Gesunde und ausgewogene Ernährung:
für jeden anders
Eure Nahrung soll eure Medizin und
eure Medizin soll eure Nahrung sein.
Hippokrates
Zur Erhaltung der Gesundheit gibt es einige allgemeingültige Maßnahmen bzw. Einschränkungen. Eine Regel lautet: »Die Hälfte des Magens sollte mit fester Nahrung gefüllt werden, ein Viertel mit Flüssigkeiten, und das verbleibende Viertel sollte leer bleiben.«
Die Nahrung sollte also immer in der richtigen Menge eingenommen werden. Leichte Nahrungsmittel können in größerer Menge, schwere in geringerer Menge eingenommen werden. Wird die Nahrung sofort und leicht verdaut, ist dies ein Hinweis darauf, dass die Menge angemessen war.
Wasser trinkt man nach der Mahlzeit, um die Nährstoffe bestmöglich im Körper zu verteilen. (Eine Ausnahme bilden Krankheiten oberhalb des Halses wie Verschleimung, grippaler Infekt und Heiserkeit.) Dies bewirkt eine Kräftigung der Körperstatur. Will man hingegen abnehmen, trinkt man Wasser vor der Mahlzeit.
Welche Nahrungsmittel gesund und förderlich sind, hängt entscheidend von der individuellen Konstitution ab. So wie Autos unterschiedliche Kraftstoffe brauchen – Diesel, Benzin mit unterschiedlichen Oktanwerten, Gas oder Strom –, so haben auch Menschen unterschiedliche »Kraftstoff«-Bedürfnisse. Wenn man ein Fahrzeug mit Dieselmotor versehentlich mit Benzin betankt, darf man das Auto nicht starten, sondern muss mühsam das Benzin wieder heraussaugen, sonst geht der Motor kaputt.
Ebenso führt giftige Nahrung zu Erbrechen und Durchfall, um das Gift schnellstmöglich aus dem Körper hinauszubefördern. Ein Motor, der auf Benzin mit 95 Oktan ausgelegt ist, fährt schneller und spritziger, wenn man ihn mit 102er Benzin betankt. Er ist dann gedopt. Aber da er mit seinen Dichtungen auf einen 95er Treibstoff ausgelegt ist, verbraucht er sich schneller.
Genauso läuft es im menschlichen Körper ab. Ein auf Tripa-Energie basierender Organismus verzehrt sich schneller, wenn er immer auf Hochtouren läuft. So wie die Dichtungen im Motor bei zu hohen Oktanwerten, so verbrennen auch seine Gefäße, wenn sie ausschließlich dem Feuerelement ausgesetzt sind, etwa weil der Mensch nur Tripa verstärkende Nahrungsmittel zu sich nimmt.
Gesunde Ernährung ist seit vielen Jahren ein großes Thema. Mit Überzeugung wird vorgetragen, dass Zucker, Salz, Weißmehl etc. ungesund seien, Obst, Gemüse, Fisch und wenig Fleisch dagegen gesund. Solche pauschalen Zuordnungen sind aus Sicht der Tibetischen Medizin zu ungenau. Sie geht hier sehr viel differenzierter vor. Was für den einen Menschen gesund und gut ist, kann für einen anderen schädlich sein. Das hängt von der Typenzugehörigkeit und der aktuellen Situation eines Menschen ab. Das übergeordnete gesundheitliche Ziel ist immer ein Ausgleich der Elemente. Wird ein bestimmtes Element zu stark, muss es durch den Einsatz gegenteiliger Elemente beruhigt werden.
Eine herausragende Bedeutung kommt dabei den Geschmacksrichtungen (tibetisch: ro) von Speisen zu.
Die sechs Geschmacksrichtungen und ihre Heilwirkung
Die angemessene, bewusste Einnahme von Speisen und Getränken unterstützt unseren Körper und unser Leben, wohingegen bei nicht ausreichender, übermäßiger oder nicht richtiger Einnahme Krankheiten verursacht werden und sogar das Leben beendet werden kann.
Gyüshi
Wie alles Wesentliche besteht auch jedes Heilmittel aus den fünf Grundelementen Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum. Die Erde ist die Basis, Wasser gibt Feuchtigkeit, Feuer die Wärme. Bewegung entsteht durch Luft, und diese vier Elemente breiten sich im Raum aus.
Aus diesen vier Elementen (also ohne Raum) setzen sich die sechs Geschmacksrichtungen zusammen. Die Tibetische Medizin unterscheidet zwischen Süß, Sauer, Salzig, Bitter, Scharf und Herb (Zusammenziehend).
