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Volkes Wille?

Warum wir mehr Demokratie brauchen

AutorStefan Howald
VerlagRotpunktverlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783858696533
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Demokratie ist nur wirklich, wenn sie stetig erneuert und erweitert wird. Doch heute ist das Gegenteil der Fall: Stagnation, Krise der Demokratie, Entwertung demokratischer Prozesse. Wir brauchen eine Demokratisierung der Wirtschaft, transnationale Bu?rgerrechte und neue direktdemokratische Formen.

Stefan Howald, 1953 geboren, schloss das Studium der Germanistik mit einer Dissertation zum Romanwerk von Robert Musil ab, wirkte dann als Journalist und Publizist, davon zwölf Jahre in London, und ist zurzeit Redaktor bei der WOZ Die Wochenzeitung in Zürich. Verschiedene Buchpublikationen, zuletzt Walter Jonas. Künstler. Denker. Urbanist, Zürich 2011.

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Leseprobe

Kapitel 2: Was die Schweizer Demokratie gefährdet

»Für eine Million Franken mache ich aus einem Kartoffelsack einen Bundesrat«


Geheime Verführer


Den Spruch über den Kartoffelsack und den Bundesrat soll Rudolf Farner geäußert haben, um 1960, nachdem seine Werbeagentur erstmals amerikanische PR-Methoden in der Schweiz etabliert hatte.1 Ob er ihn wirklich je gesagt hat, wollte er lange Jahre weder bestätigen noch dementieren, denn die Aussage gehörte bald zu seinem Image, und sie umschrieb auch die Macht, die man den neuen PR-Methoden, positiv oder negativ, zuschrieb. 1957 hatte der US-amerikanische Publizist Vance Packard das Buch The Hidden Persuaders veröffentlicht, das ein Jahr später unter dem Titel Die geheimen Verführer. Der Griff nach dem Unbewussten in jedermann auf Deutsch erschien und zum Sensationserfolg wurde. Packard schilderte in grellsten Tönen die neuen Methoden der sogenannten Tiefenpsychologie und konnte mit konservativem Vorbehalt das Schreckbild der kommunistischen Gehirnwäsche evozieren, aber zugleich ein ungeahntes Feld kommerzieller Verlockungen eröffnen.

Der 1917 geborene Rudolf Farner hatte 1950 die Dr. Rudolf Farner Werbeagentur und 1951 zusammen mit dem späteren Oberstdivisionär Gustav Däniker die Dr. Rudolf Farner Public Relations Agentur gegründet. Ab Mitte der 1950er-Jahre setzten sich beide Teilhaber im sogenannten Konzeptionsstreit innerhalb der Schweizer Armee für eine massive Aufrüstung der mechanisierten Truppen und der Luftwaffe sowie für die Anschaffung von Atomwaffen ein. Dazu benützten sie aggressive, negative Werbekampagnen, die gelegentlich direkt auf den Mann spielten, und setzten eigens gegründete Vereinigungen wie den Verein zur Förderung des Wehrwillens ein. Während die PR-Agentur Zeitungen und Zeitschriften Gratistexte zur Verfügung stellte, ließ die Werbeagentur bei Gelegenheit durchblicken, dass man die Schaltung von Inseraten bei einem unfreundlichen redaktionellen Umfeld überdenken müsse.

