3. Theoretische Grundlagen & wissenschaftlicher Diskurs zum Thema Rap
Nachdem die Herangehensweise, die Erstellung des Datenkorpus und das Vorgehen der Textanalyse geklärt sind, folgt nun der Theorieteil, in dem auf wissenschaftliche Literatur eingegangen wird, die für den Kontext der Arbeit relevant ist.
3.1 Geschichtlicher Abriss der Rap-Kultur
Das folgende Kapitel gibt einen Überblick über Entwicklungen der Rap-Kultur der letzten 30 Jahre in den USA und in Deutschland. Die Darlegung der geschichtlichen Zusammenhänge ist notwendig, um den Kontext der untersuchten Rap-Künstlerinnen und Rap-Texte zu begreifen, und dient zunächst einer allgemeinen Einordnung des Phänomens der Rap-Kultur. Es wird dabei ausschließlich auf Akteurinnen der Rap-Musik eingegangen, da diese den Gegenstand der vorliegenden Arbeit bilden und in der wissenschaftlichen Literatur oftmals kaum berücksichtigt werden.
Rap-Musik als Teil der HipHop-Kultur hat sich im Laufe der letzten 30 Jahre weltweit verbreitet.
Neben dem DJ-ing, Graffiti sprühen und Breakdancen hat sich die Disziplin des Rappens in besonderer Weise durchgesetzt und dominiert inzwischen die Erscheinung der HipHop-Kultur in Medien und Gesellschaft. In den Armenvierteln der New Yorker Bronx als Begleitung zum Auflegen eines DJs entstanden,11 kam es rasch zu einer inhaltlichen und kulturellen Ausdifferenzierung von Rap, die sich bis in die Gegenwart fortführt.
Nachdem Anfang bis Mitte der 1970er Jahre Rap ausschließlich auf sogenannten Blockpartys12 in den Ghettos um New York praktiziert wurde, werden Anfang der 1980er Jahre bereits Plattenlabels und Filmindustrie auf die HipHop-Kultur aufmerksam. Es vollzieht sich der Aufbruch von der „Old-School“ zur „New School“. Durch Filme wie Beat Street und Wild Style wird die Nachricht von HipHop in aller Welt bekannt. Die Kunst des DJ-ing wird in allen Varianten ausprobiert und ausgereizt. HipHop und Rap verbreiten sich Anfang der 1980er Jahre in den USA, wo es neben New York inzwischen auch andere Hochburgen gibt. Eine Vielzahl von Crews entsteht, u. a. Us girls und Salt'N'Pepa. Die Frauen setzen sich in ihren Texten u. a. mit Sexismus im HipHop und sozialer Ungerechtigkeit in den afroamerikanisch geprägten Vorstädten auseinander.13 Die Inhalte und Intentionen von Rap-Musik differenzieren sich zunehmend aus. Eine wesentliche Spaltung vollzieht sich in der Trennung von Message-Rap und Gangster-Rap, wobei sich Message-Rap mit politischen und sozialkritischen Inhalten beschäftigt, während Gangster-Rap die harte Realität der Straße zur Schau stellt.
Filme über Graffiti und Breakdance gelten als wesentliches Ereignis für das Ankommen der Rap-Kultur auch in Deutschland, sowohl in der BRD als auch in der DDR.14 In den alten ebenso wie in den neuen Bundesländern vollzieht die Kulturform des Rap Anfang der 1990er Jahre den Schritt vom Untergrund in die Populärkultur.
Dies geschieht jedoch mit einigem Widerstand, der sich in den szeneintern heftig geführten Streits um „Alte Schule“ und „Neue Schule“15 zeigt. Dabei ging und geht es um Fragen nach der Authentizität von HipHop und dessen legitimen Inhalten und Praktiken. Eine der Antworten auf diesen Diskurs stellt das Lied „Nur ein Teil der Kultur“16 von Cora E. dar, in dem sie die Einheit von Breakdance, DJ-ing, Rappen und Writing als elementar für die HipHop-Kultur herausstellt. Cora E. gilt als eine der ersten weiblichen MCs17 in Deutschland und veröffentlichte neben zahlreichen Features 1998 das Solo-Album CoraGe.
Auf der anderen Seite der Debatte lassen sich Schwester S.18 und das Rödelheim Hartreim Projekt ausmachen, die innerhalb der Szene aufgrund ihres popkulturellen Erfolgs umstritten sind.19 Rap tritt in Deutschland auch als Sprachrohr für Jugendliche der zweiten und dritten Migrant_innen-Generation in Erscheinung. Vertreterinnen hierfür sind zum Beispiel Aziza A., Brixx und Meli in den 1990er Jahren und aktuell Too Funk Sistaz, Bahar, She-Raw und MC Josh. Weitere bedeutende Rapperinnen der deutschen HipHop-Szene sind Pyranja, Fiva MC, Nina, Visa Vie und Kitty Kat.
