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Ingrid Bergman

Ein Leben

AutorThilo Wydra
VerlagDeutsche Verlags-Anstalt
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl752 Seiten
ISBN9783641150105
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Ingrid Bergman (1915-1982) zählt zu den wenigen weiblichen Weltstars des Kinos. Zu ihren bekanntesten Filmen gehören Klassiker wie 'Berüchtigt' von Alfred Hitchcock, 'Das Haus der Lady Alquist', 'Casablanca', 'Wem die Stunde schlägt', 'Die Kaktusblüte' oder 'Herbstsonate'. Im Lauf ihrer fast 50-jährigen Karriere erhielt sie drei Oscars.

Ihr Leben hingegen war für die Tochter eines schwedischen Vaters und einer deutschen Mutter, die beide früh starben, eines ohne festen Boden. Als Johanna von Orleans verehrt, entfachte ihre Beziehung mit Regisseur Roberto Rossellini vor allem in Amerika einen Skandal, der sie über Jahre die Sympathien des Publikums kostete. Auf der Basis neuer Quellen und zahlreicher Gespräche mit der Familie - u. a. mit den Töchtern Isabella Rossellini und Pia Lindström - sowie mit Weggefährten - u. a. mit Schauspiellegende Liv Ullmann - schildert Thilo Wydra in dieser ersten neuen Biographie seit vielen Jahren das beeindruckend vielfältige Schaffen und leidenschaftliche Leben der großen Schauspielerin, die in sich zerrissener war, als ihr öffentliches Bild es nahelegt.

Thilo Wydra, geboren 1968 in Wiesbaden, lebt in München. Nach dem Studium der Komparatistik, Germanistik, Kunstgeschichte und Filmwissenschaft an den Universitäten Mainz und Dijon (Burgund) arbeitet er seit den frühen 1990er Jahren als freier Autor und Publizist und hat in verschiedenen Zeitungen (Der Tagesspiegel, FAZ, NZZ am Sonntag, etc.) und Zeitschriften publiziert. Von 2004 bis 2011 war er Deutschland-Korrespondent der Internationalen Filmfestspiele von Cannes. Seit 2012 ist er als Fachberater und TV-Experte bei ZDF-History-Dokumentationen tätig. Er ist Autor zahlreicher Künstler-Biographien und Filmbücher, darunter u.a. Rosenstraße (2003), Romy Schneider (2008), Alfred Hitchcock (2010), Grace. Die Biographie (2012), Ingrid Bergman. Ein Leben (2017), Hitchcock's Blondes (2018), des Bestsellers Eine Liebe in Paris - Romy und Alain (2020), Gegenwärtig sein. Margarethe von Trotta (2022) und Grace Kelly und Diana Spencer - Zwei Frauen. Zwei Leben. Ein Schicksal (2022). Seine Bücher wurden bislang in sieben Sprachen übersetzt.

»Wydra ist ein hervorragender biografischer Autor, bestens vertraut mit filmischer Dramaturgie und der Neugier seiner Leserinnen und Leser.«
Hans Helmut Prinzler

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Leseprobe

Vorspann

Die vielen Leben der Ingrid B.

Die Kamera hat mir nie Angst gemacht.

Ingrid Bergman[1]

Es mag der Mythos eines einzigen Filmes sein, dessen schwarz-weiße klare Strahlkraft ungebrochen bis in die Gegenwart hineinwirkt und gemeinhin als Erstes mit ihrem Namen verbunden wird: Casablanca (1942).

Diese weltumspannende, zeitlos wirkende Liebesgeschichte um Rick und Ilsa, die sich in den Wirren des Zweiten Weltkriegs in der Stadt an der Nordküste Marokkos wiederbegegnen, hat längt ikonographischen Charakter erlangt. Das tröstliche »Wir haben immer noch Paris« ist ebenso zum allbekannten geflügelten Wort geworden wie »Schau mir in die Augen, Kleines« und nicht zuletzt »Das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft«.

Herman Hupfelds weltbekannter Song As Time Goes By, gesungen von Dooley Wilson, ist von einem geradezu globalen Wiedererkennungseffekt.

Casablanca ist in das kollektive Gedächtnis eingegangen.

Ingrid Bergman selbst war über den Erfolg dieses Films – dem zum Zeitpunkt der nicht einfachen Dreharbeiten niemand größere Bedeutung beimaß und der beinahe in dieser Besetzung mit ihr und Humphrey Bogart überhaupt nie gedreht worden wäre –, Zeit ihres Lebens immer sehr verwundert.

