Die großen Spieler I
»Da kam dann das Elfmeterschießen.
Wir hatten alle die Hosen voll, aber bei mir lief’s ganz flüssig.«
Paul Breitner
Franz Beckenbauer
Mancher wird glauben, ich würde in diesem Buch originell sein wollen oder müssen, wenn ich über Franz Beckenbauer rede. Aber derlei liegt mir fern. Franz Beckenbauer hat in seinem Leben einfach sehr vieles richtig gemacht und das meiste richtig gut. Dennoch gibt es ja auch Jüngere als mich, die vielleicht gar nicht mitbekommen haben, dass FB nicht immer jene Lichtgestalt war, jener hypercharismatische Fußballguru, von dem eine übernatürliche Aura auszugehen scheint.
Nein, das war er weiß Gott nicht immer. In seiner Anfangszeit soll er manches Mal das Publikum schwer beleidigt haben, durch die berüchtigte Männeken-Pis-Pose etwa. Zudem galt er als ein Prachtexemplar von Arroganz und Lässigkeit. Mehrfach in seiner Karriere hat er sich abfällig geäußert über »die Irren, die sich in den Dreck schmeißen, um im Mittelfeld einen Ball von der Aus-Linie zu kratzen«. Manches Mal hat er sich über die Qualität seiner Mitspieler lustig gemacht, unsaubere Pässe waren ihm eine Qual, und noch als Trainer der Weltmeistermannschaft 1990 konnte er schimpfen wie ein Rohrspatz, konnte an die Decke gehen, ja beinahe ausrasten. Ich habe jenen legendären Moment 1969 nicht miterlebt. Aber es muss schon Wahnsinn gewesen sein, eine Tollkühnheit, die man sonst nur in Karl-May-Büchern findet: Das Schalker Publikum stimmt ein gellendes Buh- und Pfeifkonzert an, aus irgendeinem Grund ist ihm der Spielgestalter des FC Bayern verhasst. Und was macht FB? Er rennt in die gegnerische Fankurve und beginnt, 40 Sekunden lang den Ball von einem Fuß zum anderen zu jonglieren. Keiner der völlig verblüfften Schalkespieler wagt es, ihn zu stören oder gar anzugreifen. Es ist einer jener magischen Momente, die es in der Karriere des FB so oft gegeben hat. Am nächsten Tag berichtete die Süddeutsche Zeitung vom »Kaiser« Franz. Und Deutschland war wieder eine Monarchie.
Der Wechsel zu New York Cosmos 1977 war sportlich sicher unter seinem Niveau, die Rückkehr in die Bundesliga zum HSV bestimmt überflüssig. Aber die Zeit in New York hat den Münchner Buben zum Weltmann gemacht und den Grundstein gelegt für ein Charisma, das er vorher schlichtweg gar nicht hatte. Doch er wurde nie zu einem Diplomaten, der eine Schleimspur hinter sich herzieht. Er hatte eine gewisse Narrenfreiheit und nutzte sie zu manch unbequemer Position.
Mein Lieblingsmoment mit FB ist der: Ich erinnere mich an ein Aktuelles Sportstudio im ZDF, 1994. Bayern hatte beim KSC 2:2 gespielt und dabei erst in der letzten Minute den Ausgleich kassiert, Sammy Kuffour hatte unmittelbar zuvor Gelb-Rot bekommen, weil er nach Verletzung und Behandlung am Spielfeldrand zurück auf den Platz gerannt war, ohne die Einwilligung des Schiris abzuwarten. Wenig später war auch noch Markus Schupp des Feldes verwiesen worden. Lothar Matthäus hatte direkt nach Abpfiff, in einer legendären Wutrede jenseits der deutschen Grammatik, diese Rote Karte (und etliche andere Entscheidungen des Schiedsrichters Hellmut Krug) als »Frechheit« kritisiert und mit sich überschlagender Stimme ein Einschreiten des DFB gegen Krug gefordert, woraufhin er wegen vermeintlicher Beleidigung unter den Beschuss der Schiedsrichterlobby geriet. Und wie reagiert FB, um seine Meinung gefragt? Er sagt, sehr trocken: »Wo Lothar Matthäus recht hat, hat er recht.« Prompt kippt medienweit die Stimmung, zugunsten LMs, zu Ungunsten Hellmut Krugs.
Heutzutage wäre es beinahe undenkbar, dass sich eine hochgestellte Sportpersönlichkeit (wohlgemerkt: in entspannter Atmosphäre NACH einem hitzigen Ereignis) derart eindeutig positioniert. Der Wischiwaschi-Standardsatz in einem Fall wie diesem wäre ungefähr: »Man muss das natürlich von beiden Seiten betrachten …« etc. Nein, dem Franz sei gedankt. Einfach nur gedankt. Er hat als Fußballer alles erreicht, was man erreichen kann, als Spieler, als Trainer, als Diplomat für die WM 2006, er hat uns große Momente und Bilder beschert. Sein einsamer Gang durch das römische Stadion nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft 1990, das war Gänsehaut pur, das war große Oper. Das war das Gegenteil von Berti Vogts.
Um seine Ausnahmestellung zu verdeutlichen, sollte man auch die Weihnachtsfeier 1999 heranziehen, bei der Beckenbauer, damals noch anderweitig verheiratet, eine Sekretärin des FCB schwängerte und rund ein Jahr später, als die Geburt des unehelichen Sohnes bekannt wurde, den aufkommenden gewaltigen Skandal handstreichartig beendete, indem er sich nicht etwa entschuldigte oder reumütig zeigte, sondern schlicht erklärte: »Ja mei, der liebe Gott freut sich über jedes Menschenkind.« Man stelle sich mal vor, wie andere da rumlaviert hätten.
