1. Aktfotografie
Unter Begriff Aktfotografie stellt sich der Stammtischbruder sicher etwas anderes vor als der kulturinteressierte Gelehrte. Trotzdem haben beide mit ihren Definitionen recht: Was sich für die einen als billiger Kitsch oder vordergründige Erotik darstellt, ist für andere vielleicht schon Kunst.
Der analytische Fotograf sieht Licht und Schatten, der biologische Mann sieht ein Objekt der sexuellen Begierde.
Der Akt ist ein klassisches Motiv der bildenden Kunst. Wir kennen klassische Darstellungen des nackten Körpers aus antiken Epochen. Bildhauer und Maler haben sich schon immer mit dem Körper des Menschen beschäftigt. Im Laufe der Zeit veränderte sich die Einstellung zur Darstellung von Nacktheit in Wellenbewegungen bis zur heutigen vermeintlichen Freizügigkeit. Was vor 100 Jahren noch zu Skandalen in deutschen Kunstgalerien führte, hängt heute als Wandschmuck in den Räumen Ihrer seriösen Hausbank. Es ist heute schwierig, zumindest bestimmte Formen der Aktfotografie in den Bereich der Kunst zu erheben, was im populären gegensätzlichen Verständnis von Fotografie und Kunst begründet liegt.
Formen der Aktfotografie
Die Bezeichnung Aktfotografie trifft am ehesten auf Aktfotos zu, die aus dem Bereich der künstlerischen oder klassischen Aktfotografie stammen. Die Grenzen zwischen Aktfotografie, erotischer Fotografie und Pornografie sind dabei fließend und subjektiv. Hemmschwellen in der Darstellung primärer Geschlechtsteile sowie bei der Darstellung von Fetisch- und Gewaltszenen werden heute leider immer weiter heruntergeschraubt.
Zensur und Jugendschutz
Es ist manchmal ärgerlich für den Fotografen: Die Fotosession mit einem Model ist gut gelaufen, die Ergebnisse mehr als zufriedenstellend. Schließlich sollen die Fotos veröffentlicht werden und schon geht das Gefeilsche mit der Redaktion oder der Bildagentur los: Es wird oft moniert, das zuviel zu erkennen ist an primären Geschlechtsteilen des Models. Kein Wunder, die meisten Models sind – vom Kopfhaar abgesehen – komplett ohne Haare am Körper. Da lässt es sich kaum vermeiden, das hier und da die Vagina ansatzweise zwischen den Beinen hervorblitzt. Nun mag der Fotograf sich fragen, warum er nicht zeigen darf, was zu Gottes biologischem Wunder Frau einfach dazugehört, während mancher Hüter der Moral darin schon den Untergang des kultivierten Abendlands erkennt.
35 MM :: 1/100 S :: F/5,6 ISO 200
Akt, Erotik oder Kunst? Das Model stellt eine eindeutig erotische Szene dar, trotzdem muss das Bild nicht als FSK-18-Foto eingestuft werden, da primäre Geschlechtsteile nicht gezeigt werden. Für die einen erotischer Kitsch, für die anderen Kunst.
Der Streit wird ewig dauern. Gut ist, dass es solche Grenzen gibt und nicht einfach alles erlaubt ist, alleine schon zum Schutz der natürlichen Schamhaftigkeit von Kindern, die in der modernen, digitalen Welt jederzeit mit sexuellen Inhalten in Berührung kommen können. Wie rasend schnell sich moralische Grenzen verändern, kann man leicht erkennen, wenn man verstaubte Männermagazine vom Dachboden holt, die gerade mal ein Dutzend Jahre alt sind. Primäre Geschlechtsteile der Frau waren noch in den 1990er-Jahren züchtig mit einer natürlichen Schambehaarung bedeckt; falls doch mehr zu sehen war als das »magische Dreieck«, wurde mittels Bildretusche nachgeholfen.
Einschlägige TV-Sendungen haben dazu beigetragen, dass sich Liebhaber von Kuschelsex beinahe minderwertig fühlen gegenüber der Masse von Fetisch- und Hardcore-Anhängern. Man kommt sich wie ein langweiliges Ehepaar vor, wenn zum Liebesspiel nicht mindestens eine Peitsche dazu gehört, Handschellen am Bett hängen und die Augen verbunden werden. Es wird ständig suggeriert, das es noch mehr sexuelle Stimulanz zu entdecken gibt, wenn man sich nur in alle möglichen Richtungen öffnet und der Hobbykeller zur Folterkammer wird. Dadurch verändert sich auch die Wahrnehmung vom Bild des nackten Körpers. Der klassische Akt, der nur die Schönheit eines natürlichen Körpers, optimal dargestellt durch raffiniert eingesetzte Licht- und Schatteneffekte, wird zur Angelegenheit für kunstinteressierte Lichtfreaks unter den Fotografen.
Jeder Fotograf hat die Verantwortung, abzuwägen, welche Bilder er mit gutem Gewissen veröffentlichen kann, ohne die Würde des dargestellten Menschen zu verletzen oder dem Betrachter Bilder vorzusetzen, die dessen moralisches oder ethisches Empfinden verletzen und die Grenzen des guten Geschmacks überschreiten. Allerlei schwammige Richtlinien und Gesetze können dabei leicht zu Stolperfallen werden, und der gute Ruf ist schnell ruiniert.
