Attentat
Friedrich stand im März 1757 ein halbes Jahr im Krieg, der fast sieben Jahre währen sollte. Er hatte Sachsen im Oktober 1756 besetzt, das sächsische Heer gefangen genommen und anschließend unter seine Fahnen gestellt. Die antipreußische Koalition aus Österreich, Frankreich, Schweden, Russland und Sachsen hatte sich zum Gegenschlag formiert. Die Geheimdiplomatie lief auf Hochtouren, die Stimmung in allen Lagern war aufgeheizt, die Ungewissheit vor dem Kommenden groß. Friedrichs Hauptquartier lag in Dresden, er pendelte aber wiederholt ins nahe gelegene Nebenquartier Lockwitz, begleitet von seinen Stabsoffizieren und Kammerhusaren. Sie hatten persönliche, also vertrauliche Angelegenheiten des Königs zu besorgen. Einer von ihnen war Christian Friedrich Glasow, geboren 1735 als Sohn eines preußischen Offiziers. Glasow soll ausnehmend schön gewesen sein, weshalb Friedrich den 17-Jährigen in seine privaten Dienste nahm. Bereits 1754 besaß Glasow eine vorrangige Vertrauensstellung, ihm waren Geldschatullen mit nicht unerheblichen Beträgen anvertraut. Er wohnte in einer der Dienerkammern von Sanssouci und im Potsdamer Stadtschloss und war stets in Friedrichs Nähe. Als der König 1755 inkognito nach Amsterdam reiste, begleiteten ihn nur Oberst Pinto und Kammerhusar Glasow.
Er zog an Friedrichs Seite im Herbst 1756 in den Siebenjährigen Krieg und hatte als Verwalter der königlichen Privatschatulle dem König stets zur Verfügung zu sein.
Am 24. März 1757 wechselte Friedrich sein Quartier; er zog von Dresden nach Lockwitz und Glasow mit ihm, so weit die gesicherten Fakten. Zeugen dessen, was am 25. März 1757 in der Frühe geschehen sein soll, sind unbekannt, aber es gibt einen deutlichen Widerhall der Ereignisse in Akten und Briefwechseln.
Es gehörte zu Glasows Aufgaben, dem König morgens Trinkschokolade zu reichen. Als er am 25. März seinen Routinedienst verrichtete und mit dem Tablett vor dem König stand, soll der 21-Jährige ins Schwitzen und Zittern gekommen sein, weshalb ihn Friedrich musterte und scharf fragte, was mit ihm sei.
»Da der Diener glaubte, sein Verbrechen wäre entdeckt, warf er sich auf die Knie und bat um Gnade. Man gab die Schokolade, die der Elende brachte, einigen Tieren, die sofort daran starben.« (Thiébault, 1806) Ein anderer Chronist, der Hauptmann von Archenholz, notierte 1791: »Ein Zufall aber verriet dem König in der Stunde der Ausführung, dass ein Anschlag wider sein Leben gefasst sei. Glasow umfasste die Füße des Königs und flehte um Gnade, die ihm jedoch nicht gewährt werden konnte. Er wurde festgenommen, in des Monarchen Gegenwart gerichtlich verhört und sodann den nächsten Tag in Ketten nach Spandau geführt, wo er in einem Kerker, abgesondert von allen Menschen, in kurzer Zeit sein Leben endigte.«
Erhalten geblieben ist das Bittgesuch von Glasows Vater an den König, geschrieben am 22. Juni 1757: »Ich flehe aber als ein unglücklicher Vater um das Leben meines ungeratenen Sohnes, denn obzwar derselbe wegen seines Verbrechens zur Schande seines alten Vaters und der übrigen Familie mit Recht den Tod verdient, so hoffe ich jedoch S. K. M. werden geruhen, denselben in Betrachtung seiner Jugend, als ein Mensch von 22 Jahr, der in Ermangelung seines reifen Verstandes leicht zu verführen gewesen, Gnade vor Recht widerfahren zu lassen, und selbigem Pardon allergnädigst zu schenken.«
Friedrichs Randbemerkung dazu lautete: »Seines Sohnes Verbrechen sei sehr groß, etwas habe mitigiret.«
Ob Glasow den König mit vergifteter Schokolade umbringen wollte, bleibt unklar. Vernehmungsprotokolle gibt es nicht, und Friedrich verlor über den Fall Glasow später kein Wort. Die Einzelhaft in Ketten schließt einen harmlosen Fehltritt aus. Nur wenige Zeitgenossen wussten tatsächlich etwas über diese Affäre, die meisten aus zweiter Hand. Friedrichs Flügeladjutant Rudolf von der Schulenburg, der zur fraglichen Zeit Dienst beim König tat und für die Verhaftung Glasows verantwortlich war, bezeichnete den Kammerhusaren als »Giftmischer«. Der Oberkonsistorialrat Büsching, hervorragender Kenner der Vorgänge am Hof des Königs, lieferte eine andere Version. Danach habe sich Glasow des königlichen Siegels bedient »und mit Hilfe des königlichen Kaffetiers Völker einige Befehle im Namen des Königs ausgefertigt«.
