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E-Book

Verantwortung und Rechtsfrieden

Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft

AutorSusanne-Sophia Spiliotis
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl316 Seiten
ISBN9783105601518
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft steht für zwei aufeinander bezogene Ziele: Sie suchte den internationalen Rechtsfrieden für deutsche Unternehmen durch humanitäre Leistungen an ehemalige Zwangsarbeiter und andere Opfer des NS-Regimes herzustellen und ihn auf Dauer für die deutsche Wirtschaft insgesamt zu sichern. Die vorliegende Monographie stellt die Entstehungsgeschichte der Stiftungsinitiative, den Verlauf und die Ergebnisse der internationalen Verhandlungen aus der Sicht der Gründungsunternehmen dar. Sie erläutert den historischen Hintergrund und skizziert die juristische Problematik, bietet eine Chronik sowie einen Anhang mit den wichtigsten Dokumenten. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Susanne-Sophia Spiliotis, geboren 1965, studierte Geschichte, Philosophie und politische Wissenschaften in Athen, München, Freiburg i. Br. und in Berlin; 1998 Dr. phil. an der FU Berlin; nach Lehrtätigkeit an der FU Leiterin der Forschung im Arbeitsstab der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«, Berlin.

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Leseprobe

Ausgangslage


Klagen und Sanktionsdrohungen gegen deutsche Unternehmen im Zusammenhang mit Kriegswirtschaft und NS-Unrecht

1998 waren gegen eine Reihe deutscher Unternehmen, in erster Linie gegen weltbekannte Konzerne, in den USA Einzel-, vor allem aber Sammelklagen[10] anhängig gemacht worden. Die Zuständigkeit US-amerikanischer Gerichte für Klagen gegen deutsche Unternehmen im Zusammenhang mit Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg leiteten die Klägeranwälte u.a. aus einem Gesetz ab, das der US-Kongress im Jahr des Ausbruchs der Französischen Revolution verabschiedet hatte. Nach dem so genannten Alien Tort Claims Act (ATCA) von 1789 konnte die amerikanische Gerichtsbarkeit über Völkerrechtsverletzungen durch fremde Staatsangehörige befinden, wo auch immer sie begangen worden waren. Wenn auch juristisch in den USA selbst umstritten, hatte sich dieses wenig bekannte Gesetz seit den 80er Jahren zu einer schlagkräftigen Waffe in Fällen entwickelt, zu deren Lösung öffentliche Meinung mobilisiert und instrumentalisiert werden konnte.[11]

Die Klagen, getragen von zum Teil rivalisierenden Anwaltskanzleien, stützten sich auf unterschiedlich solide Recherchen. Während etwa Michael Hausfeld, mit seinen Klagen im Namen osteuropäischer ehemaliger Zwangsarbeiter gegen deutsche Industrieunternehmen eine der Schlüsselfiguren auf Seiten der Klägeranwälte, über Monate Historiker beschäftigt hatte, setzte Ed Fagan mit seinen Vorwürfen gegen deutsche Banken vor allem auf medienwirksame Inszenierungen.[12] Die Beschuldigungen aber hatten alle einen gemeinsamen Nenner: Profit der Unternehmen auf Kosten der Opfer. Industriefirmen hatten sich u.a. mit Vorwürfen der ungerechtfertigten Bereicherung auseinander zu setzen und wurden mit Lohn-, Schaden- und Strafschadenersatzansprüchen (punitive damages) in Milliardenhöhe konfrontiert. Deutsche Geschäftsbanken wurden der aktiven Rolle bei der »Arisierung« beschuldigt, jener systematischen ökonomischen Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung, die die Nationalsozialisten zunächst im Deutschen Reich, später auch in dem von deutschen Truppen besetzten Europa mit brutaler Konsequenz durchführten. Forderungen wegen »Arisierungsgewinnen«, Geschäften mit Raubgold etc. wurden erhoben und ebenfalls mit bis zu zweistelligen Milliardenbeträgen beziffert.[13] Derart exorbitante Zahlen entbehrten für die Vertreter der beklagten Unternehmen jeglicher Grundlage. Sie erschienen ihnen als Teil eines rechtlich substanzlosen, allein auf öffentliche Wirkung abzielenden Szenarios, dessen kalkulierte Medienwirkung nichtsdestoweniger große Suggestivkraft entfaltete.

