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Stadtentwicklung Moskau: Der Wohnsektor von 1954 bis heute

AutorHannes Blank
VerlagBachelor + Master Publishing
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl70 Seiten
ISBN9783956846311
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Die Rede des damaligen Regierungschefs der UdSSR Nikita Sergejewitsch Chruschtschow auf dem nationalen Baukongress im Dezember 1954 sollte für eine Zäsur im Bauwesen sorgen. Weg von unnötigen Schnörkeln, hin zu Produktivität wurde der Grundstein für den einprägsamen Massenbaustil der Sowjetunion gelegt, der bis heute Verwendung findet. Am Beispiel der florierenden Hauptstadt Russlands, Moskau, wird die Entwicklung ab jenem Datum bis heute gezeigt. Ihre Versuche in den Anfangsphasen, die immer wieder von Rückschlägen gekennzeichnet war und auch einher ging mit der politischen Entwicklung des Landes. Für die einzelnen Phasen des Fortschritts werden Beispiele genannt, deren gesellschaftliche Einflüsse betrachtet und mit der Beschreibung eines aktuellen Projektes wird der Bogen in die heutige Zeit geschlagen.

Hannes Blank wurde 1983 in Dieburg geboren. Bereits während seines BA-Studiums der Osteuropa-/Ostmitteleuropastudien hielt er sich regelmäßig für mehrere Monate in Russland, insbesondere Moskau auf. Resultierend aus den dort gemachten Erfahrungen und dem

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Leseprobe
Textprobe: Kapitel 5, Wohnpolitik: Wohnraum = Untermauerung des Herrschaftsanspruches. Wohnraumproblematik und Politik gehen nicht erst seit der behandelten Rede Chruschtschows einher. Bereits 1903 wurde im ersten Parteiprogramm der Sozialdemokratie des Russischen Reiches die Wohnungsfrage aufgegriffen. Worin es hieß, dass nur durch deren Lösung sich freiere Betätigungs- und Wirkungsmöglichkeiten eröffnen, soziale und ökonomische Konflikte besser zur Entfaltung und schließlich zur politischen Lösung kommen würden. Auch nach dem Oktoberumsturz 1917 setzten die an die Macht gekommenen Bolschewiki die politische Gestaltung der Wohnungsfrage fort. Orientiert wurde sich dabei an der Grundvorstellung Friedrich Engels', der im Wohnungsproblem der Arbeiter vor allem eine Frage der Verteilung des Wohnraums gesehen hatte. Wie bereits erwähnt, schwenkte dieser Kurs ab Mitte der zwanziger Jahre um und das Hauptaugenmerk von staatlicher Seite wurde weg vom privaten Wohnungsbau hin zum Industriebau gelenkt, der in den Planungen absolute Priorität hatte - mit fatalen Folgen für die Wohnsituation der Bürger. Eine Änderung - ich möchte gar von einem radikalen Kurswechsel sprechen - fand mit der Rede des Parteivorsitzenden auf dem Baukongress 1954 statt, wenngleich es bis 1961 dauerte, bis die Wohnungsfrage Eingang in das Parteiprogramm der KPdSU fand: 'Die KPdSU stellt die Aufgabe, das akuteste Problem der Hebung des Wohlstands des Sowjetvolks, das Wohnungsproblem, zu lösen. Im Laufe des ersten Jahrzehnts wird der Wohnraummangel behoben werden. Familien, die noch in überbelegten und schlechten Wohnräumen leben, werden neue Wohnungen erhalten. [...] Im zweiten Jahrzehnt wird die Benutzung der Wohnung für alle Bürger allmählich unentgeltlich'. Insbesondere das Ziel des zweiten Jahrzehnts ist als utopisch anzusehen, da es die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Sowjetunion maßlos überschätzte und die Realität außer Acht ließ. Nichtsdestotrotz verfolgte man weiterhin diesen Plan, insbesondere deswegen, da es sich hierbei um ein sehr geeignetes Instrument zur politischen Selbstdarstellung handelte und einen Themenbereich ansprach, der eine hohe Priorität im Volk besaß. Es entstand somit ein neuer Gesellschaftsvertrag zwischen der Führungsriege um Chruschtschow und der Bevölkerung. 