EINLEITUNG
Die Frage kommt immer. Sie kommt ganz selbstverständlich im Bewerbungsgespräch. Jede Bewerberin, jeder Bewerber fragt uns heute: Wie halten Sie es mit dem flexiblen Arbeiten? Kann ich mein Leben, meine Familie mit dem Beruf vereinbaren? Das machen übrigens nicht nur jüngere Bewerber, auch die älteren. Jeder, wirklich jeder will wissen: Wer bin ich für euch? Nur »Arbeitskraft«? Oder auch soziales Wesen?
Wer darauf als Arbeitgeber heute keine Antwort hat, sieht alt aus – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Bis zum Jahr 2025 geht das Potenzial der Erwerbsfähigen in Deutschland um 3,6 Millionen auf 41,1 Millionen Menschen zurück. Langfristig fehlen 6,5 Millionen Arbeitskräfte. Zudem sinkt die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter von heute rund 50 Millionen bis zum Jahr 2050 auf 26,5 Millionen.
Uns gehen die Arbeitskräfte aus. Der demografische Wandel verändert den Arbeitsmarkt des 21. Jahrhunderts. Die Zahl der Arbeitnehmer sinkt, der Bedarf an Fachkräften steigt weiter an. Ingenieure, IT-Fachkräfte und auch Mediziner werden dringend gesucht. Unternehmen müssen ihren Bewerbern künftig deshalb mehr bieten als Gehalt und Stelle, mehr als Sicherheit und Chancen. Es geht um Lebensqualität. Und Lebensqualität heißt: gutes Arbeiten, heißt: flexibles Arbeiten.
Doch das ist nur ein Teil der Geschichte.
Parallel erleben wir eine digitale Revolution, deren Ende wir längst nicht absehen können. Wir sehen, wie der Online-Handel das Kaufverhalten der Menschen massiv verändert hat (inzwischen liegt der Umsatz beim Online-Handel allein in Deutschland bei mehr als 42 Milliarden Euro). Wir sehen, wie die sozialen Netzwerke eine völlig neue Form der Kommunikation geschaffen haben. Vier von fünf Internetnutzern in Deutschland sind in einem sozialen Netzwerk angemeldet, und viele pflegen ihren Austausch inzwischen auf der digitalen Ebene.
Wir sehen und registrieren das – wollen aber doch nur recht zaghaft wahrhaben, dass die neuen Technologien auch die Art und Weise der Arbeit und der Zusammenarbeit revolutionieren werden.
Bei der Debatte um die Arbeit der Zukunft ist es allerdings immer wieder erstaunlich, dass der Wandel in der Arbeitswelt mit Rezepten der Vergangenheit gemeistert werden soll. Denn das wird nicht mehr ausreichen. Wir brauchen vielmehr ein grundlegend neues Bild von Arbeit – nicht nur, um Bewerbern eine Stelle schmackhaft zu machen. Ein neues Verständnis von Arbeit ist vielmehr das Fundament für den Aufbruch in die digitale Gesellschaft. Wir werden die Digitalisierung nur meistern können, wenn wir uns von althergebrachten Vorstellungen von Arbeit lösen.
Wir, und damit sind sowohl Unternehmen als auch jeder Einzelne gemeint, müssen neue Wege einschlagen, wenn wir die Fähigkeiten und Interessen der Menschen mit den Interessen und Zielen eines Unternehmens vereinbaren wollen.
Deshalb verstehen wir dieses Buch auch als so etwas wie einen Reiseführer, als einen Navigator in die Arbeitswelt von morgen. Und zwar in erster Linie für Wissensarbeiter. Uns ist bewusst, dass der Begriff »Arbeit« auch Handwerker, Industriearbeiter, Verkäuferinnen und andere Dienstleister mit einschließt. Wir haben dieses Buch jedoch in erster Linie mit der Absicht verfasst, die Büroarbeit der Zukunft neu zu definieren. Aus einem einfachen Grund: In Büros kennen wir uns aus.
Wir, das sind Elke Frank und Thorsten Hübschen. Wir sind Führungskräfte beim Technologiekonzern Microsoft, und wir erleben den Wandel in der Arbeitswelt hautnah bei uns im Unternehmen. So haben wir bei Microsoft Deutschland seit geraumer Zeit die Präsenzpflicht aufgehoben. Keiner muss ins Büro. Jeder hat die Wahl: Will ich heute lieber zu Hause, im Park oder doch am Schreibtisch in München arbeiten? Es wurde offensichtlich: Wir können Menschen nicht länger an einen Ort binden und von ihnen ihre Arbeits- und Schaffenskraft einfordern, ohne ihnen eine angemessene und individuelle Arbeitsumgebung zu schaffen. Und das aus einem einfachen Grund: Bei uns arbeiten größtenteils sogenannte Wissensarbeiter.
Wissensarbeiter, das hat die Beraterlegende Peter F. Drucker schon Mitte des vergangenen Jahrhunderts erkannt, »agieren autonom und managen sich selbst, sie definieren ihre Aufgaben selbst – und: Sie sind keine Arbeitskräfte, sondern das Kapital der Firma«.
Drucker war es auch, der den Begriff »Wissensarbeiter« geprägt hat – und erst heute wird allmählich klar, wie relevant die Drucker’schen Einschätzungen für die Arbeitswelt von morgen sind. Noch zu wenig wird Wissensarbeitern die Wertschätzung zuteil, die angebracht wäre. In vielen Unternehmen sind Wissensarbeiter noch starren Regeln und strengen Hierarchien unterworfen – ein Klima, in dem Kreativität und Innovation nicht immer gedeihen können. Auch deshalb forcieren wir einen Wandel – nicht ohne auf die andere Seite der Medaille zu verweisen.
