GESPRÄCHE
GEORGES SCHWIZGEBEL
JONAS RAEBER
YVES NETZHAMMER
TED SIEGER
SAM & FRED GUILLAUME
Your browser does not support the video tag.
Georges Schwizgebel: Jeu/Play
© Georges Schwizgebel, ONF, TSR, 2006
Die Studios GDS liegen in einer unscheinbaren Wohnung im dreizehnten Stockwerk eines Hochhauses in Carouge, einer Vorstadt von Genf. An den Wänden stehen hohe Regale mit Büchern, Schachteln, Dossiers und Filmrollen, daneben hängen Plakate und Originalzeichnungen – das Archiv einer langen und reichen Karriere. Eine breite Fensterfront trennt den Arbeitstisch vom Himmel; am Tag meines Besuchs treibt ein böiger Wind gewaltige Wolkengebilde vor sich her. Diese Aussicht inspirierte Georges Schwizgebel einst zu La jeune fille et les nuages. Für viele ist Georges Schwizgebel die Verkörperung des Schweizer Animationsfilms schlechthin. Seit vierzig Jahren arbeitet er ruhig, bescheiden, hartnäckig und inspiriert an einem Werk, das auch im internationalen Vergleich seinesgleichen sucht. Seine Kurzfilme wurden an zahllosen Festivals gezeigt und gewannen so gut wie alle Preise. Allein L’homme sans ombre erhielt neunzehn wichtige Auszeichnungen, während 78 Tours und La course à l’abîme vom Internationalen Animationsfilmfestival Annecy und von der Zeitschrift Variety in die Liste der hundert einflussreichsten Animationsfilme aller Zeiten aufgenommen wurden. Wichtiger aber als diese Zahlen und Fakten sind natürlich die künstlerische Qualität seiner Filme, seine kompromisslose Haltung dem Animationsfilm gegenüber, seine Suche nach neuen Wegen, um die Magie und die Poesie seiner animierten Gemälde auf die Leinwand zu bringen – in persönlichen, immer leicht zu identifizierenden Filmen, in denen er den weiten Raum zwischen Narration und Abstraktion erforscht.
Ebenso auffällig wie die Wolken vor dem Fenster sind der Tricktisch, die 35-mm- Kamera und die Scheinwerfer, die im Eingangsbereich des Studios stehen: Georges Schwizgebels Arbeitsplatz. Hier realisiert er seine Filme, allein, und von Hand.
Retouches
ICH ARBEITE GERNE ALLEIN
Arbeiten Sie immer allein? Und noch immer am Tricktisch?
Ich arbeite gerne allein. Ohnehin erschweren meine Technik und mein malerischer Stil eine Arbeitsteilung; ich kann nicht gut jemand anderen bitten, einen Teil der Bilder zu malen. Alleine zu arbeiten hat den grossen Vorteil, dass man besser experimentieren kann. Was die neuen Technologien betrifft, muss ich gestehen, dass ich mich nie wirklich damit angefreundet habe. Das einzige Computerprogramm, mit dem ich arbeite, ist ein Linetester, abgesehen davon brauche ich den Computer beim Machen meiner Filme nicht.
Wie entstand Ihr Interesse für den Animationsfilm?
Während meiner Ausbildung zum Grafiker hatte ich einen Dozenten, der den Animationsfilm liebte und auch selber Filme machte. Er schwärmte vom Animationsfilmfestival von Annecy, und da Annecy weniger als eine Stunde von Genf entfernt liegt, bin ich 1963, zusammen mit Daniel Suter, einfach hingefahren. Ich war begeistert. Ich entdeckte Filme, die nichts mit den amerikanischen Trickfilmen gemein hatten, mit denen man damals den Animationsfilm gerne gleichsetzte und die ich nie mochte. Der zweite Auslöser waren die Werke von Norman McLaren, dessen experimentelle Filme aus den Vierziger- und Fünfzigerjahren dank der Unterstützung durch die kanadische Botschaft ziemlich oft an kulturellen Anlässen gezeigt wurden.
Hatten Sie umgehend Lust, selber auch Animationsfilme zu machen?
Bereits während unserer Ausbildung redeten Daniel Suter und ich davon, selber Trickfilme zu machen. Zunächst arbeitete ich aber fünf Jahre lang als Grafiker in einer Werbeagentur, in der ich auch Claude Luyet begegnete. 1968 fertigten wir die ersten Titelsequenzen für das Fernsehen der französischen Schweiz TSR an, 1970 gründeten wir das Studio GDS und machten uns als Trickfilmer unabhängig. Wobei es durchaus vermessen war, uns als unabhängig zu bezeichnen – wir realisierten zwar erste kurze Filme und vor allem Titelsequenzen, aber wir mussten einige Jahre als Grafiker weiterjobben. Mit diesen ersten Filmen und Aufträgen erlernten wir unseren neuen Beruf. Damals gab’s noch keine Animationsausbildung, an den Kunstgewerbeschulen existierten noch nicht einmal audiovisuelle Fachbereiche. Deshalb bin ich, wie alle Leute meiner Generation, ein Autodidakt.
Wie haben Sie sich die Technik angeeignet?
