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E-Book

Im Gegenlicht

Eine italienische Reise

AutorJoachim Fest
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl512 Seiten
ISBN9783644038714
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Kein Land hat die Sehnsucht der Deutschen mehr geweckt als Italien. Nirgendwo sonst gehen Vergangenheit und Gegenwart eine so spannungsreiche Verbindung ein, liegen Fremdes und scheinbar Vertrautes so eng nebeneinander. Joachim Fest hat dieses Land nicht auf der herkömmlichen Route bereist, sondern von Süden her. Dabei ist ein lebendiges, facettenreiches Bild entstanden. Stets wechseln sich scharfsichtige Beobachtungen mit pointierten Reflexionen oder packenden historischen Skizzen ab. Im Mittelpunkt jedoch stehen die Menschen, denen er begegnet ist. Ein brillant geschriebenes Reisejournal und zugleich viel mehr: ein literarisches Meisterwerk, kunstvoll komponiert und dennoch sehr persönlich.

Joachim Fest (1926 - 2006) war einer der bedeutendsten Autoren und Historiker der Bundesrepublik. Ab 1963 arbeitete er als Chefredakteur des NDR und von 1973 bis 1993 als Herausgeber der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Seine Hitler-Biographie wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Weitere Werke: «Speer» (1999), «Der Untergang» (2002), «Begegnungen» (2004), «Ich nicht» (2006), «Bürgerlichkeit als Lebensform» (2007).

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Leseprobe

Am Rande. Auf dem Weg ins Hotel sagte G., für die Reisenden des 18. Jahrhunderts seien die Tempel auch eine Metapher politischer Kritik gewesen. In der Tat schien ihre einfache, strenge Geometrie den denkbar schärfsten Gegensatz zur Verkommenheit feudaler Lebensverhältnisse auszudrücken und an die Größe griechischer Freiheit zu erinnern. Die suggestive Gleichung von Tempelgrundriß und Weltgrundriß als Antriebselement der Aufklärung.

 

Catania. Landeinwärts bei F., der als Stadtplaner tätig ist. Er bewohnt einen der Bungalows, die sich Jahr für Jahr ein Stück weiter die milden Hänge des Ätna hinauffressen, wo sich unlängst noch jene Mandel- und Orangenhaine erstreckten, die Goethe so liebte. Die Räume waren mit ausgesuchten alten Möbeln eingerichtet, deren museale Aura durch weniges, aber sicher placiertes modernes Design aufgelockert war. Barcelona-Chairs und ein Tisch von Saarinen, dazwischen technisches Gerät von Brionvega.

Der Gastgeber war in der englischen und französischen so gut wie in der deutschen Literatur belesen und konnte mir auch den «Ozymandias» aus dem Stegreif vervollständigen. Kenntnisreich beschrieb er, wie die Weltveränderungs-Philosophie des alten Bauhauses im amerikanischen New Bauhaus zur Design-Industrie geworden sei; die Umgebung des Exils habe den deutschen Ernst urban gemacht und verdorben.

Dann sprach F. über Sizilien, seine Geschichte und die Mentalität der Bewohner. Auf die Frage, warum die Planung in Agrigent und anderswo sich über alles Herkommen hinweggesetzt, die alten Straßenfluchten begradigt, Hochhäuser neben Tempel, Beton neben Barock gestellt und die Plätze zu bloßen Verkehrspunkten entwertet habe, sah er überrascht auf. Nach einigem Zögern setzte er zu einer Antwort an, verwarf sie offenbar wieder und meinte dann, als stoße er jetzt zum ersten Mal darauf: «Ja, tatsächlich, das ist eine interessante Frage. Sie haben ganz recht. Eigentlich sonderbar … Darüber müßte man einmal nachdenken.»

 

Am Rande. Leonardo Sciascia im Gespräch: «Früher gab es eine Dummheit, die sich untätig verhielt und deren träge Ruhe doch eine Art Lebensklugheit verriet. Heute dagegen stößt man zusehends auf eine Dummheit, die mit nie nachlassender Energie, rastlos schuftend, alles angreift und zugrunde richtet.»

