2.1 Biologie bestimmt Verhalten – Verhalten bestimmt Biologie: Stand der Forschung
Neuro-Leadership ist kein eigenes Forschungsgebiet, sondern nutzt die Erkenntnisse der Neuro-Wissenschaften zur Qualitätssteigerung von Führung. Es erscheinen jährlich ca. 100.000 Studien, die sich mit dem Gehirn im weitesten Sinne beschäftigen, doch nur ein Bruchteil davon ist für das Thema Führung interessant. Die meisten Studien beschäftigen sich mit Krankheiten wie Demenz oder Epilepsie. Aber es gibt inzwischen immer mehr Untersuchungen dazu, wie ein gesundes Gehirn funktioniert. Dadurch können wir lernen, was unsere Mitarbeiter brauchen, um Topleistungen zu bringen. Vor diesem Hintergrund werden folgende Fragestellungen immer häufiger und tiefgründiger untersucht: Welche Gehirnareale werden bei wahrgenommener Unfairness aktiviert, wie wird sozialer Ausschluss im Gehirn verarbeitet und wie funktioniert im bio-chemischen Sinne Begeisterung? Im Folgenden werden wir die wichtigsten Organisationsprinzipien des Gehirns, die für das Thema dieses Buchs praktische Relevanz besitzen, aufzeigen.
Organisationsprinzip 1:
Es besteht eine gegenseitige Beeinflussung zwischen der Bio-Chemie des Gehirns und unserem Verhalten.
Diese Erkenntnis haben wir uns an unserem Institut, dem Ersten Deutschen Zentrum für Leistungsmanagement und Burnout-Prävention, zu Nutze gemacht und daraus eine Schlüsselprämisse für die Trainings entwickelt.
Abb. 7: Wechselseitige Beeinflussung von Neuro-Biologie und Verhalten
Für jede Führungssituation wurde eine neurobiologische Entsprechung identifiziert. Das kann z. B. anhand des Zusammenhangs von Dopamin und Veränderungsbereitschaft verdeutlicht werden. Dopamin ist ein Botenstoff im Gehirn, der für Antrieb, Motivation, Neugierde und Begeisterung zuständig ist. Je mehr Dopamin sich im Gehirn findet, desto neugieriger und veränderungsbereiter sind wir, je weniger, desto ängstlicher agieren wir – ein Beispiel dafür, wie Verhalten von der Biologie bestimmt wird. In einem Tierversuch, der an Ratten durchgeführt wurde, konnte man bereits nachweisen, dass eine unnatürlich geschaffene Veränderung der Lichtverhältnisse zu einer Abnahme von Dopamin im Gehirn führt (Dulcis 2013). Die Tiere wurden deutlich ängstlicher, als ihr Biorhythmus durcheinander gebracht wurde. Verhalten hat also eine biologische Entsprechung!
Ratten und Mäuse eignen sich als Versuchstiere deshalb besonders, weil sich Ihr Hirnaufbau nur wenig vom menschlichen unterscheidet, die verhaltensrelevanten Strukturen sind ähnlich. Eine 100 %ige Ableitung aus Tierversuchen ist zwar nicht möglich, doch die Hinweise, die wir aus Tierversuchen in Bezug auf unser Gehirn gewinnen, sind sehr wertvoll.
Umgekehrt führen Verhaltens-Trainings, die Neugierde wecken, auch zu einer Zunahme des Dopamins. Der Weg geht also auch umgekehrt, Verhalten bestimmt Biologie. Diese Erkenntnis macht sich die Psychologie zu nutze. Verhaltenstherapie kann die Bio-Chemie positiv beeinflussen. Durch eine Therapie steigt der Spiegel der positiv wirkenden Neurotransmitter wie Dopamin und Serotonin an und es kommt zu einer Verbesserung des Zustandes.
So kann geschlussfolgert werden, dass eine solche wechselseitig Beeinflussung auch im Bereich Neuro-Leadership existiert: Führungsverhalten beeinflusst die Neurobiologie. Die Fortschritte von Wissenschaft und Technik bieten uns heute den Vorteil, dass wir beim Denken „zusehen” können. Es haben sich in den letzten 20 Jahren die bildgeben Verfahren immer weiter verbessert. Mithilfe der funktionellen Magnetresonanz Tomografie finden Gehirnforscher im Gehirn Nervenverbände, die z. B. bei einer Angstsituation „feuern”. Mit Feuern ist gemeint: Diese Nervenzellen werden besonders aktiv, wenn sich jemand im Zustand von Angst befindet. Andere Nervenzellen werden beim Fahrradfahren besonders aktiv, wieder andere beim Musikhören. So können wir inzwischen für sehr vielen Tätigkeiten die entsprechenden Gehirnregionen zuordnen.
Ein anderes Verfahren ist das EEG (Elektroenzephalografie). Damit können die Zeitpunkte der Aktivität in verschiedenen Nervenzellen untersucht werden. So führt dies einige Neuro-Wissenschaftlern, z. B. den Bremer Neurowissenschaftler Roth, zu der Annahme, dass es nur bedingt einen freien Willen gibt, weil die Entschlussregion im Gehirn erst nach der neuronalen Ausführung der Aktivität aktiv wurde. Im Klartext: Unser Gehirn gibt zuerst das Signal, dass wir unsere Hand bewegen, aber erst einige Millisekunden später entschließt es sich dazu. Vom Großteil der wissenschaftlichen Gemeinde werden Roths Thesen aber abgelehnt: Egal, welche Nerven zuerst feuern, wir können uns frei entscheiden, es gibt einen freien Willen.
