Sie sind hier
E-Book

Gut - besser - zukunftsfähig

Nachhaltigkeit und Transformation als gesellschaftliche Herausforderung

VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl156 Seiten
ISBN9783170262461
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Der erste Band der Reihe 'edition akademie. Neue Folge' enthält Beiträge zur aktuellen Nachhaltigkeits-Debatte, die angesichts der Frage, ob der Wachstumsimperativ überhaupt noch ökonomisch, sozial und gesellschaftlich gedacht werden kann, ihr Profil erheblich verändert hat. Damit steht die Frage der Suffizienzpolitik im Zentrum der Kontroversen und Diskurse. Ob wir zukunftsfähig leben, entscheidet sich zum Beispiel daran, wie wir uns ernähren, wie wir reisen und wie wir wohnen. Wie es aber zu einer politisch flankierten Veränderung unserer Lebens- und Wirtschaftsweise kommen könnte - dies stellt immer noch eine immense Herausforderung dar. Was muss von der Politik, was von der Zivilgesellschaft geleistet werden, um eine Entwicklung hin zur Nachhaltigkeit voranzubringen?

Prof. Dr. Jörg Hübner ist Direktor der Evangelischen Akademie Bad Boll. Dr. Günter Renz ist der stellvertretende Akademiedirektor.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

Karl-Werner Brand


„Zukunftsfähiges Deutschland“ im Kontext: Diskurse – Praktiken – Strukturen


 

In diesem Beitrag möchte ich die beiden vom Wuppertal Institut erarbeiten Studien „Zukunftsfähiges Deutschland“ I und II (BUND/MISEREOR 1996; BUND/Brot für die Welt/Evangelischer Entwicklungsdienst 2008) in mehrfacher Hinsicht in einen breiteren Diskussionskontext einbetten. Das betrifft erstens die Verortung der in beiden Bänden vertretenen Position im Gesamtdiskurs um „nachhaltige Entwicklung“. Diese Verortung bezieht sich nicht nur auf die aktuelle Debatte. Es lässt sich vielmehr zeigen, dass die in diesem Diskurs miteinander konkurrierenden Positionen in der seit über 100 Jahren laufenden Debatte um Naturschutz und Naturmanagement immer schon präsent sind, nur problembezogen jeweils neu aktualisiert werden. Das betrifft zweitens die Kontextualisierung des in den beiden Bänden propagierten Leitbilds der „Suffizienz“ in der empirischen Forschung zu Lebensstilen und Konsumpraktiken. Diese Analyse relativiert die Verallgemeinerbarkeit des Modells eines „suffizienten“ Lebensstils. Und das betrifft drittens die Kontextualisierung der in den beiden Studien verfolgten Transformationsstrategie in der aktuellen sozialwissenschaftlichen Debatte über die Wandlungsdynamiken und Umbrüche der Moderne. Aus diesen drei Kontextualisierungen ergibt sich insgesamt eine etwas skeptische Sicht auf das in ZD I & II vertretene Transformationsmodell. Das heißt nicht, dass der geforderte tief greifende strukturelle Wandel in Richtung eines „öko-fairen“ Gesellschaftsmodells nicht erstrebenswert wäre. Die Frage ist nur, ob diese Transformation so verlaufen kann, wie das in den beiden Studien beschrieben und propagiert wird.

Basisannahmen und Transformationsmodell der Studien „Zukunftsfähiges Deutschland“