 

Catania. Mit Mauro Levi, dessen Name etwas von dem Völkerwirrwarr der Insel widerspiegelt, in einer Bar nahe dem Dom. Er sagte, Rom sei auf dem Höhepunkt seiner Macht gewesen, als es das überfeinerte Griechenland unterwarf. Aber an diesem Sieg sei es zugrunde gegangen. Jedenfalls trug es ganz wesentlich dazu bei, die Kraft des nüchternen, von disziplinärem Ethos geprägten Bauern- und Soldatenvolkes mit den schönen Giften einer Spätkultur zu infizieren. Die Formel, die das überwältigte Griechenland als Überwältiger Roms feiert, laute, in Abwandlung eines Wortes von Horaz: «Graecia capta Romam captavit.»

Noch über andere Gründe für den Niedergang Roms. Aber am Ende kam er wieder darauf zurück. Vielleicht überschätze er dieses Motiv, bemerkte er. Aber für einen Sizilianer sei der Gedanke verführerisch, daß der Sieger im Grunde der Verlierer sei, und der Verlierer, wenn die Dinge ihr wahres Gesicht offenbarten, als Sieger dastehe.

 

Auf dem Ätna. Auf der Straße, kurz hinter Nicolosi, standen die Carabinieri, umringt von Schaulustigen, die vergeblich wegen einer Durchfahrterlaubnis verhandelten. Uns machte das Passepartout des Präfekten, das Folco Quilici beschafft hatte, den Weg frei. Im Tageslicht waren die blutroten Rinnen, die bei Nacht wie in den Berg geschnittene Wundmale wirkten, nicht zu sehen. Nur die weißlichen Rauchwolken, die weiter oben, in Gipfelnähe, von Zeit zu Zeit in die Höhe pufften, und das dumpfe, polternde Grollen, das ihnen folgte, verrieten, daß der Berg in Tätigkeit war.

Ganz allmählich veränderte sich das Bild der Landschaft. Anfangs ging die Fahrt vorbei an Gärten und Feldern, durch üppigen Baumbestand auf grau gebleichtem Boden. Ein erloschener Krater zur Linken war dicht von leuchtend grünen Kastanien überwachsen. Dann wurde die Vegetation spärlicher, auf einem Geröllfeld aus zerstoßenem Lavagestein verloren sich einige Reihen junger Reben. Das Alter der Zonen läßt sich annähernd genau aus den Pflanzen erschließen. Erst brechen Moose und Flechten die Lavadecke auf, dann folgt der Ginster, später die Kaktusfeige, schließlich wachsen Pistazien und Mandelbäume. Nach einer langen Kurve fanden wir uns unversehens inmitten einer Mondlandschaft. Zu beiden Seiten der Straße türmten sich erratische Brocken, scharfkantig, staubig und schwarz. Doch sobald die Spur jüngerer Lavaausbrüche passiert war, setzte das krasse Grün wieder ein.

Die Vorsicht der Behörden schien übertrieben. Die Häuser am Wege waren bewohnt, wie üblich standen die Menschen auf den Straßen zusammen, die Geschäfte hatten geöffnet. Einer der Herumstehenden trat an den Wagen heran und meinte, als habe er diese Sehenswürdigkeit eigens bestellt, daß die Spitze des Lavastroms nicht weit entfernt von uns sei. Er erbot sich, den Führer zu machen.

Von einer kleinen Anhöhe aus war die lange, gewundene Spur zu überblicken, die sich die Lava gebahnt hatte. Sie war an ihrem Auslauf in ein Eichenwäldchen eingedrungen, hatte die schwächeren Bäume niedergewalzt und lag nun reglos, wie endlich zum Stillstand gekommen, zwischen den schweren Stämmen. Erst nach geraumer Zeit gewahrte man, wie trügerisch der Eindruck war. Denn fast unmerklich begann das Laub sich zu verfärben, zu schrumpfen und plötzlich, ohne sichtbare Ursache, brach einer der Bäume ächzend zusammen. Noch im Stürzen ging die Krone in Flammen auf, Feuer und Funken loderten hoch, erstarben aber sogleich wieder. Für einen Augenblick geriet auch die Lava im Umkreis des Baums in mahlende Bewegung und begrub das Astwerk unter sich.

