2 Psychoanalytische Erkenntnishaltungen und Interventionen
A
Adaptives Handeln fördern
Dies stellt eine grundlegende Vorgehensweise bei Patienten mit gering integrierten Ich-Funktionen in bestimmten Erlebens- und Handlungsbereichen dar. Ausgehend von einer interpersonellen Orientierung liegt der Schwerpunkt therapeutischen Handelns hierbei in der Klarifizierung und Konfrontation mit eingeschränkten oder schlecht angepassten (maladaptiven) Reaktionen des Patienten in zwischenmenschlichen Beziehungen, wie z. B. in Partnerschaft und beruflichen Beziehungen. Die Einschränkung des adaptiven Handelns bei einem Patienten hat seinen Ursprung oftmals bereits in pathologischen Passungserfahrungen im präverbalen Bereich der Mutter-Kind-Interaktion und erfordert dann jenseits sprachlicher Interventionen ein affektives Eingestimmtsein auf früh gestörte Beziehungserfahrungen, die offensichtlich immer noch mehr oder weniger wirksam sind ( Entwicklungstheroetische Orientierung, Implizites Beziehungswissen).
Jahrelang hatte »Anpassung« hierzulande die Konnotation von Mitläufertum, Unterwerfung; die Hartmann’sche Ichpsychologie wurde wegen ihrer metapsychologischen Betonung der Anpassung an die Umwelt heftig kritisiert ( Ichpsychologische Orientierung). Aus heutiger Sicht sind aber die erstaunlichen Anpassungsleistungen von kleinen Kindern ein Forschungsschwerpunkt der Säuglings- und Kleinkindforschung. Sie ermöglichen überhaupt erst Prozesse der affektiven Kommunikation, der geteilten Aufmerksamkeit u. a. m. und sind Ausgangspunkt einer wirkmächtigen Selbstentwicklung. Erst missglückte Affektabstimmungsprozesse führen zu maladaptiven interpersonellen Einstellungen und Handlungsmustern.
In der Analytiker-Patient-Beziehung gilt es, permanent auf beeinträchtigte Anpassungsprozesse zu achten – wie z. B. auf ein Reden ohne Punkt und Komma, was nicht mit freier Assoziation des Patienten verwechselt werden darf –, in dem frühe Beeinträchtigungen der Selbst- und Fremdregulierung zum Ausdruck kommen können, Angst vor dem Überwältigtwerden, aber auch ein eher hysterisch phallisch zu begreifendes Imponiergehabe ( Widerstand).
Da beeinträchtigte interpersonelle Handlungsmuster auch stets mit unbewältigten intrapsychischen Konflikten und Traumatisierungen zu tun haben, ist die Trennung von interpersoneller Psychotherapie und Psychoanalyse bzw. analytischer Psychotherapie künstlich. Ein Selbsteinschätzungsinstrument, das maladaptive Interaktionsmuster aus Sicht des Patienten erfassen kann, ist das Inventar zur Identifizierung interpersonaler Probleme (IIP-deutsche Version) von Mardi Horowitz et al. (2000).
Affektive Blindheit überwinden
Ausdruck von Rainer Krause (2002a, b, 2005) für das mehr oder weniger habituelle Unvermögen mancher Psychotherapeuten, die affektiven, unbewussten Beziehungsangebote ihrer Patienten wahrzunehmen ( Implizites Beziehungswissen). Dieser nach Krauses Einschätzung nicht selten antreffbare Befund spricht für die Notwendigkeit einer guten Ausbildung von Psychotherapeuten, denn die Wahrnehmungsfähigkeit für die eigene Gefühlswelt ist nicht nur ein Ziel analytisch orientierter Therapien, sondern auch Basiskompetenz in anderen therapeutischen Verfahren. Eine durchgängige affektive Blindheit dürfte unter analytischen Therapeuten eher selten sein, ist aber dann sicherlich ein Hauptgrund für das Scheitern von Therapien. Häufiger jedoch sind Abstufungen dieser Blindheit: Die affektiven Beziehungsangebote des Patienten können zwar wahrgenommen werden, aber der Therapeut verhält sich wie ein Laie, nämlich reziprok: Auf ein Lächeln (das vom Patienten zu Abwehrzwecken eingesetzt wird) reagiert er auch mit Lächeln, auf Ärger mit Ärger usf. Bei einem weiteren Typus verhält sich der Therapeut ebenfalls reziprok und Affekt angesteckt, findet dies aber im Unterschied zum vorhergehenden Typus unangemessen, kann sich jedoch gegen die Affektansteckung nicht wehren. Nach Krause ist dies die häufigste Form des Scheiterns bei gut ausgebildeten Therapeuten. Allerdings wäre hierbei noch zu unterscheiden, ob dies nur bei bestimmten Patienten auftritt und wie der Therapeut mit der Affektansteckung nachträglich umgeht.
