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Verbrannte Kindheit

1677-1679 Die vergessenen Kinder der Hexenprozesse um den Zauberer Jackl

AutorWolfgang Fürweger
VerlagVerlag Carl Ueberreuter
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783800079261
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Verfemt, verfolgt, verbrannt - Von 1677 bis 1679 kam es in Salzburg zu der schlimmsten Hexenverfolgung auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reichs: 124 vermeintliche Hexen und Zauberer landeten auf dem Scheiterhaufen. Es waren allerdings nicht die üblichen Opfer des Hexenwahns - heilkundige Kräuterfrauen, angebliche Verführerinnen oder Quacksalber - sondern vor allem Kinder und Jugendliche. Ihnen wurde vorgeworfen, Gefolgsleute des Zauberers Jackl zu sein, der eine Bande von jugendlichen Gefährten um sich geschart hatte und mit ihnen bettelnd und stehlend durch die Länder und Regionen zog. Nun versuchte die Obrigkeit, diese Bettlerkinder unter dem Vorwand der Zauberei auszurotten. Angesichts der jüngsten Diskussionen um Bettlerfamilien hat dieses historische Thema eine beklemmende Aktualität.

Wolfgang Fürweger, geboren 1971, lebt im Salzburger Pinzgau und arbeitet als Zeitungsjournalist in Wien. Er hat bereits mehrere Bücher bei Ueberreuter veröffentlicht, u.a. 'Die Red Bull Story' und zuletzt 'Hans Peter Haselsteiner'.

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Leseprobe

Einleitung


Der Zauberer Jackl ist die bekannteste Sagengestalt Salzburgs und man kennt ihn auch über die Landesgrenzen hinaus. Anders als viele Figuren in Märchen und Sagen kann man ihn unmittelbar auf eine reale Person zurückführen: Sein richtiger Name war Jakob Koller und er wurde um 1655 als unehelicher Sohn des vagabundierenden Freimannsknechtes Kilian Tischler und der Abdecker-Tochter Barbara Koller geboren. Aufgrund seiner Herkunft gehörte der Bub, der von allen nur Jackl oder Schinder Jackl gerufen wurde, von Geburt an zu den Ausgestoßenen der Gesellschaft. Ihm war das Erlernen eines ehrbaren Berufes und das Führen eines bürgerlichen Lebens verwehrt. Dazu kam, dass sein Vater 1660 mitsamt seiner Familie aus dem damaligen Erzstift Salzburg ausgewiesen wurde und kurz darauf starb. Als „Witwe“ eines Vagabunden, die selbst aus den niedrigsten Verhältnissen stammte, war die Mutter daraufhin gezwungen, zu betteln und zu stehlen, wollte sie sich und ihren Sohn ernähren. Auf ihren Bettelrouten legten Mutter und Sohn Koller zwischen Bayern und Kärnten weite Wege zurück. Anfang der siebziger Jahre des 17. Jahrhunderts begannen sie, sich auf das Ausräumen von Opferstöcken in Salzburger Kirchen zu spezialisieren.

1675 wurden Barbara Koller und der halbwüchsige Bettler Paul Kaltenpacher in Golling verhaftet und beschuldigt, Opfergeld in drei Kirchen gestohlen zu haben. Bei den Verhören nannten beide Jackl als Mittäter. Unter der Folter sagte die Mutter zudem aus, sie und ihr Sohn hätten sich an jenen Bauern, die ihnen nichts geben wollten, durch Schadenzauber gerächt. Barbara Koller wurde wegen Diebstahls und Zauberei schuldig gesprochen, zum Tode verurteilt und im August 1675 vor den Toren der Stadt Salzburg erdrosselt und verbrannt. Schon zuvor hatte die Justiz Haftbefehl gegen ihren Sohn und Zauberer-Komplizen erlassen. Damit begann der größte Hexenprozess, den es je im Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gab.

