Abb.1: Das Verhältnis von Natur- Trend- und Risikosport. (eigene Abbildung)
Aufgrund der sehr unterschiedlichen Handhabung der aufgeführten Begriffe wird es im Laufe der Arbeit das ein oder andere Mal notwendig sein Begrifflichkeiten anderer Autoren mit diesen Definitionen abzustimmen.
2.3. Motive und Soziologische Hintergründe des Risikosports
„Bergsteigen ist die Eroberung des Nutzlosen, dazu bekenne ich mich.“ soll Reinhold Messner einmal gesagt haben. Die genaue Quelle dieser Worte lässt sich leider nicht finden, dennoch beschreibt dieses vermeintliche Zitat genau das, was den Risikosport für Außenstehende oft so schwer begreifbar macht: Das Fehlen eines materiellen oder zumindest nachvollziehbaren Gewinns bei der freiwilligen Konfrontation mit dem Risiko. Rheinberg veranschaulicht dies mit dem Beispiel Bergsteigen, dessen Ziel zwar der Gipfel ist, doch ginge es nur darum, diesen zu erreichen, würde man in eine Gondel steigen und hinauffahren um die Aussicht zu genießen. (Rheinberg, 1996)
Die Ansätze der Motivationsforschung im Bereich Risikosport sind vielfältig. Wichtig ist vorwegzunehmen, dass sich hinter einer riskanten Sportart bzw. den riskanten Aktionen eines jeden Sportlers individuell andere Motive verbergen, die sich keinesfalls nur auf einen der im Folgenden erläuterten Ansätze beschränken müssen – Göring spricht in diesem Zusammenhang von einem
„individuellen ‚Motivationscocktail’, der aus den verschiedenen Motiven in unterschiedlicher Gewichtung und Ausprägung [...] zusammengesetzt ist.“ (Göring, 2006, 152)
Übergeordnet lassen sich die einzelnen Motivansätze sowohl der Anthropologie{6} als auch der Psychologie zuordnen. (Göring, 2006)
2.3.1. Anthropologische Überlegungen zum Risikosportmotiv
Die folgenden Ausführungen anthropologischer Motive für den Risikosport orientieren sich an Göring, 2006, 119f.
Für die Beschreibung des menschlichen Wesens stehen sich in der Anthropologie zwei zunächst sehr gegensätzliche Ansätze gegenüber. Auf der einen Seite ist der Mensch im Vergleich zum Tier mit weniger verhaltensbestimmenden Instinkten ausgestattet (Zelinka, 1997) was Gehlen (1950) dazu veranlasst ihn dem Tier gegenüber als mangelhaft zu beschreiben. Dem gegenüber stehen die Ausführungen von Lorenz, die den Menschen als „Volltreffer der Evolution“ (Lorenz, zitiert nach Göring, 2006, 120) darstellen. Am Ende kommen beide Ansätze jedoch zum gleichen Ergebnis: Der Mensch ist von Natur aus Risiken und Gefahren ausgesetzt, sein Sicherheitsstreben gewährleistet ihm das Überleben. (Göring, 2006; Neumann, 1999a)
Instinkte geben im Tierreich klare Ziel vor, nach deren Erreichen das Agieren der Tiere ausgerichtet ist. Da die Menschen nicht über solche Instinkte verfügen, fehlen ihnen klar definierte Ziele, die ihr Handeln bestimmen. Diese Offenheit bringt auf der einen Seite Freiheit und eine Fülle an Möglichkeiten mit sich, zwingt die Menschen andererseits zu Handlungsentscheidungen, die ergebnisoffen und unsicher sind und damit immer ein Risiko bedeuten können. (Tenbruck, 1978) Risiken sind unter bestimmten Umständen durchaus positiv zu bewerten, denn Unsicherheiten sind ein menschliches Bedürfnis. Ohne sie wären die Menschen antriebslos und gelangweilt. Sie würden sich nur in bekannten Kreisen bewegen und keine Fortschritte machen (Tenbruck, 1978) – und sie könnten ihre angeborene Neugier nicht befriedigen.
Neugier ist der dritte und letzte Aspekt der Anthropologie, der hier erläutert werden soll. Neugier ist aus zwei Perspektiven für die Risikosportthematik interessant:
Erstens ist Neugier eine wichtige Voraussetzung dafür, dass eine subjektiv als unsicher eingeschätzte Situation in eine sichere umgewandelt werden kann, in dem Sinne, dass die betroffene Person neugierig ist, sich also trotz des Risikos für die Situation interessiert und sie nicht von vornherein meidet. (Schneider, 1996) Durch diese Neugier wird eine Voraussetzung für Fortschritt auf individueller, als auch auf gesellschaftlicher Ebene geschaffen. (Schneider & Rheinberg, 1996) Warum? Ein Kind, das nicht riskiert bei seinen ersten Gehversuchen hinzufallen, wird nie das Laufen lernen. Jemand der sich nicht überwinden kann eine Kletterwand zu bezwingen, wird nie das gute Gefühl kennenlernen sich überwunden zu haben und nie wissen was und wie viel er sich beim Klettern zutrauen kann. Wäre Columbus nicht bereit gewesen Risiken einzugehen, wäre Amerika unter Umständen bis heute nicht entdeckt. Es ließen sich zahllose solcher Beispiele finden. Daran wird deutlich, wie wichtig die Neugier und damit der Mut zum Risiko ist für die individuelle und gesellschaftliche Weiterentwicklung ist (Schneider & Rheinberg, 1996). So können risikosportliche Aktivitäten als das Bestreben interpretiert werden sich weiterzuentwickeln, indem etwas Neues, Unbekanntes und damit Unsicheres erschlossen und in etwas Bekanntes, Sicheres, Beherrschbares verwandelt wird. (Cube, 1995)
2.3.2. Psychologische Überlegungen zum Risikosportmotiv
Nach einer motivationspsychologischen Erklärung, die explizit die Motive des Phänomens Risikosport erläutert, sucht man vergeblich. Die im Folgenden kurz vorgestellten Ansätze entstammen zu großen Teilen der allgemeinen psychologischen Risikoverhaltensforschung.