»Während der Dreharbeiten hatten wir absolut kein Vertrauen in den Film, weil das Drehbuch so schlecht war. Es wurde ja auch Tag für Tag geschrieben. Nichts daran war klar, und wir wussten überhaupt nicht, wo es hinging. Ich wusste nicht einmal, welchen Mann ich wirklich lieben sollte. Bis zum Schluss wusste also niemand, wie der Film werden würde. Und dann, als alles geschnitten war, nach all den Schwierigkeiten und den Streitereien und dem Umschreiben – da kommt dieser absolut wunderschöne Film dabei heraus«, sagt sie einmal in einem ihrer selteneren Fernsehinterviews der CBC im Jahr 1971, selbst immer noch ganz entgeistert.[2] Man glaubt es ihr.

Ingrid Bergman – Ikone der Kinogeschichte, zeitloser Weltstar, moderne, emanzipierte Weltenbürgerin – ist so viel mehr als nur die blutjunge Protagonistin aus dem Welterfolg Casablanca. Vor allem: Sie hat so viel mehr Filme gedreht, die ihr eher entsprechen, die ihr persönlich wichtiger waren. Intermezzo. Gaslight (Das Haus der Lady Alquist). Dr. Jekyll and Mr. Hyde. Notorious. Cactus Flower (Die Kaktusblüte). Herbstsonate. Die drei wichtigsten Regisseure ihrer fünf Jahrzehnte umspannenden Karriere sind Gustaf Molander, Alfred Hitchcock und Roberto Rossellini.

Alfred Hitchcock hat Ingrid Bergman in dreien seiner Filme besetzt, damit ist sie zusammen mit Grace Kelly die einzige Schauspielerin, die der gewichtige Master of Suspense mehrfach wiederholt einsetzt. In den drei Hitchcock-Filmen Spellbound (Ich kämpfe um dich, 1945), Notorious (Berüchtigt, 1946) und Under Capricorn (Sklavin des Herzens, 1949) ist sie so schön, so einzigartig von der Kamera fotografiert, wie wohl in nahezu keinem anderen ihrer Filme. Bei Hitchcock ist sie anmutig und apart, ist sie verführerisch und verrucht, ist sie Engel und Vamp. Es sind mithin ihre komplexesten Filme. Notorious – in dem sie an der Seite Cary Grants zu sehen ist und Hitchcock mit ihnen beiden den längsten Kuss der Filmgeschichte inszeniert und wider die US-Zensur durchsetzt – ist wahrscheinlich Ingrid Bergmans beste darstellerische Leistung, ihr Meisterstück. Hitchcock sah Ingrid Bergman, er erkannte sie. Sie bleiben ein Leben lang Freunde, bis zum Tod Hitchcocks im Jahr 1980, nur zwei Jahre vor ihrem eigenen.

Ingrid Bergman, 1915 als Tochter eines schwedischen Vaters und einer deutschen Mutter in Stockholm geboren, hat es von Anfang an nicht leicht in ihrem Leben. Ihre Mutter, die in Hamburg geborene Friedel Adler, stirbt 1918, da ist die kleine Ingrid gerade einmal zweieinhalb Jahre. Es bleibt ihr nur der Vater Justus. Und auch Justus Bergman stirbt, da ist Ingrid dreizehn. Sie ist mal bei der einen Tante, mal bei der anderen, verbringt den Sommer immer in Hamburg bei der deutschen Verwandtschaft, die restliche Zeit des Jahres in ihrer Geburtsstadt Stockholm. Früh schon ist da eine erste Zerrissenheit. Früh schon ist da das Fehlen von Halt, von Stabilität, von Sicherheit. Und die tiefe Sehnsucht nach den Künsten, besonders dem Film und dem Theater. Spielen und Träumen als Lebensersatz. Sie sei wirklich besessen davon gewesen, sich bekannt zu machen und berühmt zu werden, erzählen selbst Freunde von ihr.[3] Ingrid hat Zeit ihres Lebens keinen festen Boden unter den Füßen. Als sie im Alter von siebzehn Jahren auf der Schauspielschule des Stockholmer Königlichen Dramatischen Theaters aufgenommen wird, sagt sie: »Dies war meine Heimat, mein Zuhause.«[4]

Einem roten Faden gleich zieht sich dies durch ihr ganzes Leben und Arbeiten. Ohne das Filmen, ohne die Arbeit, ohne die Kamera kann sie nicht sein. Sie geht drei Ehen ein, die am Ende alle scheitern. Die ihr das geben sollen, wonach sie ihr Leben lang seit der unbehüteten Kindheit sucht: Liebe, Geborgenheit, Halt. Den Boden unter ihren Füßen. Mit ihren vier Kindern versucht sie, so etwas wie ein Nest zu errichten. Doch auch hier ist es die Ambivalenz der Künstlerin und Mutter, die sich immer wieder entscheiden muss zwischen ihrer Familie und ihrer anderen großen, größeren Liebe, dem Kino, dem Theater. Leben oder Spielen? Oft ist es die Arbeit, für die sie sich entscheidet. Auch für Ingrid Bergmans eigene Kinder ist das Aufwachsen nicht leicht, ist die häufige Abwesenheit der Mutter schmerzlich und prägend.

