Annäherung an einen Schnittpunkt der Kulturen
Triest ist eine spröde Schönheit, die nicht jedem gleich um den Hals fällt. Sie will langsam erobert werden. Diese Stadt hat nicht die Einzigartigkeit von Venedig, nicht den großen historischen Hintergrund von Wien, nicht die mediterrane Heiterkeit von Istrien – und doch einen Gutteil von all dem. Wer Triest kennenlernen will, muss empfänglich sein für einen gehörigen Schuss
Nostalgie, darf notfalls kalten Wind und peitschenden Regen nicht scheuen. Die Triestiner können nämlich schlechtes Wetter durchaus genießen. In der heimeligen Atmosphäre eines Kaffeehauses etwa, während draußen die Bora tobt und das Meer die große Piazza scheinbar zu verschlingen droht.
Triest ist von herber Schönheit. Mag man die Stadt, dann erscheint sie wie ein frecher, vorlauter Bengel mit blauen Augen und Händen zu groß, um eine Blume damit zu verschenken; wie eine Liebe voll Eifersucht. So beschreibt der Dichter Umberto Saba sein Triest. Einen Ort am Schnittpunkt von Ost und West, Nord und Süd, lateinischer, slawischer, griechischer und jüdischer Welt, wo Mitteleuropa in den mediterranen Raum einfließt, ein Schmelztiegel an Völkern, Kulturen und Religionen. Hermann Bahr, der österreichische Schriftsteller, der hier seine „Dalmatinische Reise“ auf einem Linienschiff des Llyod Triestino begann, sagte über die Stadt: „Merkwürdig ist Triest. Die schönste Landschaft. Schöner als Neapel. Aber gar keine Stadt. Man hat das Gefühl, hier überhaupt nirgends zu sein. Es kommt einem vor, als bewege man sich im Wesenlosen.“
Nach dem Zweiten Weltkrieg fast ein halbes Jahrhundert lang ein weltvergessener Winkel am Rande des Balkan, könnte das kosmopolitische Triest nun, da die nur 8 Kilometer vom Zentrum entfernte Grenze zum Nachbarland Slowenien nicht mehr das Ende der westlichen Hemisphäre bedeutet, eine wichtige Brückenfunktion einnehmen. Wenn die Politiker in Rom mitspielen, hat die Stadt alle Chancen, zu einer geistigen wie wirtschaftlichen Drehscheibe, zu einem Knotenpunkt im Herzen Europas zu werden. Erfolgreich konnte sich Triest bereits von dem fatalen Image befreien, nur noch von seiner immer stärker bröckelnden Substanz zu zehren. Viele Jahrzehnte nach dem Zerfall der Donaumonarchie musste k. u. k. Nostalgie als Synonym für Tristesse herhalten. Heute hat man genügend Selbstbewusstsein, um die frisch herausgeputzten Zeugnisse von mehr als fünf Jahrhunderten österreichischer Herrschaft ohne Sentimentalität und mit Stolz als historisches Erbe zu präsentieren, aus dem die Stadt ihre unverwechselbare Identität gewonnen hat. Dazu gehört aber auch, ohne Scheu die dunklen Seiten der Geschichte aufzuzeigen, als zunehmende nationale Spannungen das Pulverfass Triest zu zerreißen drohten.
Ein bisschen Gutes und ein wenig Schlechtes ziehen das Boot gerade, heißt es in einem Triestiner Sprichwort. Wie wahr, hat doch die Stadt zwei Gesichter wie der janusköpfige Brunnen am Beginn der Viale XX Settembre. Nicht nur ein italienisches und ein slawisches, auch ein mitteleuropäisches und ein mediterranes. Fast jeder Triestiner ist zumindest zweisprachig, wobei Italienisch im städtischen Bereich und Slowenisch im umliegenden Karstland vorherrschend sind. Nur eine verschwindende Minderheit kann sich noch auf Deutsch verständigen. Dazu kommt der von der gesamten Bevölkerung gesprochene Triestiner Dialekt, Triestin genannt, der ein kleines Abbild der Sprachen der Donaumonarchie darstellt, enthält er doch zahlreiche Elemente des Venezianischen sowie des Slowenischen, Kroatischen, Deutschen und Griechischen.
