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E-Book

Des Körpers neue Kleider

Die Herstellung weiblicher Schönheit

AutorEbba D. Drolshagen
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl254 Seiten
ISBN9783105600177
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Welchen Frauenkörper braucht unsere Gesellschaft? Eine spöttische Bestandsaufnahme zum Thema Schönheitswahn. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Ebba D. Drolshagen, geboren 1948 bei Frankfurt am Main, arbeitete anfangs als Sekretärin und studierte später Sprachwissenschaften. Nach Abschluss des Studiums Übersetzerin. Sie schrieb zahlreiche Artikel, hielt Vorträge und leitete Workshops zum Thema Körper und Schönheit.

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Leseprobe

Einleitung Hineinschnuppern


In unserer Gesellschaft gilt es als Beweis der Selbstliebe, wenn eine Frau aussehen möchte wie jemand anders.

Die Behauptung, die Frauen seien das schöne Geschlecht, hält selbst oberflächlichster Überprüfung nicht stand. Die Unsinnigkeit dieses Satzes wird sofort deutlich, wenn wir vergleichen, wieviel Zeit, Mühe und Geld Männer und Frauen investieren, bevor sie sich der Öffentlichkeit präsentieren: Ein Mann steht morgens auf und ist ein Mann. Für ihn hat die ›Beauty-Philosophie‹ eines französischen Creme-Herstellers keine Gültigkeit: »Drei Zehntel der Schönheit sind angeboren, sieben Zehntel müssen täglich neu erworben werden«. Aber er soll ja nicht schön sein, sondern allerhöchstens gut aussehen, und dazu braucht es offenbar nicht viel. Ein ungewöhnlich unattraktiver Mann beantwortete die Frage einer Journalistin, was er für seine Schönheit tue, mit einem selbstbewußten: »Rasieren.« Vergessen Sie nicht: Narziß war ein Mann.

 

Eine Frau hingegen steht morgens auf, geht ins Bad und beginnt, sich als Frau herzurichten: Daß bei vielen auch Rasieren dazugehört – nicht allmorgendlich und nicht unbedingt (nur) im Gesicht, sondern praktisch am ganzen Körper – ist noch die geringste Mühe (obwohl nicht die geringste Sorge): Der tägliche Verwandlungsakt beginnt recht harmlos mit duschen und Haare waschen, abtrocknen, eincremen, Deo auftragen. Danach fängt der allmorgendliche Streß erst richtig an, und zwar mit den Haaren: gelen, trocknen, Locken rein- oder rausmachen und dann alles so hinwuscheln, als habe man sich nach dem Aufstehen nicht einmal gekämmt. Gesicht eincremen, Pickel, Flecken usw. abdecken. Prima. Am Kinn bildet sich einer dieser Riesenpickel, an denen man wochenlang Freude hat, weil sie in 100 Meter Tiefe wachsen. Mit einem Schwämmchen flüssige Grundierung auftragen, darüber Transparentpuder und darüber Rouge. Einen Schluck Kaffee, Blick auf die Uhr. Augen abpudern, Brauen in Form bürsten und ganz leicht nachstricheln. Rasch die zwei struppig nachwachsenden Härchen rauszupfen, obwohl man das morgens nicht tun sollte, weil es rote Flecken macht. Lidschatten aufgetragen – nein, erst überlegen, was man heute anziehen will. Am Kleiderschrank das übliche Elend: Die rote Bluse ist in der Wäsche. Das blaue Kleid ist allein zu dünn, die einzige Jacke, die dazu paßt, ist vom Bügel gerutscht und sieht aus wie zusammengeknülltes Seidenpapier. Der Hosenanzug ist zu eng, muß in der Reinigung eingegangen sein. Wenn endlich etwas gefunden ist, was sauber, gebügelt und vollzählig beknopft ist und zum bevorstehenden Tag ebenso paßt wie zu den zwei Kilo mehr, die man sich schon wieder draufgeschafft hat, zurück ins Bad, den richtigen Lidschatten rauskramen, auftragen, dicht am Wimpernrand eine feine Linie stricheln (nicht zu viel!), Wimpern mit der Zange aufbiegen, tuschen, tuschen, tuschen, bloß keine Fliegenbeine machen oder Tusche verschmieren, dann müßte man praktisch von vorn anfangen. Einen Schluck Kaffee. Lippen vorsichtig mit einem Konturenstift nachziehen, Lippenstift in der richtigen Farbe rauskramen, aufpinseln, Überschuß mit Tissue (Klopapier tut’s auch) abnehmen, nochmals nachziehen und schließlich für den verführerischen Glanz ein wenig Gloss darauf. Voilà, das ganz natürliche Gesicht! In Naturschattierungen, versteht sich.

