Die Freie Schule Leipzig
»Die perfekte Schule gibt es nicht, aber unsere ist schon fast ein bisschen perfekt«
Bewegte Geschichte – Leipzig 1990
Kurz bevor die DDR im Oktober 1990 ihre Türen schloss, genehmigte das Ministerium für Bildung und Wissenschaft am 30. August 1990 den Betrieb der Freien Schule Leipzig (FSL). Am 1. September 1990 eröffnete die Freie Schule Leipzig für 14 Kinder im Alter von fünf bis neun Jahren und vier Erwachsene ihre Türen.
Als einzige Alternativschule der DDR ist die Freie Schule Leipzig somit einzigartig in der Freien Schulszene Deutschlands. Im November 1990 trat die Schule dem Bundesverband Freier Alternativschulen bei.
Bereits zwei Jahre später hatte sich die Schülerzahl vervierfacht, und das erste Bundestreffen der Freien Alternativschulen wurde in Leipzig ausgerichtet. Im darauffolgenden Jahr wurde den Engagierten der FSL klar, dass neben einer Grundschule auch noch eine Sekundarstufe aufgebaut werden sollte. 1995 wurde die Sekundarstufe eröffnet, während 1994 schon eine Zweigstelle ihre Pforten öffnete, die aufgrund einer Elterninitiative gegründet wurde, weil die ursprüngliche FSL ihre Kapazität ausgeschöpft hatte.
Nach dieser Aufbauphase und dem raschen Wachstum kam die erste Krise: Die Sekundarstufe stellte ihre Arbeit nach einem Jahr wieder ein, die Mitarbeiter* waren sich uneins bezüglich der Inhalte, die Räume waren unpassend. Es ging nicht weiter.
Aber es gab weiterhin den großen Wunsch, die Schüler* nicht nach der vierten Klasse ins Regelschulsystem entlassen zu müssen, und so wurde investiert: Ein Mitarbeiter wurde eingestellt, der sich ein Jahr lang nur mit dem Aufbau der Sekundarstufe beschäftigte. Der Erfolg stellte sich 1997 ein, als die Sekundarstufe wieder öffnete.
Die FSL hatte nun drei Standorte, die nach der Verabschiedung eines Dachkonzeptes autonom arbeiten. Das hatte 2006 zur Folge, dass es zu einer neuen Vereinsgründung kam. Durch die gewollte Autonomie in den verschiedenen Schulstandorten kam es zu unterschiedlichen Entwicklungen an den Schulen. Seitdem gibt es also zwei Freie Schulen mit drei Standorten in Leipzig.
Der Verein Freie Schule Leipzig e. V. feierte im September 2010 seinen 20. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch!
Ankommen in der FSL
Im Sommer 2010 unterhielt ich mich mit Schülern* der Freien Schule Leipzig, sowie mit Mitarbeitern* und Eltern darüber, wie die FSL jetzt ist.
Magda, Lydia und Leonie (14, 14 und 15 Jahre alt) erklärten mir ihre Schule und die Besonderheiten. Den Mädchen gefällt vor allem das morgendliche Ankommen in der Schule – das geschieht ohne Stress, stattdessen gibt es Zeit, sich zu treffen und zu quatschen. Die angebotenen Morgenkreise finden die Mädchen gut, trotz oder weil sich in diesem Schuljahr da auch einiges geändert hat: Die Schüler* können sich jeden Morgen aufs Neue aussuchen, ob sie in einen Morgenkreis gehen und auch bei welchem Lehrer* (ja, so heißen die erwachsenen Mitarbeiter* an der FSL, während sie in anderen Freien Schulen häufig Mitarbeiter*, Lernbegleiter* oder einfach nur Erwachsene heißen). Nicht alle Lehrer* bieten jeden Morgen eine solche Runde an, also sind die Schüler* aufgefordert, sich selbstständig zu orientieren, wer wann welchen Morgenkreis anbietet.
Das Ankommen der jüngeren Kinder in der Schule gestaltet sich ein bisschen anders: Diejenigen der ersten bis dritten Jahrgangsstufe treffen sich jeden Morgen in ihrer Gruppe, die über die Jahre meist konstant gehalten wird. Die älteren Kinder und Jugendliche des vierten bis zehnten Jahrgangs suchen sich seit diesem Schuljahr eine Vertrauensperson unter den Lehrern* aus und leben das Schulleben als große Gruppe.
Die Vertrauensperson wird von jedem Schüler* einzeln gewählt. »Bei der Verteilung der Schüler* auf die Lehrer* gibt es keine Probleme, das verteilt sich gleichmäßig; es gibt also keine besonders beliebten Lehrer* oder solche, denen man sich als Schüler* lieber nicht anvertrauen möchte. Nur die neue Lehrerin für Biologie, die hat noch keine Vertrauensschüler*, weil die ja noch niemand so gut kennt«, meint Lydia.
Mit der Vertrauensperson haben die Schüler* einmal in der Woche ein Gespräch. Dabei sind die Lehrer* offen für alles; es wird über Schulisches oder Privates geredet, über das, was man gerne lernen möchte oder über den Stress zu Hause, je nach dem, was gerade ansteht.
Freie Wahl im Tagesablauf
»Nach dem Morgenkreis kann ich mir jeden Tag aussuchen, welches Unterrichtsangebot ich wähle, oder ob ich was anderes mache, ohne Angebot von Lehrern*. Das find ich richtig gut, und es gibt keine Verpflichtung zu irgendwas, ich muss nicht zur Dreiecksberechnung gehen, auch wenn ich schon zweimal da war. Aber es ist natürlich praktisch, da weiter hin zu gehen, bis der Kurs fertig ist, sonst krieg ich das ja nicht richtig mit, oder ich halte die anderen auf, wenn der Lehrer* mir das noch mal extra erklären muss. Aber das Coole ist, dass mich keiner zwingt«, erzählen mir die Schülerinnen.
