Confusion Is Sex:
»Shaking Hell«
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Ende 1982, das Jahr, in dem wir mit Confusion Is Sex herauskamen, unserem ersten Album in voller Länge, stellte Dan Nachforschungen über die Shaker an. Diese kultische Religion aus der Frühzeit von Amerikas religiösen und freiheitsuchenden Aussteigern faszinierte Dan, ganz besonders die Gepflogenheit der Frauen, sich in eine wilde, fast orgastische Hysterie zu tanzen. Das Nebeneinander von solchen Tänzen und ansonsten sehr konservativen Vorstellungen und Ritualen fand er ausgesprochen bizarr.
Dan fragte sich, was Rock ’n’ Roll und die Sekte der Shaker gemeinsam hatten. Beide waren in seinen Augen Varianten ekstatischer Verehrung. Das Shakertum, schrieb er, ähnelte dem frühen amerikanischen Hardcore, wobei die rasierten Köpfe der Jungs im Publikum bei Punk-Rock-Konzerten den Köpfen eines exotischen Stammes von Mönchen glichen. Dan war fasziniert von Patti Smith und der Intensität und des Zaubers ihrer Auftritte, was auch für Thurston galt. Schließlich machte er einen künstlerischen Dokumentarfilm mit dem Titel Rock My Religion, darin nahm Dan einen Liveclip von Sonic Youth auf, wie wir unseren Song »Shaking Hell« spielten.
Der Text – »She finally discovered she’s a … He told her so …« – war inspiriert von der Theorie, dass das Bild von Weiblichkeit eine Schöpfung von Film und Werbung war. Ich hatte den Text der großen feministischen Schriftstellerin und Filmtheoretikerin Julia Kristeva über den »männlichen Blick« gelesen, genau wie andere Bücher, die sich mit der Theorie der passiven Weiblichkeit und des aktiven männlichen Protagonisten auseinandersetzen.
Auf einer persönlicheren Ebene spiegelt »Shaking Hell« meinen Kampf mit meiner eigenen Identität wider, und die Wut, die ich darüber empfand, wer ich war. Jede Frau weiß, wovon ich spreche, wenn ich sage, Mädchen wachsen mit dem Wunsch auf zu gefallen und ihre Macht an andere Menschen abzutreten. Gleichzeitig kennt jeder die bisweilen aggressiven und manipulativen Methoden, mit denen Männer häufig Macht in der Welt ausüben, und die Tatsache, dass Männer schlicht und einfach ihre eigene Macht und Kontrolle aufrechterhalten, wenn sie Frauen mit dem Wort »ermächtigt« ausstatten. Noch Jahre nachdem ich L. A. verlassen hatte, konnte ich die Stimme meines verrückten Bruders in mein Ohr flüstern hören: »Ich werde all deinen Freunden erzählen, dass du geheult hast.«
Ich frage mich bis heute: Bin ich »ermächtigt«? Wenn man seine Empfindlichkeit verbergen muss, ist man dann wirklich eine »starke Frau«? Manchmal taucht eine andere Stimme in meinem Kopf auf und verscheucht diese Gedanken. Diese Stimme sagt mir, dass man nur dann wirklich gut ist, wenn man sich verwundbar macht, indem man die Grenzen seiner vertrauten Komfortzone überschreitet. Ich vergleiche das mit einem intensiven, realen Traum, in dem man von einem Felsvorsprung tritt, aber nicht in den Tod stürzt.
Obwohl es schwer ist, sich an eine Zeit zu erinnern, als sie noch nicht Teil der Szene war, entsinne ich mich noch, wie Madonna die Welt der Popkultur betreten hat. Madonna beutete ihre eigene Sexualität aus, präsentierte und modifizierte sich bereitwillig, um dem Publikum zu gefallen. Ich selbst war eine Promenadenmischung und versteckte meinen kalifornischen Style unter Ostküstenschlichtheit – »der Bibliothekarinnentyp, hihi«, beschrieb Mike Kelley später meinen damaligen Look.
Mit »Shaking Hell« versuchte ich, mein Inneres nach außen zu kehren, in einer Art und Weise, die dem entsprach, wer ich in New York geworden war. Ich bleichte mir die Haare ungleichmäßig und färbte sie dann magentarot. Rückblickend ist es lächerlich, dass manche in mir eine Modeikone sahen, denn ich versuchte nichts weiter zu tun, als meinen Mittelschichtlook abzufedern, indem ich mit meinen Haaren herumexperimentierte. Während der ganzen Achtziger war ich im Hinblick auf meine Klamotten nie ganz sicher, egal, was ich trug. Ich wollte punkig aussehen, fand aber, dass ich nicht wirklich das Recht dazu hatte. Später entwickelte sich mein Look in Richtung Tomboy, gemischt mit der leicht sexy wirkenden Coolness einer Françoise Hardy – zu große Indie-Rock-T-Shirts zu Stiefeln oder Cordshorts mit T-Shirts im Siebzigerjahre-Jane-Birkin-Look, beflockt, mit U-Ausschnitt und Druckbuchstaben. Auf meinem Lieblingsshirt steht Gracias. Dennoch habe ich schon immer geglaubt – und tue es noch –, dass das Radikale erheblich interessanter ist, wenn es äußerlich harmlos und alltäglich daherkommt.
