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Die Salzburger Festspiele

Ihre Bedeutung für die europäische Festspielkultur und ihr Publikum

VerlagVerlag Anton Pustet
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783702580179
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Die Salzburger Festspiele versuchen Jahr für Jahr durch unterschiedliche Kunstformen eine Darstellung der Wirklichkeit. Sie wollen Visionen umsetzen, um Erinnerung und Zukunft in einen konzeptuellen Ausgleich zu bringen. Solche Festspiele erfordern Konzepte, die zwischen Kultur, Organisation und Management, zwischen Recht, Wirtschaft und ästhetischen Ansprüchen angesiedelt sind. Eine Arbeit, die nur durch Verknüpfung unterschiedlicher Wirklichkeitskonstruktionen und Kommunikationssysteme gelingen kann: Kunst, Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Festspiele sind ohne Bezug zur Gesellschaft nicht denkbar. Doch sie agieren nicht als Stützkorsett für anderswo definierte Modernisierungsprozesse, auch nicht als Krisenbewältigungsmittel, sondern immer als ein Instrument zur Ausgestaltung und Entwicklung von (identitätsstiftenden) Erzählungen. Und sie sind Suchbewegungen im Feld des Zumutbaren, des Aufbruchs, des Öffnens von Horizonten. Theater, Oper oder Festspiele stellen aber auch Bastionen und Symbole für das Leben, den Wohlstand und die Geschichte Europas dar. Mit Beiträgen von Eleonore Büning, Bazon Brock, Klaus von Dohnanyi, Michael Fischer, Markus Hinterhäuser u.a.

Michael Fischer, (25.3.1945-1.6.2014) Univ.-Prof., Dr. iur., Dr. phil., war Sozial- und Kultur­wissenschafter und Leiter des Pro­gramm­­­bereichs Arts & Festival Culture am Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst der Universität Salzburg/Universität Mozarteum Salzburg. Mitglied der Bioethik­kommission beim Bundeskanzleramt. 1994-2014 Leiter der Salzburger Festspiel-Dialoge.

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Leseprobe

Einleitung
Der Visionär mit dem Werkzeugkoffer


Margarethe Lasinger

Als Visionär mit dem Werkzeugkoffer stellt man sich den idealen Intendanten der Salzburger Festspiele vor. Solche Bilder und viele Forderungen mehr wurden dem designierten Intendanten Markus Hinterhäuser beim Symposion Festspiele der Zukunft II mit auf den Weg gegeben. In insgesamt sieben Panels diskutierten Wissenschafter und Wissenschafterinnen, Künstler und Künstlerinnen, Journalisten und Journalistinnen, Kulturmanager und Kulturmanagerinnen sowie Politiker am 17. und 18. Jänner 2014 in Salzburg über Salzburger Festspiel-Visionen, den Wandel in der Kulturkommunikation und das emanzipierte Publikum. Dabei wurde auch mit so manchem Mythos aufgeräumt.

Gleich gegenüber den Festspielhäusern, gewissermaßen in der Keimzelle der Salzburger Universität, also im alten Studiengebäude, liegt die prunkvolle Bibliotheksaula. Neben den prächtigen Büchern, die in schweres Leder gebunden sind und die Wände bis zur Decke füllen, findet sich an diesem Ort auch der berühmte, um 1770 gefertigte Globus von Josef Jakob Fürstaller. Zu dieser Zeit erlangte Mozart auf seiner Reise durch Norditalien europaweiten Ruhm. Die moderne Zeit brach an und in der ersten gesamteuropäischen Bewegung, der Aufklärung, wurden die geistigen Grundsteine für moderne Demokratien gelegt.

In dieser repräsentativen Atmosphäre fand das Symposion Festspiele der Zukunft II, das Prof. Michael Fischer ausrichtete, seinen Anfang. Wie nun passt ein solch historisch aufgeladener Raum mit dem Thema zusammen? Spätestens bei jedem Intendantenwechsel stellen sich die Salzburger Festspiele erneut die Identitätsfrage – und fast alljährlich werden die Stiftungsmythen rund um die Gründung der Festspiele neu bemüht. Aus diesem Grund wurden eben diese Mythen zu Beginn des Symposions neu befragt.

