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E-Book

Ishama

Göttliche Geliebte

AutorDaniela Jodorf
VerlagKamphausen Media GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783899018523
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Die deutsche Ärztin Ellen Jansen steckt tief in einer Lebenskrise, als sie die Chance ergreift und nach einem schweren Erdbeben zu einem Hilfseinsatz nach Pakistan reist. Hier, fern von ihrem alten Leben und alten Denkmustern, trifft sie auf Menschen, die sie tief beeindrucken und trotz großer Not Frieden ausstrahlen und und die ihr zeigen, was Heilung wirklich braucht: Liebe und Mitgefühl. Sie begibt sich nicht nur auf die Suche nach ihrem wahren Selbst und ihrer spirituellen Vergangenheit, sondern entdeckt auf ihrer abenteuerlichen und gefährlichen Reise für sich ganz neu die tiefe Bedeutung eines großen Propheten, der im fernen Kaschmir seine Spuren hinterlassen und die Einheit mit dem göttlichen Selbst gepredigt hat: Issa - Jesus Christus. Tiefgründig und aufschlussreich, zeigt das Buch, dass das Glück immer da ist und es nur geöffnet werden muss.

Daniela Jodorf, geb 1969, Jurastudium, Anwältin in einer Kanzlei in Düsseldorf. Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich mit Meditation und Yoga sowie mit tibetischem Buddhismus und Hinduismus. Seit 1998 schreibt sie spirituelle Romane.

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Leseprobe

Erstes Kapitel


Ich fror. Müde zupfte ich meine provisorischen Handschuhe zurecht: ein Paar alte, durchlöcherte Wollsocken – die einzigen, die ich noch besaß. Alle anderen hatte ich längst verschenkt, fortgegeben an Menschen, die sie nötiger brauchten als ich, weil sie alles verloren hatten. Und doch blieb das schmerzliche Gefühl, nicht genug getan und gegeben zu haben. Eine Müdigkeit hatte von mir Besitz ergriffen, die mich gefühllos und leer machte. Doch schlimmer noch war die Hilflosigkeit, die ich empfand. Seit Wochen war ich die Ereignisse, die mich hierher geführt hatten, jeden Tag aufs Neue im Geiste durchgegangen, hatte sie immer wieder betrachtet wie eine Kette wundersamer innerer Bilder, deren Sinn ich nicht begriff. Was ich auch versuchte, nichts vermochte der Geschichte Bedeutung oder Leben einzuhauchen – mein Leben. Frankfurt war über fünfeinhalbtausend Kilometer entfernt von Pakistan und doch so nah. Längst Vergangenheit, aber in meinen Gedanken noch immer lebendige Gegenwart.

... Nichts hatte an diesem Morgen vor drei Monaten darauf hingedeutet, dass eine Veränderung bevorstand. Der Tag in der Klinik hatte begonnen wie jeder andere zuvor. Erst in dem Moment, als ich die Patientin auf dem Behandlungstisch liegen sah, die nach einem Verkehrsunfall in die Notaufnahme eingeliefert wurde, erlebte ich etwas völlig Ungewöhnliches: intuitives Wissen. Die Patientin würde sterben, das wusste ich plötzlich mit absoluter Sicherheit. Jeder Rettungsversuch wäre nutzlos, ja falsch. Ich durfte nichts tun, damit Frieden den Tod der Frau umgab statt Hektik, Wissen statt Angst, Ruhe statt Panik und Gelassenheit statt des Gefühls medizinischen Versagens. Ich wurde ganz ruhig, extrem bewusst. Ich betrachtete mich aus einer anderen, mir völlig neuen Perspektive, beobachtend statt involviert, neutral statt emotional. Alle Sinne – auch die inneren – waren geschärft. Ich erinnere mich noch genau an meine leise und kraftvoll gesprochenen Worte nach der Untersuchung: „Wir werden nicht operieren!“

Meine Kollegen wurden blass und sahen mich verständnislos an. „Wie, wir werden nicht operieren? Warum?“