Der nonkonformistische Schweizer Schriftsteller Walter Matthias Diggelmann hat im Roman Das Verhör des Harry Wind von 1962 die Macht der Werbung und Propaganda sowie diesen Schweizer Armeestreit zum Thema gemacht. Diggelmann hatte selbst eineinhalb Jahre lang als Werbetexter im Büro Farner gearbeitet. Seiner Titelfigur verlieh er denn auch Züge des damals mächtigsten Schweizer Werbezars, er zeigt die Werbemethoden, mit denen die damals lancierten Abrüstungs- und Anti-Atomwaffen-Initiativen bekämpft und die Akzeptanz der Schweizer gegenüber Atomwaffen gesteigert werden sollten. Diggelmann nimmt auch Bezug auf Farners berühmtesten Spruch, gibt ihm aber mit einem anderen Nahrungsmittel eine hübsche zeitgenössische Pointe. Harry Wind erzählt nämlich, wie er mit Oberstkorpskommandant Sturzenegger über die geplante Aufrüstung gesprochen habe, wobei Sturzenegger gemeint habe, Atomwaffen bringe man gegenwärtig beim Volk nicht durch. Wind fährt dann fort: »Wenn Sturzenegger so etwas zu mir sagt, dann antworte ich: ›Geben Sie mir Zeit, ich will es versuchen.‹ Ich könnte aber auch sagen. ›Die Atomwaffen, die bringen wir genauso gut herein wie Bananen.‹«2 Später wiederholt er den Satz: »Ich sagte damals, ich bringe Atombomben mit derselben Leichtigkeit in die Schweiz wie Bananen.« Die einst exotischen Bananen sind dann tatsächlich in die Schweiz hereingekommen und zum Allgemeingut geworden, Atomwaffen dagegen nicht. Zwar wurden die Initiativen für ein Atomwaffenverbot dank viel Geld abgeschmettert, aber die Einführung von Atomraketen scheiterte an ökonomischen Realitäten und am Skandal um die Beschaffung der neuen Mirage-Kampfjets. Was zeigt, dass PR doch nicht allmächtig ist. Übrigens wären heute ein paar Millionen mehr nötig für einen Bundesrat. Und auch dann wäre der Erfolg nicht garantiert, wie ein Ex-Bundesrat vor ein paar Jahren erfahren musste. Was natürlich kein Argument für die PR ist. Und schon gar nicht gegen Transparenz in diesem Bereich, im Gegenteil.

Grundkurs: Wie die Schweizer Uhr politisch tickt


Das Schweizer Politsystem ist noch zu weiten Teilen auf dem Milizsystem aufgebaut, das heißt, es gibt kaum Berufspolitiker. Das hängt auch mit dem föderalistischen Staatsaufbau zusammen, in dem die kleinen Körperschaften relativ viel Kompetenzen und Autonomie besitzen. In den rund 2350 Gemeinden lohnen sich, abgesehen von größeren Städten, Vollämter kaum; und auch in den übergeordneten 26 Kantonen ist Berufspolitik nicht immer nötig – etwa in einem Kanton wie Appenzell Innerrhoden mit seinen 16 000 Einwohnerinnen und Einwohnern.

Der Föderalismus äußert sich auf nationaler Ebene im Zweikammersystem: Während die 200 Nationalräte nach Einwohnerzahl in den einzelnen Kantonen im Proporzsystem gewählt werden, stehen im Ständerat allen Kantonen (Ständen), unabhängig von ihrer Größe, zwei großmehrheitlich im Majorz gewählte Sitze zu, beziehungsweise in den sechs – offiziell nicht mehr als solche bezeichneten – Halbkantonen je einer. Entscheide benötigen Mehrheiten in beiden Parlamentskammern, was das Gewicht der kleinen Kantone überproportional verstärkt.

Auf Bundesebene wird die Schweiz im siebenköpfigen Bundesrat seit 1943 – ja, seit 1943 – in einer Koalition regiert, die aus den vier Parteien Freisinnig-Demokratische Partei (FDP), Christlichdemokratische Volkspartei (CVP), Sozialdemokratische Partei (SPS) und Schweizerische Volkspartei (SVP), sowie seit 2007 der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP), einer Abspaltung der SVP, besteht. Diese Koalition ist allerdings angesichts der aggressiven Politik der rechts-chauvinistischen SVP immer mehr gefährdet; im Parlament sowie auf kantonaler Ebene schmieden die Regierungsparteien jeweils wechselnde Allianzen. Größte Nicht-Regierungsparteien sind die Grünen (GPS) sowie die Grünliberalen (GLP).

