Teil II:
Die große Welt der Gefühle
Warum faszinieren und beschäftigen uns Gefühle eigentlich so sehr? Ganz einfach, weil sie uns immer und überall betreffen. Unsere Gefühle machen uns aus. Durch sie sind wir lebendig. Ob im Privatleben oder im Beruf – überall stoßen wir auf unterschiedliche Stimmungen, Befindlichkeiten und Gefühle anderer Menschen. Und ständig sind wir damit beschäftigt herauszufinden, wie wir uns selbst gerade fühlen, warum wir uns so und nicht anders fühlen oder wie wir unsere Gefühle verändern können.
Die Vielfalt unserer Gefühle ist groß: Wir sehnen uns nach etwas oder nach jemandem. Wir sind wütend, verliebt, erfreut, gerührt, enttäuscht, verärgert, gekränkt, verängstigt oder einsam. Wir fühlen uns wohl oder unwohl, unbehaglich oder geborgen, betrogen oder geschützt.
Unsere Gefühle steuern unser Leben und sie zeigen uns die Richtung an. Ohne sie wären wir orientierungslos und ohne Warnsystem. Denn durch das, was wir fühlen, wissen wir, wer oder was uns guttut und wer oder was uns schadet.
Gefühle verbinden und trennen uns von anderen Menschen. Sympathie, Zuneigung und Liebe lassen Beziehungen entstehen. Neid, Eifersucht und Hass können sie wieder zerstören. Es gibt Gefühle, die dafür sorgen, dass wir uns zurückhalten, wie Angst oder Ekel. Und es gibt Gefühle, die uns herauslocken, wie Liebe oder Stolz.
Gefühle stecken auch an. So springt die gute Stimmung der Kollegin manchmal ebenso auf uns über wie die schlechte Laune des Partners. Und selbst gespielte Gefühle können auf uns übergreifen. Denken Sie nur an rührselige Filmszenen, die uns sogar zum Weinen bringen oder tiefe Sehnsüchte in uns erwecken können.
Häufig sind wir damit beschäftigt, unsere eigenen Gefühle und die anderer zu verstehen oder auf sie zu reagieren. Wir fühlen uns in uns selbst oder in andere hinein und wir teilen unsere Gefühle mit. Wir können manche Gefühle vorspielen und andere trotz aller Mühe nicht verbergen. Wir können Gefühle verdrängen und versuchen, sie wieder zu erwecken.
Im Laufe unseres Lebens schaffen wir es in der Regel recht gut, unsere Gefühle zu kontrollieren und zu managen. Das ist nicht immer leicht. Die amerikanische Soziologin Arlie Hochschild bezeichnet diesen Versuch daher als Gefühlsarbeit. Und diese Arbeit an unseren Gefühlen gelingt uns an manchen Tagen besser und an manchen eben weniger gut.
Meistens versuchen wir, uns in eine andere, bessere Gefühlslage zu versetzen. Denn unser Ziel sind vor allem die positiven Gefühle. Das heißt, wir wollen, dass es uns ständig gut geht. Das ist verständlich. Nur was muten wir uns da eigentlich zu? fragt auch die Psychotherapeutin Alice Holzhey in Psychologie Heute (Ausgabe 05/2008). Denn ist es nicht zu viel verlangt, dass wir uns selbst in schwierigen Zeiten auch noch gut fühlen wollen? Und trotzdem versuchen wir es, obwohl wir insgeheim genau wissen, dass das in Wirklichkeit gar nicht möglich ist. Ob es uns also passt oder nicht: Wir alle müssen auch negative Gefühle aushalten und ertragen. Denn negative wie positive Gefühle sind wichtig, und seelisch gesund sind wir letztlich erst dann, wenn unsere Gefühle der jeweiligen Situation angemessen sind, meint Alice Holzhey.
Besonders in der Lebensmitte bleiben wir von belastenden Gefühlen nur selten verschont. Denn in dieser Zeit wechseln sich Niedergeschlagenheit, Verzweiflung, Angst, Sorge, Einsamkeit und Unsicherheit ab. Das heißt, Gefühle, die wir am liebsten aus unserem Leben verbannen möchten. Aber wir empfinden auch schöne Gefühle: tiefes Vertrauen, Dankbarkeit, Liebe und Geborgenheit. Nur das ungestüme Hin und Her unseres Gefühllebens macht uns in der Mitte des Lebens oft zu schaffen. Aber wir leben – und in dieser Zeit eben besonders intensiv.
Kennen Sie das auch? Da ist Ihnen ein unbekannter Mann am Telefon sofort sympathisch, die forsche Art Ihrer Chefin schüchtert Sie ein und vor dem ersten Rendezvous sind Sie furchtbar nervös. Die arrogante Art Ihrer Kollegin regt Sie unbeschreiblich auf, Ihre Eltern lösen noch immer Schuldgefühle in Ihnen aus und das Kompliment des netten Kollegen hebt ganz plötzlich Ihre Stimmung.
Es ist kaum zu beschreiben, was andere Menschen von jetzt auf gleich für eine Vielfalt von Gefühlen in uns auslösen können. Und je nach eigener Gefühlslage und Lebenssituation reagieren wir ganz unterschiedlich darauf. Ihr Gefühlsreichtum ist also riesengroß, allerdings auch reichlich komplex. Wenn Sie gerade wieder einmal auf der Gefühlsachterbahn fahren, dann spüren Sie das besonders. Denn das Fühlen an sich stellt uns oft noch vor weitere Probleme. Dies schreibt auch Friedrich W. Stallberg, Professor für Soziologie von der TU Dortmund, in seinem Beitrag über das Altern der Gefühle. Und vielleicht kennen Sie das auch von sich:
Sie fühlen zu viel oder zu intensiv.
Sie fühlen nicht das, was Sie fühlen möchten.
Sie fühlen nicht das, was andere von Ihnen erwarten.
Sie wissen selbst nicht genau, was Sie fühlen.
Sie können nicht ausdrücken, was Sie fühlen.
Sie schaffen es nicht, Ihre Gefühle zu bewältigen.
Sie fühlen zu viel oder zu intensiv
Wenn Sie zu viel oder zu intensiv fühlen, dann merken Sie: Ich bekomme kaum noch Abstand zu meiner eigenen Gefühlswelt. Oft werde ich von meinen Gefühlen regelrecht überflutet. Sie können dann immer schlechter abschalten und machen sich selbst über Belanglosigkeiten große Sorgen. Vieles wühlt Sie sehr stark auf. Und Ihre Gedanken kreisen um Ereignisse, die bereits geschehen sind oder die Sie in Zukunft befürchten. Es ist, als wären Sie in sich selbst gefangen und fänden den Schlüssel für den Ausgang nicht. »Ich mache mir so viele Sorgen und deshalb komme ich nicht mehr zur Ruhe.«–»Ich bin so erschöpft und weiß nicht, wie ich das alles schaffen soll.«
Sie fühlen nicht das, was Sie fühlen möchten
Kennen Sie das? Sie haben beste Arbeitsbedingungen, ein gutes Gehalt, nette Kolleginnen und Kollegen und freundliche Vorgesetzte. Und Sie merken: Ich bin aber trotzdem nicht zufrieden. Sie wünschen Ihrer Freundin von Herzen nur das Beste, doch als sie von ihrer Gehaltserhöhung erzählt, werden Sie neidisch und fragen sich: »Wieso...