Einleitung
Eine meiner Freundinnen, so um die 20, sagte einmal zu mir: »Mensch, Mädchen, du bist was Besondres. Jung bist du nicht, alt bist du nicht. Ich weiß überhaupt nicht, was du bist. Du bist einfach etwas anderes!«
— Tosha Silver, Outrageous Openness
Kürzlich ging ich in ein Sportgeschäft, um die Bindungen meiner Skistiefel richten zu lassen. Die Verkäuferin, deutlich jünger als ich, fragte mich, wie alt ich sei. Wenn man ein bestimmtes Alter überschritten hat, so die Annahme, sollten sich Bindungen leicht lösen lassen, weil es mit dem Gleichgewicht nicht mehr so klappt und man leichter hinfällt. Nun bin ich aber körperlich aktiv, sogar mehr noch als in jüngeren Jahren. Ich tanze Tango, mein Gleichgewicht ist ziemlich gut. Das sagte ich der Verkäuferin, die gerade auf die Berechnungsformel der Bindung schielte. »Nehmen Sie 40.« So mache ich es auch, wenn ich Trainingsgeräte benutze. Ich will nicht, dass der Stepper mich wie eine gebrechliche ältere Dame behandelt, der man nichts mehr zumuten kann. Wenn sich das nicht richtig anfühlt, dann passe ich den Wert in der Maschine eben nach unten an; das ist mir vollkommen egal. Keinesfalls aber lasse ich zu, dass jemand mit einer Vorstellung von »40«, »50« oder »60« bestimmt, wie ich mich selbst betrachte.
Wenn jemand Sie nach Ihrem Alter fragt, fällt es Ihnen sofort ein? Oder ist es nicht eher so, dass es unwichtig ist, zumindest bis ein »runder« Geburtstag vor der Tür steht? Das Alter ist doch nur eine Zahl, und alterslos zu leben heißt, dass man sich nicht von einer Zahl bestimmen lässt, weder im Hinblick auf den Gesundheitszustand noch das Aussehen noch den Selbstwert. Mit 60 können Sie jünger sein als mit 30, weil Sie vielleicht eine andere Einstellung haben oder einen anderen Lebensstil pflegen. Alterslos zu sein heißt, die Regeln zu sprengen, die angeblich festlegen, was es bedeutet, so oder so alt zu sein. Kurz, es bedeutet, nicht »alt« zu werden, nicht das Gefühl zu haben, die besten Jahre lägen hinter einem und von nun an ginge es bergab.
Lassen Sie mich eines deutlich sagen: Wir werden älter, kaum dass wir geboren sind, doch in unserer Kultur wird das Wort »altern« erst dann verwendet, wenn es ungefähr ab 50 mit »Verfall« gleichgesetzt wird. Die Wahrheit ist, dass es Leute gibt, die schon mit 20 oder früher Zeichen des »Alterns« aufweisen: abnehmende Muskelmasse, schwankender Blutzucker, Verlust des Gleichgewichts. Andere dagegen können 70 sein und vor Gesundheit strotzen. Der Wissenschaftlerin und ehemaligen Leiterin der Abteilung Life Sciences der NASA Joan Vernikos zufolge ist Altern eher eine langsame Form des Schwereloswerdens: Denn das passiert, wenn man nicht mehr vom Sessel aufsteht, sich nicht bewegt, kein aktives Leben führt und sich nicht mehr der Schwerkraft stellt. Den 77-jährigen Astronauten John Glenn hat sie denn auch für seine Rückkehr in den Weltraum fit gemacht. Älter werden ist nicht gleichbedeutend mit dem Verlust der Gesundheit oder einem Abgleiten in kulturelle Bedeutungslosigkeit.
Göttinnen altern nicht handelt vom alterslosen Leben, das Sie erwartet, sobald Sie keine Angst mehr haben vor dem Fall – keine Angst zu scheitern. Längst ist ein Paradigmenwechsel hinsichtlich unserer Vorstellung vom Alter überfällig. Hundertjährige etwa sind die am schnellsten wachsende Gruppe in der US-Bevölkerung (mit einer Zuwachsrate von 75 000 pro Jahr).[1] Gegenwärtig gibt es 53 000 Hundertjährige in den USA, im Jahr 2050 werden es 600 000 sein. Ja, Sie haben ganz richtig gelesen: Innerhalb von zwei Generationen wird sich die Zahl der Amerikaner über hundert verzehnfacht haben. Das ist eben ein Aspekt jenes weltweiten Phänomens, dass die Menschen immer länger leben. Wenn Sie nun selbst ein langes Leben anstreben, dann wollen Sie die letzten Jahre davon sicherlich nicht bei schlechter Gesundheit verbringen und fortwährend daran denken, wie »alt« Sie sind. Ihre Zukunft können Sie beeinflussen, wenn Sie schon heute eine neue, altersunabhängige Einstellung an den Tag legen, die Sie darin unterstützt, körperlich, emotional, mental und spirituell zu wachsen.