Zu diesem repräsentativen Parlamentssystem treten die direktdemokratischen Instrumente des Referendums und der Volksinitiative, und zwar sowohl auf kantonaler wie auf Bundesebene. Dem obligatorischen Referendum auf Bundesebene unterstellt sind alle Verfassungsänderungen sowie Beitritte zu supranationalen Organisationen; fakultativ kann ein Referendum von 50 000 Stimmberechtigten zu allen Gesetzesentwürfen gefordert werden; Volksinitiativen können von 100 000 Stimmberechtigten zu allen Themen eingebracht werden und brauchen in der Abstimmung sowohl das Volks- wie das sogenannte Ständemehr.

Verschwiegene Interessenvertreter


Gerade angesichts des Milizsystems spielt das Lobbying in der Schweizer Politik eine zunehmend wichtige Rolle. Der direkteste Ort dafür ist das Bundeshaus. Jede Parlamentarierin, jeder Parlamentarier kann pro Session zwei Zutrittsberechtigte zu den beiden Räten benennen. Anfang 2014 hatten 409 Personen eine solche Zutrittsberechtigung erhalten. Zuweilen werden sie als persönliche Mitarbeiter deklariert, zuweilen als Gäste. Niemand muss seine politischen oder kommerziellen Verbindungen offenlegen. Die Neue Zürcher Zeitung hat die durch Mandate und Geschäftsbeziehungen belegbaren Interessen ausgewertet.3 54 Zutrittsberechtigte, also über 13 Prozent, gehörten der Consulting- und PR-Branche an. Ihre spezifischen Arbeitsgebiete lassen sich nicht eindeutig aufschlüsseln, dürften sich aber stark auf die im Folgenden genannten wichtigsten Wirtschaftsbranchen konzentrieren. Als spezifische Interessengruppe sind am häufigsten Bauwirtschaft und Immobilien mit 44 Badgeträgern (rund 11 Prozent) vertreten, danach folgen Wirtschaftsdachverbände (37) sowie Industrie und Energie (37). Dagegen stehen auf grüner, linker Seite 35 Umweltvertreter und 22 Gewerkschafter; auch unter »Hilfswerke, Nonprofit und Soziales« (35) findet sich der eine oder die andere linke Interessenvertreterin. Die ungleichen Machtverhältnisse zeigen sich beispielsweise auch darin, dass die Landwirtschaft einen Lobbyisten mehr als die Gewerkschaften aufweist.

Während manche ihre Interessenbindung offenlegen, agieren andere eher verschwiegen. Von den Gewerkschaftsvertretern haben 21 von 22 ihre Bindung öffentlich deklariert; umgekehrt war es bei denjenigen im Bereich Altersvorsorge nur gerade einer von 27 – die so gewichtigen Pensionskassen, Versicherungen und Vertreter der Gesundheitsindustrie operieren also lieber im Halbschatten. Auch die Immobilienbranche ist ziemlich publizitätsscheu: Nur 15 von 44 Vertretern geben ihre Interessenbindung bekannt. Im Übrigen verteilt die SVP mehr Zutrittsberechtigungen an Wirtschaftsvertreter als FDP und CVP zusammen. Das jetzige System bevorzugt offensichtlich diejenigen, die schon Macht haben.

Minimalforderung bezüglich der Lobbyarbeit bleibt die Transparenz. Erstaunlicherweise sind die Lobbyisten dem Anliegen gegenüber offener eingestellt als die Parteienvertreter. So scheiterte im März 2012 eine parlamentarische Initiative des Neuenburger Sozialdemokraten Didier Berberat im Ständerat. Dafür hat mittlerweile die Schweizerische Public-Affairs-Gesellschaft (SPAG), der vier Fünftel der professionellen Lobbyisten angehören, ihre Standesregeln verschärft: Künftig...

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