Über Film und Leben,
Kunst und Geschichte
Aus dem verbotenen Heft
Antwort auf eine Umfrage
1.Welche Filme der fast 20-jährigen DEFA-Produktion gehören nach Ihrer Meinung zu den national und international repräsentativsten Filmwerken?
Die Mörder sind unter uns, Ehe im Schatten, Affäre Blum, Der Untertan, Sterne
2.Welche Filme aus der sozialistischen Produktion der letzten Jahre gehören für Sie zu den produktivsten Werken?
Neun Tage eines Jahres, Iwans Kindheit, Das Messer im Wasser, Ballade vom Soldaten
3.Welche Filme aus der kapitalistischen Produktion der letzten Jahre haben Sie besonders beeindruckt?
Rocco und seine Brüder, 8 ½, Hiroshima, mon amour
4.Suchen Sie für Ihr persönliches Schaffen nach Vorbildern?
Ich habe kein bestimmtes Vorbild. Großen Eindruck hat auf mich der italienische Neorealismus gemacht.
5.Was benötigen wir nach Ihrer Meinung als Voraussetzung für die Entwicklung der Filmproduktion am dringendsten?
a)im filmästhetischen Bereich, b) im filmtechnischen Bereich, c) im filmökonomischen Bereich, d) im filmpublizistischen Bereich
a)Kenntnis unseres Lebens und ständiges Zur-Kenntnisnehmen der ästhetischen Entwicklung des Films in der Welt, nur eines von beiden genügt nicht.
b)Unsere Atelier- und Aufnahmetechnik ist veraltet. Ich kenne die Pläne, diesen Zustand zu verändern, nicht.
c)Gemeinsame Überlegungen, ob das Wertgesetz im Sozialismus auch etwas mit der Produktion und dem Verleih von Filmen zu tun haben könnte.
d)Eine Kritik, die die Position unseres Films im In- und Ausland ohne Wunschdenken untersucht und sich zu Detailfragen (Buch, Regie, Kamera, Arbeit des Schauspielers, Musik) mit Sachkenntnis äußert. Das gehört zu den Maßstäben, ohne die Kritik nicht viel nützt.
1965
Der Umfrage war folgende Vorbemerkung vorangestellt: »Die Redaktion hat aus Anlass des 20. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus fünf Fragen an Filmschaffende (Spielfilm) der DDR gerichtet. Sie wollte auf diese Weise mit einem breiteren Kreis von Filmpraktikern ins Gespräch kommen. Die Erfahrungen, die Sachkenntnis und das persönliche Engagement der Befragten verleihen den Antworten zwar eine bestimmte Repräsentanz, erlauben aber in der Verschiedenheit der Meinungen und Formulierungen nicht, oberflächliche Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Äußerungen sind für die verschiedensten Bereiche des Filmwesens von Interesse. Für die Arbeit der Filmfachpresse enthalten sie wertvolle Aspekte und Hinweise. Von 45 Befragten antworteten 22.« In: Filmwissenschaftliche Mitteilungen Nr. 2/1965, S. 281 f. Das Heft wurde infolge des 11. Plenums des ZK der SED vom Dezember 1965 (»Kahlschlag-Plenum«) verboten und eingestampft.
Das Einzige, was uns hilft: Realismus!
Diskussionsbeitrag auf dem II. Kongress des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden
Da ich auf dem Wege vor uns die lichten Höhen ungezählter guter Vorsätze und eine verblüffende Einigkeit sehe – und in der Annahme, dass unser weiterer Vormarsch gesichert ist –, möchte ich in dem, was ich vortrage, ein wenig auf der Stelle treten und hin und wieder einen Blick über die Schulter werfen, talwärts, wenn man so will.
Erinnert man sich an ähnliche Kongresse oder blättert in den Protokollen von Konferenzen aus den fünfziger und sechziger Jahren, dann findet man eine erstaunliche Ähnlichkeit der Probleme. Ironisch könnte man sagen: eine Kontinuität der nicht gelösten Fragen. Denkt man darüber nach, liegt der Gedanke nahe, dass bestimmte Probleme des Umgangs einer neuen Klasse mit Kunst historischer Natur sind, langwährende Prozesse und Entwicklungen, vielleicht so lange wie das Leben. Das bringt Leistung und Fehlleistung, Erkenntnis und Irrtum in eine andere Logik. Unser Kongress sollte verschiedenen Fragen zu gründlicher Erörterung verhelfen, die eine Weile anstehen und nicht so schnell zu lösen sein werden. Ich nenne einige:
Vor allem brauchen wir im Interesse ihres Zusammenwirkens genauere Vorstellungen über die unterschiedlichen Möglichkeiten von Kino und Fernsehen. Das soll nicht heißen, dass die Theoretiker nun schleunigst einen Katechismus der Massenmedien verfassen, sondern dass wir eine normale, alltägliche Vernunft walten lassen, Erfolg und Misserfolg prüfen, wissen, dass es dabei um Kunstfragen, letztlich um Erfolg und Misserfolg im politischen Kampf geht. Wir haben es einerseits mit unseren Absichten und andererseits mit den Erwartungen des Zuschauers zu tun (auf diesen Zuschauer haben aber auch noch andere Leute ihre Absichten). Es gibt offensichtlich Bedürfnisse und Erwartungen verschiedenen Niveaus: Unsere Arbeit hätte idealerweise an Bedürfnisse anzuknüpfen, ohne bei ihnen stehenzubleiben. Qualität muss man dabei auf jedem Gebiet verlangen. Die Posse wie die Tragödie haben ihre Arbeitsprobleme. Aus den Dokumenten kommt die Wahrheit nicht von selbst ans Licht, und drei Männer am Tisch sind noch keine Diskussion. Mühe schulden wir jedem Gegenstand und jedem Zuschauer.
