Meine Erfahrungen mit
Zwei- und Vierbeinern
Zu meiner Kindheit gehörten von Anfang an Tiere. Der erste Zoobesuch brachte mich näher an eine Depression heran als alles andere, was ich später mitansehen musste. Die Gefangenschaft der Tiere machte mich traurig. Ich nahm ihre Resignation wahr, und das war schrecklich. Vor allem schockierte mich, dass die Verantwortung für dieses Elend eindeutig bei uns Menschen lag. Ich wollte nicht in Käfige schauen. Als ich später das erste Mal durch eine dicke Glasscheibe einem Gorilla in die Augen sah, erlebte ich, wie er mich ähnlich fassungslos anblickte wie ich ihn. Ich kann es bis heute nicht verstehen, warum Menschen Tiere zur bloßen Betrachtung und damit zu Unterhaltungszwecken rücksichtslos in Käfige einsperren.
Trotz des Entsetzens zog es mich als Kind aber zu den Zootieren, und ich erinnere mich an den Elefanten Shanti und das Flusspferd Boulette, die mich faszinierten, vor allem wegen des Drecks, den sie machen durften, was bei uns zu Hause undenkbar war. »Hast du dir schon die Hände gewaschen?«, ist wahrscheinlich die Frage, die mir seit Kindertagen am meisten im Leben gestellt wurde, und komischerweise galten Tiere offenbar als besonders schmutzig und damit gefährlich. Der Kontakt mit ihnen führte jedenfalls immer zu jener Ermahnung, aber meist hatte ich gerade dann wenig Bedürfnis, mich zu waschen. Rückblickend bin ich mir sicher, dass ich mir an vielen Menschen die Hände ungleich schmutziger gemacht habe als an all den Tieren, die ich immer gernhatte und auch berühren wollte.
Tiere darf man einfach streicheln, doch bei Menschen ist so etwas schon hoch verdächtig. Ähnlich, wie beim Berühren von Skulpturen oder anderen Exponaten im Museum sofort Alarm ausgelöst wird, ist dies beim Mitmenschen inzwischen ebenso der Fall. Nur wenn jemand sehr krank ist, darf man ihm oder ihr manchmal über die Wange streichen oder die Hand halten. Obwohl wir auch dabei schon nicht mehr unbefangen sind, darf man außerdem sehr kleinen Kindern spontan über den Kopf streichen und sie damit fast wie Haustiere behandeln. Vielleicht liegt es daran, dass wir erst mit drei bis vier Jahren jenes Ich-Bewusstsein entwickeln, das die typischen Haustiere jedenfalls nicht haben. Allerdings besitzen es viele andere Tiere, von denen wir es gar nicht glauben, zum Beispiel Schwertwale (Orcas), Delfine und sogar Elstern, die sich – wie wir – im Spiegel erkennen, wie natürlich auch Menschenaffen.
Kinder und Haustiere begegnen uns als Einzige mit jener vorbehaltlosen Offenheit, die weder durch Ich noch Ego verstellt ist; sie bauen noch keine künstlichen Grenzen auf, von deren Errichtung unser Ego lebt. Und so wie Kinder in der Medizin rascher mein Mitgefühl erregten als Erwachsene, gelang das Tieren noch schneller und nachhaltiger. Ich erleb(t)e sie als uns Menschen ausgeliefert; wir stehen insofern für sie in der Verantwortung.
Für mich als Berliner Großstadtkind gehörte die Tierwelt nicht zum Familienalltag, außer dass ich mir sehnlichst ein Pony wünschte – und einen Goldhamster bekam. Ich taufte ihn Mucki und befreite ihn bei jeder Gelegenheit aus seinem Käfig, den ich für ihn möglichst natürlich und artgerecht einzurichten versuchte. Dabei war der Käfig eigentlich nur sein Schlafplatz, denn tatsächlich lebte Mucki auf freiem Fuße mit mir im Zimmer. Ich brachte ihm viele kleine Dinge bei, die er aber nach einer gewissen Zeit schlagartig zu vergessen schien, und wir mussten wieder von vorn beginnen.
Als ich später in der Schule hörte, Goldhamster würden nicht sehr alt werden, protestierte ich heftig. Meine Mutter klärte mich auf. Sie hatte den Ur-Mucki nach dessen Tod zweimal ausgetauscht gegen ein äußerlich verblüffend ähnliches Tier, um mir Schmerz zu ersparen. Wie zartfühlend und wie schade zugleich! Das Sterben des betagten Haustieres wäre für ein Kind die natürlichste Annäherung an dieses so wichtige, in der Regel aber so verdrängte Thema. Die Idee, dass man den toten alten Hamster gegen ein junges Tier austauschen könnte, lag mir damals so fern, dass ich nur von einem unerklärlichen Leistungstief im Hinblick auf Muckis andressierte Fähigkeiten ausging. So weit her kann es mit meiner Einfühlung also nicht gewesen sein, obwohl ich als Kind überzeugt war, mich mit Mucki unterhalten und ihn überhaupt verstehen zu können.
Später bekam ich das Jugendbuch von H.W. Smolik, Tierfreund in Not, in die Hände, das meine Bibel wurde, und ich schmiedete Tierbefreiungsfantasien, die letztlich am Realitätssinn scheiterten. Ich machte mir klar, dass fast all diese Tiere erst recht keine Chance hätten, wenn sie in der Großstadt freigelassen würden.
