2.1 Symptome als Hilfen bei der Mittelfindung
Wichtig für das Verständnis des Homöopathen ist, dass die Symptome des Patienten nicht Feinde, sondern Verbündete sind. Denn das Abwehrgefüge beginnt immer dann Symptome zu produzieren, wenn es notwendig ist, die inneren, lebenswichtigen Organe zu schützen. Somit offenbaren die Symptome, auf welche Weise das Abwehrgefüge funktioniert. Hier liegt der große Unterschied zwischen homöopathischer und allopathischer Behandlung: In der Homöopathie wurden Substanzen am Menschen geprüft, um zu erfahren, wie sie den menschlichen Organismus beeinflussen. Die so erzeugten Symptome, die bei jeder Substanz unterschiedlich sind, enthüllen durch die Reaktionen des Abwehrgefüges ihren therapeutischen Wert. Vergleicht man nun die Symptome, die vom Abwehrgefüge mittels eines experimentellen Reizes erzeugt wurden, mit den Symptomen, die vom Abwehrgefüge bei entsprechender Krankheit hervorgerufen werden, findet man die eine Substanz, die in den Prüfungen den nun vorliegenden Symptomen des Patienten am ähnlichsten war. Auf diese Weise findet man das passende homöopathische Arzneimittel, mit dem das Abwehrgefüge des Patienten positiv stimuliert werden kann. Samuel Hahnemann beschrieb dieses „Gesetz der Heilung“ mit dem lateinischen Satz: „Similia similibus curentur“ – „Ähnliches wird durch Ähnliches geheilt“ ([1]).
Dass die Symptome, die ein homöopathisches Arzneimittel hervorrufen kann, den Symptomen sehr stark ähneln, die das Abwehrgefüge des Patienten im Zustand einer Krankheit erzeugt, bedeutet, dass beide einem ähnlichen Krankheitsbild angehören: Das homöopathische Arzneimittel und die Krankheit stimulieren das Abwehrgefüge auf ähnliche Weise. Wenn ein Patient ein solches Arzneimittel erhält, hat es einen positiven Einfluss auf die Arbeit des Abwehrgefüges. Nach einer möglichen Erstverschlimmerung kann der Organismus in die Homöostase zurückgebracht werden.
Ist der Organismus trotz seines krankhaften Zustands immer noch in einer guten Verfassung, wird das Abwehrgefüge ein Symptommuster ausbilden, das aus homöopathischer Sicht ein klares Bild hat. Ist das nicht der Fall, so wird nach homöopathischem Verständnis das Symptommuster weniger klar; und für den Homöopathen wird es schwieriger, das passende Arzneimittel zu finden.
2.2 Bewertung einer Behandlung
Für die Behandlung eines Patienten ist es wesentlich, das passende Arzneimittel zu finden. Es ist jedoch noch wichtiger, die Wirkung eines verabreichten Arzneimittels bewerten zu können und nach einer Verabreichung vollumfänglich zu verstehen, ob der Zustand des Patienten sich in die richtige Richtung, hin zu einer möglichen Heilung entwickelt. Hat der Homöopath kein tief greifendes Verständnis darüber, was sich gerade ereignet, könnte er – abgesehen von der Verzögerung eines möglichen Fortschritts – entscheidende Fehler in der Behandlung machen.
Leider glauben viele Homöopathen, durch das Verabreichen eines Arzneimittels und das Beseitigen einiger Symptome, Heilung herbeigeführt zu haben. Das ist, gelinde gesagt, eine Illusion. Vielmehr sollte sich der Homöopath an Richtlinien orientierten, die Auskunft darüber geben, ob sich die Gesundheit des Patienten in Richtung Heilung bewegt, oder ob nur palliativ (lindernd) behandelt oder sogar Symptome unterdrückt wurden ([2]). Werden diese allgemeinen homöopathischen Richtlinien nicht richtig verstanden, kann es vorkommen, dass er den Patienten, den er über mehrere Jahre behandelt hat, in demselben oder gar in einem schlechteren Zustand vorfindet als zu Beginn der Behandlung.