In den letzten Jahren sind Kino und Fernsehen, statt überlegt und wünschenswert zu kooperieren, in eine spontane Arbeits-
teilung gerutscht, in der Vergnügen und Moral, diese schöne Einheit in der Kunst, beträchtlich auseinandergeraten sind, und beides nahm dabei Schaden.
Das Kino, ich meine nicht nur die DEFA, sondern das ganze Instrumentarium – vor allem auch den Verleih – gerieten in die zu frischen Ehren gekommenen ökonomischen Fragestellungen, wogegen nichts zu sagen ist, hätte man dabei nicht vergessen, dass es bei dieser besonderen Ware Film auf eine doppelte Rentabilität ankommt: die in der Kasse und die in den Köpfen. Natürlich wünscht sich jeder, beides stimmte überein. Aber wir wussten immer, dass dieses schwer zu erreichende Ziel auf verschiedenen Wegen angestrebt werden muss: durch möglichst wirksame Filme, aber auch durch die Erziehung des Publikums auf vielerlei Weise.
Diese sozialistische Fragestellung ist – in weiten Kreisen unbemerkt – still in den Hintergrund getreten. Der Verleih, auf seinen Gewinn verwiesen, neigt zu einer einseitigen Tüchtigkeit, und mancher seiner Mitarbeiter – nicht jeder, das möchte ich betonen – hat inzwischen auch das entsprechende Bewusstsein. Ein verträumter Idealist der Filmkunst kann sich dort sagen lassen, welche Filme gehen. Man hat es entdeckt. Man hat entdeckt, dass sich mit Mist Geld machen lässt. Das wussten wir ganz am Anfang, und diesen Zustand wollten wir ändern. Zu einigen hervorragenden sowjetischen Filmen trifft man sich im Augenblick in Stadtrandkinos wie die frühen Christen in den Katakomben Roms.
Es ist schön, dass man dort vor allem junge Leute sieht. lm Übrigen sollten wir sehr beunruhigt sein. Beschämender als der Zustand selbst ist das Achselzucken, mit dem ein fataler Kreislauf akzeptiert ist: Es lohnt sich nicht, solche Filme, wenn man sie überhaupt kauft, zu propagieren, weil niemand hineingeht. Also, zeigt man sie unauffällig, wobei sich, siehe, man hat Recht behalten, herausstellt, dass niemand hineingeht.
Solche Arten von geschlossener Beweisführung haben wir auf anderen Gebieten unserer Entwicklung, wenn ich mich recht entsinne, nicht anerkannt. Es handelt sich aber nicht nur um einige Filme und nicht nur um sowjetische. Es handelt sich auch nicht nur um den Verleih. Das Problem hat eine kulturpolitische Dimension, es betrifft auch die Orientierung und das Selbstbewusstsein für unsere eigene Produktion. Es handelt sich darum, dass wir uns fragen, was wir im Kino auf längere Sicht tun können, wollen und müssen. Unserer eigenen Filmproduktion hat eine Zeitlang innerer Spielraum sehr gefehlt. Vor nicht langer Zeit prinzipiell kritisiert, dann mahnend mit den auf die eine Weise so gut gefüllten und auf die andere Weise so leeren Kinos konfrontiert, richtete sie den Blick, was für die Augen nicht gut ist, zugleich auf zwei zu weit auseinanderliegende Punkte. Das Auge der Sehnsucht fiel auf My fair Lady, das Auge der Pflicht auf ein viel gelobtes Nachbarinstitut, das seinerseits gerade, wenn auch mit Musik, in entgegengesetzte Schwierigkeiten geriet. Das Fernsehen war den Gesetzen der Kinokasse nicht nur nicht unterworfen, sondern gar nicht ausgesetzt. Man brauchte das Programm nicht täglich nachprüfbar an den Mann zu bringen, stattdessen konnte man es einschätzen.
Die Wirkung, die man erhoffte, ließ sich als eingetreten beschreiben. Damit war auf verblüffende Weise die Unsicherheit aus dem literarischen Geschäft verschwunden, die Ungewissheit des Ergebnisses, die auch politisch zweifelhaft oder zumindest unpraktisch erschien und vielleicht nur eine Erfindung schöner Seelen war. Und siehe, schon hatten wir gute Werke, sehr gute Werke, Meisterwerke.
Natürlich gab es auch wirklich gute Dinge und dazu einiges Verdienstvolle, wenn so eine Unterscheidung erlaubt ist. Eine gewisse Verwirrung der Bewertungskategorien bei diesem oder jenem Film ist auch nicht seinen Machern anzulasten. Sie entstand vor allem durch ein sehr »deutsches« Missverständnis: Wenn es einer Sache vielleicht in der und jener Hinsicht an Realität fehlt, so braucht sie vor allem Theorie. Die Methode, wie man immer eine Zwölf schießt, hat übrigens schon Polgar...