Natürlich hatte er auch Glück, vieles ging einfach gut. Als er nach einer Meisterschaft des FCB im Sportstudio, eine Zigarre paffend und schon leicht beschwipst, den Ball von einem gefüllten Weißbierglas aus in die Torwand traf – das sind so ikonische Momente, bei denen auch der Zufall dem Können helfen muss. Man kann fast nichts Negatives über ihn sagen, außer, dass er der Rekord-Eigentorschütze des FC Bayern ist (4 Stück). Und sicher ist FB nicht mehr der Jüngste und hat im Lauf seines Lebens auch manches salbadert, wenn nicht gelabert, aber mal ehrlich – was würde dabei rauskommen, wenn man Ihnen quasi auf Schritt und Tritt, ein halbes Jahrhundert lang, ein Mikro unter die Nase hielte? Hm? Na also.
Gerd Müller
Wir Jungs wollten alle wie er sein. Gerd Müller war mein erster realer Held, und jeder weiß, was er als »Bomber der Nation«, als Rekord-Torschütze für den FC Bayern München, geleistet hat. »Ohne ihn und seine Tore säßen wir noch immer im Holzhäusl«, sagte Franz Beckenbauer einmal über ihn. Er ist der Rekordtorschütze der Bundesliga und hält mit 40 Treffern den Rekord für Tore in einer Saison. Auch in der Nationalmannschaft hat er mit 68 Treffern in 62 Spielen die beste Quote. Ein unbekannterer, weil eher negativer Rekord Müllers sind die in seiner Karriere insgesamt zwölf verschossenen Elfmeter. Kein anderer Bundesligaspieler hat bisher mehr Elfmeter verschossen.1 Dem gegenüber stehen aber, sieht man genauer hin, 51 verwandelte Elfmeter. Da in Europa in den höheren Ligen laut Statistik 7,66 von 10 Elfern (also 76,6 %) verwandelt werden, liegt Müller mit 80,9 % immer noch über dem Durchschnitt der Schützen.
Er ist der einzige deutsche Fußballer, dessen Namen ein brasilianischer Spieler je als Künstlernamen gewählt hat. Ein dabei überaus bescheidener Mensch, der am liebsten vor dem Fernseher hockt und Leberkäs mit Kartoffelsalat isst. Ehrgeiziger als er war wohl lange seine Frau Uschi, die ihm auch in den ganz schwierigen Zeiten die Treue hielt.
Den Abgang Gerd Müllers aus der Bundesliga hat niemand recht verstanden. Es ging so schnell, so Knall auf Fall, natürlich hatte er ein paar muskuläre Probleme, natürlich war er ein paar Monate lang vom Zenit seiner Formkurve entfernt. Und als Pál Csernai ihn 1979 – was vorher über Jahrzehnte hinweg niemand gewagt hatte – kurz vor Ende der Partie gegen Frankfurt auswechseln ließ, da war das schon Erdrutsch und Paukenschlag zugleich. Aber deswegen hätte er doch nicht von einem Tag auf den anderen zu einer Truppe wie den Fort Lauderdale Strikers wechseln müssen. Irgendwie wusste eine Legende da nicht, wie man sich einer Legende gemäß verhält. Indes – die ersten beiden Jahre in Florida seien sehr schön gewesen, sagen die Müllers heute, bis dann der Trainer Eckhart Krautzun gekommen sei, und – dafür konnte Krautzun aber nichts – das Steakhaus, das Müller von seinem Angesparten eröffnet hatte, pleite ging.
Die Müllers legen Wert darauf, einige Mythen zu korrigieren. Sie selbst seien nie pleite gewesen, hätten nie Schulden gehabt, und Müller sei aus der Nationalmannschaft keineswegs spontan zurückgetreten, weil die Spielerfrauen nicht zum WM-Bankett zugelassen waren. Er habe seinen Entschluss dem Bundestrainer Helmut Schön schon drei Tage vor dem Finale 1974 mitgeteilt. Wenn dem so ist – und warum sollte man Gerd Müller nicht glauben? (Hoeneß: »An Gerd ist nichts Falsches.«) –, will ich den Platz hier gerne nutzen, um mit diesen Märchen aufzuräumen. Das Heimweh nach München sei zu groß und das ausschlaggebende Moment gewesen, Florida den Rücken zu kehren. Es begann eine Form der gepflegten Arbeitslosigkeit bzw. Langeweile und eine schwere Form von Alkoholismus. Uli Hoeneß überredete Müller zu einer Entziehungskur und gab ihm die Aussicht auf einen neuen Job. Und Müller gewann den Kampf gegen den Dämon. Seit weit über zwanzig Jahren ist er nun trocken. Öffentliche Auftritte meidet er.
Dass manche Menschen ihn als beschränkt erlebten, ist einseitig und etwas böswillig reflektiert. Sicher, ein Intellektueller war er nie, aber er war einer, der sich selten in den Vordergrund drängte, der seine Arbeit auf dem Spielfeld verrichtete und danach seine Ruhe haben wollte. So blöd ist das nicht.
Paul Breitner
Wenn ich von der legendären Achse Maier – Beckenbauer – Müller lese, dann ärgere ich mich immer etwas, weil Paul Breitner außen vor gelassen wird. Zwar stieß er ein wenig später, 1970 erst, zu jener wahrscheinlich stärksten Mannschaft des FCB überhaupt, doch ist sein Anteil an den Erfolgen des Vereins kaum geringer. Zudem ist er einer, der zwei Phasen des FCB als Spieler entscheidend prägte: die der drei Europacup-Landesmeistertitel 1972–74,...