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E-Book

Ein Frühling in Jerusalem

AutorWolfgang Büscher
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783644117914
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Wolfgang Büscher in Jerusalem: Zwei Monate hat er in der Altstadt gelebt, erst in einem arabischen Hostel am Jaffator, dann in einem griechischen Konvent aus der Kreuzritterzeit. Er war einfach da, und doch hat er sich auf fast zweitausend Jahre alten Spuren bewegt - schon in den ersten Jahrhunderten nach Christus gingen Europäer nach Jerusalem, um eine Weile zu bleiben oder sogar ganz. Büscher bewegt sich durch die Räume, den Widerhall dieser zweitausend Jahre. Ein Ort, aufgeladen mit Religion, Prophetie, Politik. Früh um fünf auf dem Ölberg stehend, kann man es hören und sehen - erst die Muezzine, dann die Glocken, dann das erste Sonnenlicht auf der goldenen Kuppel des Felsendoms. In all das taucht Büscher ein. Er hört Jerusalem zu, nimmt seine Bilder und Stimmen auf, dringt immer tiefer ein in die Geheimnisse der Stadt. Verbringt die Tage im arabischen, christlichen, jüdischen Viertel, in den halbdunklen Gassen und Souks, auf der Via Dolorosa, an der Klagemauer und in Gewölben, in denen arabische Männer Kardamomkaffee trinken und Wasserpfeife rauchen. Er läuft durchs Kidrontal, durch den Garten Gethsemane, wandert über das Dach von Jerusalem und lässt sich eine Nacht lang in der Grabeskirche einschließen. Ein Frühling in Jerusalem: eine einzigartige Reise in eine unerschöpfliche Vergangenheit, in eine faszinierende Gegenwart.

Wolfgang Bu?scher, geboren 1951 bei Kassel, ist Schriftsteller und Autor der «Welt». «Er hat der Reiseliteratur», wie es im «Deutschlandfunk» hieß, «zu neuem Glanz verholfen.» Zu seinen Veröffentlichungen zählen «Berlin - Moskau» (2003), «Deutschland, eine Reise» (2005), «Hartland» (2011) und «Ein Fru?hling in Jerusalem» (2014). Fu?r sein Werk wurde Wolfgang Bu?scher vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Kurt-Tucholsky-Preis, dem Johann-Gottfried-Seume-Literaturpreis und dem Ludwig-Börne-Preis.

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Leseprobe

Ist Jerusalem schön?


Mein Weg zum anderen Felsen führte durch die Christian Quarter Street, die Hauptachse des Christenviertels. Hier in der Nähe der Grabeskirche werden die angebotenen Devotionalien edler und, wie ich bald erfuhr, die Angelkünste der Pilgerfischer subtiler. Einer kam auf mich zu, treuherzig abwinkend, sonor meine Skepsis beschwichtigend: «No business, Sir, just a question, nur eine Frage – Sie sprechen doch deutsch?»

Er selbst sprach ziemlich akzentfrei deutsch und bewies nebenbei sein Talent, den Vorüberströmenden ihre Nationalität anzusehen. Woran? Am Gesicht, an den Gesten, an ihrer Art, sich durch diese fremde Welt zu bewegen. Nicht so sehr an der Kleidung, fast alle Fremden trugen die gleiche Freizeitkluft. Nur die russischen Pilgerinnen erkannte man schon von weitem an ihren frommen Kopftüchern.

Der Mann beteuerte, er bitte nur um eine Sprachauskunft, eine kleine Formulierungshilfe. Sein Vater habe nämlich ein offizielles Schreiben an das deutsche Konsulat zu richten, es gehe um den Kauf von Spezialmaschinen zur Verarbeitung von Halbedelsteinen aus Idar-Oberstein. «Wir lassen unseren Schmuck in Jordanien herstellen, wissen Sie, und importieren die Maschinen dafür aus Deutschland.»

Das klang nicht unplausibel, und die Frage, die er mir stellte, nachdem er mich in seinen Laden gebeten hatte, konnte ein arabischer Geschäftsmann aus Jerusalem, der mit dem deutschen Konsulat korrespondierte, durchaus haben. Es ging um die korrekte Grußformel am Ende. «Schreibt man in diesem Fall ‹Hochachtungsvoll› oder ‹Mit freundlichem Gruß›?»

«Es handelt sich um einen offiziellen Brief, nicht etwa an einen Bekannten?»

«So ist es.»

«Dann schreiben Sie: Hochachtungsvoll.»

«Ich werde es meinem Vater sagen, vielen Dank. Und sehen Sie hier, solche Dinge sind es, die wir herstellen. Darf ich Ihnen ein paar schöne Stücke zeigen? Sie bleiben doch auf einen Kaffee?»