1677 erhielten die Behörden Nachricht, Jackl sei gestorben. Allerdings wurde wenige Wochen später der zwölfjährige Bettler Dionys (auch Dionysus) Feldner festgenommen. Dieser sagte aus, er sei mit dem vermeintlich Toten und anderen Buben und Burschen umhergezogen. Jakob Koller, der damals Anfang zwanzig war, scheint ein charismatischer Anführer gewesen zu sein und hatte es geschafft, eine Bande junger Bettler um sich zu scharen, der auch Dionys Feldner angehörte. Die Straßenkinder wanderten bettelnd, stehlend und betrügend durch das Salzburger Land, vor allem durch den Pongau und Lungau, und dürften auch ihre eigenen, geheimen Rituale gepflegt haben. So ist etwa überliefert, die Mitglieder hätten sich durch Blutsfreundschaft miteinander verbunden. Von dahin bis zum Vorwurf der Zauberei gegen alle Gefährten Jackls war es nur ein schmaler Grat, der mit dem Verhör des 14-jährigen Matthias Thoman Hasendorfer überschritten wurde. Dieser gestand, Jackl habe ihn das Zaubern gelehrt; und er nannte die Namen weiterer Bettlerbuben, die er damit ins Verderben stürzte: Die Behörden wollten nun nicht nur Jakob Koller zur Strecke bringen, sondern auch alle seine Gefährten, um eine weitere Ausbreitung der Hexerei unter Jugendlichen zu verhindern.

Im gesamten Erzstift, aber auch in Österreich und Bayern wurde gefahndet, trotzdem konnte Jackl nie gefasst werden. Dafür nahmen die Behörden von Ende 1677 bis ins Frühjahr 1679 immer mehr Bettler fest – vor allem kleine Buben, halbwüchsige Knaben und junge Männer. Die meisten hatten nur mehr losen oder gar keinen Kontakt zu Jackl gehabt. Viele waren Waisenkinder, aus Not von zu Hause fortgeschickt worden oder von selbst weggelaufen. Die meisten litten körperlich an den Folgen von Krankheiten, Unfällen oder Gewalterlebnissen. Einige waren geistig behindert und wussten nicht einmal ihre Namen. Unter Druck, nach Schlägen oder aus Angst vor (weiterer) Folter gestanden sie nach Vorlage eines vorgefertigten Kataloges an Suggestivfragen die unmöglichsten Vergehen: Eine geschändete Hostie soll sich etwa in den Heiland verwandelt haben, dieser sei dann von der Bande erneut gekreuzigt worden. Die Unzucht mit Tieren und dem Teufel gehörte zum Standardrepertoire der erpressten Geständnisse. Natürlich sollen Jackl und seine Zauberergesellen auf Besen zum Hexentanz geritten sein. Jackl soll außerdem die Fähigkeit besessen haben, sich entweder in ein Tier zu verwandeln oder sich unsichtbar machen zu können. Die Geschichten um ihn wurden von Verhör zu Verhör einfallsreicher, schauriger und blutrünstiger. Dabei ist nicht einmal klar, ob Jakob Koller auf dem Höhepunkt der Verfolgung noch lebte.

Seine gefangenen Komplizen bekamen den gesamten Hass der Gesellschaft zu spüren, der sich vor allem aus der Angst vor der Zauberer-Gestalt und dem Abscheu vor den heruntergekommenen Bettlern speiste. Der Hexenwahn war zwar religiös unterfüttert und bezog seine Legitimation aus der Bibel, dennoch war für die Prozesse in Salzburg nicht die kirchliche Inquisition verantwortlich, sondern die weltliche Gerichtsbarkeit. Die vermeintlichen Hexen und Zauberer wurden aus allen Teilen des Landes in die Residenzstadt gebracht und im Rathaus in enge Zellen gepfercht. Als diese überfüllt waren, wurde in einem Turm der Stadtmauer ein eigenes Hexengefängnis eingerichtet. Der Hofrat fällte als Justizbehörde unendlich grausame Urteile: Die oft noch jugendlichen Opfer wurden meist erdrosselt oder enthauptet und anschließend verbrannt. Für die Hinrichtung von Kindern zwischen 10 und 14 Jahren wurde als „Gnadenakt“ eigens ein Fallbeil aus Italien importiert. Schonung gab es nur für die meisten, aber nicht alle Mädchen und Buben, die jünger als zehn Jahre alt waren – sie kamen zu Pflegeeltern, mussten aber vorher zum Teil die Hinrichtungen ihrer Eltern und Geschwister mit ansehen.

