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E-Book

Pferde suchen einen Freund

... denn Pferde brauchen Sicherheit

AutorMark Rashid
VerlagFranckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783440146545
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
In seinem Buch erzählt Pferdetrainer Mark Rashid, wie ihn ein Sturz von seinem Pferd aus der Bahn wirft. Was läuft nach Jahren der Arbeit mit Pferden und Menschen plötzlich falsch? Warum fehlen ihm auf einmal die nötige Klarheit und Sicherheit? Mark Rashid besinnt sich der Lehren seines alten Pferdemannes und beginnt mit Aikido, der japanischen Kampfkunst. Er lernt, die Energie des Pferdes aufzunehmen, sie mit der eigenen verschmelzen und findet so zum inneren Gleichgewicht zurück.

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Leseprobe

DER LAUT


Wenn wir unseren Pferden zuhören, wächst unsere Bildung.

Tun wir’s nicht, blühen uns Erfahrungen.

 

Mark Rashid

 

 

Es war ein eigenartiger Laut, aber irgendwie auch vertraut. Ich hielt inne, um darüber nachzudenken, versuchte, das ungewöhnliche, beinahe geisterhafte Geräusch unterzubringen. Es klang, als sagte jemand auf sehr seltsame Art „Hi“ – aber nicht so, wie man auf der Straße jemanden grüßt, sondern mehr wie ein lang gezogenes „Hiiiiiiiije“ mit atemloser, fast heiserer Stimme. Es verklang langsam, und dann konnte ich noch eines hören. Es hatte schon mehrere gegeben, obwohl ich nicht genau sagen konnte, wie viele, und jedes schien lauter zu sein als das vorherige.

Ich versuchte mich zu erinnern, wann zuletzt ich diese ungewöhnliche Resonanz gehört hatte, und zuerst fiel mir absolut nichts ein. Nach einer Zeit, die mir schrecklich lang vorkam, tauchte endlich vor meinem inneren Auge schlagartig, wie ein Kaltwasserguss, ein Bild davon auf, wo ich es zuletzt gehört hatte.

 

 

Es war eine Art Ritual. Zwei oder drei Mal im Monat fuhr Walter Pruitt, der alte Mann, für den ich damals arbeitete, zu irgendeiner Pferdeauktion und kaufte ein paar Pferde. Was er mit heimbrachte, gehörte nicht gerade zur Creme der Pferdewelt. Fast immer waren es Pferde mit beträchtlichen Ausbildungsmängeln einschließlich einiger eingefleischter „Bocker“. Aufgrund ihrer Ausbildungs„mängel“ konnte der alte Mann sie fast immer „für ’nen Appel und ’n Ei“ kaufen, manchmal sogar für weniger.

Daheim im Stall setzte er mich auf jedes Einzelne drauf und ließ mich losreiten. Selten erzählte er mir, was mit den Pferden los war; in Anbetracht meiner gerade mal zwölf Jahre erschien ihm das wohl unnötig. Es machte auch nicht wirklich etwas aus, denn in vielen Fällen stellten sich die Pferde als eigentlich ganz in Ordnung heraus. Auch wenn die Vorbesitzer sie als „Problempferde“ bezeichnet hatten, waren viele davon so nett, wie man es sich nur wünschen konnte. Wenn wir wirklich keine Mängel an einem Pferd entdeckten, arbeiteten wir eine Weile mit ihm, bis es richtig gut ging. Und dann verkaufte der alte Mann es mit erheblichem Gewinn wieder weiter.

Allerdings waren nicht alle Pferde so friedlich, wenn ich mich daraufsetzte. Ab und zu gerieten wir an eines, das, aus welchen Gründen auch immer, nicht daran interessiert war, jemanden auf seinem Rücken spazieren zu tragen. Viele sprangen oder buckelten ohne ersichtlichen Grund aus dem Stand los, manche schon, wenn ich nur den Fuß in den Steigbügel setzte. Andere warteten, bis ich mich im Sattel zurechtgesetzt hatte, bevor sie explodierten, und wieder andere gingen ein paar Minuten sehr schön, bevor sie Dampf abließen.