Die Grundannahmen der beiden Studien1 stützen sich zum einen auf globale Makrodaten zur Umwelt- und Klimaproblematik. Diese belegen, so die Autoren, dass die „Grenzen der Natur“ bereits überschritten sind und dass die drohenden Katastrophen zur Änderung unseres fossilen, an ständigem (materiellem) Wachstum orientierten Wirtschafts- und Lebensstils nötigen (ZD II, 19ff.). Sie beziehen sich zum anderen auf globale Makrodaten zur sozialen Verteilung der Umweltnutzung. Diese zeigen wiederum, dass (a) große globale Ungleichheiten in der Nutzung des „Umweltraums zwischen Nord und Süd“ bestehen und (b) das ressourcenintensive Wachstums- und Konsummodell des Nordens mit sozialer Ausbeutung und einer systematischen Verletzung von Menschenrechten im Süden einhergeht (ZD I, Kap. 3; ZD II, Kap. 5 und 6). Da dem globalen Süden aus Gerechtigkeitsgründen aber die gleichen Nutzungsmöglichkeiten zustehen wie den industrialisierten Ländern des globalen Nordens und da darüber hinaus ökologische Effizienzstrategien aufgrund von Reboundeffekten und technischen Grenzen der Entkoppelung von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum keine grundsätzliche Lösung der steigenden ökologischen Belastungsproblematik bieten, sei ein Zivilisationswandel hin zu einem anderen, „öko-fairen“ Wohlstandsmodell nötig (ZD II, Kap. 4 und 8). Dieses beruht wesentlich auf „Selbstbegrenzung“ und „suffizienten“ Lebensstilen, die dem generellen Bedürfnis nach einem „guten“, zufriedenen Leben aber ohnehin entgegenkommen (109ff., 232ff.). Diese Zielperspektive wird seit einigen Jahren auch unter dem Stichwort der „Postwachstumsökonomie“ oder „Postwachstumsgesellschaft“ diskutiert.2

Insgesamt ist dies ein von der Dramatik der ökologischen Problembeschreibung und der moralischen Empörung über die soziale Ausbeutung im Nord-Süd-Verhältnis getragener emphatischer Bewegungsdiskurs, der als Konsequenz eine grundlegende Veränderung unseres material- und ressourcenintensiven Lebensstils einfordert. Ist dies die Basiserzählung der beiden Studien, so bieten sie im Einzelnen eine auf Daten und Bilanzen gestützte Begründung dieser Narration, eine Ausformulierung und Illustration der angestrebten Leitbilder sowie – zumindest in ZD II – eine detailliertere Diskussion der Gestaltungsperspektiven des angestrebten Zivilisationswandels.

Wer sind nun die Akteure und die treibenden Faktoren dieses Übergangs? In ZD II werden vor allem drei Akteure bzw. Faktorengruppen genannt, die den bereits in Gang befindlichen Transformationsprozess vorantreiben bzw. vorantreiben sollen:

a)   die „Neue Internationale“ (ZD II, 601) der öko-sozialen Initiativen, Pioniere, Nischenmodelle und Protestbewegungen, die – quer zu den etablierten Kräften – durch ihre Überzeugungsarbeit und internationale Vernetzung die Leitbilder eines globalen, „öko-fairen“ Wohlstandsmodells verbreiten und alternative Praktiken in den verschiedenen Produktions- und Lebensbereichen erproben;  

b)   „externe Krisen“, Katastrophen und Knappheiten, die aufgrund der dadurch geschaffenen Zwangslagen und der veränderten öffentlichen Problemwahrnehmungen Gelegenheitsfenster für den Durchbruch solcher alternativen Praktiken schaffen (ZD II, 602);  

c)   die Politik, die diesen Durchbruch gestalten und die institutionellen Rahmenbedingungen für die Verbreitung und Stabilisierung nachhaltiger, öko-fairer Wirtschafts- und Lebensweisen schaffen muss. Dem Staat wird dabei die entscheidende Rolle als „Geburtshelfer des neuen Gesellschaftsvertrags“ zugesprochen, der nötig ist, um mit dem business-as-usual brechen und eine hinreichende „Selbstmobilisierung“ der Gesellschaft erreichen zu können (607). In Absetzung vom neoliberalen Regime der vergangenen Jahrzehnte wird so ein „neuer Vorrang der Politik“ propagiert, der es erlaubt, „das Übergewicht der Kapitalinteressen“ zugunsten „der Interessen der Natur und der Menschen, gleich welcher Herkunft“, zurückzudrängen (ebd.).  