Künstlerische Aktfotografie stellt nicht vordergründig den nackten Körper dar, sondern befasst sich mit den Gestaltungen eines Kunstwerks, bei dem der Körper eine Rolle in der gemeinsamen Wirkung von Raum, Ausstattung und Licht spielt.
Klassische Aktfotografie
... ist eine der ältesten Stilrichtungen und darf mit gutem Gewissen als die höchste Kunst der Fotografie bezeichnet werden. Es geht um die ästhetische Darstellung des nackten oder teilweise verhüllten Körpers (Teilakt), des isolierten Details eines Körpers vor neutralem Hintergrund (Bodypart) oder des ganzen Menschen im Zusammenhang mit dem Raum, der ihn umgibt. Dies können gestaltete Kulissen im Studio sein, eine Location im Outdoor-Bereichund natürlich Landschaften aller Art. Der klassische Akt verfolgt nicht die Absicht, sexuelle Erregung beim Betrachter zu erzeugen. Dass dies trotzdem nicht immer zu vermeiden ist, liegt in der Natur der Sache. Dieses Buch geht in erster Linie auf die klassische Aktfotografie ein.
Das Bild kann man als Lowkey-Aufnahme jugendfrei präsentieren. Bei kompletter Ausleuchtung, wie sie in Erotik-Magazinen verwendet wird, würde das Bild in dieser Pose des Models schnell als FSK-18 eingestuft werden.
Erotische Fotografie
… verfolgt vordergründig das Ziel, beim meist männlichen Betrachter sexuelle Erregung zu erzeugen. Das Objekt der Begierde wird in eindeutigen Posen dargestellt, und die meist sehr jungen Models werden durch Lichtführung, Kulisse, Aufnahmetechnik, Make-up und digitale Bildbearbeitung zu Traumwesen stilisiert, die mit der Realität nur noch wenig zu tun haben. Im Bereich der monatlich erscheinenden Hochglanz-Männermagazine wird mit hohem Aufwand, viel Können und technischem Verständnis gearbeitet. Die Ergebnisse wirken dabei oft steril und kalt, nicht viel anders als das perfekte Werbefoto eines neuen Autotyps. Eine Stilrichtung, die Sie als Leser dieses Buchs zwar anstreben können, aber aus Mangel an technischer Ausrüstung und Mitarbeitern kaum erreichen werden. Sinn machen würde es auch wenig, denn Sie sollen angeregt werden, eigene Ideen und Konzepte zu erarbeiten und nicht 1000-mal gesehenes wiederzukauen.
Wäre das Bild zwischen den Beinen heller beleutet, müsste man es irgendwo zwischen Erotik und Pornografie einordnen.
Pornografie
… ist die Darstellung der rein körperlichen Teile der Sexualität, in der auch primäre Geschlechtsteile wie die weibliche Vagina und der männliche erigierte Penis unverhüllt und in Aktion dargestellt werden. Zweck der Darstellungen ist wie in der erotischen Fotografie die sexuelle Erregung des Zuschauers. Hier handelt es sich nur in seltenen und stets umstrittenen Fällen um eine Form von Kunst, auch wenn die Pornografie heute den Status einer großen Unterhaltungsindustrie errungen hat, die sich und ihre Stars mit dem "Venus Award" ähnlich feiert wie Hollywood mit der Oscarverleihung.
Menschen statt Aufnahmetisch
Wie kommt man eigentlich dazu, Aktfotografie als ernsthaften Teil der beruflichen Tätigkeit zu betreiben? Ist das nicht der Traumjob aller Männer?
Nein, es ist nicht immer ein Traumjob, es ist oft anstrengend und gerade die Arbeit mit privaten Kunden, die nicht regelmäßig vor der Kamera stehen, verlangt viel vom Fotografen ab. Aber es ist trotzdem sehr oft ein Traumjob. Nicht weil es toll ist, ständig in der Nähe nackter Frauen (und Männer) zu sein, sondern weil es ein tolles Gefühl ist, immer wieder an neuen Herausforderungen wachsen zu können, Aufgaben zu bewältigen und sich mit zufriedenen Kunden freuen zu dürfen.
Nach ersten, fotografischen Erfahrungen im Nebenjob für eine lokale Zeitung habe ich das Handwerk Fotografie über ein zweijähriges Studium an der Lazi-Akademie in Esslingen gelernt. Learning by Doing war hier das Credo. Unterschiedliche Aufgabenstellungen aus den Bereichen der Werbefotografie forderten kreative Lösungen, die im Team und zuletzt auch alleine zu lösen waren.
Fotograf Stefan Weis bei der Arbeit.
Persönlichkeitsentwicklung
Hauptgebiet meiner Ausbildung war die Produktfotografie. Ich hatte diese Richtung bewusst gewählt, weil ich der Konfronta tion mit dem Faktor Mensch aus dem Weg gehen wollte. Lieber sich im dunklen Fotostudio verstecken, als sich mit ausgeflippten Hochzeitspaaren herumärgern. Irgendwann hatte ich mein erstes Studio im Schwarzwald. Ein junges Paar kam auf mich zu und fragte mich, ob ich von ihnen Aktfotos mache würde, denn ich wäre derjenige, mit dem sie sich das vorstellen könnten. Ich bemerkte seit diesem Shooting, wie es mir mehr und mehr Spaß machte, mit Menschen zu arbeiten und die Herausforderung anzunehmen, immer neuen Typen zu begegnen und mich auf sie einzulassen. Vielleicht hat...