 

Angesichts solcher Programme käme kein Mensch auf die Idee, daß die heilige Schönheits-Kuh unserer Tage ›Natürlichkeit‹ ist, und dabei ist dies nur ein kleiner Teil des Tages-, Wochen- und Monatsprogramms zur Herstellung von Schönheit. Jede Frau (aber nicht jeder Mann) weiß, daß Pumps und Wimperntusche allein aus einem weiblichen Menschen noch keine attraktive Frau machen: »Weiblichkeit ist kein Kostüm, das die Frau je nach Wunsch ablegen kann, sondern eine Rolle, die sie lebt.« Da trifft es sich gut, daß unsere Gesellschaft es bei einer Frau nahezu als Beweis der Selbstliebe wertet, wenn sie aussehen möchte wie jemand anders. Natürlich nicht wie irgend jemand anders, sondern wie eine Frau, die berühmt und erfolgreich ist. Nein, auch das genügt nicht, Maggie Thatcher käme nicht in Frage. Wie eine Frau, die für ihre Schönheit berühmt ist. Genau. Sagen wir: Claudia Schiffer. Oder Cathérine Deneuve.

Dies sind nur Richtwerte. Vor allem wollen (und sollen) wir so gut aussehen, wie wir nur irgend können – doch so sehr wir uns auch bemühen mögen, auf Dauer sind wir mit unserem Aussehen nie zufrieden. Selbst wenn der Zustand der Perfektion für einen Augenblick erreicht sein sollte, droht er sofort wieder zu zerfallen. Es bleibt immer noch etwas zu verbessern. Der Kampf um das gute Aussehen kann für eine Frau zur Lebensaufgabe werden und ist durchaus mit Don Quichottes Kampf gegen die Windmühlen vergleichbar – das wußte Simone de Beauvoir schon 1949:

Gutes Essen entstellt die Linie, Wein verdirbt den Teint, vieles Lachen macht das Gesicht runzelig, die Sonne schadet der Haut, Ruhe macht dick, Arbeit verbraucht, Liebe bringt Ringe unter die Augen, Küssen treibt das Blut in die Wangen, Liebkosungen verformen den Busen, Umarmungen erschlaffen den Körper, Mutterschaft entstellt Gesicht und Leib.

Dergleichen bereitet vielen Frauen Kummer – und es beschert Frauenzeitschriften, Schönheitschirurgen, Creme-Herstellern, Wochenend-Therapien und Ratgeber-Büchern einen schier unerschöpflichen Markt: Frauen sind unfertige Wesen. Sie sind nicht, wie sie sind, sie werden immer gerade zu etwas – rothaarig, schlank, fit, selbstbewußt, kompetent, unabhängig. Was eine Frau im Leben auch erreicht haben mag, es gibt immer etwas an ihr, womit sie unzufrieden ist, was ihr nach eigenem Dafürhalten fehlt, und zwar weil sie nicht gut genug ist, weil sie es nicht geschafft hat. Mit nur wenig Übertreibung könnte man sagen, daß Unsicherheit und Selbstzweifel von einer Frau erwartet werden. Mein persönlicher Eindruck ist, daß sie sich immer in Frage stellen muß, und zwar um so mehr und um so lauter, je mehr Erfolg sie hat. Aber wir sind so daran gewöhnt, unseren Körper, unser Aussehen und unser Verhalten ständig auf Mängel hin zu überprüfen, daß uns das gar nicht mehr auffällt.