„Weil wir für diese Frau nichts mehr tun können.“

„Aber das ist absurd. Sieh dir das Protokoll des Notarztes und die Aufnahmen doch an! Ihr Kreislauf ist stabil. Wir haben nur einen kleinen Eingriff vor. Wir müssen operieren. Das ist unsere verdammte Pflicht, Ellen.“

„Sie wird sterben und wir dürfen sie jetzt nicht aufschneiden! Ihr Herz wird während der OP versagen, weil der Zeitpunkt ihres Todes gekommen ist.“

„Nein, sie wird sterben, wenn wir nicht operieren. Ihr Herz ist vollkommen gesund. Wie kannst du es wagen, einen Patienten aufgrund von bloßen Vermutungen aufzugeben, bevor du alles Menschenmögliche versucht hast?“ Der anfängliche Unglaube meiner Kollegen wandelte sich langsam in Ungehaltenheit. Alle anderen nickten und rückten körperlich sowie emotional ein Stück von mir ab.

„Das ist erst der Anfang“, dachte ich und sah mir interessiert dabei zu, wie ich mich gegen jede medizinische Vernunft und meine Kollegen stellte, weil ich der inneren Einsicht mehr vertraute als den gängigen Regeln, die ich selbst seit über einem Jahrzehnt unhinterfragt angewendet hatte. Jäh und ungebeten riss mich die Intuition aus meiner ärztlichen Routine. „Ich werde diese Frau nicht operieren, weil wir sie nicht retten können. Und ich bitte euch, mir zu vertrauen. Sie wird während der OP an Herzversagen sterben“, wiederholte ich prophetisch und ohne Angst vor den Konsequenzen meiner Worte, während ich vor meinem inneren Auge das zukünftige Geschehen ebenso deutlich wahrnahm wie den gegenwärtigen Streit mit meinen Kollegen.

Eine der OP-Schwestern zögerte. Vielleicht spürte auch sie etwas Ungewöhnliches oder meine klaren, bestimmten Worte hatten die Kraft, sie zu überzeugen. Doch dann traf mich ihr hilfloser Blick. Sie zog die Schultern hoch und ließ sie wortlos fallen.

Mein Assistent reagierte ungewöhnlich ruhig und war offensichtlich um eine einvernehmliche Lösung bemüht. „Ellen! Jeder, der hierher kommt, wird operiert. Das ist sein Recht und unsere Pflicht. Nenn uns eine medizinische Indikation, die gegen eine OP spricht, und wir besprechen den Fall neu.“

„Sie wird sterben. Ob wir operieren oder nicht. Reicht das nicht?“

„Nein, Ellen. Das darf uns nicht reichen, und das weißt du. Niemand kann das zu diesem Zeitpunkt mit Sicherheit wissen. Wir operieren!“ Er blickte fragend in die Runde, um sich der Zustimmung der Kollegen zu versichern. Dann sah er mich an. „Bist du dabei?“

„Nein!“ Das war das deutlichste und einsamste Nein, das ich je in meinem Leben gesprochen hatte. Keiner hätte mich vom Gegenteil überzeugen können. Meine innere Gewissheit besaß eine Überzeugungskraft von allerhöchster Autorität, neben der die fachliche Autorität meiner Kollegen, ja selbst die des Chefarztes, vollkommen verblasste. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, nicht bloß zu funktionieren und meine Rolle zu erfüllen, sondern bewusst zu handeln. Ich war wach und absolut präsent und fand dadurch den Mut, eine sehr persönliche und ungewöhnliche Entscheidung zu treffen.

Die Gruppe wandte sich von mir ab und machte sich für die OP bereit. Nicht ohne vorher unseren Vorgesetzten darüber zu informieren, dass ich meine Arbeit – lebensrettende Arbeit – verweigert hatte. Niemand verstand mein Handeln oder kam auf die Idee, sich schützend vor mich zu stellen. Und das Merkwürdigste war, dass ich das auch von keinem erwartete.