Neben den zivilgesellschaftlichen Pionieren und den unvermeidlichen katastrophischen Ereignissen wird somit der Politik die zentrale Rolle zugewiesen, die Wirtschaft global in „solar-effiziente“ und „öko-faire“ Bahnen zu lenken. Trotz aller Kritik an den ökologisch und sozial zerstörerischen Eigendynamiken einer neoliberal strukturierten Weltwirtschaft wird so ein erstaunlich idealistisches, an der klassischen Legitimationsfigur des Staates als dem „Repräsentanten des Gemeinwohls“ orientiertes Transformationsmodell verfolgt. Dieses spricht der Politik – auch das im Anschluss an klassisch-idealistische Staatsvorstellungen – die zentrale gesellschaftliche Steuerungsfunktion zu. Die Frage ist, ob diese Annahmen ein realistisches Bild der Möglichkeiten des sozial-ökologischen Transformationsprozesses moderner Gesellschaften zeichnen.

ZD im Kontext (1): Das diskursive Konfliktfeld „nachhaltiger Entwicklung“


Die in ZD I und II entwickelte Argumentation bezieht sich zwar auf aktuelle globale Problemlagen und Handlungszwänge. Ihre Basisnarration verweist allerdings auf eine typische Spannungs- und Konfliktlinie, die die moderne Naturschutz- und Umweltbewegung seit ihren Anfängen im späten 19. Jahrhundert durchzieht. Die Naturschutzbewegung entfaltet sich ja nicht nur als romantisch-ästhetischer Protest gegen die industrielle Zerstörung tradierter, identitätsstiftender Kulturlandschaften. Sie wird in großen Teilen auch von einem ganzheitlich-spirituellen Protest gegen das mechanistische Modell der Industrialisierung von Gesellschaft und Natur, von großstadtfeindlichen „Zurück-zur-Natur“-Strömungen getragen, die an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in verschiedenen Facetten der Lebensreformbewegung zum ersten Mal eine größere gesellschaftliche Mobilisierungskraft entfalten (Krabbe 1974, Linse 1986). Diese ganzheitlich orientierten Stränge der Naturschutzbewegung, die das Unbehagen an den Folgen der Industrialisierung in die Fluchtpunkte einer idyllischen oder einer wilden, unberührten Natur projizieren, kollidieren von Anfang an mit Strängen der Umweltbewegung, denen es vorrangig um ein rationales Natur- und Umweltmanagement ging. Diese beiden unterschiedlichen Varianten des Natur- und Umweltschutzes führen beispielsweise in der amerikanischen Naturschutzbewegung bereits sehr früh zu einer Polarisierung zwischen dem romantisch-spirituell am Erhalt von wilderness orientierten preservation movement und dem an einem wissenschaftlich basierten, nachhaltigen Naturmanagement orientierten conservation movement (Hays 1959, Nash 1967).

Neben der klassischen Frontstellung zwischen...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Theologie

Sich verzehrender Skeptizismus

E-Book Sich verzehrender Skeptizismus
Läuterungen bei Hegel und Kierkegaard - Kierkegaard Studies. Monograph SeriesISSN 12 Format: PDF

The study focuses on the sceptical forms of thought and expression with which Hegel and Kierkegaard link the claim for absolute truth. With his 'self-completing scepticism' (Phenomenology of…

Sich verzehrender Skeptizismus

E-Book Sich verzehrender Skeptizismus
Läuterungen bei Hegel und Kierkegaard - Kierkegaard Studies. Monograph SeriesISSN 12 Format: PDF

The study focuses on the sceptical forms of thought and expression with which Hegel and Kierkegaard link the claim for absolute truth. With his 'self-completing scepticism' (Phenomenology of…