Älter zu werden gibt Ihnen die Gelegenheit, Ihren Selbstwert und Ihre Kompetenz zu steigern, denn die neuronalen Verbindungen im Hippocampus und überhaupt im Gehirn nehmen zu und lassen so die Weisheit eines gut gelebten Lebens in Kopf und Körper Eingang finden. Dadurch können Sie sich von der Angst lösen, andere zu enttäuschen und nicht perfekt genug zu sein. Alterslos leben heißt mutig leben! Es bedeutet, sich nicht von den kleinen Dramen ablenken zu lassen, weil Sie aus Erfahrung wissen, worum Sie sich nicht zu kümmern brauchen und was Priorität hat. Das heißt auch, ein neues Verhältnis zur Zeit zu entwickeln, sie nicht mehr zu fürchten oder sie einholen zu wollen. Als kürzlich in einer Studie Menschen, die älter als 100 sind, gefragt wurden, wie es sei, die volle Dreistelligkeit zu erreichen, waren die drei am häufigsten gegebenen Antworten: »fühle mich gesegnet«, »bin glücklich« und »bin überrascht« – überrascht deshalb, weil ein altersloses Leben dem Alter, egal welchem, keine Aufmerksamkeit schenkt.[2]
Die Seele ist zeitlos, sie ist Ausdruck der göttlichen weiblichen, schöpferischen Kraft des Universums. Das heilige Weibliche wird traditionell gleichgesetzt mit Dunkelheit, dem Körper, dem Geheimnisvollen, Fruchtbaren, Empfangenden, dem Urschlamm – der Gebärmutter, die alles Leben hervorbringt und nährt. Jede Frau ist eine alterslose Göttin, Ausdruck des heiligen weiblichen Körperlichen. Allzu oft vergessen wir das, weil in unserer Kultur das Alter abgewertet wird. Wir sollten uns dessen bewusster sein und bestimmten negativen Botschaften klar entgegentreten.
Der klinische Neurologe Dr. Mario E. Martinez, Gründer des Biocognitive Science Institute, hat sich mit kulturell vermittelten Erwartungen oder »Biokulturellen Portalen« – Durchgängen, wie er es nennt – befasst, also jenen Zeiten im Leben, wenn es darum geht, die 30, 50 oder 65 zu passieren. Dr. Martinez meint, man solle Vergünstigungen für Senioren unbedingt zurückweisen, weil diese nur die falsche Vorstellung beförderten, man würde älter und schwächer, könne nicht mehr arbeiten und müsse von anderen betreut werden.[3] Mein Bruder hat diese Wahrheit kürzlich am eigenen Leib erfahren. Er buchte einen Flug und wählte den Seniorenrabatt, um 25 Dollar zu sparen. Am Flughafen angekommen musste er zusätzlich anstehen, um zu belegen, dass er tatsächlich Senior sei. Am Ende fühlte er sich wie ein Bürger zweiter Klasse. Das war die Ersparnis von 25 Dollar sicherlich nicht wert.
Meine Mutter, die auf die 90 zugeht, bekam Schwierigkeiten, weil sie sich auf den von Medicare vorgesehenen »Drug Prescription Plan« nicht einlassen wollte. Sie sah dazu keinen Anlass, weil sie keine Medikamente nimmt und es auch nicht vorhat. Wollen Sie vielleicht Ihren 65. Geburtstag mit der Überlegung verbringen, welche Krankheiten Sie bekommen könnten, um zu entscheiden, welche Medikamente Ihre Versicherung sondervertraglich abdecken soll? Warum ist das das kulturelle Portal, durch das Sie gehen müssen? Es liegt wahrscheinlich daran, dass man im 19. Jahrhundert das 65. Lebensjahr als staatliches Renteneintrittsalter auserkoren hat, weil es damals der allgemeinen Lebenserwartung entsprach. In der Folge haben Sterbetabellen und Statistiken dieses Alter plus minus fünf immer wieder bestätigt, nur dass heute die Lebenserwartung nach dem 65. Jahr noch weitere 24 Jahre beträgt! Warum also sollen wir meinen, mit 65 geht’s bergab? Oder mit 75 oder 85 oder überhaupt?
Sollten Sie jetzt noch nicht an Ihr Alter denken, dann werden Sie es vielleicht an einem runden Geburtstag tun oder wenn gleichaltrige Freunde oder Verwandte an etwas erkranken, das mit dem Lebensstil in Zusammenhang steht. Oder Sie werden durch eine Lebenskrise mit der Frage konfrontiert, wie Sie älter werden können, ohne dass es immer nur noch abwärts geht. Viele Frauen rufen in meiner Radiosendung an, um sich Rat zu holen. Sie leiden plötzlich an einer Autoimmunerkrankung, bekommen eine Geschwulst oder Krebs, haben eine Allergie. Wurden sie nicht durch eine gesundheitliche Krise aus der Bahn geworfen, dann durch den Verlust eines Jobs, einer Beziehung, einer Illusion. Manchmal berichten sie von der Entdeckung, dass ihr Ehemann sie betrügt, der Sohn oder die Tochter im College-Alter eine psychische Krankheit hat oder Drogen nimmt. Unsere Seelen ersinnen sich starke Weckrufe, um uns wachzurütteln.
Und dann natürlich »die Wechseljahre«: Sie sind ein natürlicher Übergangspunkt im Leben einer Frau. Um den Zeitpunkt unserer letzten Menstruation herum sind wir für ein neues Leben bestimmt. Unsere Körper wissen darum, unser Bewusstsein oftmals nicht. Als ich noch ärztlich tätig war, habe ich oft erlebt, wie hochintelligente, berufstätige Frauen einen Schwangerschaftstest machen ließen. Immer wenn ich ihnen ein positives Ergebnis bekannt gab, meinten sie: »Das kann doch nicht sein. Wie konnte das passieren?« Natürlich kannten sie sich mit Verhütung und dem Monatszyklus aus. Nur wollten sie nicht wahrhaben, dass sie sich eigentlich etwas ganz anderes wünschten, und zwar so sehr, dass sie es mit der Verhütung nicht mehr so genau nahmen. Wäre es nicht leichter, sich den Wunsch nach Neuem...