Ich mußte ihn bewundern, er hatte mich eingefangen auf eine elegante und liebenswürdige Art, eine jedenfalls, die mir neu war. Aber schon bald begriff ich, nur ich war hier neu, darum hatte der Kniff gewirkt. In den nächsten Tagen wurden etliche mehr solcher treuherzigen Bitten um kleine Formulierungshilfen an mich herangetragen. «No business, Sir, nur eine Frage.»

Gut, sagte ich mir, die Basartaufe ist überstanden, und spielte den Ball mit der gleichen Liebenswürdigkeit zurück. «Sehr gern, Habibi, jetzt bin ich leider in Eile, aber morgen habe ich Zeit. Oder übermorgen, sprich mich nur an, wir sind ja Nachbarn, Habibi, ich wohne gleich um die Ecke.» Ich wurde immer besser, trat geschmeidiger auf, das war das Geheimnis. Schwimmen, nicht fuchteln und sträuben. Allmählich hatte ich diesen gewissen Gestus raus, der mich unbehelligt durch den Basar gleiten ließ und die Händler auf Abstand hielt. Ihr Lockruf war nur mehr ein Geräusch, wie Sprühregen, durch den ich ging. Er drang an mich, aber er bedrängte nicht mehr.

Ein Tagträumender, so ging ich durch das alte Jerusalem, meine Klause für die nächsten Monate. Sie machte mir das Tagträumen leicht. Morgenland! So roch es, so klang es, so sah es aus, und im nächsten Moment läuteten Kirchenglocken wie an einem Sonntagmorgen in Köln. Abendland! Auf einmal roch es und klang es und sah sogar aus wie daheim. Nur das richtige Türchen mußte ich öffnen und stand im Parlando eines italienischen Klosters, im Weihrauchnebel einer kleinen griechischen Kirche, im Goldglanz eines russischen Nonnenkonvents, im kaiser-und-königlichen Hospiz an der Via Dolorosa oder in einem wahrhaftigen Wiener Kaffeehaus, wo junge Araber warmen Apfelstrudel zur Melange servierten oder eine Tiroler Brotzeit zum Gösser-Bier.

Frühmorgens meist, wenn es den Basarbetrieb nicht zu sehr störte, zogen Prozessionen von Station zu Station. Pilger aus Rio de Janeiro und aus Krakau, aus Kalkutta und Chicago, einer vorweg, ein großes Holzkreuz tragend. Ein Zug Fallschirmjäger kreuzte den Weg der Pilger, das sachte Klackern, wenn die herabhängenden Sturmgewehre an ihre Beine schlugen. Vielleicht waren sie unterwegs zur Klagemauer, vielleicht fand dort eine Rekrutenvereidigung statt. Ein anderer Zug kreuzte. Statt verbeulter Stahlhelme trugen diese Männer storchennestgroße Fuchsfellhüte auf den Köpfen und statt der M16 gerieten ihre herabhängenden Schläfenlocken ins Schlenkern, so eilig hatten sie es von ihrem Viertel Mea Shearim zur Klagemauer, ein Weg, der direkt durchs Moslemviertel führt.

Das Arabische ist der Mörtel des alten Jerusalem. Das, was immer da ist, der Sand in den Ritzen, der Sound in der Luft. Die jäh und immer wieder unerwartet einsetzende Rezitation der Suren, vom Minarett herab oder von einer CD. Manche Händler spielten sie so laut ab, daß es die halbe Gasse hörte und ihre Geschäfte zum Erliegen kamen. Ein flüchtiger Seitenblick in die Tiefe eines Ladens konnte den Moment erfassen, in dem der Friseur, der mich immer grüßte, der Antiquitätenhändler, der immer fragte, wann ich hereinschaue, der Chef des Internetcafés, in dem oft dieser dicke griechische Mönch beim Ballerspiel saß – daß sich diese Männer mit beiden Händen übers Gesicht strichen und, auf dem Gebetsteppich kniend, gen Mekka beugten.

Arabien, das sind die beleibten Frauen am Damaskustor, mitten im Passantenstrom auf der Gasse sitzend, ihn teilend wie Felsen die Flut, vor sich ihre Ware, kleine Kräuterhaufen auf Plastikplanen. Und natürlich die Kaffeesieder in ihren düsteren Gewölben, diese Virtuosen der Kupferkännchen über den lodernden Flammen ihrer Gaskocher. Nicht zu vergessen die Jungen, die durch die Reihen der Alten gehen, um deren Wasserpfeifen mit frischer Kohle zu versorgen, als handelten sie im geheimen Auftrag, die arabische Glut nie erlöschen zu lassen.