500 Jahre Theologie in Hamburg

E-Book 500 Jahre Theologie in Hamburg
Hamburg als Zentrum christlicher Theologie und Kultur zwischen Tradition und Zukunft. Mit einem Verzeichnis sämtlicher Promotionen der Theologischen Fakultät Hamburg - Arbeiten zur KirchengeschichteISSN 95 Format: PDF

This essay collection presents a multi-facetted overview of five centuries of cultural history and the history of Christianity in Hamburg; at the same time, it places local historical aspects…

Werner Elerts apologetisches Frühwerk

E-Book Werner Elerts apologetisches Frühwerk
- Theologische Bibliothek TöpelmannISSN 142 Format: PDF

This study opens up a hitherto neglected chapter in the history of theology that at the same time reconstructs exemplars of problem complexes and lines of argumentation which are of present-day…

Werner Elerts apologetisches Frühwerk

E-Book Werner Elerts apologetisches Frühwerk
- Theologische Bibliothek TöpelmannISSN 142 Format: PDF

This study opens up a hitherto neglected chapter in the history of theology that at the same time reconstructs exemplars of problem complexes and lines of argumentation which are of present-day…

Albrecht Ritschl: Vorlesung 'Theologische Ethik'

E-Book Albrecht Ritschl: Vorlesung 'Theologische Ethik'
Auf Grund des eigenhändigen Manuskripts - Arbeiten zur KirchengeschichteISSN 99 Format: PDF

This first published edition of his lectures on ethics reflects the theology of Albrecht Ritschl (1822-1889) at a time when he advanced to become the most significant Protestant theologian in…

Die Welt der Götterbilder

E-Book Die Welt der Götterbilder
- Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche WissenschaftISSN 376 Format: PDF

Divine images create their own world of theological reflection and religious practice. Pictorial representations have to reduce complexity, yet at the same time they create their own complexity.…

Die Welt der Götterbilder

E-Book Die Welt der Götterbilder
- Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche WissenschaftISSN 376 Format: PDF

Divine images create their own world of theological reflection and religious practice. Pictorial representations have to reduce complexity, yet at the same time they create their own complexity.…

Die Welt der Götterbilder

E-Book Die Welt der Götterbilder
- Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche WissenschaftISSN 376 Format: PDF

Divine images create their own world of theological reflection and religious practice. Pictorial representations have to reduce complexity, yet at the same time they create their own complexity.…

Weitere Zeitschriften

FESTIVAL Christmas

FESTIVAL Christmas

Fachzeitschriften für Weihnachtsartikel, Geschenke, Floristik, Papeterie und vieles mehr! FESTIVAL Christmas: Die erste und einzige internationale Weihnachts-Fachzeitschrift seit 1994 auf dem ...

Arzneimittel Zeitung

Arzneimittel Zeitung

Die Arneimittel Zeitung ist die Zeitung für Entscheider und Mitarbeiter in der Pharmabranche. Sie informiert branchenspezifisch über Gesundheits- und Arzneimittelpolitik, über Unternehmen und ...

arznei-telegramm

arznei-telegramm

Das arznei-telegramm® informiert bereits im 53. Jahrgang Ärzte, Apotheker und andere Heilberufe über Nutzen und Risiken von Arzneimitteln. Das arznei-telegramm®  ist neutral und ...

care konkret

care konkret

care konkret ist die Wochenzeitung für Entscheider in der Pflege. Ambulant wie stationär. Sie fasst topaktuelle Informationen und Hintergründe aus der Pflegebranche kompakt und kompetent für Sie ...

CE-Markt

CE-Markt

CE-Markt ist Pflichtlektüre in der Unterhaltungselektronik-Branche. Die Vermarktung von Home und Mobile Electronics mit den besten Verkaufsargumenten und Verkaufsstrategien gehören ebenso zum ...

building & automation

building & automation

Das Fachmagazin building & automation bietet dem Elektrohandwerker und Elektroplaner eine umfassende Übersicht über alle Produktneuheiten aus der Gebäudeautomation, der Installationstechnik, dem ...