Zum Glück gibt es detaillierte Aufzeichnungen von homöopathischen Kasuistiken, deren Behandlungsverlauf über mehrere Jahre beobachtet wurde ([3]). Das Studium dieser Fälle hat zu einem gewissen Verständnis darüber geführt, wie das Abwehrgefüge in einem Heilprozess reagiert. Unzählige Beobachtungen haben gezeigt, dass sich im Falle einer Regeneration des Abwehrgefüges eine typische Abfolge von Ereignissen entwickelt. Dieses Muster, das folgende Beobachtungen enthält, dient als Richtlinie und wird als „Richtungen der Heilung“ ([4], [5]) bezeichnet.
2.2.1 Von innen nach außen
Eine heilende Bewegung geht vom Zentrum aus in Richtung Peripherie. Das Abwehrgefüge folgt bestimmten Wegen, um den Organismus vor einer Verschlimmerung zu bewahren. Einige dieser Wege sind gut bekannt, z. B. die Beziehung zwischen Ekzem und Asthma oder zwischen Gelenk- und Herzproblemen. Wenn die Richtung positiv ist, werden sich die Symptome von den wichtigen zu den weniger wichtigen Organen bewegen und von der mental-emotionalen Ebene zur physischen ([6]).
2.2.2 In umgekehrter Reihenfolge
In einem Heilungsprozess zeigen sich Symptome in der umgekehrten Reihenfolge ihres ursprünglichen Auftretens. Wurde das Abwehrgefüge – das Immunsystem – durch chemische oder andere Medikamente unterdrückt, scheint es sich später an die Verteidigungslinien zu erinnern, denen es während der Unterdrückung gefolgt war. Das heißt, dass das Abwehrgefüge dazu gezwungen wurde, die Störung auf eine tiefere Ebene vordringen zu lassen. Wie zuvor beschrieben, folgt es dabei bestimmten Wegen. Sobald der Organismus diese Unterdrückung mit Hilfe einer positiven Stimulation jedoch überwinden kann, wird er die Störung wieder nach außen befördern, indem er demselben Pfad folgt, den er zum Zeitpunkt seiner Schwächung eingeschlagen hat. In der Folge werden Symptome wieder auftreten, die während der Periode der Unterdrückung verschwunden waren – nun aber in umgekehrter Reihenfolge.
Wurde die akute oder chronische Erkrankung jedoch – unabhängig von der gewählten Behandlung – tatsächlich geheilt, werden sich die Störungen nicht wieder manifestieren. Ist der gegenwärtige Zustand hingegen das Ergebnis der Unterdrückung einer vorangegangenen Krankheit, werden die entsprechenden Symptome erneut auftreten. Menschen, die an einer chronischen Erkrankung leiden und vor dem Auftreten dieser chronischen Krankheit wiederholt akute Krankheiten mit hohem Fieber durchlitten, werden z. B. nach der richtigen Behandlung noch einmal akute Krankheiten mit hohem Fieber bekommen, da ihr Immunsystem sich nun in einer besseren Verfassung befindet.
2.2.3 Von oben nach unten
Während eines Heilungsprozesses bewegen sich die Symptome von oben nach unten. Ein Ekzem wird z. B. vom Gesicht und Oberkörper zu den Extremitäten wandern und den Körper durch die Hände und Füße verlassen. Diese Beobachtung ist jedoch weniger wichtig als die beiden zuvor beschriebenen, da etwa während der Verbesserung eines asthmatischen Zustands eine Rhinitis wieder auftreten wird, die zu Beginn der Erkrankung unterdrückt wurde. Diese Bewegung hin zu den oberen Atemwegen verläuft in der richtigen Richtung, da die Schleimhäute der Nase weiter außen liegen und dies weniger gefährlich ist, als wenn die Lunge betroffen ist.
Alle diese Richtlinien können uns verstehen helfen, ob die therapeutische Stimulation einen positiven oder negativen Einfluss auf das Abwehrgefüge hat und ob sich der Zustand in Richtung einer möglichen Heilung oder einer Unterdrückung bewegt.
Details zu den bisherigen Erklärungen, die vielleicht allzu einfach und eindimensional erscheinen mögen, werden später in diesem Buch gegeben. Über diese traditionellen „Richtungen der Heilung“ hinaus können nach dem Studium dieses Buches die von mir gemachten Beobachtungen hinsichtlich der „Ebenen der...