Im gelungenen Fall kann ein Therapeut die affektiven Beziehungsangebote wahrnehmen, die affektive Fremdinduzierung ein Stück weit in sich zulassen, aber auch die abgewehrten Gefühle des Patienten in sich nacherleben, wie z. B. die abgewehrte Angst vor Liebesverlust bei häufig lächelnden, angstneurotischen Patienten, ohne sich dabei aber von dem Lächeln anstecken zu lassen. Hier erst beginnt nach Krause die Kunst der Behandlungstechnik ( Beziehungsregulierung, Projektive Identifizierung, Selbst-/interaktive Regulierung).
Ein sehr aufwändiges Beobachtungsinstrument für affektive Blindheiten unterschiedlicher Ausprägung und Typologie ist das EMFACS (Emotional Facial Action Coding System) von Friesen und Ekman 1984 (siehe auch Krause 1997, 2012).
Eine weniger aufwändige Methode, die sich deshalb auch dafür eignet, die Kluft zwischen Psychotherapieforschung und den Interessen und Bedürfnissen der Praktiker zu verringern, sind computerisierte linguistische Maße für das emotionale Engagement, wie das Wörterbuch der Gewichteten Referentiellen Aktivität, das aus der multiplen Code-Theorie von Wilma Bucci hervorgegangen ist (2012). Das Ausmaß der emotionalen Fundierung in den Sprechaktivitäten nicht nur des Patienten, sondern auch des Therapeuten, das überwiegend nicht-bewusst abläuft, scheint für das Gelingen einer Therapie von herausragender Bedeutung zu sein und könnte auch in Supervisionen eingeschätzt werden, um frühzeitig bei nicht erfolgreichen Therapien entgegensteuern zu können.
Anerkennung
Patienten suchen nicht nur in ihrem Alltag, sondern auch in einer Analyse nach der Bestätigung ihres Soseins. Sie wollen endlich die Erfahrung machen, dass sie, so wie sie sind, anerkannt und bestätigt werden. Obwohl sie sich als krank und leidend präsentieren, als unfähig, selbst zu einer Lösung ihrer Probleme zu kommen, als depressiv, liebesunfähig und mit vielen psychosomatischen Symptomen belastet, wollen sie dennoch vom anderen anerkannt werden. Auch sie sind prinzipiell bereit, den anderen, in dem Fall den Analytiker, anzuerkennen, als Fachmann, als Autorität, als jemand, dem sie sich anvertrauen können.
Es verwundert deshalb nicht, dass die Suche nach Anerkennung, so sehr sie im einzelnen Fall auch durch eine Abwehr und entsprechende Widerstände kaschiert sein mag, für die analytische Behandlung zentral ist. Während manche nichtpsychoanalytischen Therapien es viel leichter mit dem Zulassen von Sympathiebezeugungen nehmen, haben es Psychoanalytiker aufgrund ihres Anspruchs, nicht durch überflüssig erscheinende Bekundungen – welche einen manipulativen Einfluss auf die Übertragung nehmen und somit den sich entfaltenden Beziehungsprozess beeinträchtigen könnten – in dieser Hinsicht auf den ersten Blick schwerer. Und so konnte z. B. in der klassischen Psychoanalyse nordamerikanischer Prägung, in der ein Analytiker oftmals über Stunden hinweg überwiegend schweigend den Erzählungen seiner Patienten zuhörte, diese Anerkennung für manche Patienten fragwürdig bleiben: »Hört er mir überhaupt noch zu oder langweilt er sich nicht fürchterlich?«; »Denkt er sich im Stillen, welch ein schrecklicher Mensch ich bin?«; »Eigentlich könnte ich auch ein Selbstgespräch mit mir führen«; »Noch nicht einmal ein ›Mhm‹ kommt über seine Lippen«. Die Annahme, dass der Auftrieb des Unbewussten am besten funktioniert, wenn der Analytiker das freie Assoziieren seines Patienten nicht durch eigene Äußerungen unterbricht – außer zum Zweck einer Deutung und den dazu gehörigen vorbereitenden Schritten, wie Klarifikation und Konfrontation –, ließ jegliche andere Intervention als unanalytisch erscheinen. Manche Analysen verliefen wegen dieses ichpsychologischen Ideals einer möglichst lang durchgehaltenen sensorischen Deprivation über mehrere Stunden hinweg von Seiten des Analytikers schweigend; aber selbstverständlich war dieser dabei nicht unkonzentriert oder gar abwesend. Und natürlich haben viele dieser früheren Patienten auch gespürt, dass sie trotz Schweigsamkeit anerkannt wurden.
Aber dennoch galten beruhigende, tröstende, spiegelnde, aufmunternde, anerkennende und Mut machende Interventionen nicht als analytisch, sondern nur als »psychotherapeutisch«, und waren allenfalls bei Patienten mit gravierenden ichstrukturellen Defiziten berechtigt. Denn diese psychotherapeutischen Maßnahmen versuchten – so war die Annahme – unter Zuhilfenahme der Beziehung mit ihren suggestiven und beschwörenden Anteilen eine Linderung der Symptome oder gar eine Heilung herbeizuführen, die aber – da die zugrunde liegenden unbewussten...