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E-Book

Kinder im Krieg

Kindheit und Jugend im Dritten Reich

AutorHans Josef Horchem
VerlagE.S. Mittler & Sohn
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783813210125
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
'Ein Junge aus katholischem Elternhaus erlebt mit der nationalsozialistischen Machtübernahme, dass sich auch seine Eltern dem neuen System anpassen. Die soziale Komponente der Bewegung erscheint ihm als entscheidender Schritt zur Aufhebung der Klassenschranken. Das Pogrom des 9. November 1938 macht ihm allerdings die Schändlichkeit der Judenverfolgung bewusst. Die meisten Jungen seines Jahrgangs empfinden den Krieg jedoch nicht als Katastrophe, sondern - zunächst - als Abenteuer. Ihre Bereitschaft, dabei auch ihr Leben einzusetzen, rührt aus der Hingabe an das Vaterland, nicht aus der Hinwendung zum Nationalsozialismus und zum Führer. Wie nur wenige andere Titel vermag dieses Buch Einblick in Kindheit und Jugend im Dritten Reich zu geben. Man erlebt das Geschehene hautnah mit.'

Hans Horchem ist 1927 geboren. Damit ist er Angehöriger jener Jahrgänge, die man später als die »Flak-Helfer-Generation« bezeichnen sollte. Er beschreibt den Einzug der neuen Machthaber, das »sich Arran­gieren« der Erwachsenen, die Indoktrination, der Kinder und Jugendliche als »Pimpfe« und »Hitlerjungen« ausgesetzt waren, die Pogrome vom 9. November 1938, die Schulzeit und schließlich seinen Einsatz als Flakhelfer und Angehöriger der Kriegsmarine. In ungemein lebendiger Sprache bringt er diese Jahre dem Leser nahe. Wie es nur wenigen anderen gelingt, geben diese Aufzeichnungen Einblicke in Kindheit und Jugend im Dritten Reich. Der Leser erlebt das Geschehene mit.