Psychologie und Pädagogik sind angereichert worden – mit bildgebenden Verfahren, durch die Gehirnforschung und durch clevere Versuche der empirischen Sozialwissenschaftler. Was bislang oft Beobachtung von Verhalten und Erfahrungswissen war, ist nun durch die Komponente Biologie messbarer geworden. Dadurch haben sich einige Thesen der Geisteswissenschaften bewahrheitet (z. B., dass Ziele für Motivation eine wesentliche Rolle spielen), andere können verworfen werden. So können wir aus neurobiologischer Sicht ziemlich sicher sagen, dass eine „Einordnung” oder ein „Auf-Spur-bringen” nicht zu einer Leistungssteigerung des Mitarbeiters führen wird.
Unsere Trainings finden oft besonderen Anklang in technikgeprägten Unternehmen und bei „rationalen” Menschen (wir sehen in Kapitel 3, dass es solche Menschen nicht gibt), weil die Biologie Zahlen, Daten und Fakten liefert und Verhalten verstehbar macht.
Organisationsprinzip 2:
Mithilfe von Softskills, wie z. B. der Fähigkeit, gut zu kommunizieren, lässt sich die Biologie des Mitarbeitergehirns beeinflussen.
Modernen Führungstheorien werden stets von der aktuellen Forschung auf den Prüfstand gestellt. Die reine Beobachtung von Verhalten reicht nicht mehr, um gute Führungsaussagen zu treffen. Dies ist bislang kaum in den Führungskräfteausbildungen angekommen. Neuro-Leadership schließt diese Lücke.
So haben die Neurowissenschaften z. B. das sogenannte „Belohnungssystem” im Gehirn identifiziert:
Abb. 8: Nukleus accumbens, das Belohnungssystem im Gehirn
Die dunklen Stellen im Bild entsprechen dem Nukleus accumbens, dem Belohnungssystem. Die Grafik zeigt eine Situation, in der für den Menschen gerade etwas Angenehmes stattfindet. Sein Gehirn „belohnt” ihn.
Geht es also um Belohnungsaktivitäten, wird der Nukleus accumbens farbig dargestellt, weil sich die Durchblutung in diesem Areal ändert, da dort eben eine besondere Aktivität stattfindet.. Wenn man nun weiß, wofür die Areale zuständig sind und deren Aktivität messen kann, kann man Rückschlüsse auf den Zusammenhang zwischen Reizen, Gehirnaktivität und Verhalten ziehen.
Für die Führungskräfte birgt die Beschäftigung mit diesem Thema zwei große Chancen:
Zunächst wird die eigene Leistungsfähigkeit stark erhöht. Indem Sie verstehen, was Ihr Gehirn braucht, um Sie erfolgreich zu machen, wird Ihnen eine zielführende Selbstorganisation leichter fallen.
Der zweite Punkt schließt sich daran an. Wenn Sie verstehen, was Ihr Mitarbeiter braucht, wird es Ihnen leicht fallen, ihm dies zu geben. Daher sind die Neurowissenschaften für Führungskräfte so spannend.
Daraus lassen sich Anforderungen für die Führungskräfte ableiten: In Zukunft müssen sie verstärkt die kontinuierliche Veränderungsbereitschaft beim Mitarbeiter im Blick haben. Die Welt verändert sich, genauso verändert sich auch das Unternehmen. Die Führungsaufgabe ist es, dem Mitarbeiter die Veränderung möglich zu machen. Für diese Führungsaufgabe ist die Neuro-Biologie enorm hilfreich.
Einer der zentralen Leitsätze der Gehirnwissenschaften ist:
Organisationsprinzip 3:
Unser Gehirn liebt Sicherheit!
Eine der zentralen Aufgaben unseres Gehirns ist es, uns sichere Prognosen über die Welt zu stellen. Insofern haben die Gehirnwissenschaften u. a. die Aufgabe, den scheinbaren Widerspruch zwischen Sicherheit und einer sich ständig verändernden Welt zu lösen. Dafür gibt es im Gehirn verschiedene Regionen und Funktionen. Das Gehirn ist ein komplexes modulares Netzwerk mit vielen Sicherungen und Backup-Möglichkeiten, daher ist eine Darstellung immer eine Vereinfachung. Eine gelungene Darstellung liefert Manfred Spitzers Buch „Geist im Netz”.
Die folgende Grafik zeigt wichtigsten Gehirnregionen:
Abb. 9: Aufbau des Gehirns
In der Abbildung sehen Sie einen Querschnitt des Gehirns. Je tiefer die Regionen im Gehirn liegen, desto weniger sind die dort angesiedelten Funktionen durch unseren Willen (Präfrontale Cortex) zu steuern.
Präfrontaler Cortex (vorderer Bereich der Großhirnrinde) | Verstand, Arbeitsspeicher, Hemmung von... |