Kurz vor Sapienza, der Bodenstation der Schwebebahn, endete die Fahrt. Ein Lavawall hatte sich wie eine gewaltige Kohlenhalde über die Straße geschoben und versperrte den Weg. Wir ließen den Wagen zurück und gingen über bröckliges, rutschendes Gestein weiter aufwärts. Nach einigen hundert Metern wurde, eingeschlossen von zwei riesigen Armen aus erkalteter Lava, weit unten die Bergstation sichtbar. Ein scharfer Geruch von Schwefel, Asche und Verbranntem erfüllte die Luft. Und immer wieder das Grollen, das sich aber mehr im Innern des Berges fortzusetzen schien, als polterten riesige Steine durch unterirdische Schächte.

Beim Betreten der Grate, die der Lavastrom aufgeworfen hat, bietet sich ein überwältigender Anblick. In unmittelbarer Nähe wälzt sich durch ein fünf Meter breites Bett, träge und mit zermalmendem Gleichmut, die Lava bergab. Ihre Glut wirft einen blutigen Schein auf die Gesichter. Die Langsamkeit, mit der sie vorrückt, und die Stille, die über allem liegt, steigern noch den Eindruck phlegmatischer Gewaltsamkeit. An der Oberfläche des Geschiebes, auf den unablässig durcheinanderfallenden, sich drohend aufstülpenden und zurücksinkenden Massen bilden sich immer wieder dünne, halberkaltete Ascheschichten, krümmen sich an den Rändern hoch, blättern ab und bringen die Glut darunter zum Vorschein.

Der Anblick ist weitaus atemraubender als später, in größerer Höhe, das Vorfeld der Hexenküche selber, wo die Lava noch flüssig ist und als kochender Brei, gurgelnd und mit aufspritzenden Magmafontänen, zu Tal fließt. Wo der Strom sich tiefer ins Gestein fraß, hat er brückenähnliche Bogen aufgeschichtet, die nun wie aufgerissene Schlünde den glühenden Schlamm erbrechen. Dicht über uns, etwas seitlich der Ausbruchstellen, stand unterdessen ein Hubschrauber, und das metallische Kreischen der Rotoren, verstärkt durch die Echowirkungen der Bergwand, hallte betäubend in den Ohren. Während noch alles zu ihm hinübersah, löste sich ein mächtiger Geröllklotz und rollte mit zögernd taumelnder, sich plötzlich jedoch beschleunigender Bewegung abwärts, eine breite Spur von kleingebrochenen, rieselnden Steinmassen hinter sich herziehend. Über der glühenden Mulde, die zurückbleibt, scheint die Luft buchstäblich zu brennen. Ringsumher steigt aus Vertiefungen und Erdspalten schmutziggelber Qualm empor, den der kalte Wind augenblicklich erfaßt, durcheinanderreißt und in wechselnde Richtungen stößt. Von Catania, tief unten im Dunst, ist nichts zu sehen. Wären die Menschen nicht, die auf den weiten Hängen herumlaufen, läge die Vorstellung nahe, einem der Schöpfungstage beizuwohnen und den Planeten im Zustand der Entstehung zu beobachten.

 

Noch zum Vorigen. Auf der Rückfahrt, kurz vor Belpasso, war an einer Hauswand zu lesen: «Forza Etna! La Sicilia è tutta tua!» Man versicherte uns aber, das habe kein Sizilianer geschrieben. Die Formel sei zum ersten Mal, einige Tage zuvor, im Veneto aufgetaucht.

 

Auf dem Ätna. Es gibt die Überlieferung, Empedokles habe sich, um seine Sterblichkeit zu verheimlichen, in den brodelnden Krater geworfen, doch habe der Berg die bronzenen Sandalen des Dichterpropheten wieder ausgespieen und dadurch den frommen Betrug verraten. Der sogenannte «Turm des Philosophen» erinnert daran.

In der Vorstellung sieht man Empedokles immer in der Nachbarschaft von Hesiod und Homer, ein anderer Sänger aus irgendeiner Vorzeit. In Wirklichkeit war der merkwürdige Mann ein Zeitgenosse des Sokrates und von Homer weiter entfernt als Goethe von Jakob Böhme. Er muß in seinem priesterlich raunenden Poetentum reichlich absonderlich gewirkt haben, wo die griechische Welt sich gerade anschickte, die Last des Mythos...

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