Diese Überzeugung teilte auch die Allianz AG. Bereits 1997 war sie zusammen mit 15 weiteren europäischen Versicherungsgesellschaften in den USA mit der Behauptung verklagt worden, sie hätte Versicherungsverträge von Holocaust-Opfern bzw. deren Familien nicht eingehalten und den Erben zustehende Rückkaufwerte oder Versicherungssummen, insbesondere aus Lebensversicherungen, nicht ausbezahlt – Policen seien also unbezahlt.[14] Gegen die Unternehmen der Versicherungswirtschaft, deren Geschäftstätigkeit in den USA einer staatlichen Genehmigung bedarf, richteten sich überdies eine Reihe von Sanktionsdrohungen einzelstaatlicher Aufsichtsbehörden:[15] Falls in den für offen gehaltenen Vermögensfällen keine Abhilfe geschaffen würde, mussten die Unternehmen mit dem Entzug der Lizenz rechnen.

Sanktionen hatten auch Banken zu gewärtigen. Im Zusammenhang mit der für 1999 durch die Deutsche Bank beabsichtigten Übernahme von Banker’s Trust, einem der größten US-amerikanischen Finanzdienstleister, zeigten Vertreter einzelstaatlicher Behörden ein besonderes Interesse an der Lösung der Vermögensproblematik aus der »Holocaust-Ära«.[16] Vage Drohungen verfingen allerdings nicht; denn in diesem konkreten Fall war die weitaus zurückhaltendere amerikanische Zentralbank maßgeblich.

Geklagt wurde auch in Deutschland. Gegen Industrieunternehmen wie z.B. Volkswagen oder Siemens (1998), ThyssenKrupp, Robert Bosch oder DaimlerChrysler (1999) waren Zivil- und Arbeitsgerichtsverfahren wegen Zwangsarbeit anhängig. Die Klagewelle erreichte hier Mitte 1999 ihren Höhepunkt, als die Stiftungsinitiative bereits seit einigen Monaten ins Leben gerufen worden war.

Den Entschluss der Unternehmen zu gemeinsamem Vorgehen allein auf Klagen und drohende Sanktionen zurückzuführen, würde allerdings zu kurz greifen. Vielmehr lassen sich Beweggründe nennen, die in die seit Ende der 80er Jahre zunehmende Tendenz eines kritischen Umgangs mit der Unternehmensgeschichte eingebettet waren. Lange vor der klage- und sanktionsbedingten Eskalation schärfte sie das Gehör für Fragen, die den Beitrag der Firmen zu Kriegswirtschaft und NS-System betrafen.

