Voll unter Strom
Ich hatte gerade einen neuen Film abgedreht, der mich sehr beansprucht hatte. Ich spielte darin zwar nicht meine erste Hauptrolle, aber ich hatte mich sehr aufgerieben. Ich war jeden Tag dran, hoch konzentriert, und wir hatten mit einigen Unwägbarkeiten zu leben. Dann waren da auch noch diffuse, unklare Gefühle, ein wenig Liebeskummer. Der Boden schwankte ein bisschen unter meinen Füßen. Jedenfalls war ich ziemlich erschöpft, als ich mich an einem Wochenende mit einer Freundin traf. Wir haben uns lange unterhalten, wie es uns im Moment geht, und ich habe dabei erst richtig realisiert: Mensch, ich bin ja total platt! Und da erzählte sie mir von ihrer geplanten Ayurveda-Kur und ich sagte: „Das klingt doch toll! Das möchte ich auch ausprobieren.“ Ehrlich gesagt, das Einzige, woran ich in diesem Moment dachte: Da geht es um Massage, das ist eine jahrtausendealte asiatische medizinische Kultur und da steckt so viel Erfahrung drin, das wird mir richtig guttun. Ich hatte sofort ein gutes Gefühl. Und wie bei allen wichtigen Entscheidungen war ich ganz intuitiv und habe mich auf mein Bauchgefühl verlassen.
Hochtourig unterwegs
Gedacht, getan. Fürs nächste Frühjahr waren wir angemeldet für eine Ayurveda-Kur. Wir wollten sie zusammen machen, was dann leider nicht geklappt hat. Und so war ich in den ersten beiden Wochen alleine auf Kur. Ich, die so gar keine Ahnung hatte, worauf ich mich einließ. Und vor lauter Arbeit hatte ich auch nicht wirklich die Zeit und die Muße gefunden, mich ein bisschen genauer zu informieren. Also weder über Asien noch über Ayurveda. Ich wusste nur: Es klingt gut, ich mache das in einem Land, wo es immer schön warm ist, entweder in Sri Lanka oder in Indien, den Ländern, in denen man sich am meisten mit ayurvedischer Medizin auskennt.
Bis kurz vor knapp steckte ich mitten im Berufsstress. Und mir fehlte irgendwie das innere Feuer, alles strengte mich sehr an. Ich musste mich wirklich bemühen, um meine Leistung überhaupt noch erbringen zu können.
Dann startete also mein Ayurveda-Abenteuer: Am Anfang war alles ganz easy, sehr gut organisiert, ich wurde vom Flughafen abgeholt und quer durchs Land in ein Resort gebracht. Jetzt war ich also da. Ich war anfangs natürlich immer noch hochtourig unterwegs und dachte unbedarft: Jeden Tag ein paar Anwendungen, ja, was machst du denn den Rest des Tages? Also hatte ich Bücher eingepackt und Malsachen, wobei ich gar nicht malen kann. Aber ich dachte, vielleicht kommt da die großartige Inspiration, auch darüber, wie ich mich fühle, was ich empfinde.
Erwartung und Erfahrung
Das ist gut 13 Jahre her. Einmal von Grund auf entgiften, Ballast loswerden, mich zentrieren und eine Auszeit nehmen. Das waren damals meine Ziele. Nicht in Deutschland in einer schicken Privatklinik, sondern ich wollte es ganz authentisch in Indien oder Sri Lanka erleben. Es wurde Sri Lanka. Natürlich hatte ich die Hoffnung, dass eine solche Kur auch ein bisschen wie Urlaub ist. Man reist ja in die Ferne, um dem eigenen Alltag zu entkommen. Dass es dann anfangs so gar nichts mit Urlaub zu tun hatte, hat mich sehr überrascht. Nicht Euphorie und Kraft waren angesagt, sondern Tränen. Wer heult schon gerne im Urlaub? Doch genau das ist mir passiert. Ausgepowert und überarbeitet, ich weiß nicht mehr wie und warum, aber es kamen alle aufgestauten Emotionen raus. Ich heulte drei Tage lang, kaum dass ich die Kur begonnen hatte. Und es gab nicht wirklich viel, was mir Trost spenden konnte. Meine Illusion von Wellness verschwand schnell. Den Tag mit einer warmen wässrigen Reissuppe zu beginnen oder abends undefinierbare Abführmittel zu trinken, war für mich wirklich nicht der Hit. Im Nachhinein finde ich manches natürlich lustig, wenn etwa die Dame, die das Abführmittel brachte und genau um dessen eigenartigen Geschmack (mal vorsichtig ausgedrückt) Bescheid wusste, einfach nicht den Raum verließ, bis ich es auch wirklich getrunken hatte. „You have to drink it. NOW!“ Klare Ansage. Yes, I have to drink it NOW!
Türen öffnen
Das, was ich kennengelernt habe, ist die Panchakarma-Kur. Bei dieser geht es um das Lösen von Schadstoffen im Körper und von emotionalen Blockaden. Damit die Lebensenergie wieder fließen kann. Es geht um den gleichmäßigen, ungestörten Fluss des Lebens im Körper und zwischen Körper, Geist und Seele. Dass diese Panchakarma-Kur nicht etwas ist, was man einfach mal schnell macht, konnte ich gleich bei meiner ersten Kur feststellen. Das Lösen der Schlacken, das Lösen von festgesetzten Substanzen im Körper hat bei mir eine sehr große Emotionalität ausgelöst. Es hat mich überwältigt, sodass ich wirklich ein paar Tage richtig in den Seilen hing.