Denn es wäre zu kurz gedacht, die Mitarbeiter einfach von der Leine zu lassen nach dem Motto: Seht mal zu, wie ihr zurechtkommt, ihr seid ja alle so schlau, und nächsten Monat sehen wir uns wieder. Oder übernächsten. Das wird so nicht funktionieren. Voraussetzung für ein Gelingen des neuen Arbeitens ist das konsequente Führen nach Zielen. Ohne konkrete, individuell ausgehandelte und vor allem auch messbare Ziele wird das flexible Arbeiten scheitern. Darin steckt die eigentliche Herausforderung beim Wandel der Arbeitswelt.
Wir bei Microsoft gehen daher einen sehr konsequenten Weg. Gerade wegen der Aufhebung der Präsenzpflicht fühlen wir uns verpflichtet, Ziele genauer zu formulieren. Wir prüfen nicht nur einmal pro Jahr die Zielvorgaben, wie das in vielen Unternehmen üblich ist, sondern konkretisieren die abgestimmten Ziele mindestens einmal im Quartal. Flexibles Arbeiten sollte auf einer gesunden Mischung aus Vertrauen, Kommunikation und Zielvereinbarung basieren. Wie sich das vereinbaren lässt, werden wir in diesem Buch darlegen.
Klar ist: Die Kollegen wissen selbst, wie sie ihre Arbeit sinnvoll und zum Wohl (und Erfolg) des Unternehmens verrichten. Sie sind in der Tat selbst in der Lage, gute Entscheidungen zu treffen. Wir vertrauen ihnen da auf ganzer Linie und haben uns daher konsequent vom Glauben gelöst, Mitarbeiter eng kontrollieren zu müssen.
Wir müssen sie achten und wertschätzen. Aber wir müssen ihnen die Wahl lassen – denn sie wissen, was sie tun. Das ist der erste Schritt in die Arbeitswelt von morgen: Gute Führungskräfte behandeln ihre Mitarbeiter wie erwachsene Menschen, die in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen. Damit wollen wir auch beispielgebend sein.
Denn flexibles Arbeiten, auch »Smart Working« oder »New Way of Work« genannt, das ist keine PR-Veranstaltung, bei der man sich als Unternehmen profilieren kann, oder gar eine Zierde unter dem Motto: »Wenn alle nett sind, sage ich zu ihnen: Arbeitet doch heute alle mal im Park!« Wer sich mit solchen Incentives zufrieden gibt, bleibt aus unserer Sicht auf halber Strecke stehen. Das sind nämlich nur Kompromisse, kleine, gut wirkende Ergänzungen, die aber knapp am Problem vorbeizielen. In Wahrheit geht es um die Art des Arbeitens, geht es um DIE ARBEIT.
Wir werden in Zeiten der Digitalisierung die Art, wie wir als Menschen miteinander Dinge tun, grundlegend ändern müssen. Wir müssen die Arbeit neu erfinden – um die zukünftigen Herausforderungen zu meistern.
Für Microsoft führt der Weg in die neue Arbeitswelt über drei Aspekte:
– Menschen
– Orte
– Technologien
Nur wem es gelingt, diese drei Faktoren sinnvoll und mitarbeitergerecht zu verbinden, kann die nächste Station auf dem Weg in die neue Arbeitswelt in Angriff nehmen.
Das Problem ist, dass die »Arbeit« zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Deutschland noch zutiefst von Denkweisen und Strukturen des Industriezeitalters geprägt ist, obwohl mittlerweile die Mehrzahl der deutschen Arbeitnehmer in Nicht-Fertigungsjobs arbeiten und so etwas wie »Routine« bei den meisten Jobs kaum mehr gegeben ist. Trotzdem denken wir: Arbeit ist immer noch irgendwie Fabrikarbeit – Tag für Tag, Stein auf Stein –, nur eben jetzt in modernen Wissens- und Verwaltungsfabriken, den Büros. Im Grunde eben immer noch ein maschinelles Herstellen von irgendetwas.
Dabei hat die Digitale Revolution längst den Schwerpunkt verschoben, viele klassische Arbeitsschritte in Büros und Geschäften weitgehend automatisiert. Die Betonung liegt künftig eher auf der sogenannten Interaktionsarbeit, auf austauschbasierten Kooperationen mit anderen – ganz gleich über welche Kanäle.
Doch nicht nur die Arbeit ändert sich, auch die Wertschätzung und Definition von Leistung wandelt sich. Auch familiäre »Leistung« sollte von Unternehmen honoriert werden. Wer eine Familie gründet und spürt, dass sein Arbeitgeber dies als Makel betrachtet, wird weder motivierter noch leistungsbereiter.
Dieses Buch zeigt nicht nur auf, wie Arbeit und Familie künftig besser vereinbart werden können, es gibt auch Anregungen, wie die Neuorganisation von Leben und Arbeiten gelingen kann, und erklärt, warum Vertrauen neben der Technologie die entscheidende Währung der künftigen Arbeitswelt ist. »Ich vertraue meinen Mitarbeitern, ich bin überzeugt, dass sie wissen, was richtig ist« – das wird die unternehmerische Grundhaltung der nächsten Jahre.
Denn die neue Arbeitswelt, die »New Work Order«, ist keineswegs ein Mythos. Sie ist auch kein Trendsport junger Hipster oder Selbstdarsteller. Auch die viel beschriebene Generation Y (oder die schon in den Startlöchern sitzende Generation Z) mag sicher klassische Werte anstreben, auch sie will...