Graf Lehndorff, Kammerherr der Königin Elisabeth Christine, notierte am 9. April 1757 in sein geheimes Tagebuch: »Man spricht nur von der Glasowschen Angelegenheit … Der Schurke hat nun die Güte seines Herrn missbraucht, indem er weiter nichts tat, als rauben und stehlen, und damit nicht genug, hat er die Geheimnisse des Königs verraten, indem er Abschriften von allen Schriftstücken nahm, die er fand. Man sagt sogar, er habe den König vergiften wollen. Man hat viel Geld und kostbare Schmucksachen bei ihm gefunden; außerdem behauptet man, dass er Spion der Gräfin Brühl gewesen sei.«
Immerhin, unmittelbar nach Glasows Festnahme wurde neben dem sächsischen Minister Graf Wackerbart auch die einflussreiche Gemahlin des sächsischen ersten Ministers, die Gräfin Brühl, von Friedrich arretiert. Wackerbart wurde in Küstrin gefangen gehalten, die Gräfin »über die polnische Grenze« gebracht.
Historiker des 19. Jahrhunderts haben das Thema kaum noch aufgegriffen, in neuen und neuesten Publikationen über Friedrich taucht die Affäre gar nicht mehr auf.
Alte Quellen deuten darauf hin, dass die sächsische Kurfürstin Josephine, eine erklärte Feindin Friedrichs, den Kammerhusaren bezahlt hat. Ein politisches Motiv, etwa den König zugunsten einer anderen Partei beseitigen zu wollen, wie es mit Zar Peter von Russland 1762 geschah, scheidet aus.
Friedrich erlebte im Gegensatz zu anderen Fürsten seiner Zeit zwei Kriege auf dem Schlachtfeld, in vorderster Front, war stets Angriffen auf sein Leben ausgesetzt. Ungarische Panduren, gefürchtet für ihre Plünderungen und Brandschatzungen, versuchten wiederholt, Friedrich lebendig oder tot in ihre Gewalt zu bringen. Das waren keine von langer Hand vorbereiteten Anschläge, sondern spontane Attacken, etwa wenn der König in der Schlacht von seiner Truppe abgeschnitten war und mit geringer Bedeckung den Anschluss suchte. Einer dieser für den König gefährlichen Angriffe ist belegt. In der Schlacht von Kunersdorf am 12. August 1757 wurden dem König »zwei Pferde unter dem Leib weggeschossen«, ihn selbst traf eine Elf-Millimeter-Bleikugel an der Brust. Zu einer ernsthaften Verletzung kam es nicht, weil die Kugel von einer Tabatiere in der Innentasche seines Rockes abgefangen wurde. Tabatiere und Kugel sind erhalten.
Naturgemäß gab es zu solchen Situationen reichlich Anekdoten, die bald nach Friedrichs Tod, aber vor allem im 19. Jahrhundert in üppigen Variationen verbreitet wurden und nicht unwesentlich zum Bild des vom Schicksal Auserkorenen beitrugen.
siehe → Justiz
Literatur:
Johann Daniel Erdmann Preuss: Friedrich der Große, 9 Bände, Berlin 1832–1834
Dieudonné Thiébault: Friedrich der Große und sein Hof, Stuttgart, o. J.
Gustav Berthold Volz: Friedrich der Große im Spiegel seiner Zeit, Berlin 1901
Spektakuläre Fürstenattentate im 18. Jahrhundert
Auch im Zeitalter der Aufklärung galt der König als Stellvertreter Gottes auf Erden. Seine Person war heilig, ein Attentat auf ihn stellte das schlimmste aller Verbrechen dar. Einerseits hatten Adel und Krone in Westeuropa ihre Rivalitäten weitgehend ausgefochten und ihre Terrains abgesteckt, potentielle Frondeure besaßen wichtige Positionen am Hof und waren so neutralisiert. Andererseits kam es immer wieder zu Spannungen zwischen Krone und Adel, die sich im Extremfall in Attentaten auf den Monarchen entluden.
Ludwig XV., seit 1715 König von Frankreich, überlebte so einen politisch motivierten Anschlag am 5. Januar 1757. In der offiziellen Propaganda wurde der Täter, Robert-François Damiens, deshalb schnell als Einzeltäter dargestellt, der ohne Auftrag Dritter handelte und keine Mitwisser hatte, um Verschwörungstheorien zuvorzukommen. Tatsächlich war Damiens’ Anschlag auf Ludwig ein Verzweiflungsakt, das Motiv lag in der innen- wie außenpolitischen Krise Frankreichs, die vor allem Handwerker und Bürgertum traf.
Damiens, 1715 geboren, Hausdiener einer Pariser Adligen, verheiratet und Vater einer Tochter, spürte am eigenen Leibe die Verschlechterung der Lebensbedingungen. Frankreich stand seit 1755 im Krieg mit England, seit 1756 auch mit Preußen. Madame Pompadour, die Mätresse des Königs, war auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Sie hatte sich mit dem Parlament angelegt, das ihre ungeheuren Ausgaben beschneiden wollte. Kriegs- und Außenminister Frankreichs lagen ebenso mit der Pompadour über Kreuz wie der Thronfolger und dessen Gemahlin. Handwerker und Bürgertum machten die Mätresse für alles Übel verantwortlich, im Lande kursierten Spottschriften und wenig vorteilhafte Karikaturen. In dieser Stimmung reifte bei Damiens der Entschluss, den König zu töten.
Am 3. Januar 1757 fuhr er von Paris nach Versailles, um das Terrain am Königsschloss zu erkunden. Am Mittwoch, den 5. Januar, hörte Damiens von einem Musketier der Wache, dass Ludwig im Schloss sei und abends nach Trianon, der unweit gelegenen Winterresidenz, zurückkehren würde. Damiens präparierte sich in seinem Hotel mit einem Dolch, ging erneut zum Palast und gelangte mit den Fackelträgern, die zur Abreise Ludwigs beordert worden waren, bis in den Marmorhof von Schloss Versailles. In einer...