Ingrid Hentschel, Theaterwissenschafterin an der FH Bielefeld, wies darauf hin, dass Rituale dazu dienten, Krisen zu bewältigen. Sie konstruierte die Vision eines Europa, das am Gedanken des Spiels festhält, und formulierte den Wunsch, 2020 ein Ritualspiel des Friedens zu programmieren, in dem sich die Bewohner zu Akteuren formieren.

Der Präsident der Stiftung Mozarteum, Johannes Honsig-Erlenburg, betonte, dass das »Außergewöhnliche nicht planbar« sei und die Salzburger Festspiele eine Handlungspflicht hätten, Auslöser für künstlerische Impulse zu sein. In der Rückschau auf den Mozartkult wies er darauf hin, dass mit dem Einbruch der Realpolitik 1914 das Kultische der Musikfeste wegbrach und durch die neuen gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen der Weg für eine umfassendere Festspielvision geebnet wurde.

Den Europäismus des Fin de Siècle beschwor der Literaturwissenschafter Hans Richard Brittnacher herauf: das Wien um 1900, »Kraftzentrum einer europäischen ästhetischen Larmoyanz«. Als einen der Protagonisten führte er Hugo von Hofmannsthal an, dessen frühen Europa-Ideen mehr Beachtung geschenkt werden müssten.

Mit Hofmannsthals Gründungsideen ging Norbert Christian Wolf, Literaturwissenschafter in Salzburg, hart ins Gericht. Sie seien in den frühen Schriften aus einem »dezidierten Österreich-Patriotismus« zur Rettung der Habsburger-Monarchie konzipiert worden. Er regte eine Re-Lektüre des Kanons an und verwehrte sich gegen eine unreflektierte Anknüpfung an die Gründungsprogrammatik.

Daran anschließend formulierten Manuel Brug und Heinz Sichrovsky ihre Thesen zu einem »Traum von Salzburg« (Brug). Der kultur- und bildungspolitische Berater Michael Wimmer legte eine sozialwissenschaftliche Sicht dar und referierte über die nicht gerade erbaulichen Studien zum kulturellen Verhalten, die ein wachsendes Desinteresse an Kultur zeigen. Auf Festspiele übersetzt, hielt er fest: »Elite trifft Elite, miteinander wird künstlerische Qualität verhandelt.« Als wichtige Forderung sieht er damit die Notwendigkeit, ein »Neuverhältnis mit dem Publikum« herzustellen. Tomas Zierhofer-Kin wiederum, der in den 1990er-Jahren mit Markus Hinterhäuser für die Programmierung des Zeitfluss-Festivals verantwortlich war und langjähriger Intendant des donaufestival Krems ist, plädierte für ein Referenzfestival des 21. Jahrhunderts.

In der daran anschließenden Podiumsdiskussion wurde deutlich, dass sich der Schwerpunkt der Auseinandersetzung zum Publikum hinwenden muss. Die vordringlichen Fragen lauteten: Haben wir uns wirklich gut mit unseren Publika beschäftigt? Leisten Medien ihre Übersetzungsarbeit adäquat? Wie kann der Diskurs zum neugierigen Publikum geöffnet werden?

Über das kulturelle Europabild schließlich sprachen so hochkarätige Politiker wie Landeshauptmann Wilfried Haslauer, der EU-Kommissar Johannes Hahn und der ehemalige Erste Hamburger Bürgermeister und Bundesminister Klaus von Dohnanyi. Hahn warnte vor der Idee, eine europäische Überidentität kreieren zu wollen, und plädierte für lokales Agieren und die Erhaltung der Vielfalt. Haslauer sprach den Festspielen den Auftrag zu, »die rechte, weil emotionale Gehirnhälfte Europas« zu sein, und von Dohnanyi warnte vor dem »besserwisserischen Gouvernantentum« der Europäischen Union. Vor diesen Ausführungen blickte der Historiker Philipp Ther in die Zeit des Vormärz zurück, als sich Kunst als einendes Element konstituierte. Er zog aus seinem Rückblick die Vision der neuerlichen gesellschaftlichen Mobilisierung.

