Bei uns in Dänemark zählt Ga-Jol zu den beliebtesten Süßigkeiten. Sein starker Lakritzduft ist ein perfektes Mittel gegen unser feuchtes und oft kühles Wetter. Der Charme, den Ga-Jol für uns Dänen entfaltet, liegt auch an den weisen oder geistreichen Sprüchen, die auf dem Deckel jeder Packung abgedruckt sind. Ich habe mir heute Morgen eine Doppelpackung dieser Köstlichkeit gekauft und fand darauf das folgende alte dänische Sprichwort:
Ærlighed i små ting er ikke nogen lille ting.
Ehrlichkeit in kleinen Dingen ist kein kleines Ding. Dies war ein gutes Omen. Es passte zu dem, was ich hier sagen wollte. Kleine Dinge spielen eine Rolle. In diesem Buch geht es um bescheidene Belange, deren Wert dennoch beträchtlich ist.
Gott steckt in den Details, sagte der Architekt ?Ludwig Mies van der Rohe. Dieses Zitat erinnert an zeitgenössische Auseinandersetzungen über die Rolle der Architektur bei der Software-Entwicklung und insbesondere in der Agilen Welt. Bob und ich führen gelegentlich heiße Diskussionen über dieses Thema. Und ja, Mies van der Rohe war sehr an der Nützlichkeit und der Zeitlosigkeit der Formen des Bauens interessiert, auf denen großartige Architektur basiert. Andererseits wählte er auch persönlich jeden Türknopf für jedes Haus aus, das er entworfen hatte. Warum? Weil kleine Aufgaben eine Rolle spielen.
Bei unserer laufenden »Debatte« über TDD haben Bob und ich festgestellt, dass wir beide der Auffassung sind, dass die Software-?Architektur eine wichtige Rolle bei der Entwicklung spielt, obwohl wir wahrscheinlich verschiedene Vorstellungen davon haben, was genau das bedeutet. Doch solche Differenzen sind relativ unwichtig, weil wir davon ausgehen können, dass verantwortungsbewusste Profis am Anfang eines Projekts eine gewisse Zeit über seinen Ablauf und seine Planung nachdenken. Die Vorstellungen der späten 1990er-Jahre, dass Design nur durch Tests und den Code vorangetrieben werden könnte, sind längst passé. Doch die Aufmerksamkeit im Detail ist ein noch wesentlicherer Aspekt der Professionalität als Visionen im Großen. Erstens: Es ist die Übung im Kleinen, mit der Profis ihr Können und ihr Selbstvertrauen entwickeln, sich an Größeres heranzuwagen. Zweitens: Die kleinste Nachlässigkeit bei der Konstruktion, die Tür, die nicht richtig schließt, die missratene Kachel auf dem Fußboden oder sogar ein unordentlicher Schreibtisch können den Charme des größeren Ganzen mit einem Schlag ruinieren. Darum geht es bei sauberem Code.
Dennoch bleibt die Architektur nur eine Metapher für die ??Software-Entwicklung und insbesondere die Phase der Software, in der das anfängliche Produkt etwa in derselben Weise entsteht, wie ein Architekt ein neues Gebäude hervorbringt. In der heutigen Zeit von Scrum und Agile geht es hauptsächlich darum, ein Produkt schnell auf den Markt zu bringen. Die Fabrik soll mit höchster Kapazität Software produzieren. Nur: Hier geht es um menschliche Fabriken, denkende und führende Programmierer, die eine Aufgabenliste abarbeiten oder sich bemühen, anhand von Benutzer-Stories ein brauchbares Produkt zu erstellen. Ein solches Denken wird von der Metapher der Fabrik dominiert. Die Produktionsaspekte der Herstellung von Autos in Japan, also einer von Fließbändern dominierten Welt, haben viele Ideen von Scrum inspiriert.
Doch selbst in der Automobilindustrie wird der Hauptteil der Arbeit nicht bei der Produktion, sondern bei der Wartung geleistet – oder bei dem Bemühen, sie zu vermeiden. Bei der Software werden die 80 oder mehr Prozent unserer Tätigkeit anheimelnd als »Wartung« bezeichnet, ein beschönigendes Wort für »Reparatur«. Statt uns also auf typische westliche Weise auf die Produktion guter Software zu konzentrieren, sollten wir anfangen, eher wie ein Hausmeister bei der Gebäudeinstandhaltung oder wie ein Kfz-Mechaniker bei der Reparatur von Autos zu denken. Was haben japanische Managementweisheiten dazu zu sagen?
Etwa 1951 erschien ein Qualitätsansatz namens ?Total Productive Maintenance (?TPM; »Umfassendes Management des Produktionsprozesses«, der Ausdruck wird nicht ins Deutsche übersetzt) in der japanischen Szene. Er konzentrierte sich weniger auf die Produktion, sondern mehr auf die Wartung. Eine der fünf Säulen des TPM ist der Satz der so genannten 5S-Prinzipien. 5S bezieht sich auf einen Satz von Disziplinen oder Tätigkeitsbereichen. Tatsächlich verkörpern diese 5S-Prinzipien die Bedeutung von ?Lean – einem anderen Modewort in westlichen Produktionskreisen, das zunehmend auch in der Software-Entwicklung verwendet wird. Diese Prinzipien sind nicht optional. Wie Uncle Bob auf der Titelseite sagt, erfordert die Software-Praxis eine gewisse Disziplin: Fokus, Aufmerksamkeit und Denken. Es geht nicht immer nur darum, aktiv zu sein und die Fabrikausrüstung mit der optimalen Geschwindigkeit zu betreiben. Die ?5S-Philosophie umfasst die folgenden Konzepte:
?Seiri oder Organisation (Eselsbrücke: »sortieren«). Zu wissen, wo sich Dinge befinden, ist erfolgsentscheidend. Dazu zählen zum Beispiel Ansätze wie das Vergeben geeigneter Namen. Wenn Sie meinen, die Benennung Ihrer Bezeichner sei nicht wichtig, sollten Sie auf jeden Fall die folgenden Kapitel lesen.