Seltsamerweise war der alte Mann, wenn ich in den Sattel eines neuen Pferdes kletterte, u. A. daran interessiert zu sehen, wie gut das Pferd bockte, wenn es denn bockte. Die Pfer­de, die „gut“ bockten, waren nämlich für eine Karriere als Rodeo­pferde bestimmt und wurden von ihm an einen Kumpel verkauft, der in diesem Geschäft tätig war. Auf diesem Weg konnte der alte Mann sie vor dem sicheren Gang zum Pferdemetzger bewahren. Gute Reitpferde konnten sie vielleicht nicht werden, aber wenigstens konnten sie tun, was sie am besten konnten – und das war bocken.

Das Leben der Rodeopferde pflegte der alte Mann folgendermaßen zu kommentieren: „Kein schlechter Job. Acht Sekunden Arbeit pro Woche, den Rest auf der grünen Wiese stehen und Gras fressen – hoffentlich finde ich für mich auch mal so was.“

Jedenfalls hatte ich im Verlauf von zwei Monaten auf einer ganzen Reihe dieser Auktionspferde gesessen, ein oder zwei waren ein bisschen herumgehüpft, ansonsten hatte es keine besonderen Vorkommnisse gegeben. Aber an einem ungewöhnlich kalten und windigen Tag sollte ich einen großen, vier Jahre alten Schimmelwallach reiten. Er maß über 160 cm Stock und wog circa 1300 Pfund. Am Boden war er ruhig genug. Er ließ sich problemlos einfangen, putzen und satteln und er schien auch nichts dagegen zu haben, dass ich aufstieg. Das Problem kam, als ich ihn zum Antreten aufforderte – und was für ein Problem!

Ich drückte dem großen Pferd sacht die Absätze in die Flanken, aber es bewegte sich keinen Zentimeter. Ich drückte etwas fester, aber es kam immer noch keine Reaktion. Ich hieb ihm die Absätze hinein und spürte, wie sich sein Körper anspannte, aber er bewegte sich noch immer nicht. Ich holte noch kräftiger aus, und dann passierte es. Es fing recht harmlos an: Das Pferd grunzte ein wenig und machte einen sehr steifen Schritt nach vorn. Den Bruchteil einer Sekunde hielt es inne, zog sich dann in so etwas wie eine unnatürliche Ballposition zusammen, quietschte laut und katapultierte sich hoch in die Luft.

Anfangs drückte mich der Satz tief in den Sattel. Dort hielt mich die Schwerkraft fest, bis wir den Scheitelpunkt erreichten und die Talfahrt begannen. Dass ich von den Aktionen des Pferdes überrascht wurde, wäre die Untertreibung des Jahres gewesen. Instinktiv hatte ich auf dem Weg nach oben das Sattelhorn gepackt. Als es nach unten ging, verlor ich jedoch den Sitz und versuchte, ihn mithilfe dieses meines Griffs wiederzufinden. Die harte Landung warf mich nach vorn auf den Pferdehals, aber kaum gelandet, stieg das Pferd auch schon und katapultierte sich erneut in die Luft. Im Sprung wurde mein Oberkörper abrupt nach hinten gerissen, was mich beinahe wieder gerade in den Sattel gesetzt hätte, aber dann gab der Schimmel seinem Körper in der Luft noch eine kleine Drehung mit, und das war ein kleines bisschen zu viel für mich.

Wir trennten uns in der Luft, er ging nach rechts ab, ich nach links. Zu meiner nicht geringen Überraschung landete ich relativ harmlos auf der oberen Zaunstange, Kopf und Arme nach draußen, den Körper innerhalb des Zauns. Meine Achselhöhlen hatten den Großteil meines Gewichts zu tragen, mit dem linken Fuß konnte ich mich auf einer Stange weiter unten abstützen. Ich schlug ziemlich hart auf und prellte mir die Innenseite der Arme, den oberen Brustkasten, das Kinn und den linken Oberschenkel, ansonsten aber war ich verhältnismäßig unbeschädigt und einfach froh, aus einem Schlamassel entkommen zu sein, der noch viel schlimmer hätte ausgehen können. Der alte Mann allerdings war offensichtlich nicht beeindruckt.

