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Byzanz

Geschichte des oströmischen Reiches 326-1453

AutorRalph-Johannes Lilie
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2013
ReiheBeck'sche Reihe 2085
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783406615467
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die Darstellung von über tausend Jahren byzantinischer Geschichte bietet dem Leser einen kompetenten Überblick über die wichtigsten Entwicklungen der Ereignisgeschichte von den Anfängen des vierten Jahrhunderts bis 1453 und verweist auf deren Kontinuitäten und Brüche. Zusammen mit einer ausführlichen Zeittafel sowie einem Glossar im Anhang ist der Band eine äußerst informative Einführung in die Geschichte 'Ostroms'.

Ralph-Johannes Lilie lehrte von 1984 bis 2006 als Professor für Byzantinistik an der Freien Universität Berlin und ist seit 1992 Arbeitsstellenleiter am Akademienvorhaben 'Prosopographie der mittelbyzantinischen Zeit' an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Er gilt aufgrund zahlreicher Veröffentlichungen als vorzüglicher Kenner der byzantinischen Geschichte.

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Leseprobe

Einleitung


Unter den Staaten des frühen Mittelalters nahm das byzantinische Reich eine Sonderstellung ein, die es von allen anderen unterschied und es im Wortsinn zu einem „Unikum“ werden ließ: Alle anderen Staaten auf dem Boden des ehemaligen Römischen Reiches – genannt seien nur die Reiche der Franken, der Wandalen und der Ost- und Westgoten – waren Neugründungen, die zwar Teile des römischen Erbes übernahmen, aber doch ganz konkret neue Anfänge setzten, die in ihrer Folge zu eigenen Identitäten führten und auch eigene Traditionen begründeten. Anders Byzanz: Byzanz war kein neuer Staat, und die byzantinische Geschichte stellte auch keinen Neuanfang dar, sei er nun auf revolutionäre Weise oder auf dem Weg der Evolution erfolgt. Byzanz war Rom! Seine Kaiser konnten sich in ungebrochener Tradition bis auf Caesar und Augustus zurückführen, ja einige seiner Institutionen und Traditionen reichten noch weiter zurück bis in die Anfänge der römischen Republik. Und so war es auch natürlich, daß die Byzantiner sich selbst als Römer fühlten und auch so bezeichneten: Ihr Reich war die Basileia ton Rhomaion, was nichts anderes ist als die griechische Entsprechung des lateinischen Imperium Romanum, eben des Römischen Reiches. Dieses Reich, für das wir erst seit der Neuzeit den Namen „Byzanz“ benutzen, war auch nicht das Ergebnis einer Teilung des Römischen Reiches, denn dieses Reich ist nie geteilt worden. Es wurde nur im vierten Jahrhundert administrativ in zwei große Teile gegliedert, die ihrerseits wieder unterteilt wurden, weil sein Herrschaftsgebiet zu umfangreich geworden war, als daß man von einem einzigen Zentrum aus die immer zahlreicher werdenden Probleme an den verschiedenen, weit auseinander liegenden Grenzen hätte lösen können. Aber jeder Bewohner dieses Reiches, ob im Osten oder Westen, Norden oder Süden, fühlte sich als Römer, als Romanus, oder eben, wie ein Grieche es ausgedrückt hätte, als Rhomaios.

Rom war im Bewußtsein des frühen Mittelalters keineswegs untergegangen, sondern hat fortgelebt, wenn auch in einem geographisch reduzierten Rahmen. Das wurde auch von den germanischen Staaten, die auf dem Boden des untergegangenen weströmischen Reichsteils entstanden waren, so gesehen. – Diese Tatsache und ebenso das Wissen um diese Tatsache stellte den Kaiser in Konstantinopel in eine nachgerade einzigartige Tradition und verlieh ihm ein Übergewicht über alle anderen Herrscher des frühen Mittelalters, das von diesen auch mehr oder weniger ausnahmslos anerkannt wurde.

Die Begründung für diese Ausnahmestellung ist relativ einfach: Rom war in jedem, und zwar in jedem nur denkbaren Bereich einzigartig gewesen: in seiner Größe wie in seiner Macht, in seinem Alter wie in seiner Kultur. Außerhalb Roms gab es nichts, was ihm gleichkam. Rom umfaßte, von dem fernen und für den Römer ohnehin unbegreiflichen Orient einmal abgesehen, die ganze bewohnte Welt, die Oikoumene im eigentlichen Wortsinn. Rom bildete zugleich den Höhe- und Endpunkt einer ganzen Epoche. In ihm fand sich die gesamte antike Kultur, lebte nicht nur das Lateinische, sondern auch das Griechische, die Verkehrssprache der Gebildeten im Reich.

Ein weiterer Punkt darf gleichfalls nicht unterschätzt werden. Für das Christentum war dieses Reich nachgerade unverzichtbar! Seine Existenz erst schuf die Möglichkeit zur raschen Ausbreitung des christlichen Glaubens. In ihm lebten die Kirchenväter, hatte Konstantin der Große den Siegeszug der Kirche zu seinem eigenen gemacht und das Schicksal des Reiches mit dem neuen Glauben verbunden. Für viele Christen der ausgehenden Antike und des beginnenden Mittelalters war die Vorstellung, daß Rom untergehen könnte, gleichbedeutend mit dem Weltende und der Ankündigung des Jüngsten Gerichts.