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Am Sonntag, dem 13. Januar 1935, stimmte die Bevölkerung des Saarlandes darüber ab, ob das Saargebiet zu Deutschland zurückkehren, ob es weiter – wie seit 1920 – unter der Verwaltung des Völkerbundes bleiben, oder ob es an Frankreich fallen sollte. Das war im Versailler Vertrag so verordnet worden. Bis dahin hielt Frankreich das Mandatsgebiet besetzt und beutete die saarländischen Kohlengruben und Hüttenwerke aus.
Meine Eltern und ich wohnten damals in Mechernich, einem Bergarbeiterstädtchen in der Nordeifel, das an der Eisenbahnstrecke Köln-Trier liegt. Es gehörte zur preußischen Rheinprovinz, die sich von Kleve bis zum südlichen Hunsrück erstreckte und an die sich das Saargebiet anschloß.
Lehrer Baur hatte uns in der Volksschule wochenlang auf die Abstimmung vorbereitet. Er verband das immer wieder mit Erläuterungen des Versailler Vertrages und seiner Knebelungsparagraphen. So nannte er das. Den Vertrag selbst bezeichnete er als »Versailler Diktat«.
Weiteres Wissen über die Weimarer Zeit floß mir zu aus den Erzählungen meines Vaters und aus den Schilderungen der Brüder und Schwäger meiner Mutter.
Meine Kenntnisse über geographische Gegebenheiten orientierten sich damals nach Ländern, Regionen und Städten, die man dem Reich nach dem Ersten Weltkrieg genommen hatte. Das fing an mit den früheren deutschen Kolonien und ging bis zu Danzig, Nordschleswig, dem Memelland, dem Saarland und dem Hultschiner Ländchen.
Den Ausdruck »Reich« oder »Deutsches Reich« gebrauchte man noch völlig unbefangen und selbstverständlich. Anders als 1806, als Kaiser Franz II. auf ein Ultimatum Napoleons hin die römisch-deutsche Kaiserwürde niederlegte und damit das Ende des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation besiegelte, war das neue deutsche Reich, die Gründung Bismarcks, mit der Niederlage nach dem Ersten Weltkrieg nicht untergegangen.
Die Weimarer Republik blieb nach Verfassung und Sprachgebrauch »Deutsches Reich«. Diese Einstellung galt nicht nur für die Nationalsozialisten, sondern für alle Parteien einschließlich der Kommunisten. Für viele Deutsche bedeutete die häufige Verwendung des Begriffs auch den Rückzug auf ein geistiges Reduit, von dem man glaubte, den Belastungen und Demütigungen, die der Versailler Friedensvertrag mit sich gebracht hatte, besser begegnen zu können. Erst die mystische Überhöhung des Reichsbegriffs, die von den Nationalsozialisten betrieben wurde, führte zu Unbehagen und hielt konservative und liberale Bürger zurück, die eigene natürliche Vaterlandsliebe mit dem aus der nationalsozialistischen Rassenideologie bezogenen Vormachtanspruch gleichzusetzen.
Die skeptische Distanz war angebracht. Das »Dritte Reich«, das einen Bestand von tausend Jahren haben wollte, brachte es nur auf zwölf. Einige Zeit nach seinem Zusammenbruch wurde der Reichsbegriff von Rechtsradikalen besetzt und bis heute mißbraucht.
Die Erläuterungen zu Versailles, die man mir im Schulunterricht vermittelte, wurden unterstrichen und erhärtet durch Bemerkungen meines Vaters und durch Diskussionen, die er mit Verwandten und Freunden führte und denen ich zuhören konnte. Während der Vorbereitungen auf die Wahl im Saargebiet erzählten mir mein Vater und ein Onkel, der in Berlin wohnte, daß die meisten Deut-schen tatsächlich einen Schock bekommen hätten, als die Friedensbedingungen bekannt gemacht worden seien. Nach der Veröffentlichung des Vertragstextes am 7. Mai 1919 sei ein Sturm der Entrüstung durch Deutschland gegangen. Unsere Regierenden hätten den vierzehn Punkten vertraut, die der amerikanische Präsident Woodrow Wilson im Januar 1918 verkündet habe. Statt zum »Gerechtigkeitsfrieden« von Wilson sei es aber zum Diktat des französischen Ministerpräsidenten George Clemenceau gekommen.
Das Deutsche Reich verlor seine Kolonien. Elsaß-Lothringen wurde an Frankreich, Eupen-Malmedy an Belgien, Nordschleswig an Dänemark und das Hultschiner Ländchen an die neugegründete Tschechoslowakei abgetreten. Das Memelland fiel an Litauen. Ostoberschlesien, Westpreußen und Posen wurden dem wiedergegründeten polnischen Staat zugesprochen. Das Saarland wurde dem Völkerbund unterstellt und der Ausbeutung durch Frankreich überlassen.
Die deutsche Volkswirtschaft büßte dadurch 75 Prozent der Eisenerzvorkommen, 68 Prozent der Zinkerze und 26 Prozent der Kohlenreserven ein. Die Roheisenproduktion ging um 44 Prozent, die Stahlproduktion ging um 38 Prozent zurück.
Das deutsche Reich verlor zehn Prozent seiner Bevölkerung (3,2 Prozent im Westen, 6,8 Prozent im Osten) und dreizehn Prozent seiner Territorien (3,6 Prozent im Westen, 9,4 Prozent im Osten).
