Einführung
In der alten sassanidischen Hauptstadt Ktesiphon am Tigris traf um das Jahr 628, wie die Überlieferung wissen will, ein Brief des Propheten Mohammed ein, der den persischen Großkönig dazu aufforderte, sich zum Islam zu bekehren. Für Iran zog damit ein neues Zeitalter herauf, wenn dies auch für die Zeitgenossen sicherlich nicht erkennbar war. Nur wenige Jahre später jedoch unterwarfen die Araber, von ihrer neuen Religion beflügelt, das Sassanidenreich, das nun ein Teil der islamischen Welt wurde. Die arabische Eroberung bedeutete den tiefsten Bruch in der damals schon über ein Jahrtausend alten Geschichte Irans und vielleicht sogar ein einzigartiges historisches Phänomen, führte sie doch dazu, daß ein ganzes Volk seine eigene vielfältige religiöse Tradition aufgab und sich einem neuen Glauben zuwandte. Iran wurde zu einem islamischen Land, und dies, verglichen mit seiner langen Vergangenheit, in verhältnismäßig kurzer Zeit. Die inzwischen weit mehr als ein Jahrtausend umfassende islamische Geschichte Irans hat jedoch gezeigt, daß Iran weder von der gewaltigen islamischen Expansion des 7. Jahrhunderts absorbiert wurde noch seine vorislamische Geschichte vollständig vergessen hat; es hat den ihm ursprünglich fremden Islam mit seinem alten Erbe zu einer eigenen iranisch-islamischen Kultur verschmolzen. Diese hat durch die Jahrhunderte weite Teile der islamischen Welt geprägt und auch so manchen europäischen Dichter zu seinen Werken inspiriert, von denen Goethes West-Östlicher Diwan eines der bekanntesten und gewiß auch eines der schönsten ist.
Das Territorium des heutigen Staates Iran (amtlich: Islamische Republik) umfaßt ein Gebiet von rund der viereinhalbfachen Größe Deutschlands und befindet sich etwa auf der gleichen Höhe wie Südeuropa und Nordafrika: Teheran und Gibraltar sowie Kairo und Schiras liegen auf demselben Breitengrad. Iran ist ein Land der hohen Gebirge und trockenen, wüstenhaften Becken zwischen dem Kaspischen Meer – das eigentlich ein riesiger, abflußloser Binnensee ist – im Norden und dem Persischen Golf im Süden. Die gewaltigen Bergzüge des Elburs im Norden, des Zagros im Westen, der in mehreren Ketten nach Südosten zieht, und der ostiranischen Grenzgebirge, die gen Norden durch Afghanistan im Hindukusch zusammenlaufen, umgeben das iranische Hochplateau. Dieses zentrale Hochland wird seinerseits durch Gebirgszüge in unterschiedlich große Becken zerlegt. Am häufigsten sind Kies- und Salzwüsten wie die Kawîr und die weiter südlich liegende Lût mit völlig sterilen Salztonflächen. Die wenigen Flüsse versiegen meistens im Schutt solcher Senken. Iran ist ein überwiegend trockenes, niederschlagsarmes Land, das schon seit dem Altertum auf künstliche Bewässerung für den Ackerbau angewiesen war. Nur in wenigen Gebieten wie in den Niederungen um das Kaspische Meer war und ist wegen der regelmäßigen Niederschläge Regenfeldbau möglich.
Während langer Zeiträume seiner Geschichte in islamischer Zeit umfaßte der iranische Kulturraum jedoch ein geographisch weitaus größeres Gebiet, als es der Staat Iran in seinen heutigen Grenzen ist. Mesopotamien, das Teil des Sassanidenreiches gewesen war und dessen Residenz Ktesiphon in der Nähe des 762 neugegründeten Bagdad, der Hauptstadt des abbasidischen Kalifats (749–1258), lag, gehörte ebenso dazu wie das Gebiet des heutigen Afghanistan und Transoxanien, das Land zwischen den Flüssen Amu Darya und Syr Darya, dem antiken Oxus und Jaxartes. Der Name «Iran» leitet sich her vom mittelpersischen Êrân, dessen vollständige Form Êrânschahr oder Êrânzamîn lautet, zu deutsch «Arierland» (êrân als Genitiv Plural von êr, «Arier»). Obgleich es den Begriff des Arischen bereits im altpersischen Reich der Achämeniden (558–330 v. Chr.) gab, ist Êrân als Bezeichnung für eine politische, religiöse und ethnische Einheit erst in der Zeit der Sassaniden (224–651), der letzten vorislamischen Dynastie auf persischem Boden, zu einem festen bedeutungsvollen Begriff geworden. Nach der Eroberung Irans durch die Araber bildete das Land – nunmehr Teil der weiträumigen islamischen Ökumene – kein festumrissenes Territorium mehr, sondern zerfiel in einzelne Provinzen mit eigenen Namen (wie Chorâsân, Fârs, Aserbeidschan), während die alte Bezeichnung Êrân mit der untergegangenen Dynastie der Sassaniden als historisierender Begriff für ihr Reich verbunden blieb. Mit dem alten Namen Irânzamîn, der unmittelbar dem mittelpersischen Original folgt, erscheint das Land Persien im sogenannten iranischen «Nationalepos», dem Schâhnâmeh (Königsbuch) des Ferdousî, um das Jahr 1000. Als politische Bezeichnung eines Reiches tauchte «Iran» jedoch erst unter der Herrschaft der Mongolen im 13. Jahrhundert wieder auf. Seither war der Begriff mit der Vorstellung von Größe und Einheit Persiens verknüpft, die spätere Dynastien, zuletzt die der Pahlavi (1925–1979), mit Leben zu füllen versuchten. Der Name «Persien» bezeichnete dagegen ursprünglich eine Landschaft im Südwesten des Landes, altpersisch Pârsa, die die Griechen Persis nannten, arabisiert Fârs, und war somit ein rein geographischer Begriff.