Schließlich ihre kleinen quirligen Brüder, stets auf dem Sprung, den großen Bleichgesichtern, diesen immer etwas ungelenken, sperrigen Abendländlern, die sich ins arabische Gewirr getraut haben und nun nicht recht weiterwissen, die Orientierungsnot vom Gesicht abzulesen und diese schwerfälligen Wesen wieder aus der Wildnis herauszuführen wie junge Hirten ein verirrtes Tier, gegen einen Lohn, den sie lautstark fordern, mit rauher Stimme schon sie, die den Stimmbruch noch vor sich haben.

Auch wenn die Stadt voller Pilger war, voller Nonnen und Mönche, voller Kirchen, Hospize, Patriarchate, Klöster und Kreuzwegstationen – das christliche Herz Jerusalems schlägt in einem orientalischen Körper.

Nichts für schwache Nerven war dieses Durcheinander aus Himmel und Erde, aus Allerheiligstem und Rinnsalen von Wasser und Blut, in der Gasse der Schlachter. Das Chaos der Düfte. Herrlich roch es aus der schwärzlichen Bäckerhöhle nach frischem Brot, aus dem Laden für Eisenwaren nach Eisen, gleich darauf süßlich nach frischen Innereien. Clash der Dünste und Offenbarungen als Normalzustand. Sich kreuzende, ineinander bohrende, einander ignorierende Züge und Prozessionen der gegensätzlichsten Art auf diesem einen Quadratkilometer. Pilger und Soldaten, Bettler und Irre, Gläubige und Geschäftemacher, Freund und Feind, Russen und Amerikaner, Juden und Araber, Türken und Armenier, und das alles in der Enge der uralten Tunnel und Gassen.

Im jüdischen Viertel gaben sich die Bettler als fromme Juden aus, ließen sich Bärte wachsen, warfen sich in lange schwarze Mäntel und segneten jeden, der ihnen unterkam. Legten ihm, ob er wollte oder nicht, die Hand aufs Haupt, murmelten nachlässig etwas dazu, nötigten ihm die Gabe ab. Im Moslemviertel kostümierten die Bettlerinnen sich als fromme Moslems. Vollverschleiert zu schwarzen Gespenstern, saßen sie auf der Gasse, lebende Appelle an die Pflicht zur milden Gabe.

Bei den Verrückten war es so: Die weiblichen unter ihnen zogen es vor, drinnen verrückt zu sein, sie gingen in Cafés und Kirchen um, ihre Verrücktheit wirkte in der Intimität der Räume. Die Männer aber waren draußen verrückt, ihr Wahnsinn, schweifender als der weibliche, brauchte die Weite der großen Stadttore und Plätze.

Manchmal schloß ich die Augen, dann war Jerusalem ein Duft aus glühender Wasserpfeifenkohle, Unrat und starken Gewürzen, ein Wirrwarr aus heiseren Rufen und Glocken, hellen und harten. Die geflüsterte Bitte der Bettlerin wehte heran, übertönt von Pilgergesang und frommen Rezitationen der Eiligen, unterwegs zum Felsendom oder zur Klagemauer, dann wieder unbefangen lautes Geplapper, oft russisch oder amerikanisch.

Jerusalem eine Stadt zu nennen, wäre irreführend – eine Stadt, verstanden als halbwegs planvolles, lesbares Menschenwerk aus Straßen und Häusern. Sollte ich es einem schildern, der es nicht kennt, ich würde ihn bitten, nicht an Städte zu denken. Ein Brot ist Jerusalem, ein hartes Brot, gebacken nach uraltem Rezept, gewürzt mit Geschichten, Geheimnissen, Prophetien. Als habe jemand das alles lange geknetet und in den Jahrtausendofen geschoben, so einen, wie ich sie frühmorgens sah, wenn die Bäckerjungen aus den väterlichen Backhöhlen stiegen, das duftende Brot auf Brettern auf der Schulter tragend.

Die Jerusalem-Sehnsucht hat zu allen Zeiten die unterschiedlichsten Liebhaber ergriffen. Von den ersten Jahrhunderten nach Christus an zog es Pilger zum Heiligen Grab. Mönche, Laien, Könige. Kreuzritter gaben ihr Vermögen daran, Jerusalem zu sehen, und machten ihr Testament, wissend, daß die Chance, lebend heimzukehren, gering war. Der heilige Franziskus versuchte es immer wieder und scheiterte immer wieder, bis es ihm endlich gelang.

Und zu allen Zeiten verließen Rabbiner ihre Städte in Rußland, Galizien, Spanien oder Marokko, um sich mit ihren Schülern in Jerusalem...

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