Ähnliches gilt für die monatliche Projektwoche, in der die Schüler* sich eine Woche lang auf ein Thema, ein Projekt einlassen (können) und nicht nur ungestört, sondern auch mit anderen zusammen kontinuierlich an einer Sache arbeiten können. Die letzte hatte das Thema: »II. Weltkrieg« und wurde von verschiedenen Seiten her beleuchtet. Bei Projektwochen, so erklären mir die Schülerinnen, gibt es die Empfehlung, auch wirklich die ganze Woche am gewählten Projekt zu arbeiten – aber es wird niemand gezwungen, und es ist noch nicht mal eine Verpflichtung oder Verabredung, die die Schüler* da eingehen (sollen). Während der Projektwoche finden die üblichen Angebote jedoch nicht statt.
Leonie meint: »Vielleicht klingt das doof, aber das Tolle an der Schule ist, dass man hier noch so lange Kind sein kann, wie man will, aber man wird trotzdem als Erwachsener behandelt. Also ernst genommen«.
Schulentwicklung und strukturelle Mitbestimmung
Im letzten Schuljahr gab es die Klassenstufen 1 bis 9, aber noch keine zehnte Klasse. Die jahrgangsübergreifende Arbeit fand in den Jahrgängen 1 bis 3,
4 bis 6 und 7 bis 9 statt. Die Schüler*, die nach den Sommerferien von der 4 bis 6er-Gruppe als Älteste hätten zu den 7 bis 9ern wechseln sollen, wollten das nicht. Sie wollten gerne noch mit »ihren Leuten« zusammen bleiben. In einer der wöchentlichen Schulversammlungen haben sie das angesprochen und sich dann in mehreren Treffen mit Lehrern* und anderen Schülern* überlegt, wie das Problem gelöst werden könnte, ohne dass eine Jahrgangsstufe aufgrund von individuellen Lösungen mit der Zeit zu voll wird. Ein Lehrer machte dann den Vorschlag, dass die Jahrgangsgruppen bis auf die wirklich noch jungen Schüler* ganz aufgelöst werden könnten, da die Angebote der Lehrer* ohnehin für alle offen stünden. So wurde es dann auf einer Schulversammlung beschlossen.
Das hat nun auch Auswirkungen auf das gemeinsame Reisen der Schule. Die »Schulfahrt« findet weiter wie immer gegen Ende des Schuljahres mit allen zusammen statt. Da die Altersgruppen aber weitgehend aufgelöst wurden, mussten auch die Gruppenfahrten zu Beginn des Schuljahres verändert werden. Nun ist es so, dass verschiedene Reiseziele angeboten werden, und die Schüler* sich aussuchen, wo sie mit wem hinfahren wollen, oder ob sie lieber zu Hause bleiben und in die Schule gehen wollen.
In diesem Jahr, da die Regel noch so neu ist, hat es sich noch anders ergeben: die Großen fahren alle mit ihrem ehemaligen Klassenlehrer* auf Fahrt, aber vor allem, weil sie ihn so gut leiden können.
Die Schulversammlung
Die Schulversammlung ist in der FSL das zentrale Organ. Einmal in der Woche trifft sich die ganze Schule (Schüler* und Lehrer*) zur Versammlung, in der alles, was aktuell ist, abgestimmt wird. Jeder* hat eine Stimme, egal welchen Alters. Abgestimmt wird über Regeln, (Arbeits-)Gruppen, Verschönerung in der Schule, Anschaffungen und ähnliches.
Die Arbeitsgruppen der Schulversammlung beschäftigen sich mit der Einstellung neuer Lehrer*, der Aufnahme von Quereinsteigerkindern, mit der Frage, wie sinnvoll welches Geld für was ausgegeben werden kann (und wo es überhaupt her kommt) und auch, wie eine solche große Versammlung (130 Kinder und zwölf Lehrer*) überhaupt vorbereitet, strukturiert und geleitet wird.
Neue Lehrer*, neue Schüler* und Quereinsteiger*
Neue Lehrer* werden von einer Gruppe von Lehrern* und Schülern* ausgesucht, die gleichberechtigt entscheiden kann. Der Vorstand des Trägervereins hat ein Vetorecht. Da dem Vorstand eine Kontrollfunktion zukommt, sind dort keine Mitarbeiter* der Schule vertreten, sondern nur Eltern oder andere Erwachsene, die mit der Schule verbunden sind.
Für die Aufnahme von Erstklässlern sind ausschließlich die Mitarbeiter* der Schule zuständig, eine Anfrage bei den Schülern* nach Beteiligung ergab, dass ihnen das »zu viel« sei.
Bei Quereinsteigern* ist es anders: Da gibt es auf der Versammlung der Älteren (vierter – zehnter Jahrgang) eine Mitteilung, dass jemand an die Schule kommen will, dann bildet sich eine Gruppe, die sich mit demjenigen* (und seinen* Eltern) trifft und ein Gespräch hat. Wenn alle sich einigen, kommt derjenige* zu einer Probewoche. Dann gibt es noch eine Abstimmung in der großen Versammlung und dann kann der neue Schüler* kommen. Wenn es Ablehnungen gibt, dann eher nach dem ersten Gespräch und nicht erst nach der Probewoche.
Aufgaben im Schulalltag
Um 11.45 Uhr...