Noch während meine Kollegen im OP glaubten, eine Routineoperation durchzuführen, rief der Chefarzt, Prof. Bauer, mich in sein Büro. Ich hatte ihn noch nie so wütend erlebt.

„Wie können Sie es wagen, Frau Dr. Jansen! Sie wissen, dass Ihr Verhalten Konsequenzen haben wird! Ich erwarte Ihren Bericht, bevor Sie heute das Krankenhaus verlassen. Sie sind beurlaubt, bis wir über Ihren Fall beraten haben.“

Das Telefon klingelte, als ich wortlos sein Büro verlassen wollte. Noch bevor der Professor das Gespräch annahm, wusste ich, dass sich meine Prophezeiung bereits erfüllt hatte. Ich beobachtete jede seiner Regungen. Das Blut wich ihm aus dem Gesicht, und die Hand, die den Telefonhörer fest umklammert hielt, begann zu zittern. Er rang nach Luft und um Fassung. Die Wahrheit meiner Voraussage konnte mir in diesem Moment nicht helfen. Ganz im Gegenteil: Sie bedeutete das Ende meiner ärztlichen Karriere an diesem Krankenhaus...

Ich durfte der Erinnerung nicht zu viel Raum geben, denn hier, in Muzzaffarabad im kaschmirischen Teil Pakistans, wurde ich gebraucht, hier zählten meine ganze Kraft und Aufmerksamkeit. Der Dienst begann um sechs. Jeden Morgen wunderte ich mich aufs Neue, dass der kurze, kalte Schlaf auf einem Feldbett der Bundeswehr, das aus einem deutschen Militärcamp in Afghanistan kam, überhaupt Erholung brachte. In weniger als fünf Minuten war ich mit kaltem Wasser gewaschen, umgezogen und einsatzbereit. Ich traf die Kollegen meiner Schicht im Versorgungszelt. Es gab nicht viel zu essen, doch es reichte, um nicht dauernd durch Hunger von der niemals endenden Arbeit abgelenkt zu werden. Ich nahm einen heißen Kaffee und ein mit Ghee und Zucker gefülltes Fladenbrot. Heimlich steckte ich noch drei Äpfel in meine Kitteltaschen. Sicher würde ich später jemanden finden, der seit Tagen nichts gegessen hatte.

Ich setzte mich zu Ian aus Australien, dem einzigen Kollegen, der nicht ständig von einer Aura der Melancholie umgeben war. Seine bloße Gegenwart ließ mich manchmal denken, dass die Katastrophe, der wir beiwohnten, doch ihre Sonnenseiten hatte und irgendwann enden würde. Ians Humor weckte Hoffnung in mir, die ich selbst nicht aufbringen konnte.

Doch heute wirkte auch er ernst und nachdenklich. „Ich habe letzte Nacht von Jamaika geträumt, kannst du das glauben? Stell dir vor, ich sah mich selbst im coolsten Urlaubsresort, den ich je gesehen habe. Sonne, Surfen, Flirts, Drinks – O Gott, ich wünschte, ich hätte einen Drink ... Es war das Paradies. Ich hasse mich dafür. Ich habe kein verdammtes Mitgefühl.”

Ich schwieg betreten, weil auch ich mich schuldig fühlte. Natürlich halfen wir, das Leid der Verletzten zu lindern und oftmals auch den Schmerz der Hinterbliebenen. Doch wie viele Menschleben konnten wir angesichts der unvorstellbaren Zahl von Todesopfern, die täglich stieg, retten? Fühlten wir wirklich mit den Opfern einer der größten Erdbebenkatastrophen der letzten Jahrzehnte? Mussten wir nicht den Schmerz, den wir täglich miterlebten, von uns fernhalten, um überhaupt helfen zu können? Fast siebzig Prozent von Muzzaffarabad waren zerstört. Beinahe jede Familie hatte einen Angehörigen unter den Trümmern...

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