Die Rolle der Johanna von Orléans ist lange Zeit ihre Lieblingsrolle. Die will sie unbedingt spielen, nein, die muss sie spielen. Schon als siebenjähriges Kind hat sie diesen Wunsch. Einer der Beweggründe, warum sie sich trotz Ehemann und kleiner, kaum einjähriger Tochter bereits 1939 vom mächtigen Hollywood-Produzenten David O. Selznick (Vom Winde verweht, Rebecca) nach Amerika holen lässt, allein zunächst, ohne ihre junge Familie, da dort die Verfilmung eines Johanna-Stoffs angedacht ist. Mit ihr, versichert der Mogul Selznick. Das Projekt verschiebt sich mehrfach. Dann, endlich, 1948, inszeniert Victor Fleming den Kinofilm Joan of Arc mit ihr in der Titelrolle.

Aus der Rolle ihres Lebens wird, unfreiwillig, ihre Lebensrolle.

In den USA der Vierzigerjahre wird Ingrid Bergman gleichgesetzt mit der Jungfrau von Orléans. Tugendhaft, rein, anständig. In den Kirchen werden Marienstatuen mit Ingrid Bergmans Konterfei aufgestellt. Sie wird von den Menschen angehimmelt und verehrt, zu einer Heiligen glorifiziert: Aus der heiligen Johanna wird die heilige Ingrid. Doch stimmt dieses überhöhte öffentliche Bild überhaupt nicht mit dem Menschen überein, der dahintersteht. Erlebten die Menschen sie schließlich, waren sie erstaunt angesichts ihrer Normalität und Natürlichkeit, die sie meist ausstrahlte.

Dann kommt das Jahr 1949: Aus der Begegnung mit dem italienischen Regisseur Roberto Rossellini wird eine Liebesbeziehung. Beide sind anderweitig verheiratet, beide haben sie Kinder. Es ist der große internationale Gesellschaftsskandal der Fünfzigerjahre, wenn nicht des 20. Jahrhunderts. Die Medien stürzen sich auf das Paar und verfolgen es, US-Senatoren wollen Ingrid Bergman nicht mehr in ihrem Land sehen. Es ist der Hochverrat der Johanna von Orléans am prüden US-amerikanischen Volk und seinen moralischen Werten. Nichts mehr ist so wie zuvor in Ingrid Bergmans Leben. Sieben Jahre betritt sie keinen amerikanischen Boden mehr. Acht Jahre sieht sie ihre erste Tochter Pia nicht.

Ingrid Bergman hat ein volles, »ein reiches Leben gehabt«, mit vielen Hochs und nicht minder vielen Tiefs.[5]

Und, sie ist all das: Da ist einerseits ihre Geradlinigkeit, ihre Natürlichkeit, ihre Bescheidenheit. Ihr Frohsinn und ihr lautes Lachen. Auch ihr Geerdet-Sein, ihre Bodenständigkeit, ihr Familiensinn. Und ihre eiserne, beinahe preußisch-deutsche Disziplin, ihre Entschlossenheit. »Ich arbeite sehr hart, das ist wahrscheinlich die Basis von allem. Ich habe keine Angst davor, viel zu tun. Ich muss wohl ziemlich viel Courage haben, dass ich mich immer so aus dem Fenster lehne. Ich habe so viel Glück gehabt«, sagt sie 1973 einmal.[6]

Und da ist andererseits ihre nahezu obsessive Abhängigkeit von der Arbeit, vom Spielen, ihr vehementes zielbewusstes Vorantreiben der Karriere, ganz gleich, welche Opfer es koste. Ihre Unnahbarkeit, ihre Gebrochenheit. Ihre ausgeprägte Scheu vor Menschen und ihre Angst. Und ihre tiefe, teils unerfüllte Liebessehnsucht. »Meine Triebkraft war immer die Arbeit gewesen … Mein Leben wird nun einmal durch meine Arbeit bestimmt … Und immer wieder stand ich vor dem alten Dilemma: Was war wichtiger, was war stärker – der Wunsch, meine Ehe aufrechtzuerhalten, oder der Wunsch, wieder zu spielen?«, sagt sie ein anderes Mal.[7]

Es ist die Ambivalenz und die...

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