Die große Verfolgungswelle dauerte von Ende 1677 bis Mitte 1678. Inklusive einiger „Nachbeben“ loderten bis 1690 die Scheiterhaufen im Salzburger Land. Rund 200 vermeintliche Zauberer wurden verhaftet, insgesamt fanden 159 den Tod. Das jüngste Opfer des Staatsterrors gegen die unterste soziale Schicht des kleinen Staates war der erst sieben- oder achtjährige Matthias Hauser aus dem Pongau, der geköpft und anschließend verbrannt wurde, das älteste Margarete Reinberger, die mit 80 Jahren eine für damalige Verhältnisse bereits uralte Frau war. Die Prozesse leitete federführend der ehrgeizige und gnadenlose Jurist Sebastian Zillner. Er wurde auch von seiner eigenen panischen Angst vor Hexen und Zauberern angetrieben und von der Abscheu vor sozialer Not.

Höchst umstritten ist die Rolle des Landesherrn: Einerseits entschuldigen einige Historiker den damaligen Fürsterzbischof und späteren Kardinal Maximilian Gandolph Graf von Kuenburg mit dem Hinweis, dieser sei ein Kind seiner Zeit gewesen, habe sich als solches nicht über den allgemeinen Volksglauben hinwegsetzen können und daher monatelang alle Todesurteile des Hofrats bestätigt. Andererseits ließ er zeitgleich alte Volksbräuche wie rituelle Bittgebete verbieten, die seiner Meinung nach „mehrerteils aus einem Aberglauben“ praktiziert wurden. Außerdem stellte der Kirchenfürst die Beichtväter der verhafteten Hexen und Zauberer kalt, weil diese Zweifel und Kritik an den Geständnissen geäußert hatten. In der Gesamtschau ergibt sich das Bild, Max Gandolph und seine Beamten benutzten die Hexenprozesse, um sich eines immer drängender werdenden sozialen Problems zu entledigen: der Bettelei durch herumziehende Kinder, Jugendliche und ganze Familien.

Die Prozessflut im Zusammenhang mit dem Zauberer Jackl ist aus mehreren Gründen eine traurige Besonderheit – vor allem im Hinblick auf die Zahl der Angeklagten, Verurteilten und Hingerichteten. Zudem fand die Verfolgung statt, als an anderen Orten der Hexenwahn bereits überwunden war. Und man ging in Salzburg nicht gegen die üblichen Verdächtigen vor, also gegen Hebammen, Kräuterweiberl, Bader oder Quacksalber. Vielmehr sollte zum ersten Mal eine gesamte soziale Gruppe ausgerottet werden – die Verfolgung wurde nicht so, wie anderenorts üblich, durch die Bevölkerung getragen, sondern von der Obrigkeit. Jackl war als vermeintlicher Anführer der Bettler, zu dem er wahrscheinlich erst durch die Verfolgung hochstilisiert wurde, doppelt gefährlich: Zum einen glaubten die Menschen tatsächlich an Zauberei, zum anderen war er in den Augen des Hofrats, welcher die oberste Polizei- und Justizbehörde darstellte, ein Aufrührer und potenzieller Anführer einer Rebellion der Armen.

Nach einer Reihe von Biografien über bekannte österreichische Unternehmer und Politiker, wie Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz, VW-Patriarch Ferdinand Piëch, Magna-Milliardär Frank Stronach, Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser oder zuletzt Hans Peter Haselsteiner, widme ich mich dieses Mal einem historischen Thema, das mich bereits seit Jahren im Hinterkopf beschäftigt und das in unregelmäßigen Abständen immer wieder unvermittelt vor mir auftauchte – sei es in Form eines Romans, den meine...

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