Ich kann nur empfehlen, in der ersten Woche die Ruhe zu bewahren, denn in dieser Phase ist man extrem sensibel. Für mich waren das drei Tage, an denen ich an der Welt, am Leben zweifelte, mir alle möglichen Sinnfragen stellte: Was will ich? Wer bin ich? Rückblickend betrachtet war das eine ganz wichtige Phase, weil Kanäle geöffnet wurden, die vorher verschlossen waren. Es erinnert mich ein bisschen an die Zeit der Pubertät. Wenn die Welt aus unerfindlichen Gründen auf dem Kopf steht. Heute weiß ich: Nach einem solchen Tief kommt auch ein erleichterndes Hoch – psychisch wie auch physisch.
Sanfte Power
Ein wichtiger Bestandteil einer Ayurveda-Kur sind die Massagen – wunderbar, man gibt sich hin, man schmilzt dahin … Diese weichen, regelmäßigen Ausstreichungen des Körpers, das Lösen der Schlacken, das ist sehr befreiend. Nicht nur die Sanftheit der Massagen hat mich beeindruckt, auch die Vielfalt der Anwendungen.
Mit dem Klassiker Shirodhara, dem Stirnguss, konnte ich am Anfang gar nicht viel anfangen. Ich hatte überhaupt nicht die Ruhe dafür. Daran hab ich auch selbst gemerkt, was für ein unruhiger Geist ich eigentlich bin. Sehr nervös. Alle anderen um mich herum sahen das anders. Die haben sich gewundert, als ich sagte: „Nein, das ist nicht meins, das gefällt mir nicht.“ Ich konnte mich erst bei meiner vierten Kur darauf einlassen. Und auch da habe ich wieder gemerkt: Ayurveda ist eine Reise, ich lerne jedes Mal dazu, ich wachse daran.
Bei den Massagen war ich am Anfang ein bisschen irritiert, denn ich liebe es eigentlich, so richtig durchgeknetet zu werden wie bei einer Sportmassage. Diese Art Massage findet man im Ayurveda gar nicht. Hier wird mit viel warmem Öl, das auf jeden einzelnen Körpertyp abgestimmt ist, gearbeitet. Auf diese Weise wird der Körper auf die eigentliche Behandlung vorbereitet: die innere Reinigung. Mit ihr lösen sich die Schlacken aus den Zellen, aus dem Gewebe und den Organen. Schlacken und Toxine werden zuerst gelockert, damit sie dann durch die folgende Einnahme eines speziellen Trunks gut abtransportiert werden. Eine Massage fand ich bei meiner allerersten Ayurveda-Kur besonders interessant: An der Decke im Massageraum hing immer dieses Seil. Ich hatte mich schon die ganzen zwei Wochen gefragt, wofür es da war. Und dann habe ich es eines Tages erfahren, als sich die Therapeutin mit ihrem ganzen Gewicht an das Seil hängte, sich hin und her schwang und dabei meinen Körper mit ihrem Fuß massierte. Eine ganz spezielle Erfahrung. Man wird mit einer rasenden Geschwindigkeit massiert. Das ist sehr erhitzend und stark durchblutend – einfach großartig. Diese Fußmassage steht am Ende einer Massageeinheit, wenn es noch einmal darum geht, hartnäckige Gifte auszutreiben.
Klare Regeln
Das Gute an einer Ayurveda-Kur ist, dass es klare Regeln und Anleitungen gibt. Von Leuten, die über fundiertes Wissen verfügen. Mit Wellness hat das nicht allzu viel zu tun. Da klopft dann frühmorgens tatsächlich der Yogalehrer an meine Tür, um mir klarzumachen, dass die Yogastunde jetzt beginnt, obwohl meine westlich-urbane innere Uhr mir sagt, dass es doch noch tief in der Nacht ist. Yoga im Morgengrauen hat mich damals viel Überwindung gekostet. Nach ein paar Tagen war ich so absorbiert von den fixen Tagesabläufen mit Yoga, Mahlzeiten, Meditationen, und so erfüllt von Vorfreude auf die Massagen, dass ich gespürt – wenn auch nicht alles begriffen – habe, was da für eine große Veränderung in mir vorgeht. Unser Lebensstil in einer Industrienation wie Deutschland mit einer so ausgeprägten Leistungskultur fördert nicht gerade gesunde Essgewohnheiten oder einen achtsamen Umgang mit sich selbst und anderen.
Nach den ersten Umstellungen ist eine Ayurveda-Kur wirklich augenöffnend. Ich habe mich bei meiner ersten Ayurveda-Kur in Sri Lanka selbst neu entdeckt. Damit meine ich nicht auf die Art und Weise, wie das Schauspielerinnen mit jeder neuen Rolle tun, wenn sie in andere Charaktere schlüpfen und dabei besonders an deren Wesenszügen und Emotionen arbeiten, sondern ich habe den Kern, wie ich bin, was mich ausmacht, mit schärferen Augen gesehen. Ich habe vor allem auch gespürt, worauf es wirklich ankommt: in mir zu ruhen, mit mir selbst zufrieden zu sein. Um dahin zu kommen, muss man Ballast...