Die Geschichte der Schokolade
Als Kolumbus 1502 auf seiner vierten Entdeckungsreise, von den »Inseln über dem Wind« kommend, an Haiti und Kuba vorbei das mittelamerikanische Festland bei Guanaja erreichte, traf er auf ein voll beladenes Handelskanu der Mayas. Ohne zu ahnen, welch einen Schatz die Mayas mit sich führten, ließ er das Boot, voll mit Kakaobohnen, entern und an Bord holen. Die Spanier beobachteten dann, dass die Einheimischen sich sofort nach einigen dieser Bohnen bückten, die aus ihren Behältnissen auf das Schiffsdeck gefallen waren, und sie sorgsam aufsammelten. Vorläufig blieb der Grund für diese Bemühungen im Dunkeln – man hatte keinen Dolmetscher dabei. Und Kolumbus selbst hat nie Kakao gekostet, in welcher Form auch immer – und nie erfahren, welcher Schatz da direkt vor seinen Augen lag, ohne dass er ihn erkannt hätte.
Die Anfänge: Olmeken, Mayas und Azteken
Forscher sind sich sicher, dass der Kakaobaum ursprünglich aus dem Amazonasbecken stammt und dass es die Olmeken waren, die ihn um 1500 v. Chr. über Handelswege in ihr fruchtbares Tiefland am heutigen Golf von Mexiko (Tabasco und der südliche Teil von Veracruz) eingeführt wurde, um ihn dort zu kultivieren. Da die Olmeken durch ihren Handel einen gewissen Einfluss auf ihre Nachbarvölker hatten, dürfte diesen der »Cacao« bzw. die Schokolade ebenfalls bekannt gewesen sein. Auch die Mayas und später die Azteken haben wahrscheinlich das entsprechende Wissen von den Olmeken übernommen. Das Wort cacao, ursprünglich »Kakawa« ausgesprochen, gehörte bereits um 1000 v. Chr. zum Sprachschatz der Olmeken. Es entstammt einer Urform der Mixe-Zoque-Sprache, die von vielen Völkern übernommen wurde, und findet sich in zahlreichen mittelamerikanischen Dialekten.
Dass der Kakao schon um 1150 v. Chr. bekannt war, beweisen entsprechend datierte Tongefäß-Scherben, die in Honduras gefunden wurden. An ihren Innenwänden konnten Spuren von Theobromin, einem Stoff, der in Mittelamerika nur in der Kakaobohne vorkommt, nachgewiesen werden.
Die Mayas entwickelten eigens für den Kakaogenuss sogar spezielle Trinkgefäße, u. a. einen Tripod. Ein solcher wurde in Costa Rica gefunden, er diente vermutlich als Grabbeilage und stammt von etwa 700 n. Chr. Man kann ihn sich als kleine Vase mit noch außen gebogenem Rand vorstellen, welche reich verziert mit Symbolfiguren auf drei dünnen, aber breiten und spitz zulaufenden Beinen steht. Die drei Beine machen das Gefäß standfester als ein normaler Boden und beweisen den hohen Stellenwert des Getränkes.
2 Kakaobäume wurden schon im 2. Jahrtausend v. Chr. von den Olmeken kultiviert.
Kakao auf Mittelamerikanisch
Für unseren heutigen Geschmack war das kalt getrunkene, bittere, ungesüßte Kakaogetränk der Mayas und Azteken schlicht ungenießbar. Gewürzt wurde es überwiegend mit Chili und/oder Piment, Mais, Vanille, Cayennepfeffer und etwas Salz. Und aus frühen Schriften (z. B. die Wörterbücher der Missionare) weiß man, dass die Eingeborenen ihren Kakao mit einer dicken, hohen Schaumkrone bevorzugten. Auch für die Zubereitung von Speisen wurde die Bohne verwendet, in gehackter oder pulverisierter Form. Überlieferte Heilrezepturen der Mayas und Azteken finden Sie im folgenden Kapitel. Selbst ihren Toten gaben die Mayas Schokolade (wahrscheinlich in Form eines Breis) als Nahrung mit auf den Weg.
Die Maya-Stämme in Guatemala kennen noch heute über 1000 traditionelle Rezepte zur Schokoladenzubereitung.
Das heilige Schokoladengetränk der Lacandón Für ihre heiligen Rituale bereiten die Lacandón bis heute eine Schokolade nach einem alten Rezept. Die Vorarbeiten finden in einer besonderen Kochhütte statt, die sich in der Nähe des »Gotteshauses« befindet, wo die aus Lehm geformten »Gottestöpfe« aufbewahrt werden. Die geernteten und getrockneten Kakaobohnen werden nach alter Tradition mit einem Reibestein auf dem sogenannten Metate-Stein (von náhuatl métlatl = span. el metate), einem vulkanischen Stein, der von der Halbinsel Yucatán importiert wurde, zerrieben. Während des Mahlens wird aak, ein besonderes Gras, welches die Kakaoflüssigkeit schäumen lässt, untergemischt. Zum Schluss wird Wasser unter die Mischung gerührt, das Ganze durch ein Kürbissieb abgeseiht und in Schalen gegossen. Diese enthalten entweder balché (ein rituelles Met, gewürzt mit einer bestimmten Baumwurzel) oder sak ha (Maisgrütze). Damit werden die »Gottestöpfe gefüttert«. |
Schokolade als Medizin
Die Schokoladen-Medizin der Mayas und Azteken war und ist bis heute eine stark wirksame Waffe gegen die unterschiedlichsten Erkrankungen, wobei ein Teil ihrer Heilkraft auf die der Schokolade hinzugefügten Kräuter und Gewürze zurückzuführen ist. Der spanische Missionar Bernardino de Sahagún sammelte über seine Mitbrüder in Mittelamerika die Heilrezepturen der dortigen Eingeborenen und veröffentliche sie in einem der zwölf Bücher des zwischen 1540 und 1585 entstandenen Florentiner Codex, in dem das gesamte erhaltene Wissen über die untergehende Kultur der Azteken gesammelt ist.
