Einleitung
Viele Studenten, die sich mit der Festigkeitslehre beschäftigen wollen, sehen sich häufig einem großen Problem gegenüber: In den meisten Vorlesungen über Statik und Dynamik geht man von der Annahme aus, dass Körper starr, also nicht verformbar sind. Die Festigkeitslehre zeigt hingegen, dass diese Annahme absolut nicht haltbar ist.
In einem gewissen Sinn ist die Festigkeitslehre ein erster Ausflug in die reale Welt, bei dem Sie die theoretische Welt der Mechanik und der Physik verlassen. Wenn Sie sich mit der Festigkeitslehre befassen, wird Ihnen zum ersten Mal bewusst, wie die Welt um Sie herum arbeitet und dass Sie Ihrerseits diese Welt beeinflussen können, indem Sie Körper nach Ihrer Maßgabe konstruieren. An diesem Punkt weise ich meine Studenten immer darauf hin, dass Halbwissen an dieser Stelle nicht weiterhilft, sondern sogar gefährlich sein kann.
Auch die Festigkeitslehre ist im Prinzip eher theoretisch, aber sie ist in der Lage, grundlegende Theorien in einer neuen und manchmal überraschenden Weise anzuwenden. Genau aus diesem Grund habe ich »Festigkeitslehre für Dummies« geschieben. Ich möchte Ihnen den Übergang von der Theorie zur Anwendung so weit wie möglich erleichtern. Dabei versuche ich, auf der einen Seite die theoretischen Grundlagen darzustellen, auf der anderen Seite aber auch aufzuzeigen, wie man diese Grundlagen für reale Anwendungen ausnutzen kann.
Über dieses Buch
Es ist wahrscheinlich unmöglich, in einem einzigen Buch über die Festigkeitslehre jede einzelne Aufgabenstellung abzuhandeln, die Ihnen je begegnen mag. Viele Lehrbücher konzentrieren sich auf komplexe Ableitungen mit vielen Variablen, die dann auf einige relativ einfache Gleichungen hinauslaufen, ohne bei deren Herleitung ausreichende Erklärungen zu liefern.
»Festigkeitslehre für Dummies« liefert Ihnen den erforderlichen theoretischen Hintergrund, aber ein Hauptanliegen ist, aufzuzeigen, wann man welche Gleichungen braucht und wie man sie anwendet; ihre Herleitungen sind daher weniger von Interesse. Meine Absicht war eine anwendungsbezogene Darstellung, die auf den theoretischen Grundlagen beruht: Was genau ist eine Spannung und wie verhält sie sich zur Belastbarkeit eines Materials? Wie bestimmt man die Belastbarkeit eines langen, dünnen Stabes? Wie berechnet man den Verdrillungswinkel eines Stabes, der einer Torsionsbelastung ausgesetzt ist? Alle diese Fragen (und davon gibt es viele, viele weitere) tauchen bei Anwendungen in den Ingenieurswissenschaften auf. Sie bilden die Grundlagen der Darstellung in diesem Buch.
Ich empfehle Ihnen, eines meiner beiden im VCH-Verlag erschienen Bücher »Statik für Bauingenieure und Architekten für Dummies« oder »Statik für Maschinenbauer für Dummies« zu Rate zu ziehen. In beiden werden die Grundlagen der Statik dargestellt, die Sie für die Festigkeitslehre benötigen.
Jedes Kapitel in diesem Buch besteht aus mehreren Abschnitten, in denen jeweils ein Teilgebiet behandelt wird, das für das Thema des jeweiligen Kapitels von Bedeutung ist. Um einige Beispiele zu geben:
- Was unterscheidet eine Normalspannung von einer Scherspannung?
- Wie bestimmt man die Querschnittskennwerte eines Balkens, der einer Biegebelastung ausgesetzt ist?
- Welche Methoden kann man anwenden, wenn ein Balken statisch unbestimmt ist?
Für die Festigkeitslehre ist eine genaue Fallanalyse grundlegend. Wenn immer es möglich ist, werden die Beschreibung einer Situation, aber auch mögliche Konstruktionstechniken in einer Schritt-für-Schritt-Anleitung dargestellt.
Wie in jedem »Für Dummies«-Buch ist es Ihre eigene Entscheidung, wo Sie mit dem Lesen beginnen wollen. Wenn Sie daran interessiert sind, wie man Spannungen analysiert, sollten Sie sich Teil II vornehmen. Wenn Sie sich sicher sind, wie Spannungen und Dehnungen definiert sind, und dieses Wissen anwenden wollen, ist Kapitel IV die richtige Wahl.
Vereinbarungen in diesem Buch
Um die Darstellung einheitlich und übersichtlich zu halten, werden in diesem Buch die folgenden Darstellungsweisen benutzt:
- Alle neuen Begriffe sind kursiv gesetzt; in allen Fällen folgt direkt danach eine einfach verständliche Definition.
- Variablen sind ebenfalls kursiv dargestellt.
- Bei Schritt-für-Schritt-Anleitungen sind die entscheidenden Anweisungen fett gesetzt; dies gilt ebenfalls für die Schlüsselwörter in Aufzählungen.