'Dieser ungeschriebene Vertrag ließ den Regierenden das Monopol politischer Macht, die Kontrolle über Medien und die Reisefreiheit. Dafür verbesserten sie die Versorgung mit Wohnraum und Konsumgütern und garantierten Vollbeschäftigung sowie ein funktionierendes soziales Netz'. Eine besondere Eigenart war, dass 'die Sowjetbürger den Erfolg der Wohnungspolitik an Veränderungen gegenüber gestern und vorgestern [messen], weniger an einer Positionsverbesserung im internationalen Vergleich.' Dies kam der Staatsführung dahingehend zugute, dass der Abstand zum internationalen Vergleich so derart groß war, dass man ihn unmöglich hätte egalisieren können und die Forderung danach im Volk für erheblichen Unmut gesorgt hätte. Eine Analogie, wie sie auch Chruschtschow anstellte, als er mit den - seiner Meinung nach - baupolitischen Verfehlungen der letzten Jahre ins Gericht ging. Er tat dies in einer Art, wie es sich bis dato noch keiner getraut hatte. Zweifelsohne war diese Kritik begründet. Wie bereits erwähnt, war der Mangel an Wohnraum beträchtlich, die Lage in diesem Sektor teils katastrophal und die 'politische Führung hatte offensichtlich keine klare Vorstellung von dem starken Problemdruck, der in diesem Bereich bestand; noch weniger konnte von einem ausgeformten Programm die Rede sein.' Diese Situation machte sich Chruschtschow zu Nutze, um über dies hinaus seine politischen Ambitionen zu verwirklichen, eine Klarheit in der politischen Führungsstruktur zu schaffen, welche seit dem Tode Stalins dringlicher denn je war. Seit Ende November befand er sich inmitten einer Auseinandersetzung mit seinem wichtigsten Rivalen, Stalins 'Kronprinzen' Georgi M. Malenkow (1902-1988), dem führenden Sekretär des Zentralkomitees der KPdSU nach dem Tode Stalins und seit März 1953 Vorsitzender des Ministerrats der Sowjetunion und der später 'Anti-Partei-Gruppe' genannten oppositionellen Bewegung, die den gelernten Maschinenschlosser aus dem ukrainischen Donezbecken 1957 stürzen wollte. Eine Schwäche Malenkows auf diesem Gebiet ausnutzend, griff er ein populäres Thema mit der Absicht auf, seine eigene Position zu stärken. Seine populistische Art fand nicht nur beim Auditorium Zustimmung, sondern auch beim Zeitungspublikum, 'dem solche offenen kritischen Äußerungen in persönlichem Stil völlig ungewohnt und sicherlich sympathisch waren.' Trotz des Ansprechens des bedeutenden Themas Wohnungspolitik, der direkten Kritik an vergangenen Entscheidungen und aktuellen Personen, vermied Chruschtschow es geschickt, sich auf einen politisch heiklen Beschluss wie z.B. ein konkretes Wohnungsbauprogramm festzulegen. In der Betrachtung des politischen Umfelds drängt sich dadurch natürlich der Eindruck auf, dass es ihm - nach seinem Engagement in der Agrarpolitik und der Profilierung als Außenpolitiker auf der Reise nach Peking - nun daran lag, innen- und wirtschaftspolitische Kompetenz zu zeigen. Man kann mit Recht sagen, dass die Wohnungsfrage, sowohl im Kampf um die Macht als Mittel der Herrschaftslegitimation, als auch bei der Neuordnung der Gesellschaft infolge der Abkehr vom Terrorsystem Stalins, eine zentrale Rolle spielte. Wohnraum war das größte politische Kapital Chruschtschows, das Zurverfügungstellen dessen ein Machthebel gegen seine Rivalen und Gegner. Die Plattenbauten stellen daher eine Metapher dar für den Wandel von Stalin zu Chruschtschow, wie es Monica Rüthers formuliert. Neben der innenpolitischen Komponente Machtanspruch, Versorgung des Volkes mit Wohnraum, Unterstützung der Industrie und Abkehr von der Vergangenheit, gab es weiterhin eine außenpolitische: der Wettstreit mit dem kapitalistischen Klassenfeind im Westen. Auch dies wird in der Rede von 1954 sichtbar, in der Chruschtschow u.a. die Zielsetzung für die nächsten dreißig Jahre der Weltpolitik skizziert. 