Später provozierten mich immer wieder Tierquälereien – angefangen beim Elend der Esel auf Santorin bis zu den Erlebnissen beim Reiten als Student im texanischen College. Reiten war mir so lieb und wichtig, dass ich anfangs die Trense im Maul des Pferdes, die qualvoll sein kann, verdrängte. Als mein Bruder Jürgen Krackow viele Jahre später anfing, internationale Springturniere ohne Trense und nur mit einem Bosal (einem Zaumzeug ohne Gebissstück) zu reiten und sie manchmal sogar gewann, fand ich das wundervoll und war stolz auf diese Familie. Ich animierte ihn, ein Buch darüber zu schreiben, dem ich ein Vorwort widmete und für das ich einen Verlag fand.1
Den Bezug zu Tieren finde ich wichtig für jeden Menschen und besonders für jedes Kind – aber natürlich muss es ein gewaltfreies Miteinander sein. Hier stellt sich sogleich auch die Frage, wie wir es mit Tieren als Nahrung halten. Inwieweit meine schon in jungen Jahren vorhandene Aversion gegen Fleisch und Fisch mit meiner Tierliebe zu tun hatte, kann ich heute nicht sagen, jedenfalls mochte ich Freunde nicht essen. Meine Mutter aber bestand aus Sorge um drohenden Eiweißmangel zwar selten, aber konsequent darauf. Bückling (Berliner Räucherhering), die damals günstigste Eiweißquelle, kam dann öfter auf den Tisch und vertiefte meine Aversion. Als ich später eine kurze Zeit des sportlichen Erfolges wegen besonders viel Fleisch essen sollte, verdrängte ich wohl den Bezug zu den Tieren und stimmte widerwillig zu, weil ich Pokale gewinnen wollte. Als die Sportkarriere endete, hörte ich sofort wieder mit dem Fleischessen auf und ernährte mich, wenn auch nicht streng, so doch weitgehend vegetarisch.
Der Besuch im Großschlachthof im Rahmen meines Studiums wurde zur Horrorerfahrung, die mich im Bewusstsein bestärkte, dass wir Menschen den Tieren großes Unrecht antun. Ich wendete mich entschieden der vegetarischen Ernährung zu – auch unter dem Einfluss verschiedener indischer Gurus, an erster Stelle ist hier Maharishi zu nennen. All diese Weisheitslehrer verbanden spirituelle Fortschritte mit vegetarischer Ernährung.
Als ich später Seminare zur Psychosomatik gab, appellierte ich an die Teilnehmer, aus Rücksicht auf die Tiere und aus humanitären Gründen ebenfalls vegetarisch zu essen, und setzte auch immer eine entsprechende Menüvariante in den jeweiligen Kurshotels durch. Viele folgten meinem Rat, vor allem wenn sie bei mir in Ausbildung waren.
Enge Beziehungen zu Tierpersönlichkeiten
Als die Krankheitsbilder-Deutung von Krankheit als Weg und Krankheit als Symbol (siehe Literaturverzeichnis) immer populärer wurde und sich der symbolische Zusammenhang zwischen körperlichen und seelischen Symptomen im allgemeinen Bewusstsein immer mehr verankerte, wurde ich oft zu Krankheitsbildern bei Tieren gefragt. Zu entdecken waren dabei beeindruckende Parallelen zwischen Tieren und ihren Besitzern. Ich ging jedoch nicht tiefer darauf ein, da ich mit den Deutungen zu den Krankheitsbildern meiner menschlichen Patienten schon mehr als genug beschäftigt war. Doch folgt man der Philosophie der Schicksalsgesetze, wird schnell klar, dass in einem Universum, in dem alles mit allem zusammenhängt, auch Haustiere und ihre Besitzer in einem engen Verhältnis zueinander stehen, sich vieles bei ihnen entspricht und widerspiegelt – natürlich auch in Bezug auf ihre Krankheitsbilder. So wie die Symptome von Kindern häufig mit den Eltern zu tun haben und Botschaften für deren Seele bereithalten, dürfte es auch bei Tieren und ihren Besitzern sein. Allerdings stellte ich dieses Thema immer wieder zurück.
Doch ist klar: Menschen, die zusammen mit Tieren leben, gewinnen mit diesen so viel mehr an Ausdrucksmöglichkeiten – nicht nur konkret, sondern auch im symbolischen Sinn. Statt ihren eigenen Körper zur Bühne für Krankheitsbilder werden zu lassen, die etwas deutlich machen im Sinne von Krankheit als Symbol, können Tiere sich für sie zur Verfügung stellen und es für sie ausdrücken und so die Notwendigkeiten der Seele darstellen. Haustiere werden offenbar so sehr eins mit »ihren« Menschen, dass die Grenzen zwischen beiden verschwimmen und sie die menschlichen Themen und Probleme in Notsituationen wie eigene erleben und übernehmen. Dies verstärkt sich natürlich, wenn der von den betroffenen Menschen ausgehende emotionale und seelische Druck in existenziellen Krisen hoch wird.
Die Tatsache, dass zwischen Menschen und ihren Haustieren eine besondere Beziehung existiert und dies sich auch auf der Ebene von Krankheitsbildern niederschlägt, wurde mir vor allem durch zwei eigene Erfahrungen vor Augen geführt, die mich und meine Familie tief berührten. Unsere Tochter Naomi wurde mit Down-Syndrom und einem schweren Herzfehler geboren. Ihre Herzkammern waren durch einen offenen sogenannten AV-Kanal verbunden, zudem war ihre Mitralklappe kaum angelegt. Nach einer überlebenswichtigen...