3 Training
3.1 Grundlagen der Trainingslehre
Die Trainingslehre ist die Lehre von Theorie und Praxis des sportlichen Trainings und nimmt innerhalb der Sportwissenschaft eine bedeutende Position ein. Sie beschäftigt sich vor allem mit der Ermittlung von Trainingsformen, um den Trainingsprozess zu optimieren.
Training ist oder sollte zumindest ein geplantes Handeln sein; das „sollte“ deutet hier schon an, dass dies im Radsport, aber auch in anderen Sportarten, oft nicht der Fall ist. Auch wenn die Tendenz in den letzten Jahren verstärkt zu einem planmäßigen Training geht, so muss festgestellt werden, dass oft wahllos und ungezielt trainiert wird, und dies mit einem Zeitaufwand, der bei strukturiertem Training wesentlich bessere Leistungen ermöglichen könnte.
Will man vernünftig trainieren und Trainingspläne verstehen, so muss man sich zunächst mit den theoretischen Grundlagen der Trainingslehre befassen, um diese dann in der Praxis, also konkret beim täglichen Training, umsetzen zu können. Auch wenn man sich als Spitzenfahrer keine Gedanken um die Erstellung des Trainingsplans machen muss, ist Hintergrundinformation sehr wertvoll, um das dargebotene Training zu verstehen und es eventuell, falls es sich als ungünstig erweisen sollte, abzuändern. Ebenso kann der Hobbyradsportler seine Leistungsentwicklung steuern und nachvollziehen. Jedoch wird die Wichtigkeit solchen Wissens immer noch viel zu oft verkannt. Im Folgenden soll die Trainingslehre, immer in Bezug auf den Radsport als Ausdauersportart, mit einfachen Worten erläutert werden.
Abb. 3.1: Die Leistungsfaktoren im Radsport
Definition
Training ist, wie schon erwähnt, ein geplanter Prozess, der das Ziel verfolgt, mit geeigneten Trainingsmitteln eine Verbesserung oder Erhaltung der sportlichen Leistungsfähigkeit zu erreichen. Mit sportlicher Leistungsfähigkeit ist nicht nur die rein körperliche (konditionelle) Leistungsfähigkeit gemeint, sondern es gilt auch, taktische, technische und psychische Aspekte zu berücksichtigen und zu verbessern.
Biologisch gesehen, ist Training die Reaktion des Körpers auf Belastungen. Wird der menschliche Körper gefordert, entwickeln sich seine physischen Fähigkeiten, wird er jedoch keiner Belastung mehr ausgesetzt, verkümmern diese Fähigkeiten wieder. Der sinnvolle Wechsel von Belastung und Entlastung (Ruhepause) ist ganz entscheidend für die Wirkung des Trainings. Eine Belastung bringt das biologische Gleichgewicht des Körpers durcheinander mit der Folge, dass der Körper sich nach der Erholung (Regeneration) an die Belastung anpasst und einen höheren Leistungsstand besitzt als zuvor.
Superkompensation
Das in der Grafik gezeigte Schema erläutert das Prinzip der Superkompensation, eines der wichtigsten Prinzipien der Trainingslehre; Trainingsreiz, Ermüdung, Erholung und Superkompensation müssen in den richtigen Zeitabständen aufeinander folgen.
Die Regeneration ist der Prozess, der die Ermüdung des Organismus kompensiert und bis zur Wiederherstellung der vorherigen Leistungsfähigkeit andauert.
Als Superkompensation wird die Leistungssteigerung nach der Regeneration bezeichnet, sie ist gewissermaßen eine „Überregeneration“. Ein Leistungszuwachs wird erreicht, indem die Regeneration nicht beim vorherigen Leistungsstand aufhört, sondern fortgeführt wird, bis ein Leistungsstand erreicht ist, der die gleiche Belastung für den Körper zukünftig besser kompensierbar macht. Diesen Vorgang bezeichnet man als Adaptation (Anpassung).
Was hier in der Theorie und in der Grafik sehr einfach erscheint, ist in der Realität sehr viel komplexer: Verfolgt man den Gedanken der Superkompensation konsequent weiter, müsste ein unendlicher Leistungszuwachs möglich sein. Tatsächlich ist es aber so, dass sich die Superkompensation bei Trainingsanfängern und bei Leistungssportlern nach einer Pause am Anfang der Trainingsperiode besonders stark bemerkbar macht. Hier ist nach nahezu jeder Trainingseinheit ein Leistungszuwachs zu verzeichnen. Hat der Trainingszustand jedoch ein hohes Niveau erreicht, verringern sich die Leistungssprünge, bis sich schließlich ein Plateau der konstanten Leistungsfähigkeit bildet. Dieser Umstand ist der Grund dafür, dass sich austrainierte Radsportler sehr hoher Trainingsumfänge und ausgeklügelter Trainingspläne bedienen müssen, um ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten oder unter Umständen noch zu steigern, denn mit immer größer werdenden Trainingsbelastungen allein kann kein Spitzenniveau erreicht werden. Mehr über die physiologischen Adaptationsvorgänge (Anpassungsvorgänge) kann in Kap. 2.2 nachgelesen werden.