?Seiton oder Ordentlichkeit (Eselsbrücke: »aufräumen«). Ein altes Sprichwort sagt: Ein Platz für alles, und alles an seinem Platz. Ein Code-Abschnitt sollte da stehen, wo Sie ihn zu finden erwarten; und falls er nicht da steht, sollten Sie ein Refactoring von Ihrem Code vornehmen, so dass er danach an der erwarteten Stelle steht.
?Seiso oder Sauberkeit (Eselsbrücke: »wienern«). Sorgen Sie dafür, dass der Arbeitsplatz frei von herumhängenden Drähten, Müllspuren, Einzelteilen und Abfall ist. Was sagen die Autoren hier über die Vermüllung Ihres Codes mit Kommentaren und auskommentierten Codezeilen, die den Verlauf der Entwicklung oder Wünsche für die Zukunft wiedergeben? Weg damit.
?Seiketsu oder Standardisierung. Die kommt zu einem Konsens darüber, wie der Arbeitsplatz sauber gehalten werden soll. Hat dieses Buch etwas über einen konsistenten Codierstil und gemeinsam in der Gruppe befolgte Praktiken zu sagen? Wo kommen diese Standards her? Lesen Sie weiter.
?Shutsuke oder Disziplin (Selbst-disziplin). Dies bedeutet, die Disziplin aufzubringen, den Praktiken zu folgen, seine Arbeit regelmäßig zu überdenken und bereit zu sein, sich zu ändern.
Wenn Sie die Herausforderung – jawohl, die Herausforderung – annehmen, dieses Buch zu lesen und anzuwenden, werden Sie den letzten Punkt verstehen und schätzen lernen. Hier kommen wir schließlich zu den Wurzeln einer verantwortlichen professionellen Einstellung in einem Beruf, der sich um den Lebenszyklus eines Produktes kümmern sollte. So wie Automobile und andere Maschinen unter TPM vorbeugend gewartet werden, sollte eine Wartung im Falle eines Zusammenbruchs – also darauf zu warten, dass die Bugs sich zeigen – die Ausnahme sein. Stattdessen sollten Sie eine Ebene höher ansetzen: Inspizieren Sie die Maschinen jeden Tag und tauschen Sie Verschleißteile aus, bevor sie kaputtgehen, oder lassen Sie den sprichwörtlichen Ölwechsel vornehmen, um die Abnutzung des Motors möglichst zu verringern. Für Ihren Code bedeutet das: Nehmen Sie ein gnadenloses Refactoring vor. Sie können mit der Verbesserung noch eine Ebene höher ansetzen, wie es die TPM-Bewegung innovativ vor über 50 Jahren vorgemacht hat: Bauen Sie Maschinen, die von vornherein wartungsfreundlicher sind. Code lesbar zu machen, ist genauso wichtig, wie ihn ausführbar zu machen. Die ultimative Praxis, die in TPM-Kreisen etwa 1960 eingeführt wurde, besteht darin, die alten Maschinen vorbeugend durch vollkommen neue zu ersetzen. Wie Fred ?Brooks anmahnt, sollten wir wahrscheinlich Hauptteile unserer Software etwa alle sieben Jahre von Grund auf erneuern, um die schleichende Ansammlung von ?Cruft (Jargon: Müll, Staub, Unrat) zu beseitigen. Vielleicht sollten wir die von Brooks genannte Zeitspanne drastisch reduzieren und nicht von Jahren, sondern von Wochen, Tagen oder gar Stunden sprechen. Denn dort finden sich die Details.
??Details haben eine mächtige Wirkungskraft. Dennoch hat dieser Ansatz etwas Bescheidenes und Grundsätzliches, so wie wir es vielleicht stereotyp von einem Ansatz erwarten, der japanische Wurzeln für sich in Anspruch nimmt. Aber dies ist nicht nur eine köstliche Art, das Leben zu sehen. Auch die westliche Volksweisheit enthält zahlreiche ähnliche Sprichwörter. Das Seiton-Zitat von oben floss auch aus der Feder eines Priesters in Ohio, der Ordentlichkeit buchstäblich »als Gegenmittel für jede Art von Bösem« sah. Was ist mit Seiso? Sauberkeit kommt gleich nach Göttlichkeit. So schön ein Haus auch sein mag, ein unordentlicher Tisch raubt ihm seinen ganzen Glanz. Was bedeutet Shutsuke in diesen kleinen Dingen? Wer an wenig glaubt, glaubt an viel. Wie wär’s damit, das Refactoring des Codes rechtzeitig durchzuführen, um seine Position für folgende »große« Entscheidungen zu stärken, als die Aufgabe aufzuschieben? Ein Stich zur rechten Zeit erspart dir neun weitere. Wer früh kommt, mahlt zuerst. Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. (Dies war die ursprüngliche Bedeutung...