Historische Forschung und Praxisbezug

Die seit 1997/98 angegriffenen, aber auch andere Unternehmen hatten bereits sehr konkretes historisches Wissen um ihr Verhalten während der NS-Zeit und ihre Einbindung in NS-Unrecht erarbeiten lassen und veröffentlicht. Im Zusammenhang mit zahlreichen Gründungsjubiläen, z.B. Daimler-Benz AG (100 Jahre, 1986), Robert Bosch GmbH (100 Jahre, 1986), Volkswagen AG (50 Jahre, 1988), Deutsche Bank AG (125 Jahre, 1995), Siemens AG (150 Jahre, 1997), setzte die unternehmensgeschichtliche Forschung seit Mitte der 80er Jahre neue Akzente. Nationalsozialismus und Kriegswirtschaft wurden dabei nicht länger tabuisiert. Alltagshistorische Fragestellungen, die in der allgemeinen Geschichtswissenschaft en vogue waren und die das Schicksal des Einzelnen in den Mittelpunkt historischen Interesses rückten, eröffneten neue Perspektiven auf die Rolle privater Unternehmen, ihr Handeln und ihre Verantwortlichkeit im Rahmen eines Unrechtssystems, dessen Urheber der NS-Staat war, dessen Stabilisierung sie sich aber zumindest vorhalten lassen mussten. Kein späterer Vertreter der Stiftungsinitiative beschönigte das. In Arbeiten über die auf Kriegswirtschaft umgestellten Industrieunternehmen spielten Zwangsarbeit und die oft unmenschlichen Lebensbedingungen der eingesetzten KZ-Häftlinge, Kriegsgefangenen und Zivilisten eine zentrale Rolle. Diese Forschungen gaben wiederum der Analyse des NS-Systems dadurch weiterführende Impulse, dass sie die etatistische Perspektive, die die Entfaltung dieses Systems aus einer Abfolge bürokratischer Maßnahmen erklärte, durch den Blick auf die Umsetzungswirklichkeit ergänzten und damit einen weiteren Schlüssel zum Verständnis seiner Radikalisierungsdynamik entdeckten.

Aus dem Anspruch, »lückenlos und umfassend« aufzuklären, leiteten die Unternehmen, Betriebsräte und Vorstände gleichermaßen, die Aufgabe ab, »dazu beizutragen, dass nie wieder Unrecht und Gewalt, Rassenhass und Volksverhetzung an die Stelle von Recht und Frieden treten«.[17] In diesem Verständnis förderten einzelne Unternehmen seit Ende der 80er Jahre verstärkt Initiativen der internationalen Jugendbegegnung sowie die wissenschaftliche und künstlerische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im Allgemeinen und mit Zwangsarbeit im Besonderen.[18]

Die Begegnung mit Zeitzeugen nahm einen besonderen Rang ein. Viele Unternehmen stellten im Rahmen von Besuchsprogrammen den Kontakt zu ehemals in ihren Werken eingesetzten Zwangsarbeitern her, um deren Lebensgeschichten als Teil der Unternehmensgeschichte gegenwärtig zu halten.

Die öffentliche Resonanz auf das Thema Zwangsarbeit war bis zur Aktualisierung durch die US-Sammelklagen gleichwohl gering, Pionierstudien über den Einsatz ziviler Fremdarbeiter im Dritten Reich blieben außerhalb der Fachwelt eher unbemerkt.[19]

In vielen Firmen kam die Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit erst Mitte der 90er Jahre in Gang. Oft lag das an alten Besitzstrukturen und Loyalitäten, die bis dahin einen offenen Umgang blockierten. Erst der generationsbedingte Wechsel an der Spitze der Unternehmen, der jüngere Manager, die NS-Zeit und Krieg allenfalls als Kleinkinder erlebt hatten, in Führungspositionen brachte, machte in vielen Fällen den Weg frei. Das galt z.B. für die Degussa AG. Sie gab 1997 ein Forschungsprojekt zur Geschichte des Unternehmens als größte Edelmetallscheideanstalt Europas während des Nationalsozialismus in Auftrag und kooperierte mit dem World Jewish Congress, um den Verbleib von Edelmetallen aus jüdischem Besitz zu klären.[20]

Dass unternehmenshistorische Arbeiten als Quelle für Sammelklagen in den USA dienen konnten, kam wohl den wenigsten im Management in den Sinn, zumal kein individuelles Schuldgefühl Fragen nach den Rechtsfolgen von Geschichte nahe legte. Beispiele gibt es genug. Die Klageschriften gegen VW aus dem Jahr 1998 z.B. beruhten zum Teil auf der kurz zuvor erschienenen Studie zur Zwangsarbeit bei Volkswagen und trafen damit einen Konzern, der, wie...

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