Abb. 3.2: Prinzip der Superkompensation
Beschreibung des Trainings
Trainingsintensität meint die Stärke der Belastung durch einen Belastungsreiz oder durch eine Trainingseinheit. Am einfachsten wird die Trainingsintensität mithilfe der Herzfrequenz ermittelt (hohe Intensität = hohe Herzfrequenz). Bezogen auf die fünf konditionellen Fähigkeiten, Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Koordination, sind Trainingsintensitäten unterhalb bestimmter Prozentsätze der Maximalintensität nicht mehr trainingswirksam. Bei hohen Intensitäten werden vor allem Kraft und Schnelligkeit trainiert, bei geringeren Intensitäten wird die Ausdauer angesprochen.
Trainingsumfang ist die Summe aller Belastungs- oder Trainingsreize innerhalb einer Trainingseinheit oder innerhalb bestimmter Trainingsabschnitte (Woche, Vorbereitungsperiode). Im Radsport ist der Trainingsumfang gleichzusetzen mit den gefahrenen Kilometern (100 km pro Tag oder 400 km pro Woche) oder besser noch mit der Trainingszeitdauer; kommen dazu Trainingseinheiten ohne Rad (Hallentraining, Gymnastik, Lauftraining etc.), so sind auch diese dem Trainingsumfang zuzurechnen.
Abb. 3.3: Komponenten der Kondition
Belastungsdichte gibt das Verhältnis von Belastung und Entlastung (Erholung) und damit auch die Pausendauer zwischen den einzelnen Belastungsreizen an; man unterscheidet zwischen vollständiger und unvollständiger Pause. Bei der vollständigen Pause wird mit dem Setzen des nächsten Belastungsreizes gewartet, bis eine vollständige Erholung eingetreten ist, was wiederum über die Herzfrequenz oder über das Körpergefühl bestimmt wird. Die unvollständige oder lohnende Pause ist dann beendet, wenn die Herzfrequenz wieder auf einen Wert von 120-130 Schlägen/min abgesunken ist; nun wird der nächste Reiz gesetzt (z. B. 1.000 m Tempo).
Belastungsdauer ist die Dauer eines Belastungsreizes, wie zum Beispiel die eines Intervalls (3 min) oder einer Sprintserie (6 x 20 s).
Trainingshäufigkeit gibt an, wie oft in der Woche trainiert wird. Die Anzahl der Trainingseinheiten pro Woche sollte im Radsport nicht unter vier liegen und kann bei aus Zeitgründen notwendigem zweimaligen Training am Tag (z. B. vor und nach der Arbeit oder einem Termin) bis auf über 10 ansteigen. Gute Amateure haben meist eine Trainingshäufigkeit von sechs oder sieben Einheiten pro Woche (inklusive Rennen).
Diese fünf Grundfaktoren lassen eine genaue Beschreibung des Trainingsprozesses zu; sie werden im Folgenden immer wieder verwendet.
Wie bereits deutlich wurde, ist Training ein Wechsel von Belastung und Regeneration, welcher das Problem der optimalen Dosierung der Belastung und der zeitlichen Abfolge beider aufwirft. Die Regenerationsphase wird als die wichtigere Phase angesehen, weil sich in ihr der Leistungszuwachs vollzieht; die Belastungsphase dient lediglich dem Auslösen der Regeneration und der anschließenden Superkompensation. Zu intensives Training und das Missachten der Regeneration sind Hauptgründe dafür, dass viele Radsportler trotz erheblichen Zeitaufwands keine ansprechende Leistung bringen. Wird der Organismus durch intensives Training immer wieder stark belastet und findet er zwischen den Trainingseinheiten keine Zeit zur Erholung, „traininert man sich in den Keller“, was bedeutet, dass die Leistungsfähigkeit sinkt, obwohl sehr viel trainiert wird. Setzt man dagegen die Belastungsreize richtig, lässt sich die Leistungsfähigkeit bis zu einer individuellen Leistungsgrenze erhöhen, die in einer Ausdauersportart wie dem Radsport erst nach einem vieljährigen Training erreicht werden kann. Folglich ist es also unmöglich, innerhalb von wenigen Jahren Spit-zenleistungen zu erbringen, zumal, wenn zuvor kein Ausdauersport betrieben wurde. Dieser Umstand ist für Radsportneulinge oft nur schwer zu verstehen und nicht selten frustrierend.
Falsch und richtig!
Abb. 3.4 veranschaulicht noch einmal das eben Gesagte: Das obere Schema zeigt eine zu kurze Belastungsfolge; schon während der Regeneration wird der erneute Reiz gesetzt, sodass die Leistungsfähigkeit nicht anwachsen kann und stattdessen sogar...