Die emotionale Intensität des Gesangs in diesem Song entspricht der Musik auf eine schamanistische Weise, die ich, glaube ich, nie wiederholt habe. »Shaking Hell« war schwierig zu singen, besonders wenn die Musik während des »Shake, shake, shake«-Schlusses zu einem tiefen Rumpeln wird. Es war, als wäre der Boden unter meinen Füßen weggesackt und ich schweben würde, bis meine Stimme vorschnellte und mich trug. Ich wollte das Publikum mitnehmen, ich wusste, dass die Menge an mich glauben wollte, an uns, während wir etwas machten, das es noch nie zuvor gegeben hatte.
Wir nahmen Confusion Is Sex in dem Kellerstudio auf, das unserem Freund Wharton Tiers gehörte. Wharton war der Hausmeister des Gebäudes, und wenn er Aufnahmen machte, war er Profi genug, den Heizungskessel auszustellen. Jahre später gaben Julie Cafritz von Pussy Galore und ich ein Interview, in dem wir für ein Album von Free Kitten, ein gemeinsames Nebenprojekt, warben. Eine von uns machte den Fehler, Wharton und den Heizungskessel zu erwähnen. Wir nahmen an, es würde sowieso kein Mensch das Interview lesen, aber unglücklicherweise las es einer der Mieter, und Wharton verlor in der Folge seinen Job. Ich habe deswegen immer noch ein schlechtes Gewissen.
Confusion Is Sex wurde auf einem Achtspurband aufgenommen, oder genauer gesagt, auf zwei gekoppelten Vierspurbändern. Wir machten wirklich absolut alles falsch bei dieser Aufnahme, einschließlich des Verstümmelns eines Bandes während eines entscheidenden Takes von »Shaking Hell«. Am Schluss mussten wir das Ende eines anderen Bandes ankleben, um den Song zu bekommen.
Der Text entsprang dem wirklichen Leben. »Making the Nature Scene« entstand beim Vorbeigehen an den Prostituierten entlang der Grand Street. Mitten im eiskalten Winter strömten sie an den meisten Abenden in Scharen dorthin und standen in Stulpen und Stilettos um ein Feuer in einem Benzinfass herum. Sie waren ein fester Bestandteil der Kulisse dieses Viertels, standen aufrecht da, wie kuriose Bäume, zurückgelehnt, eine Hand auf der Hüfte, in einer Reihe, und »machten einen auf Landschaft«.
Das goldene Glitzern der Stulpen der Damen fing das Licht vorbeifahrender Autos ein und blitzte in den dunklen Ecken zwischen den nahe gelegenen Gebäuden auf. Ich habe einiges über den italienischen Architekten und Designer Aldo Rossi gelesen, der davon überzeugt war, dass Städte niemals ihre Geschichte abstreifen können, dass sie die Geister ihrer Vergangenheit über die Zeit bewahren. Rossi wollte die kleinen Areale zwischen den Gebäuden – gegen die vorherrschende Kulisse einer großflächigen, bedrohlichen, leicht faschistischen Architektur – wieder zurückerobern, um die Städte wieder menschlicher zu machen. In den frühen Achtigerjahren war die Lower East Side mit ihren bescheidenen Mietskasernen und Railroadapartments immer noch ein kleines Dorf. Niemand störte sich daran, dass die Prostituierten dort waren; sie waren Teil der Landschaft. Bis der neue Bürgermeister beschloss, seine Stadt aufzuräumen und sie zu vertreiben.
Nach unserer ersten EP gingen wir auf eine Minitour als Vorgruppe der Swans. Wir spielten in DC, Virginia, Chapel Hill und Raleigh, North Carolina. Die Swans waren eine raue, schwer zu hörende Band – bei ihnen ging es um schwerfällige, minimale Musik, über die sich Mike Giras nihilistischer, romantischer Gesang legen konnte. Mike, den ich flüchtig von der Otis Art School kannte, war in seiner Band der absolute Diktator. Ein Freund von uns, der gerade frisch von seiner Freundin verlassen worden war, bot an, uns alle zum Nulltarif zu fahren, also zwängten sich Sonic Youth und die Swans hinten in einen alten Van, an den wir einen gemieteten Anhänger gekoppelt hatten. Mike hat sich, wie ich mich erinnere, die gesamte Fahrt über mit seiner Bandkollegin Sue Hanel gestritten. Mike war schließlich Chef der Swans, und nachdem er sich selbst überzeugt hatte, er wäre knallhart und superdiszipliniert in allen Belangen, brüllte er seine Bandkollegen an und hackte auf ihnen herum, wenn sie nicht spurten. Verglichen mit den Swans war Sonic Youth sanft.
Hier ein Auszug aus Tourerinnerungen, die ich über diese Zeit geschrieben habe, Titel: »Jungs stinken«:
Chapel Hill: Es hat geregnet und war unglaublich trist, und die Swans haben ihr Set vor johlenden Cowboys gespielt. Chapel Hill ist einer der angesagtesten Orte der Welt, was Konzerte betrifft, aber 1982 waren wir selbst dort Underground. … Im Van haben sich die Swans untereinander gefetzt. Die Stimmung war auf einem Tiefpunkt und ziemlich gereizt. Unsere Erwartungen waren vielleicht nicht so hoch wie Mikes. Außerdem streiten wir nie untereinander, wenn wir mit einer anderen Band unterwegs sind, die sich streitet; das machen die für uns.
Georgia: In Athens ist Mike Gira von der Bühne gesprungen und hat jemanden weggestoßen, der zu ihrer Musik Pogo tanzte, dann kehrte er auf die Bühne zurück und entschuldigte sich … Mike dachte, der Typ wäre ein Poser, der ihn verarschen wollte. In Wirklichkeit war er ein Nerd, und Mike hatte noch nie...