Darüber hinaus gibt es einige festgelegte Schreibweisen, die hier aufgeführt werden, damit sie nicht jedes Mal erklärt werden müssen, wenn sie auftauchen.
- Ursprung: In der Festigkeitslehre wird der Ursprung üblicherweise in den Schwerpunkt einer Fläche oder eines Bereichs gelegt. Diese Vereinbarung gilt auch – solange nicht anders angegeben – in diesem Buch.
- Signifikante Stellen: Alle Berechnungen in diesem Buch werden mit mindestens drei signifikanten Stellen durchgeführt, so dass sie genau genug sind, um die grundlegenden Prinzipien zu verdeutlichen.
- Innere Kräfte: Die Berechnung von Spannungen beruht nahezu ausschließlich auf der Bestimmung innerer Kräfte. Man kann sich viele Kopfschmerzen ersparen, wenn man eine einheitliche Notation benutzt. Wenn innere Kräfte in diesem Buch auftauchen, benutze ich N für axiale Kräfte (Normalkräfte), V für Scherkräfte und M für Drehmomente. Wenn diese Kräfte in eine bestimmte Richtung oder entlang einer bestimmten Achse wirken, werden Indizes verwendet, die sich auf die kartesischen Koordinaten oder einen besonderen Punkt des gerade betrachteten Bauteils beziehen, um sie zu unterscheiden.
- Pluszeichen (+) bei Zahlenangaben: Obwohl es eigentlich nicht notwendig ist, benutze ich manchmal bei positiven Zahlenangaben ein Pluszeichen, um Sie (und mich selbst) auf die Richtung eines Vektors im kartesischen System hinzuweisen.
Was Sie nicht lesen müssen
Ich gebe zu, dass Sie in diesem Buch einige Punkte auslassen können, wenn Sie in Zeitnot sind oder nur am wirklich wichtigen Stoff interessiert sind:
- Texte in Kästen: Die grau unterlegten Kästen enthalten zusätzliche Informationen zum jeweiligen Thema, die für das Verständnis nicht unbedingt notwendig sind.
- Texte nach einem »Vorsicht-Technik!«-Symbol: Diese Informationen sind zwar nützlich, gehen aber über alltägliche Aufgabenstellungen hinaus.
- Die Copyright-Seite: Diese Seite enthält eine Reihe wichtiger Informationen, die aber leider nichts mit der Festigkeitslehre zu tun haben.
Einige törichte Annahmen
Beim Schreiben dieses Buches habe ich die folgenden Annahmen über Sie, den Leser, gemacht:
- Sie studieren eine der Ingenieurswissenschaften, haben bereits eine grundlegende Vorlesung über die Statik hinter sich und hören derzeit die Festigkeitslehre. Sollte dies nicht zutreffen, sind Sie zumindest mit der Statik und der Berechnung innerer Kräfte vertraut. Im Übrigen werden diese Themen in Kapitel 3 noch einmal kurz zusammengefasst.
- Sie haben grundlegende mathematische Kenntnisse zum Beispiel in der Algebra, der Trigonometrie und der Differentialrechnung (Bilden von Ableitungen, einfache Integrationen, Bestimmung der Maxima und Minima von Funktionen).
- Sie sind in Geometrie und Trigonometrie bewandert. Sie sind mit den kartesischen Koordinaten und den damit verbundenen Bezeichnungen vertraut und können mit dem Sinus, Kosinus und Tangens von Winkeln sowohl in Grad als auch in Radiant umgehen. Diese Kenntnisse sind für die Festigkeitslehre Grundvoraussetzung.
Der Aufbau dieses Buches
Dieses Buch besteht aus sechs Teilen, die ihrerseits in Kapitel unterteilt sind. Es beginnt mit einer Zusammenfassung der mathematischen Grundlagen und des Gleichgewichtskonzepts der Statik, gefolgt von einer Darstellung der Querschnittskennwerte. Die folgenden Teile beschäftigen sich dann mit Spannungen und Dehnungen, praktischen Anwendungen der Festigkeitslehre sowie realen Materialien.
Teil I: Das Rüstzeug für die Festigkeitslehre
In Teil I finden Sie eine kurze Zusammenfassung all der Grundlagen, die Sie für die Festigkeitslehre benötigen. Sie umfasst eine Auffrischung Ihrer Kenntnisse über Mathematik und über Einheiten sowie eine Wiederholung der wichtigsten Aspekte der Statik und der Berechnung von Querschnittskennwerten. Kapitel 1 erläutert die grundlegenden Konzepte der Festigkeitslehre und erklärt die wichtigsten Zusammenhänge zwischen Statik, Dynamik und Festigkeitslehre; zudem wird eine Reihe wichtiger Begriffe eingeführt. In Kapitel 2 werden Ihre Kenntnisse in einer Reihe von mathematischen Gebieten aufgefrischt, unter anderem in der Trigonometrie und in der Differentialrechnung (Bildung von Ableitungen und Ausführung von Integrationen). Das Kapitel stellt außerdem Einheitensysteme...