Ob diese Glorifizierung Roms tatsächlich berechtigt war, brauchen wir nicht zu untersuchen. Entscheidend ist, daß man es in der Spätantike und im frühen Mittelalter, bewußt oder unbewußt, so empfunden hat. Und dadurch, daß Rom eben der Kulminationspunkt einer ganzen Epoche gewesen war, der in dieser Ausschließlichkeit nie wieder erreicht worden ist, mußte es demjenigen, der dieses Reich verkörperte, ja der es war, wenn auch nur noch in Teilen, einen Nimbus verleihen, dem kein anderer Herrscher etwas Gleichwertiges entgegensetzen konnte.

Und eben dieses Römische Reich verkörperte Byzanz, auch als die Stadt Rom selbst nicht mehr seine Hauptstadt bildete, sondern Konstantinopel – das „neue Rom“, das von Konstantin an der Stelle des alten Byzantion gegründet worden war und das Last und Ehre Roms übernahm: die Tochter, die die erschöpfte Mutter ablöste. Und so war auch der byzantinische Kaiser kein Nachfolger oder gar Erbe des römischen Kaisertums, sondern der byzantinische Kaiser war der römische, in einer direkten, ununterbrochenen Sukzession von Caesar und Augustus bis hin zu Konstantin XI. Palaiologos im 15. Jahrhundert. Diese Tatsache blieb für alle, vor allem aber natürlich für die Einwohner des byzantinischen Reiches selbst, durch lange Jahrhunderte hindurch eine Selbstverständlichkeit. Sie bestimmte als quasi unumstößliche Realität das Bewußtsein eines jeden Byzantiners, wann und wo er auch lebte, und verlieh seiner Existenz unter allen Völkern der Welt eine besondere und einzigartige Qualität. Das daraus resultierende Selbstbewußtsein wiederum befähigte ihn, die Rückschläge und Niederlagen, die Byzanz in der wirklichen Welt hinnehmen mußte, zu verdrängen und auf die Angriffe von außen mit einer an Hochmut grenzenden Nichtachtung zu reagieren.

Aber wenn Rom das gefeierte Vorbild war, das jedem Byzantiner im Vergleich zu den „Barbaren“ außerhalb die eigene Überlegenheit unwiderlegbar bestätigte, so hatte dies natürlich auch eine Kehrseite. Der Blick auf die glänzende Geschichte Roms – mochte man sie auch ganz als die eigene empfinden – forderte natürlich zwingend den Vergleich mit der Gegenwart heraus: Und so überlegen Byzanz aufgrund seiner Vergangenheit jedem Barbarenstaat war, so unterlegen war es seinerseits dem alten Imperium Romanum. Letzten Endes mußte ein solcher Blick in den Spiegel lähmend wirken und zu einem fortwährenden Minderwertigkeitsgefühl führen, und da man dem gefeierten Vorbild praktisch in keinem Bereich gleichwertig war, blieb entweder nur die völlige Abwendung – die aber nicht in Frage kam, wollte man nicht die eigene Stellung gegenüber der Außenwelt preisgeben – oder aber die mehr oder weniger sklavische Nachahmung des alten Vorbilds. Diese Mimesis, wie sie genannt wird, wurde zu einem der wesentlichen Charakterzüge der byzantinischen Gesellschaft. Sie galt sowohl für den politischen Bereich, als auch und darüber hinaus für die ganze innere Einstellung des Byzantiners, und zwar immer besonders dann, wenn die Existenz des Reiches von außen bedroht war oder es seine solche Bedrohung gerade überstanden hatte. So erklären sich die verschiedenen „Renaissancen“, die die Forschung in der byzantinischen Geschichte wiederholt konstatiert hat, insbesondere die „makedonische“ im 9./10. Jahrhundert, die „komnenische“ im 12. und die „palaiologische“ im 14. Jahrhundert. Sogar noch im 15. Jahrhundert, kurz vor dem endgültigen Fall, versuchte man, die griechische Antike – auch sie war ja im Römischen Reich aufgegangen – wiederzubeleben, um auf diese Weise einer tristen Wirklichkeit zu entfliehen.

So wirkt Byzanz, trotz aller Änderungen im einzelnen, insgesamt statisch; es blieb zeit seiner Existenz auf die Vergangenheit fixiert. Die wenigen Versuche, Erstarrung und Verkrustung zu durchbrechen – etwa der Bilderstreit (Ikonoklasmus) im 8., die angestrebte Westöffnung des Reiches unter Manuel Komnenos im 12. oder die Bemühungen während des 14. Jahrhunderts, das westliche Denkgebäude der Scholastik für Byzanz zu erschließen – brachten nicht den gewünschten Erfolg und führten im Gegenteil eher zu einem härteren Widerstand gegen solche Neuerungen: Byzanz versuchte um so verzweifelter, die Vergangenheit wiederzubeleben, um sich seiner Identität zu versichern, je trostloser die zeitgenössische Realität wurde.

Diese Identifikation mit dem alten Rom hatte jedoch nur bis etwa zum 8. Jahrhundert einen einigermaßen vernünftigen Bezug zur Wirklichkeit, danach wurde sie zunehmend illusionär. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an den Verlust der Stadt Rom, an die „Gräzisierung“ des Reiches, die Unabhängigkeit des Papsttums, die zu einer verstärkten Konkurrenzsituation führte, und schließlich an die Entstehung des westlichen Kaisertums, die den Ausschließlichkeitsanspruch der Byzantiner ad absurdum führte. Dennoch hatte die Identifikation zu diesem Zeitpunkt bereits ein solches Eigenleben entwickelt, daß sie die gleichsam offizielle Ideologie bleiben konnte.

Dieses ideologische Beharrungsvermögen wird durch die Kontinuität der staatlichen Institutionen erleichtert: Byzanz hat nie eine echte Revolution erlebt, sondern seine Entwicklung blieb immer...

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