Im Hauptpanel am Freitagabend erörterten Markus Hinterhäuser und Rudolf Scholten unter der Moderation von Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler die Notwendigkeit der »Schaffung eines künstlerisch reflektierenden Epizentrums« (Hinterhäuser). Dabei entwarf Scholten das Bild des »Visionärs mit dem Werkzeugkoffer«. Markus Hinterhäuser bestätigte diesen Vergleich und erläuterte: »Ein gutes Programm für Festspiele ist eine Addition von Utopie, praktischer Überlegung, künstlerisch-kreativer Idee und Notwendigkeit.« Der Ästhetiker Bazon Brock bemühte sich erneut, die universalen Strategien von Wissenschaft und Kunst im Gegensatz zu kulturellen Prägungen herauszuarbeiten und formulierte einmal mehr den Auftrag, »eine Agentur der Weltzivilisation« zu sein.

Nach den durchaus lebhaften Diskussionen im Anschluss ging es am zweiten Symposionstag um das Thema Kunst im Spannungsverhältnis von Publikum und Kritik. Eleonore Büning und Hedwig Kainberger schilderten eindringlich den fundamentalen Wandel in den Kulturressorts und korrigierten die Fragestellung des Symposions in Richtung: Wie sieht die Musikkritik der Zukunft aus?

Diese Frage beantwortete der Philosoph Harry Lehmann auf seine Weise. Er forderte die öffentliche Institutionalisierung der Kunstreflexion. Die Kunstkritik müsse bei den Künsten selbst angesiedelt sein und bedürfe ebensolcher öffentlicher Unterstützung wie die Künste selbst – ein Auftrag an Politik und universitäre Einrichtungen gleichermaßen.

Kein Ende der Kunstkritik ortete der Theaterkritiker Dirk Pilz, der durch die digitale Revolution neue Einsichten für die Kunstkritik konstatierte sowie das Verschwinden der festgeschriebenen Hierarchien. »Nicht die Kritik ist fraglich geworden, sondern die Position des Kritikers.« In den neuen Formen der Kommunikation sieht er die Chance, den Kommentar des Lesers ernst zu nehmen, diesen als potenziellen Partner, als Gegenüber des Kritikers wahrzunehmen.

Mit der Rolle des Publikums schließlich beschäftigten sich die beiden abschließenden Veranstaltungsrunden. Standen im Panel sechs Fragen über das Publikum im Zentrum und der Aufruf, sich mehr um die »Publikumsfindung« (Bernd Gaubinger) zu kümmern, wurde zum Abschluss noch einmal ein Mythos herbeizitiert: Jedermann.

Im letzten Veranstaltungspanel ging es um die besondere Atmosphäre, die Aura, die Festspiele kreieren müssen, um das vielfältige Publikum in einer »atmosphärischen Einheit« (Hofmannsthal) zu erhalten. Der neue Jedermann Cornelius Obonya und Jedermann-Dramaturg David Tushingham erzählten über den Dialog zwischen Publikum und Darstellern, die besonderen Verbindungen, die zum Publikum geschaffen werden.

Überlegungen, die auch im Zusammenhang mit der Kreation eines Publikumsprojekts eine Rolle spielen, das im Rahmen des Symposions abschließend vorgestellt wurde. Mats Staubs Erinnerungsbüro-Projekte gaben den Anstoß, sich über eine unkonventionelle Festspiel-Geschichte des Publikums Gedanken zu machen.

Nach einem Testsetting soll mit dem Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst der Universität Salzburg / Universität Mozarteum, genauer gesagt: in Zusammenarbeit mit dem Programmbereich Arts und Festival Culture, ein interdisziplinäres Projekt...

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