Mehr als ein Mal hatte der alte Mann sein Missfallen daran geäußert, dass ich, wenn ich im Sattel in Schwierigkeiten geriet, manchmal dazu neigte, mich „ans Leder zu krallen“, besonders gern ans Sattelhorn. Dies war keine Ausnahme. Ich hing immer noch über dem Zaun, und das Pferd raste quietschend und buckelnd im Round Pen herum, wenn es nicht gerade Lektionen über der Erde ausführte, als der alte Mann zu mir herüber kam.

„Sich am Leder festzukrallen ist keine Art, ein Pferd aussitzen zu lernen“, sagte er mit einer Spur von Entrüstung in der Stimme. „Wenn einer so schlecht reitet, dass das Pferd ihn herunterbocken kann, dann verdient er, am Boden zu landen, schlicht und ergreifend.“

Du hast leicht reden, dachte ich, während ich mit den Armen über dem Zaun hing. Dich hat er ja auch nicht wie eine Stoffpuppe herumgebeutelt.

„Lern’ du erst mal besser reiten“, sagte er im Weggehen. „Dann brauchst du dir auch keine Gedanken darum zu machen, abgeworfen zu werden.“

 

 

Ich hatte dem alten Mann viele Male zugesehen, wenn er ritt, und immer war mir die Leichtigkeit aufgefallen, mit der die Pferde sich unter ihm bewegten. Bei ihm sah Reiten mühelos aus, als ob er und das Pferd eins wären. Kurz nach meinem Sturz von dem großen Schimmel saß ich auf dem Zaun und sah zu, wie der alte Mann eineinhalb Stunden ein junges Pferd ritt. Er tat nichts Besonderes, und das Pferd machte einen ziemlich ruhigen Eindruck. Deshalb überraschte es mich selbst, als ich nach ungefähr der Hälfte des Ritts feststellte, dass ich fast die ganze Zeit am Grinsen gewesen war.

Damals wusste ich nicht, warum ich gegrinst hatte, und ich brauchte einige Jahre, um es herauszufinden. Schließlich merkte ich, dass sich das Lächeln deshalb auf meinem Gesicht breitgemacht hatte, weil sie einfach so gut zusammen aussahen. Kein Stress, keine Steifheit, keine Ängstlichkeit, keine Spannung, keine Gewalt. Nur ein Mann und ein Pferd, die sich mühelos zusammen bewegten, wie es eigentlich sein sollte.

Ungefähr zu diesem Zeitpunkt begann ich zu verstehen, was der alte Mann mir über meine Reiterei hatte sagen wollen. Eine ganze Weile hatte ich gedacht, er hätte einfach nur sagen wollen: „Halt dich nicht am Leder fest.“ Warum er das nicht wollte, war mir nicht ganz klar, abgesehen davon, dass ein echter Reiter so etwas vielleicht nicht tat. Ich dachte, ich müsste mich am Leder festhalten, um im Sattel zu bleiben.

Und darin lag das Problem mit meinem ganzen Gedankengang. Ich versuchte, auf dem Pferd zu bleiben, nicht mit dem Pferd. Wenn der alte Mann ritt, ritt er mit dem Pferd. Wenn ich ritt, ritt ich auf dem Pferd, was sich sehr oft zu einem gegen das Pferd entwickelte. Wenn man gegen das Pferd reitet, kann man sich im Sattel oft überhaupt nicht mehr bewegen. Wenn man beim Reiten aufhört sich zu bewegen, wird man sehr starr und steif – manchmal fast wie eine Schaufensterpuppe. Stellen Sie sich einen Augenblick eine Schaufensterpuppe auf einem Pferd im Trab vor, oder noch besser, wie ein Pferd sich fühlen würde, das versucht, mit einer Schaufensterpuppe auf dem Rücken zu...

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