Einige der Rezepturen erscheinen uns auch heute noch durchaus modern, bei anderen können wir die Art der Anwendung kaum mehr nachvollziehen. Hier einige Beispiele:
Eine Mixtur aus 8 –10 Kakaobohnen, getrockneten Maiskörnern und tlacoxochitl (Puderquastenstrauch) gegen Fieber und bei Schwächezuständen.
Gegen Durchfall und Husten wurde eine Paste aus Kakaobohnen und Chilipfeffer eingesetzt.
Sahagún berichtet ebenfalls von einer medizinischen Schokolade gegen Husten mit Auswurf, bestehend aus Kakaobohnen, mecaxochitl (mexikanischer Blattpfeffer), uey nacaztli (Teufelshandbaum) und tliliochitl (Vanille), welche nach einem Aufguss – gewonnen aus dem Schwanz eines Opossums – getrunken wurde.
Oftmals wurde die Kakaobohne mit Vanille kombiniert. Mit etwas Salz und Tapioka galt diese Mischung als Hirn und Mutterleib stärkend. Wurde die Schokolade mit dem Saft aus der Rinde des Seidenwollbaums kombiniert, sollte sie gegen Infektionen wirken. In dem feuchtheißen Klima Mittelamerikas ein oftmals lebensrettendes Rezept.
Des Weiteren verabreichte man Schokolade bei Hautausschlägen, Fieber, bei Angina und Zahnproblemen sowie als harntreibendes Mittel und bei Herzschwäche. Letzteres wurde inzwischen sogar wissenschaftlich bestätigt: Das im Kakao enthaltene Alkaloid Theobromin besitzt entwässernde und anregende Wirkung.
Auch Kakaobutter fand bereits Verwendung, als Wund- und Hautpflegemittel, bei Verbrennungen, Ekzemen, Entzündungen, rissigen Lippen, wunden Brüsten und Genitalien.
Vor allem aber nutzte man die Schokolade als Stärkungsmittel. Aztekische Krieger hatten immer Schokolade in ihrem Marschgepäck, und zwar in Form von getrockneten Oblaten oder Kugeln. Für Frauen und Kinder hingegen galt die Kakaobohne im nichtmedizinischen Bereich als ungeeignet, denn man befürchtete, sie könnte bei ihnen giftig wirken.
Kakaobohnen als Zahlungsmittel
Die Kakaobohne erreichte als Zahlungsmittel im Laufe der Zeit bis zu den Azteken eine Stabilität und Sicherheit, die uns heute unvorstellbar erscheint. Dabei war der Schokoladengenuss ausschließlich dem Königshaus, dem Adel und hohen Priestern und Würdenträgern sowie den Fernhandelskaufleuten und Kriegern vorbehalten.
Nur um Ihnen eine ungefähre Vorstellung vom Wert der Kakaobohne zu geben, hier einige Beispiele:
Ein Truthahn hatte einen Wert von 200 Kakaobohnen.
Ein Hase oder Waldkaninchen war je 100 Kakaobohnen wert.
Eine große Tomate entsprach dem Wert von einer Kakaobohne.
In Maishülsen gewickelter Fisch kostete drei Kakaobohnen.
Die Arbeitsleistung eines Sklaven war für etwa 100 gute Kakaobohnen zu haben.
Und wie das so bei jeder guten Währung ist, wurde auch diese zu fälschen versucht. So ließ man die Kakaobohnen zum Beispiel in Wasser leicht aufquellen, damit sie größer wurden, oder gab ihnen einen aschgrauen oder fahlroten »Anstrich«, nämlich in den Farben der edelsten Kakaosorten.
Die spanischen Eroberer entdecken die Schokolade
Als Nahrungs- oder Genussmittel, von den Eingeborenen xocólatl (nach dem Gott Xocóatl) genannt, erweckte die Kakaobohne bei den Spaniern zunächst wenig Begeisterung.
»Sie (die Bohne) schien eher ein Getränk für die Schweine zu sein als für die Menschheit!«, ereiferte sich der Italiener Benzoni im Jahr 1575 und gab damit die Meinung vieler wieder, die das neue Getränk ablehnten. Für andere typische Produkte aus der Neuen Welt galt dies ebenfalls, zum Beispiel für den Mais. Jedoch, im Laufe der Zeit gewöhnten sich die Eroberer allmählich an den ungewohnten Geschmack. Eine Ursache war, dass immer mehr einfache Spanier einheimische Frauen heirateten. Auch nahmen viele der reichen Spanier sich Einheimische als Konkubinen. Durch diese Verbindungen (Spanier-Azteken-Mayas) näherten sich die sehr unterschiedlichen Kulturen allmählich einander an.
Dadurch...