Das linke Rheingebiet wurde von alliierten Truppen besetzt, mit drei Brückenköpfen auf dem rechtsrheinischen Ufer (Mainz, Koblenz und Köln). Nach fünf bis zehn Jahren sollten die besetzten Gebiete wieder geräumt werden.
Das Reich hatte den Krieg 1918 mit einem Schuldenberg von 157 Milliarden Goldmark beendet. (Zum Vergleich: das Jahresbudget des Reichs belief sich 1913 auf fünf Milliarden Goldmark). Anfang 1921 setzten die Alliierten die Kriegsentschädigung, die Deutschland zu zahlen hatte, auf 269 Milliarden Goldmark fest, zahlbar in 42 Jahresraten. Außerdem sollte das Reich 42 Jahre lang eine Abgabe von zwölf Prozent des Wertes der deutschen Exporte an die Alliierten abführen. Das waren jährlich ein bis zwei Milliarden Mark.
Im Jahre 1924 ermäßigten die Alliierten die deutschen Reparationsverpflichtungen. Sie folgten damit den Vorschlägen des amerikanischen Finanzmannes Charles Dawes. Bis 1928 sollte Deutschland jährlich 1,75 Milliarden Mark zahlen und danach jährlich 2,5 Milliarden. Die endgültige Höhe der Entschädigung und die Dauer der Zahlungsverpflichtungen blieben offen.
Im Juni 1929 revidierten die Alliierten das Dawes-Abkommen. An seine Stelle trat der Young-Plan, benannt nach dem amerikanischen Vorsitzenden der Revisionskommission Owen Young. Die deutsche Reparationsschuld wurde für die ersten 37 Jahre auf 30,95 Milliarden Mark festgesetzt und für die Gesamtzeit des Young-Plans (59 Jahre, bis 1988) auf 34,5 Milliarden Mark.
Die Bestimmungen des Versailler Vertrages, die sich mit dem militärischen Sektor befaßten, dienten dazu, den Militärapparat Deutschlands zu zerschlagen. Der Große Generalstab wurde aufgelöst, die allgemeine Wehrpflicht aufgehoben. Die bewaffneten Streitkräfte wurden auf ein Berufsheer von 100 000 Mann und auf eine Berufsmarine von 15 000 Mann begrenzt.
Deutschland mußte darüber hinaus die Unabhängigkeit des Rumpfstaates Österreich als »unabänderlich« anerkennen.
Die Österreicher, die Südtirol mit 250 000 deutschsprachigen Einwohnern an Italien verloren hatten, durften ihren neuen Bundesstaat nicht »Deutsch-Österreich« nennen. Der Anschluß an das Deutsche Reich, 1919 von der Wiener Nationalversammlung beschlossen, wurde verboten.
Mit Gebietsverlusten hatten die Deutschen nach dem verlorenen Krieg gerechnet. Auch die Reduzierung der Streitkräfte wurde von der Bevölkerung zunächst akzeptiert. Die unangemessen hohen Reparationszahlungen belasteten die Weimarer Republik während der gesamten Jahre ihrer Existenz. Empörung aber brach aus über Artikel 231, der Deutschland allein die Schuld am Krieg gab.
Dieser Artikel leitete Teil VIII des Versailler Vertrages ein, in dem die Wiedergutmachung behandelt wurde. Danach war Deutschland »der Urheber aller Verluste und aller Schäden …, welche die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Angehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten« hatten.
Die neue Reichsregierung unter Philipp Scheidemann, der am 9. November 1918 die Republik ausgerufen hatte, erklärte dazu, der Vertrag verfolge den Zweck, »dem deutschen Volk die Ehre zu nehmen«. Am 12. Mai 1919 bezeichnete die Weimarer Nationalversammlung den Vertrag als unannehmbar. Scheidemann sprach von einem »Schandvertrag«. Er lehnte die Unterzeichnung ab und trat im Juni 1919 zurück.
Nach Abschluß der Friedenskonferenzen der Alliierten mit Deutschland, mit Österreich-Ungarn, mit Bulgarien und der Türkei brachen in mehreren deutschen und deutschsprachigen Grenzgebieten Konflikte aus.
Serbische Freischaren drangen in die Steiermark und nach Kärnten ein. Österreichische Heimwehren konnten die Angreifer nach erbitterten Kämpfen zurückwerfen. Nach einer Volksabstimmung am 10. Oktober 1920 verblieben die von Jugoslawien beanspruchten Gebiete bei Österreich.
In Oberschlesien stimmten bei einem Plebiszit am 20. März 1921 60 Prozent der Wahlberechtigten für ein Verbleiben beim Deutschen Reich. Dennoch sprachen die Alliierten im Oktober 1921 die wertvollsten Teile des Industriegebiets (Lublinitz, Rybnik, Kattowitz, Königshütte und Tarnowitz) den Polen zu. Danach kam es zu langen und blutigen Auseinandersetzungen zwischen polnischen Freischaren und deutschen Freikorpskämpfern.
Das Memelland wurde im Januar 1923 von litauischen Freischaren besetzt. Die Alliierten akzeptierten die illegale Okkupation.
Ein pittoresker Akt von Aggression entwickelte sich im kroatischen Istrien. Die Alliierten hatten in den Friedensverhandlungen die Stadt Fiume (Rijeka), die Teil von Ungarn gewesen und überwiegend von Kroaten bewohnt war, nicht Italien, sondern Jugoslawien zugesprochen. Daraufhin besetzte am 12. September 1919 Gabriele d’Annunzio – berühmter Poet und Romancier und ein Freund von Benito Mussolini – mit einem Haufen unausgebildeter Freiwilliger und meuternder Soldaten handstreichartig die...
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