Die Grundlagen – wie baut man einen Tricktisch, wie realisiert man einen Film und so weiter – entnahmen wir der Fachliteratur. Eine wichtige Rolle spielte Manuel Otero, ein umtriebiger Mann, der vielen Leuten den Einstieg ins Metier ermöglichte. Wir hatten ihn in Annecy kennengelernt und luden ihn nach Genf ein, um ihm unsere ersten Gehversuche zu zeigen. Das führte zu unserer Mitarbeit an Patchwork, einem gemeinschaftlichen Projekt von acht Filmemachern. Das war 1970, die Zeit der Kommunen, es lag also ganz im Geist der Zeit, solche kollektiven Projekte zu verwirklichen. Wir drehten unseren Beitrag mit einer 35-mm-Kamera in seinem Studio in Paris und waren vom Dreh bis zum Schnitt daran beteiligt; dieser erste Einblick in professionelles Arbeiten hat uns viel gebracht.
Retouches
Wann haben Sie beschlossen, auch eigene Filme zu machen?
Wir hatten natürlich von Anfang an Lust auf eigene Filme. Unsere ersten Autorenfilme realisierten wir in unserer Freizeit, denn damals wurde der Animationsfilm noch nicht vom Bundesamt für Kultur gefördert. Das änderte sich erst in den späten Siebzigerjahren, nicht zuletzt dank Nag und Gisèle Ansorge, den beiden Pionieren des Schweizer Autorenanimationsfilms, die mit ihren Kurzfilmen viel beachtete Erfolge an internationalen Festivals verbuchten. Das Bundesamt für Kultur begann, den kurzen Autorentrickfilm ernst zu nehmen, und es wurde möglich, Unterstützung zu beantragen. Der erste Film, für dessen Finanzierung ich Bundesgelder erhielt, war Le ravissement de Frank N. Stein. Zu diesem Zeitpunkt, in den frühen Achtzigerjahren, also zehn Jahre nach unseren Anfängen als «unabhängige» Filmemacher, wurde der Animationsfilm zu meinem Haupterwerb.
Was hat Sie am Animationsfilm besonders fasziniert?
Die Verknüpfung von Malerei, Musik und Technik entsprach meinen persönlichen Vorlieben. Wichtig war aber auch der Umstand, dass es im Animationsfilm nicht nur um «reine Kunst» geht, sondern auch um technische Probleme, die gelöst werden müssen. Das Praktische hat mich schon immer gereizt. Aus einem ähnlichen Grund bin ich in der Grafik gelandet. Meine Eltern hatten mich gedrängt, an der Ecole des beaux-arts in Genf Malerei zu studieren. Nach einem Jahr fand ich jedoch, die schönen Künste seien kein rechter Beruf; ich wechselte an die Kunstgewerbeschule und wandte mich der Grafik zu, weil mir diese Disziplin konkreter schien, ein richtiger Beruf sozusagen. Werbung ist aber höchstens ein paar Jahre lang interessant.
MAN KANN NIGHT ZWÖLF MAL PRO SEKUNDE DIE SIXTINISCHE KAPELLE MALEN
Ihren Stil, die «animierten Gemälde», haben Sie früh gefunden.
Ich suchte nicht bewusst nach einem bestimmten Stil, sondern zeichnete so, wie es mir am meisten lag. Ich habe immer gerne gemalt, und das Jahr an der Kunsthochschule hat auch seine Spuren hinterlassen. Ausserdem drücke ich mich gerne durch das Bild allein aus; ich brauchte also einen Stil, der stark genug war, um auch ohne Sprache zu tragen. Man kann jedoch nicht zwölf Mal pro Sekunde die Sixtinische Kapelle malen. Man muss vereinfachen. Das führte bei mir zu einem eher freien, abstrakten Stil. Ohnehin ist im Trickfilm die Bewegung wichtiger als die eigentliche Zeichnung. Durch die Bewegung können auch sehr reduzierte Zeichnungen, sogar Farbflecken, figurativ und realistisch werden.
Sie haben auch durchwegs Filme ohne Sprache, nur mit Bildern, erzählt.
Nur mit Bildern zu erzählen, ist eine bewusste Einschränkung, die ich mir von Anfang an selber gesetzt habe. Ich gehe gerne von klaren Regeln und Einschränkungen aus. Man muss sich ja nicht sklavisch dran halten, man kann sie auch überwinden, aber Regeln können hilfreich sein. Ich bin nicht sehr literarisch veranlagt, deshalb hat mich das klassische Geschichtenerzählen nie angezogen. Sollte mir aber jemand eines Tages eine tolle Idee und tolle Dialoge liefern, schliesse ich nicht aus, auch einmal einen gesprochenen Film zu machen. Die Ausgangsidee müsste aber auch in diesem Fall visuell sein, denn Film ist in erster Linie eine visuelle Kunst.
Retouches
Betrachtet man Ihre Filme, stellt man fest, dass Sie sowohl narrative als auch nicht-narrative Filme gemacht haben. Suchen Sie eine Balance zwischen beiden Annäherungen?
Unbewusst vermutlich schon. Nach Jeu und Retouches, zwei ausgesprochen nicht-narrativen Filmen, spürte ich, wie mir das Erzählen einer Geschichte fehlte – deshalb machte ich Romance. Ich wollte einen sehr visuellen Film...