Die lange vorislamische Vergangenheit Irans, in der es drei persische Großreiche – die der Achämeniden, Parther und Sassaniden – gegeben hatte, ist möglicherweise dafür verantwortlich, daß Historiker unserer Tage nicht selten dazu neigen, Iran auch in islamischer Zeit als eine Einheit anzusehen und überall nach Zeichen eines sich gegenüber anderen Völkern behauptenden iranischen Nationalgefühls zu suchen. Nach dieser Sicht der Dinge werden Araber und Iraner als grundsätzlich feindliche Gruppen aufgefaßt; nach ihrer anfänglichen Unterwerfung durch die Araber hätten die Iraner später unter einheimischen persischen Dynastien zu neuer nationaler Selbstbehauptung gefunden. Eine solche durchgängig nationale Interpretation der iranischen Geschichte muß zwangsläufig zu einem verzerrten Bild führen, überträgt man doch einen fest umrissenen Begriff der neuzeitlichen Geschichte Europas auf weit zurückliegende Epochen, die von völlig anderen Faktoren geprägt waren. Sie übersieht desgleichen, daß Iran schon seit dem Altertum ein Vielvölkerstaat war und es bis heute geblieben ist, man demnach nicht einen volksgebundenen Begriff der Nation zugrundelegen darf. Wohl aber waren im Laufe der vorislamischen Geschichte Persiens politische und kulturelle Traditionen sowie ein eigener iranischer Staats- und Herrschaftsgedanke entstanden, die den iranischen Kulturraum einten und ihm seine besonderen Charakteristika verliehen. Diese Traditionen überlebten, wenigstens als Idee, die Islamisierung Persiens und trugen das ihre zur Ausprägung einer eigenen iranischen Variante der islamischen Kultur bei. Das Bewußtsein einer großen Vergangenheit äußerte sich in einem ausgeprägten Überlegenheitsgefühl der Iraner gegenüber anderen Völkern, auch wenn diese Iran ihrer Herrschaft unterworfen hatten – wie Araber, Türken und Mongolen –, und fand seinen Niederschlag im iranisch-islamischen Schrifttum. Besonders deutlich wird das Festhalten der Iraner an ihren eigenen Traditionen daran, daß sie zwar, gleich anderen Völkern, letztendlich ihre althergebrachte Religion aufgaben, nicht aber ihre Sprache. Persisch ist die einzige Sprache in den von den muslimischen Arabern eroberten Gebieten des Nahen und Mittleren Ostens, die diesen Umbruch der Verhältnisse nicht nur überlebt, sondern sich neben dem Arabischen schon früh als bedeutende Sprache des islamischen Kulturkreises behauptet hat.
In diesem Buch sollen die hauptsächlichen Entwicklungsprozesse und Wandlungen nachgezeichnet werden, die die Geschichte Irans seit seiner Islamisierung geformt und dem Land seine heutige Prägung gegeben haben.
Der Stoff ist in vier Hauptkapitel aufgeteilt, die zeitlich klar definiert sind und jeweils eine längere, in der Regel mehrere Jahrhunderte umfassende historische Epoche behandeln, in der wichtige Veränderungen und Weichenstellungen für künftige Entwicklungen zu beobachten sind. Die erste Periode reicht von der arabischen Eroberung Irans, die durch die Schlacht von Nehâwand (642) bereits zugunsten der Muslime entschieden war, bis zur Eroberung Bagdads, der Hauptstadt des Kalifats, durch die Seldschuken (1055). In diesen Jahrhunderten heftiger innerislamischer Auseinandersetzungen um die Frage der legitimen Herrschaft entstand unter dem Kalifat der Abbasiden seit dem 8. Jahrhundert die «klassische» mittelalterliche Kultur des Islams, die in hohem Maße von den alten vorislamischen Kulturen des Orients, insbesondere der iranischen, gespeist wurde. Mit den Seldschuken begannen die langen Jahrhunderte des Einströmens türkischer, später auch mongolischer Nomaden aus Innerasien nach Iran; letztere beseitigten 1258 das Kalifat der Abbasiden. Diese Epoche ist durch wachsenden Nomadismus und zunehmenden wirtschaftlichen Verfall großer Landesteile, aber auch durch glänzende...