'Diese neue Politik sollte sich in den neuen Strategien des Städtebaus ebenso widerspiegeln wie in den Baunormen der sozialistischen Architektur.' Die Wohnbaupolitik war Teil eines Modernisierungsplans, 'der sich an der internationalen Rivalität mit den westlichen, kapitalistischen Ländern orientierte'. Nicht zu vergessen ist der machtpolitische Aspekt, nämlich die Nutzung von Architektur als propagandistisches Mittel, getreu der Aussage Winston Churchills: 'Zuerst formt der Mensch das Gebäude, dann formt das Gebäude den Menschen.'. So sollte unter Stalin die geplante und geschaffene Baukunst dem Stil derer entsprechen, der sie formte und Geschlossenheit, Einheit, Kraft und Größe des Staates vor Augen führen. Der Paradigmenwechsel zu Chruschtschow forderte den 'sowjetischen Funktionalismus: möglichst preiswert, möglichst viel Wohnraum und zugleich zementieren der künstlerischen Ausdrucksform einer kulturellen Einheit nach innen.'. In der Folgezeit wurde die eigene Wohnung, unabhängig davon, wie klein sie auch sein mochte, mit modernem Interieur und in einem Neubauviertel gelegen, zum zentralen Symbol des neuen sowjetischen Wohlstands. Eine Politik, die auch von Chruschtschows Nachfolgern fortgesetzt wurde, wenngleich nicht mehr in der radikalen Art und Weise, mit der er wie kein anderer Staatsmann solch großen politischen 'Einfluss auf die Bauwirtschaft des Landes ausgeübt' hatte. Das Prinzip Wohnraum = Untermauerung des Herrschaftsanspruches sollte die kommenden Jahrzehnte weiterhin seine Gültigkeit haben. Ein herausragendes Beispiel hierfür sind die Olympischen Spiele von Moskau 198o, die - wie im Grunde alle Olympischen Spiele - zur Repräsentation genutzt wurden und gewaltige bauliche Maßnahmen bewirkten. In den 199oer Jahren war das Problem mangelnden Wohnraums weiterhin akut und das Vorantreiben des Ausbaus Bestandteil der Politik. Im Gegensatz zu den bisherigen Massenbauten am Stadtrand wurde nun auch ein Augenmerk auf die Entwicklung des Zentrums gelegt. Ein Grund dafür ist u.a., dass im Bausektor vermehrt private Unternehmen zugelassen wurden und es nicht mehr nur am Staat lag zu bauen. Die Moskauer Politik verfolgte eine Strategie der weiteren Bebauung der Stadtränder, der Hochhaussiedlungen für 'normale' Bürger und gleichzeitig eine Praktik der Renovierung der Innenstadt mit Luxuswohnungen und Geschäfts-/Bürozentren für eine neue Elite. Vom politischen Standpunkt aus rückten nun auch die Renovierung historischer Bauten und der Neubau von Einkaufszentren in den Fokus, vorzugsweise westlichen Standards entsprechend. Hervorzuheben sind in den 1990ern die intensiven Bauarbeiten zur 85o-Jahr Feier der Stadt und insbesondere der monumentale Neubau der Christ-Erlöser-Kathedrale. Die Abkehr von der eigenständigen Architektur war spätestens zu diesem Zeitpunkt vollzogen. Wenngleich immer noch der Moskauer Stil, auf den ich später noch eingehen werde, gefordert und praktiziert wurde, nutzte man das Bauwesen nicht mehr zu 1oo% als politische Machtdemonstration und Abgrenzung vom Westen.
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