreichen?
Hilft er mir, meine wichtigsten Konflikte zu lösen?
Hilft er mir, mein Leben und meine Gesundheit zu schützen?
Hilft er mir, mich so zu fühlen, wie ich mich gerne fühlen möchte?
Wenn Sie bei einem der Gedanken auf mindestens drei dieser Fragen ein «Ja» als Antwort geben, können Sie davon ausgehen, dass es sich bei dem überprüften Gedanken um eine gesundheitsfördernde Überzeugung handelt. Antworten Sie mindestens dreimal mit «nein», handelt es sich um eine «ungesunde» Überzeugung.
Bei der Überprüfung der oben genannten Gedanken von Annika stellten wir fest, dass keiner von ihnen einer gesunden Überzeugung entsprach.
5. Schritt: Ersetzen Sie nun jede «ungesunde» Überzeugung durch einen gesundheitsfördernden Gedanken und schreiben Sie ihn gegenüber in die Spalte auf der rechten Seite.
Prozess zur Veränderung von ungesunden Überzeugungen: Annika
Ungesunde Überzeugungen | Gesundheitsfördernde Überzeugungen |
Ich kann nicht wieder gesund werden. | Ich kann wieder gesund werden, egal wie krank ich bin, und ich kann darauf vertrauen, dass ich Wege finde, gut damit zurechtzukommen, wenn es anders kommt. |
Ich werde leiden und in Kürze sterben, egal was ich tue. | Es gibt Dinge, die ich tun kann, um mich gut zu fühlen. Es ist mir mehr und mehr möglich, jeden Tag zu genießen. Ich kann gesund alt werden. |
Die Behandlung schadet mir mehr, als dass sie hilft. | Die Behandlung kann mir helfen, wieder gesund zu werden. Es ist gut möglich, dass sie zusammen mit meinen natürlichen Kräften im Körper das bewirkt, was ich mir wünsche. |
Ich bin ausgeliefert und hilflos. | Ich kann mich in meiner Mitte geborgen fühlen und habe in und außerhalb von mir alle Hilfe, die ich brauche. |
Mein Mann und meine Kinder werden verzweifeln und mit dem Leben nicht zurechtkommen. | Es ist eine schwierige Situation für uns alle. Ich kann meinem Mann und meinen Kindern vertrauen. Sie sind umgeben von Hilfe und können an dieser Herausforderung wachsen und ihre Stärke spüren. Wir alle sind in der Lage, ein erfülltes, glückliches Leben zu führen. |
6. Schritt: Lesen und sprechen Sie die gesunden Überzeugungen in aller Ruhe noch einmal laut aus. Fragen Sie sich anschließend, wie Sie sich fühlen. Wenn Sie feststellen, dass Sie sich jetzt viel besser fühlen als zu Beginn der Arbeit, können Sie davon ausgehen, dass Sie gute gesunde Überzeugungen formuliert haben.
Lernen Sie, an die «gesunden Überzeugungen» zu glauben, indem Sie täglich folgende zwei Übungen durchführen:
7. Schritt: Gewöhnen Sie sich daran, Ihre Gedanken bewusster wahrzunehmen, sie zu beobachten und zu wählen, wie Sie denken. Dazu tragen Sie die erarbeitete Tabelle mit den «ungesunden und gesunden Überzeugungen» immer bei sich. Wenn Sie sich nicht gut oder gar schlecht fühlen, lesen Sie sich die ungesunden Gedanken durch. Fragen Sie sich, ob sie einen oder mehrere dieser ungesunden Gedanken gedacht haben, als Sie begannen, sich unwohl zu fühlen. Falls Sie dies bestätigen, entscheiden Sie sich, dass Sie diese Überzeugung nicht weiter nähren möchten. Vergegenwärtigen Sie sich stattdessen die entsprechende gesunde Überzeugung. Mit der Zeit werden Sie die Tabelle dazu nicht mehr benötigen, weil Sie den Prozess des «Umdenkens» verinnerlicht haben. Eine sehr gute Hilfe beim «Umdenken» kann die Visualisierung sein, die mir ein Patient einmal mitteilte: Sobald er sich darüber bewusst wird, dass er sich Gedanken hingibt, die ihm nicht guttun, stellt er sich das Schild «Umleitung» aus dem Straßenverkehr vor. Die Farbe Orange betrachtet er als Warnhinweis, kurz innezuhalten. Der Pfeil weist ihn in die Richtung der gesunden Gedanken, die er sich erarbeitet hat. Daraufhin entscheidet er neu, dass er sich angewöhnen möchte, die gesundheitsfördernden Überzeugungen zu verinnerlichen, und spricht sie laut oder in Gedanken aus.
8. Schritt: Nehmen Sie sich wenigstens einmal am Tag Zeit für eine der Aktivitäten, die Ihnen Freude machen. Wenn Sie anschließend entspannt sind und sich gut fühlen, sprechen Sie die gesundheitsfördernden Gedanken laut aus. Achten Sie dabei darauf, dass Sie sich in Ihrer inneren Haltung liebevoll zuwenden, um sich zu helfen. Lassen Sie jeden der Gedanken auf sich wirken, indem Sie sich eine Vorstellung dazu machen. Annika stellt sich bei dem Gedanken «Wir sind in der Lage, ein erfülltes, glückliches Leben zu führen» vor, wie sie zwanzig Jahre später als Großmutter mit ihrer Familie an einem festlich gedeckten langen Tisch im Garten sitzt, sich wohl fühlt, sich angeregt unterhält und lacht, während ihre Enkelkinder um sie herum spielen.
Aus den Erkenntnissen der Lernpsychologie wissen wir, dass es drei bis sechs Wochen dauert, bis Sie die «gesunden» inneren Einstellungen in Ihrem Unterbewusstsein verankert haben, wenn Sie auf die beschriebene Weise vorgehen. Das bedeutet, dass Situationen, die Sie früher beunruhigt haben, weniger oder gar keine negativen Empfindungen mehr hervorrufen. Ihr Körper hat mehr Energie für die natürlichen Selbstheilungsmechanismen zur Verfügung, und Sie haben mehr Phasen, in denen es Ihnen gut geht.
Sie können lernen zu wählen, womit Sie sich gedanklich befassen. Ähnlich, wie Sie entscheiden, in welchen Kinofilm Sie gehen, können Sie entscheiden, welche Vorstellungen und Gedanken Sie in sich nähren. Dies ist nicht ganz einfach und dauert seine Zeit. Wenn ich unbewusst jahrelang mein Gehirn darin trainiert...