Auch historische Figuren und Ereignisse betrachtet man gerne von zwei Seiten. So wird zum Beispiel der Student Guglielmo Oberdan, der eigentlich Wilhelm Oberdank hieß und nach einem missglückten Attentat auf Kaiser Franz Joseph in Triest 1882 hingerichtet wurde, bis heute in Straßennamen und Denkmälern – in ganz Italien – als Märtyrer gefeiert. Gleichzeitig huldigt man nicht nur dem Bruder des Kaisers, Erzherzog Ferdinand Maximilian, auf der Piazza Venezia mit einem mehr als 9 Meter hohen Bronzemonument, das nach 90-jährigem „Exil“ in einem Winkel des Schlossparks von Miramare 2008 wieder seinen ursprünglichen Platz im Stadtzentrum erhielt. Auch das Denkmal von Kaiserin Elisabeth wurde aus der Verbannung geholt. Seit 1997 grüßt „Sisi“ die Triest-Reisenden wieder auf der Piazza della Libertà vor dem Hauptbahnhof.
Während die Bedeutung der Stadt als Seehafen und Warenumschlagplatz aufgrund der jahrzehntelangen sträflichen Vernachlässigung durch die Zentralregierung in Rom nur langsam wieder steigt, hat sich Triest still und leise zu einem der beliebtesten Handels- und Einkaufsorte Italiens entwickelt. Mehr als 4 000 Geschäfte sowie zahlreiche große Kaufhäuser, Einkaufszentren und lokale Märkte locken nicht nur Einheimische, sondern auch viele Besucher aus der näheren und weiteren Umgebung wie Österreich, Slowenien und Kroatien an.
Was gibt es Reizvolleres, als in Antiquitäten- oder Buchläden zu stöbern, schicke Boutiquen rund um den Corso Italia aufzusuchen, sich kulinarische Souvenirs wie Käse, Honig oder Wein einpacken zu lassen, zwischendurch ein Mußestündchen in einem der alten Kaffeehäuser zu verbringen und dann bei einem Spaziergang auf dem Molo Audace schräg gegenüber der Piazza dell’Unità d’Italia den Sonnenuntergang zu genießen? Um den Tag würdig abzuschließen, wartet die Triestiner Gastronomie mit Spezialitäten auf, deren Ursprünge wiederum aus den verschiedenen Welten der Stadt stammen: italienische Küche, angereichert mit Rezepten aus dem alten Österreich und vom Balkan.
Autofahren ist in Triest allerdings alles andere als ein Vergnügen, hat doch jeder zweite Einwohner einen PKW, von Bussen, Lastwagen, Motorrädern und Mopeds ganz zu schweigen. Wenn es regnet, gerät der Verkehr vollends zum Chaos. Parkplätze und Garagen sind nicht nur im Zentrum rar und dementsprechend teuer. Es lohnt sich daher, den Wagen am Stadtrand – zum Beispiel an der Riviera von Barcola – abzustellen und auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen.
Die Busse verkehren pünktlich und in relativ kurzen Intervallen. Als einzige Straßenbahn ist die Linie 2 übrig geblieben, die als ratternde Standseilbahn die Piazza Oberdan im Zentrum mit dem hoch im Karst liegenden Opicina verbindet.
Sämtliche Sehenswürdigkeiten von Triest und Umgebung, inklusive Muggia, Duino und die Ortschaften im Karst, sind mit den „Öffis“ ohne Stress sicher und bequem zu erreichen. Wie wär’s, gönnen Sie doch auch Ihrem Auto einen schönen Triest-Urlaub!