Das, wozu wir werden sollen und auch werden wollen, ist zudem meist auch das, was schwierig zu erreichen ist: In Therapien sollen Frauen, denen Sanftmut meist leichter fällt als Wut und Zorn, ihre Aggressionen äußern lernen, obwohl man doch meinen möchte, was dieser Welt fehle, seien nicht aggressivere Frauen, sondern sanftmütigere Männer. Herrscht in einer Gesellschaft Hungersnot, sollen Frauen mollig sein, herrscht Überfluß, ist rappeldünn modern. Hinzu kommt, daß die Arbeit, die hinter der Verwandlung vom Biest zur Schönen steckt, vertuscht werden muß. Sie findet, wie es sich für Frauen seit Aschenbrödel gehört, unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Auch das ist nichts Neues, denn typische Frauenarbeiten – spülen, Hemdenknöpfe annähen, aufräumen, die vielfältigen Aufgaben einer Sekretärin oder Krankenschwester – sind nur sichtbar, wenn sie nicht erledigt wurden.

Dabei ist Makeup für viele Frauen inzwischen fast so etwas wie eine Uniform. Sie tragen es, »um angezogen auszusehen, um sich nicht von der Masse zu unterscheiden. Makeup ist zu etwas geworden, ohne das man sich nicht mehr sehen lassen kann«, oder wie eine Passantin sagt, die auf der Straße zu Kosmetika befragt wurde: »Mit Schminke fühlt man sich vollständig angezogen, das gehört einfach dazu.« Aber es kann nicht irgendein Makeup sein, und es kann auch nicht nur Makeup sein und sonst nichts. Die Uniform verlangt mehr: Zum einen muß die Art des Schminkens der gegenwärtigen Mode entsprechen, zum anderen muß das übrige ›Styling‹ stimmen, und das ist schwierig, denn es geht um weitaus mehr als nur Haarfarbe und Nagellack: Eine Berliner Agentur bietet ostdeutschen Frauen an, ihnen für 3000 Mark in einer ›aus Ossi mach Wessi‹-Kur den kapitalismusgängigen Look zu verpassen, der ihre Arbeitsmarktchancen verbessern soll: Neben Frisur, Makeup, Modeberatung gibt es auch Unterricht in Aussprache, freiem Sprechen, Umgangsformen und Körperhaltung. Dergleichen nennt man Personality-Styling.

 

Wer die Hoffnung, es aufgrund von Äußerlichkeiten leichter zu haben, eitel und hohlköpfig findet, sollte von seinem hohen Roß herunterkommen und zunächst sich selbst kritisch und aufrichtig befragen, wie sie/er auf Mitmenschen reagiert. Dann sollte sie/er die zahllosen Untersuchungen zur Kenntnis nehmen, die beweisen, was sowieso alle wissen: Gutaussehende Menschen haben es leichter im Leben. Wir begegnen ihnen anders als weniger schönen – das ist so offensichtlich, daß ich die tumultartige Aufregung nicht begreife, die unfehlbar bei Diskussionen über die Frage entsteht, ob Schönheit wichtig sei. Sie ist sehr wichtig. Das mag ungerecht sein, aber »die kosmischen Ungerechtigkeiten bei der Verteilung aller Güter verschwinden nicht einfach, indem man zu beweisen sucht, daß sie keine Rolle spielen, oder daß sie nur deswegen eine Rolle spielen, weil die Gesellschaft so schlecht ist«. Aus naheliegenden und materiell sehr einleuchtenden Gründen versuchen also die von der Natur weniger Begünstigten, sich etwas schöner und für ihre Umgebung angenehmer zu machen, eine Hoffnung, die auch noch dem arglosesten morgendlichen Griff nach Seife und Kamm zugrundeliegt, von Wimperntusche, Nachtcreme und Sonnenstudiobesuchen zu schweigen.

 

›Sich schön machen‹ heißt also anders werden. Dieses ›anders‹ orientiert sich bei...

Blick ins Buch

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