In Anlehnung an Göring werden vier Ansätze verfolgt: 1. Risikosport als Erregungssuche; 2. Risikosport als Angsterlebnis bzw. Angstüberwindung; 3. Risikosport als Existenzvergewisserung; 4. Risikosport als Grenz- bzw. Erlebnissuche (Göring, 2006, 125ff). Alle vier Ansätze können hier aus Platzgründen nur angerissen werden. Zur detaillierten Auseinandersetzung empfiehlt sich die angegebene Literatur.
2.3.2.1. Risikosport als Erregungssuche
Anknüpfend an die anthropologische Annahme, dass Menschen nach einem, für jeden individuell unterschiedlichen, optimalen Zustand zwischen Reiz und Monotonie streben, wird Risikoverhalten in der Aktivationstheorie bzw. der Persönlichkeitspsychologie als Persönlichkeitsmerkmal definiert. (Schneider & Rheinberg, 1996) Dieses Persönlichkeitsmerkmal wird in Anlehnung an Zuckerman auch Sensation Seeking genannt. (Zuckerman, 1994) Um ein optimales Erregungsniveau zu halten bzw. wiederherzustellen braucht der Mensch Mechanismen, mit denen er zu viel oder zu wenig Reizstimulation entgegenwirken kann. Eine von vier von Zuckerman genannten Möglichkeiten ist
„Thrill and Adventure Seeking (TAS): Tendenz zu risikoreichen Aktivitäten in Sport und Freizeit mit hohem Erlebniswert (Bergsteigen, Fallschirmspringen usw.)“ (Rheinberg 2002, 170)
Das Optimum zwischen Reizüberflutung und Reizarmut ist von Mensch zu Mensch verschieden. Es gibt Menschen, für die Risikosport überhaupt keinen Reiz hat. Studien von Zuckerman beweisen, dass die Persönlichkeiten von Risikosportlern, wie z.B. Bergsteigern, Kletterern, Snowboarden etc. im Vergleich zu Nichtsportlern bzw. Sportlern in traditionellen Sportarten über eine deutlich erhöhte Ausprägung des Sensation-Seeking-Merkmals verfügen. (Zuckerman, 1994)
2.3.2.2. Risikosport als Angsterlebnis bzw. Angstüberwindung
Angst als Anreiz für den Risikosport zu nennen erscheint auf den ersten Blick seltsam, denn per Definition ist Angst ein „meist quälender, stets beunruhigender und bedrückender Gefühlszustand als Reaktion auf eine vermeintliche oder tatsächliche Bedrohung“ (Brockhaus, 2006, 68) und führt in vielen Fällen zu Fluchtreflexen. (ebd.) Müsste Angst demnach nicht genau das Gegenteil eines Motivs für den Risikosport sein? Unterschiedliche wissenschaftliche Ansätze von verschiedenen Autoren liefern Erklärungen dazu, warum Angst durchaus ein Anreiz dafür sein kann sich in sportlich riskante Situationen zu begeben.
Aus biologischer Sicht spricht dafür, dass die durch Angstempfinden ausgeschütteten Hormone zur Auslösung des Fluchtreflexes den Körper in einen Ausnahmezustand versetzen, der es ermöglicht Höchstleistungen zu kann und gleichzeitig „schmerzfreie, sogar lustvolle Zustände“ (Warwitz, 2001, 189) zu erleben. (ebd.) Gefühle können also gleichzeitig als positiv und negativ erfahren werden. Für ein solches Zusammenspiel zwischen Angst und Lust steht der Begriff der Angstlust, definiert als das „Auftreten von Angst und Lust im gleichen Affekt“ (Peters, 2007, 36).
Einen völlig anderen Ansatz zur Erläuterung des Zusammenhangs zwischen Risikosport und Angst wählt Semler (1994). Er sieht die sportliche Auseinandersetzung mit Angst als eine Art Training zum allgemeinen Umgang mit Angst auch in anderen Lebenssituationen (ebd.) Anhand risikosportlicher Situationen kann beispielsweise gelernt werden, dass Angst auslösende Aktivitäten nicht zwangsläufig etwas sein müssen, was zu vermeiden ist,. (ebd.) Mit anderen Worten: Angst kann beherrschbar gemacht und überwunden werden.
Darüber hinaus gibt es Theorien, die besagen, dass die...