Ob eine Ernährung gesundheitlich förderlich oder abträglich ist, hängt stark von der Geschmacksrichtung ab. Der Geschmack von Heilmitteln ist an sich bereits ein heilender Faktor und wird bestimmt durch die natürlichen Eigenschaften der Elemente, aus denen er sich ergibt.
»Geschmack« ist das, was die Zunge wahrnimmt: Ein süßer Geschmack wird als angenehm empfunden, ein saurer als durchdringend. Beim Kontakt mit salzigem Geschmack wird die Zunge heiß. Bitterer Geschmack führt zu Abneigung gegenüber der Speise, und scharfer Geschmack brennt im Mund. Ein herber (zusammenziehender, adstringierender) Geschmack rauht Gaumen und Zunge auf und bleibt daran haften.
Betrachten wir die Geschmacksrichtungen und ihre therapeutischen Wirkungen im Einzelnen:
Süß besteht aus Wasser und Erde und hat eine kühlende Wirkung. Die Elemente Wasser und Erde haben die Tendenz, nach unten zu fallen. Sie machen den Menschen schwer. Die süße Geschmacksrichtung begünstigt die Gewichtszunahme.
Der süße Geschmack ist angenehm auf der Zunge und wirkt lange nach. Er kräftigt den Körper und ist deshalb gut für Neugeborene, Alte und Geschwächte. Er gilt auch als »Nervennahrung« für nervöse und gestresste Menschen. Er unterstützt die Wundheilung, erleichtert Husten und Halsinfektionen, verbessert das Aussehen, stimuliert die Klarheit der Sinnesorgane und unterstützt die Langlebigkeit.
Zu viel Süße führt zu Trägheit, Faulheit, Selbstgefälligkeit und körperlich zur Bildung von Fettpolstern, Lipomen (Fettgewebegeschwulsten) und Krankheiten des Harntrakts.
Die Vermischung von Wasser und Erde führt zu Verklumpung und bedeutet Materialisierung. In der heutigen Zeit, in der fast alle Speisen und Getränke zuckerhaltig sind, ist das ein großes Unheil. Die ohnehin großen Badkan-Typen wachsen durch Süßes noch weiter und nehmen immer mehr Materie auf.
Der Badkan-Typ ist bequem, weich, amorph. Wie können wir diesen Menschen in »Form« bringen? Indem wir versuchen, alle »süßen« Wasser-Erde-Eigenschaften in ihm zu reduzieren, vor allem durch die Nahrung. Wir entziehen ihm süße Lebensmittel: Zucker, Milchprodukte, Kohlenhydrate, vor allem weiße Lebensmittel, Getränke, Saucen etc. Süße Früchte wie Bananen, Datteln und Rosinen tauschen wir gegen Lebensmittel aus, die den Materieanteil des Menschen senken, also scharfe, austrocknende Nahrungsmittel wie Pfeffer, Ingwer, Rettich u.a. Ziel ist die Dematerialisierung, die Vergeistigung.
Süße Nahrungsmittel
Zucker, zucker- und stärkehaltige Nahrungsmittel, Nahrungsmittel mit süßem Geschmack: Avocado, Brot, Buschbohnen, Butter, Datteln, Erbsen, Feigen, Fenchel, Fleisch, Honig, Karotten, Kohl, Kürbis, Leinsamen, Mandeln, Mangold, Milch, Nüsse, Paprika, Pflanzenöle, Rosinen, Sahne, Safran, Sesam, Sellerie, Spargel, Spinat, Stangenbohnen, Süßholz, Süßkartoffeln, Trockenfrüchte, reife Weintrauben, Zimt, Zucchini.
Praxisbeispiel: Übergewicht und Ödeme
Eine übergewichtige Frau Ende vierzig leidet unter Wasser in den Beinen. Vor allem abends sind sie schmerzhaft dick angeschwollen. Die Frau ist eindeutig als Badkan-Typ zu identifizieren. Um eine Besserung zu erreichen, sollte sie ihre Ernährung konsequent umstellen. Ich erkläre ihr, dass Badkan aus Wasser und Erde besteht. Deshalb müssen diese Elemente entfernt werden, insbesondere die Geschmacksrichtungen Süß (Erde und Wasser), Sauer (Erde und Feuer), Salzig (Wasser und Feuer). Alle Substanzen, die das Element Wasser und das Element Erde enthalten, müssen reduziert werden, wobei wir immer individuell vorgehen. Die Feinabstimmung der Geschmacksrichtungen ist abhängig davon, welche Aspekte der Therapeut stärken möchte.
In ihrem Fall werden die vielen gesüßten Getränke, die die Patientin gern zu sich nimmt, reduziert und durch Wasser oder bitteren Kräutertee ersetzt, wobei Honig in geringen Mengen erlaubt ist. Die morgendlichen Marmeladebrötchen ersetzt sie durch Müsli ...