Im Laufe der letzten zehn Jahre setzten sich Gangster-Rap und Porno-Rap als vorherrschende Genres im kommerziellen Deutsch-Rap durch, was zu einer Reihe von Skandalen und einer breiten öffentlichen Debatte um Frauenfeindlichkeit und Gewaltverherrlichung in der Rap-Kultur führte. Eine provokante Reaktion auf diese Entwicklung stellt die Inszenierung der Lady Bitch Ray als weibliche Antwort auf Porno-Rap dar. Auch Kitty Kat und eine Vielzahl weniger bekannter Rapperinnen wie Lumaraa, Guisy und Schwesta Ewa erzählen in ihren Liedern von Erfahrungen in sozialen Brennpunkten und ihrem harten Leben als Einzelkämpferinnen. Im Gegensatz dazu stehen Rapperinnen wie Lena Stoehrfaktor, MC Josh und Sookee, die sich von der vorherrschenden kommerziellen Rap-Kultur abgrenzen, eigene Werte und Inhalte damit verbinden und den Status quo im HipHop kritisieren und anprangern. Vor allem Sookee geht dabei explizit auf homophobe und heteronormative Tendenzen ein.20 Letztere Aktivistinnen lassen sich dem Genre des Conscious- bzw. politischen Rap zurechnen.
3.2 Rap-typische Sprechpraktiken & Verhaltensweisen
Die Auseinandersetzung mit für den Rap-Kontext typischen Sprechpraktiken und Verhaltensweisen stellt den Gegenstand der folgenden Ausführungen dar.
Das Wissen um szenespezifische Codes, die sich in typischer Wortwahl und Verhaltensweisen äußern, ist für das Verständnis der Äußerungen in den Rap-Texten unumgänglich, da eine dem alltäglichen Sprachgebrauch entspringende Interpretation der Aussagen dem Gegenstand nicht gerecht werden würde.
Beim Rap handelt es sich um eine Mischung aus Singen und Sprechen, die meist in Verbindung mit eingespielter Musik, den beats, vorgetragen wird.
Die Textdichte und Schnelligkeit der Musik und damit des Vortragens erlauben es weit mehr Inhalte in einen Song zu verpacken, als dies bei den meisten Gesangsstücken der Fall ist. Zudem werden Wortspiele, ironische Übertreibungen und Slangfragmente nicht nur rhythmisch gesprochen vorgetragen, sondern ständig in Tempo, Tonhöhe und Klangfarbe variiert.21
Stilistische Elemente von Rap sind rhymes, flow und style, die gleichzeitig szeneintern heiß diskutierte Wertkategorien darstellen. Die rhymes bzw. Reime bilden zumeist das Gerüst der Rap-Vorstellung und sind angereichert mit Wortwitz, Slangwörtern, Begriffskreationen und Metaphern. Karrer beschreibt die Ursprünge der Rap-eigenen Sprechweisen in den Sprechakten der afroamerikanischen Bevölkerung der Vorstadt-Ghettos der US-amerikanischen Großstädte.22 Dabei geht er auf verschiedene Praktiken im Rap ein, so z. B. das boasting und signifying. Boasting, im deutschen Kontext mit boasten übersetzt, bedeutet auf englisch angeben bzw. prahlen und stellt eine elementare Verhaltensstrategie im HipHop dar. Bezeichnet wird damit das überhöhte, teilweise bis ins Absurde betriebene, Herausstellen der eigenen Position.23
Die Kunst des signifying bezeichnet die Fähigkeit, spielerisch mit Worten und deren Bedeutungen umzugehen. Der Begriff ist einer Figur der oralen afrikanischen Kulturtradition entlehnt, dem „Signifying Monkey“.
Diese [Figur] bezeichnet „[…] die ironische Umkehrung der uralten, rassistischen, westlichen Vorstellung vom Schwarzen als Affen. Der Signifying Monkey lebt in den Zwischenbereichen der Diskurse, verdreht die Wörter und spielt mit ihnen, er bildet Wortfiguren und zeigt die Ambiguitäten der Sprache auf, indem er ihr ihre Eigentümlichkeit nimmt.“24
Die Praxis des signifying stellt demnach den kreativen Umgang mit Sprache heraus, der für die Rap-Kultur wesentlich ist. Ein weiteres typisches Merkmal des Sprechverhaltens ist der diss. Beim Dissen (dt. Form von dissing) geht es vor allem darum, die Konkurrent_innen zu verhöhnen, zu verspotten und zu diskreditieren. Dissen ist vom englischen disrespect abgeleitet, was den Gegenpol zu einer weiteren wichtigen Kategorie im HipHop-Kontext darstellt, dem respect (dt.: Respekt). Das allgegenwärtige Ringen um den respect der Szene zeigt sich in allen kulturellen Ausformungen des HipHop. Sowohl im Breakdance, DJ-ing, Writing als auch im Rap stellt das Streben nach Anerkennung eine Grundmotivation der Aktivistinnen dar. Damit verbunden ist das props geben, d. h., Respekt und Anerkennung für die Leistungen eines anderen auszusprechen.25 Die Praktiken des boasten, dissen, signifying und props geben sind allesamt wichtige Bestandteile des...